Zivilisation und ...

Reise einer Wienerin in das Heilige Land

Ida Pfeiffer

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Aufenthalt in Jerusalem

Gerade als die Morgenröte anbrach, standen wir an den Mauern Jerusalems, und mir ging der schönste Morgen meines Lebens auf! Ich war so in Gedanken und in Lobpreisungen versunken, daß ich nicht sah und hörte, was um mich vorging. Und dennoch wäre es mir nicht möglich zu sagen, was ich alles dachte, was ich alles fühlte. Zu groß und mächtig war mein Gefühl, zu arm und kalt ist meine Sprache, es auszudrücken.

Am 29. Mai morgens halb fünf Uhr kamen wir an das Bethlehemtor. Eine halbe Stunde mußten wir noch warten, bis das Tor aufgeschlossen wurde, dann zogen wir durch die stillen, noch unbelebten Gassen Jerusalems, der nuova casa (Pilgerhaus) zu, welche von den Franziskanern zur Aufnahme für Reich und Arm, für Lateiner (Christkatholische) und Protestanten bestimmt ist.

Ich gab meine Effekten in das mir zugewiesene Zimmer und eilte in die Kirche, um mein Herz durch ein inniges Gebet zu erleichtern. Der Eintritt in die Kirche gleicht dem eines Hauses. Sie selbst ist klein, doch für die hier ansässigen Lateiner groß genug. Der Altar ist reich, die Orgel sehr schlecht. Die Männer stehen abgesondert von den Weibern, so auch die Knaben von den Mädchen, und alles sitzt oder kniet auf dem Boden; Bänke gibt es in der Kirche nicht. Die Christen sind ebenso gekleidet wie die Morgenländer. Die Weiber tragen Stiefeletten aus gelbem Saffian und darüber Pantoffeln, welche sie beim Eintritt in die Kirche ablegen. Das Gesicht haben sie auf der Gasse ganz verhüllt, in der Kirche nur zum Teil, die Mädchen gar nicht. Ihre Kleidung besteht aus einem weißleinenen Rock, einem großen Tuch von demselben Stoff, in welches sie sich ganz einhüllen. Alle waren rein und nett gekleidet.

Die Andacht ist aber unter diesen Leuten so gering, daß sie durch jede Kleinigkeit gestört werden. So zum Beispiel war ich für diese Leute eine ganz neue Erscheinung, weshalb sie mich beständig von Kopf bis Fuß betrachteten und sich ihre Bemerkungen über mich so unverhohlen durch Worte und Zeichen mitteilten, daß ich wirklich keinen ernsten Gedanken fassen konnte. Manche unter ihnen stießen an mich an oder langten nach meinem Hut usw. Sie schwatzten sehr eifrig und beteten sehr wenig, die Kinder machten es nicht besser; sie aßen während der Messe ihr Morgenbrot und stießen sich manchmal, vermutlich, um nicht einzuschlafen. Die Leute hier müssen glauben, ein gottgefälliges Werk auszuüben, wenn sie nur zwei, drei Stunden in der Kirche zubringen; um das Wie scheint sich kein Mensch zu bekümmern, sonst hätte man sie doch eines Besseren belehrt.

Nachdem ich über eine Stunde in der Kirche war, kam ein Geistlicher zu mir und sprach mich in meiner Muttersprache an. Er war ein Deutscher und sogar ein Landsmann. Er versprach mir, mich in einigen Stunden zu besuchen. Ich kehrte dann in das Pilgerhaus zurück, und jetzt erst betrachtete ich mein Zimmer. Es war höchst einfach möbliert, die ganze Einrichtung bestand aus einer eisernen Bettstelle samt Matratze, Polster und Decke, einem sehr schmutzigen Tisch, zwei Stühlen, einer kleinen Bank und einem Wandkästchen, alles von weichem Holz. Alle diese Effekten sowie die Fenster, an denen einige Scheiben zerbrochen waren, mögen wohl vor undenklichen Zeiten rein gewesen sein. Die Wände waren mit Kalk übertüncht, der Boden mit großen Steinplatten gepflastert. Kamine sind nirgends mehr zu sehen.

Ich legte mich auf eine oder zwei Stunden nieder, um nur ein bißchen auszuruhen, denn seit der Abreise von Konstantinopel bis hieher war es in einem Zug fortgegangen.

Um elf Uhr besuchte mich der deutsche Geistliche, Pater Paul, um mir die Ordnung des Hauses kundzumachen. Des Mittags wird um zwölf Uhr, des Abends um sieben Uhr gespeist. Zum Frühstück bekommt man schwarzen Kaffee; des Mittags eine eingekochte Suppe, die aber aus Schöpsenfleisch bereitet ist, dann gekochtes Ziegenfleisch, etwas Gebackenes in Öl oder sonst ein Gericht von Gurken und zum Schluß gebratenes oder eingemachtes Schöpsenfleisch. Zweimal in der Woche, freitags und samstags, werden Fastenspeisen gegeben, fällt aber das Fest eines besonderen Heiligen, was sehr oft der Fall ist, so kommen drei Fasttage, nämlich auch der Tag vor dem Heiligenfest. Die Fastenspeisen bestehen aus einem Linsengericht, einer Omelette und zwei Gerichten Stockfisch, eines warm, das andere kalt. Brot und Wein sowie die Portionen der Speisen bekommt man in hinlänglicher Quantität. Aber alles ist höchst mittelmäßig zubereitet, und lange braucht es, bis man sich an die immerwährenden Schöpsengerichte gewöhnt. In Syrien werden im Sommer weder Ochsen noch Kälber geschlachtet; ich genoß daher vom 19. Mai bis anfangs September, wo ich nach Ägypten kam, weder einen Tropfen Rindsuppe noch ein Stückchen Rindfleisch.

Im Kloster bezahlt man weder für Kost noch Wohnung und darf sich einen ganzen Monat aufhalten. Man gibt höchstens eine freiwillige Gabe für Messen; ob man aber viel, wenig oder nichts gibt, ob man ein Lateiner oder von einer anderen Religion ist, darnach wird nicht gefragt. In diesem Punkt ist der Franziskanerorden höchst human. Die Geistlichen sind meistens Spanier und Italiener, sehr wenige von anderen Nationen.

Pater Paul war so gütig, sich mir als Führer anzutragen, und in seiner Gesellschaft sollte ich heute noch mehrere der heiligen Orte besuchen.

Wir begannen mit der Via Dolorosa, dem Weg, auf welchem Christus zum letztenmal auf Erden als Gottmensch, gebeugt unter der Last des Kreuzes, zur Schädelstätte ging. Die Stellen, wo Christus fiel, sind mit Stücken von Säulen bezeichnet, welche die heilige Helena an beiden Orten in die Mauern der Häuser einmauern ließ. Die dritte Stelle sieht man im Innern eines Hauses. Von da gelangten wir zur Zwerchgasse, und zwar zu demselben Ort, an welchen die heilige Maria in größter Eile gekommen war, ihren Sohn noch einmal zu sehen. Ja, wohl sah sie ihn daherwanken, von der Last und dem Schmerz gebeugt. Ihr Mutterherz erlag auf Augenblicke, eine Ohnmacht beraubte sie ihrer Besinnung, aber nur auf kurze Zeit; sie mußte noch das Ärgste schauen.

Nun wandelten wir zum Haus des Pilatus, welches zum Teil in Ruinen liegt, zum Teil den Türken als Kaserne dient. Man zeigt die Stelle, wo die Heilige Stiege war, über welche Jesus ging und die ich auf meiner Rückreise in Rom, in der Basilika S. Giovanni di Laterano, sah. Auch der Ort, wo Jesus von Pilatus dem Volk gezeigt wurde, ist noch bekannt. Gleich neben demselben steht ein kleines, dunkles, turmartiges Gewölbe und in dessen Mitte der Stein, an welchen Christus gebunden und gegeißelt wurde.

Wir stiegen auf die höchste Terrasse dieses Hauses, weil man von hier aus den besten Überblick über die schöne Moschee Omar hat, die in einem sehr großen Hof steht. Man muß sich mit diesem Überblick begnügen, da die Türken hier viel fanatischer sind als in Konstantinopel und manchen andern Städten. Es ist daher eine vergebliche Mühe, auch nur einen Versuch zu machen, in den Vorhof zu kommen. Ein Steinregen wäre der Empfang, den man dort zu gewärtigen hätte. So streng sie ihre Religion und Gebräuche halten, ebensosehr achten sie jene Christen, die ihrerseits religiös und andächtig sind.

Mit vollkommener Ruhe kann der Christ an all den Orten, die ihm heilig sind, seine Andacht verrichten, ohne im geringsten von vorübergehenden Türken bespöttelt oder beleidigt zu werden. Im Gegenteil, der Türke geht ihm ehrerbietig aus dem Weg, denn auch er ehrt Christus als einen großen Propheten und die heilige Maria als seine würdige Mutter.

Unweit vom Haus des Pilatus steht jenes des Herodes, aber nur als Ruine. Das Haus des Prassers, vor welchem der arme Lazarus lag, hatte dasselbe Schicksal, doch kann man noch aus den Ruinen auf seine einstige Größe schließen.

Im Haus der heiligen Veronika ist eine Steinplatte eingemauert, auf welcher ein Fußtritt Jesu zu sehen ist. In einem anderen Haus sieht man zwei Fußtritte der Maria. Auch jene Häuser, die an den Orten stehen, wo Maria und Maria Magdalena geboren wurden, wies mir Pater Paul. Alle diese Häuser sind zwar von Türken bewohnt, allein gegen eine kleine Gabe steht jedermann der Eintritt offen.

Den folgenden Tag ging ich in die Kirche des Heiligen Grabes. Mehrere enge, schmutzige Gassen führen dahin; in denen, die der Kirche nahe liegen, sind lauter Buden wie zu Mariazell in Steiermark und an vielen andern Wallfahrtsorten, in welchen eine Auswahl von Rosenkränzen, geschnitzten Perlmuttermuscheln, Kruzifixen usw. zu finden ist. Der Platz vor der Kirche ist ziemlich nett. Ihm gegenüber liegt das schönste Haus Jerusalems; seine Terrassen waren mit Blumen geziert.

Wenn man zu dieser Kirche geht, tut man wohl, sich mit einer guten Portion Para (sieben Stück machen einen guten Kreuzer) zu versehen, denn man wird von einer Menge Bettler umschwärmt. Die Kirche ist verschlossen; die Türken haben die Schlüssel in Verwahrung und öffnen sie nur dann, wenn es begehrt wird. Man gibt ihnen für diese Mühe den kleinen Betrag von drei oder vier Piastern, sie sind damit zufrieden und bleiben während der ganzen Zeit, die man in der Kirche zubringt, gleich am Eingang im Innern der Kirche zurück, wo sie sich auf Diwane lagern, Tabak rauchen und Kaffee trinken. Gleich am Eingang der Kirche bemerkt man auf dem Boden eine große, länglich viereckige Marmorplatte, dies ist der Salbungsstein.

In der Mitte des Schiffes der Kirche steht eine kleine Kapelle, welche inwendig in zwei Teile geschieden ist. In der ersten Abteilung sieht man in der Mitte eine Steinplatte mit Marmor eingefaßt. Dies soll derselbe Stein sein, auf welchem der Engel saß und den Frauen die Auferstehung verkündete, als sie kamen, um den Leichnam Jesu einzubalsamieren.

In der zweiten, ebenso kleinen Abteilung steht der Sarkophag oder das Grabmal Christi aus weißem Marmor. Der Zugang dahin führt durch eine so niedere Pforte, daß man sich sehr bücken muß, um hineinzukommen. Das Grab nimmt die ganze Länge der Kapelle ein und wird als Altar verwendet. Man kann deshalb nicht in den Sarkophag hineinsehen. Die Beleuchtung ist Tag und Nacht äußerst reich, es brennen beständig dreiundvierzig Lampen ober dem Grab. Dieser Teil der Kapelle, wo das Heilige Grabmal steht, ist leider so klein, daß, wenn der Priester Messe liest, kaum noch drei oder vier Personen Platz haben. Die Kapelle ist ganz aus Marmor erbaut und gehört den Lateinern, jedoch dürfen abwechselnd auch die Griechen darin Messe lesen.

So kniete ich nun an jenen Stellen, welche der Gegenstand aller meiner Wünsche schon in der Kindheit waren, auf die ich stets meine Gedanken gerichtet hatte. Die Gefühle, welche man an solchen Stellen hat, sind wohl zu heilig und mannigfaltig, um auch nur den leisesten Versuch zu machen, sie mit Worten beschreiben zu wollen.

Hinten, an der äußern Seite der Kapelle, haben die Kopten einen kleinen, sehr ärmlichen Altar aus Holz, mit Bretterwänden umfangen. Rings um die kleine Grabeskapelle laufen von außen in einiger Entfernung viele Nischen, die den verschiedenen Glaubenssekten angehören.

Ich sah ferner in dieser Kirche die unterirdische Nische, in welcher Jesus als Gefangener saß, dann die Nische, in welcher die Soldaten um die Kleider unseres Heilandes würfelten, und die Kapelle, welche das Grab des heiligen Nikodemus enthält. Unweit dieser Kapelle ist die kleine Kirche der Lateiner. Zur Kapelle der heiligen Helena führt eine Treppe von siebenundzwanzig Stufen abwärts. Hier saß die heilige Frau beständig, betete und ließ nach dem Heiligen Kreuz suchen. Noch einige Stufen tiefer gelangt man an die Stelle, wo das Kreuz gefunden wurde. Eine Marmorplatte zeigt den Platz genau an.

Ist man wieder von da hinaufgestiegen, so kommt man gleich zu einer Nische, in welcher die Säule steht, an welcher Jesus angebunden und gekrönt wurde. Man nennt sie die Schimpf- oder Spottsäule. Die Säule, an welcher Jesus gegeißelt wurde und von der sich ein Stück in Rom in der Kirche S. Prasede befindet, ist auch nur einige Schritte davon entfernt und mit einem Gitter umgeben. Man geht nun wieder über eine Treppe achtzehn Stufen hoch, welche zur Schädelstätte oder dem Fels führt, wo Jesus gekreuzigt wurde. Dieser Fels ist aber nicht sichtbar, sondern von allen Seiten ummauert und oben mit Marmorplatten bedeckt. An der rechten Seite auf dem Fußboden ist die Stelle, wo Christus an das Kreuz genagelt wurde, durch ein Kreuz aus Marmor bezeichnet. Gleich daneben befindet sich die Schmerzenskapelle an dem Ort, wo die heilige Maria stand und Zeugin war, wie man ihren geliebten Sohn an das Kreuz schlug.

Welche Leiden können wohl mit diesen verglichen werden! Wer von Kummer und Sorgen gedrückt wird, möge sich ihrer erinnern und Trost und Beruhigung darin finden.

Auf der andern Seite, dieser Kapelle gegenüber, ist die Öffnung zu sehen, in der das Kreuz gestanden hat. Hier und auch unten in der Kirche kann man den Riß sehen, der den Felsen spaltete. Oben ist er mit einer Silberplatte eingefaßt, um ihn gegen das viele Küssen und Berühren der Pilger zu schützen. Unten ist eine kleine Öffnung gelassen worden, welche durch ein hineingereichtes Licht so viel erhellt wird, um den tiefen Spalt zu sehen.

Die Kapelle, welche die Griechen in dieser Kirche besitzen, ist die größte, schönste und am reichsten geschmückte, man könnte sagen eine Kirche in der Kirche.

Den Lateinern gehören in dieser Kirche das Heilige Grab, die Geißelungssäule, die Grotte der Kreuzfindung, der Ort der Annagelung und die Schmerzenskapelle. Die andern Stellen gehören den Griechen, Armeniern und Kopten.

Es ist sehr schwer, sich in dieser Kirche zurechtzufinden, sie gleicht einem Labyrinth. Bald muß man über eine Treppe hinauf, bald wieder in die Tiefe hinabsteigen. Der Baumeister verdient gewiß die größte Bewunderung, alles so innig und zweckmäßig unter ein Dach gebracht zu haben, sowie die heilige Helena den innigsten Dank, daß sie durch Kirchen und Kapellen sowohl hier als in Bethlehem und Nazareth alle aufgefundenen Stellen heiligte und der Vergessenheit entriß.

Man erzählte mir, daß es in dieser Kirche selten ohne Zank und große Unordnung abgehe, wenn die Griechen ihre Ostern hier feiern. Und noch viel größer soll diese Unordnung sein, wenn unglückseligerweise die griechischen Ostern mit jenen der Lateiner zusammenfallen. Da gibt es nicht nur blutende Köpfe, sogar als Leichen werden einige fortgetragen. Da müssen dann gewöhnlich die Türken einschreiten, um unter den Christen Ordnung und Ruhe herzustellen. Was können dann jene Völker, die wir Ungläubige nennen, für einen Begriff von uns Christen haben, wenn sie sehen, mit welchem Haß und Neid eine christliche Sekte die andere verfolgt? Wann wird diese entehrende Parteisucht wohl beseitigt werden?

Am dritten Tag nach meiner Ankunft zu Jerusalem kam des Nachmittags eine kleine Karawane von sechs oder sieben Reisenden, nämlich zwei Herren mit ihren Dienern, in unserm Kloster an. Eine solche Erscheinung ist wohl zu wichtig und interessant, besonders wenn es Franken sind, um sich nicht so bald als möglich zu erkundigen, aus welcher Weltgegend sie hiehergewandert seien. Wie freudig schlug mein Herz, als mir Pater Paul die angenehme Nachricht brachte, daß die beiden Herren österreichische Untertanen seien. Welch ein sonderbarer Zufall! So weit von meinem Vaterland und plötzlich inmitten von Österreichern. Pater Paul war ein Wiener, und jene beiden Herren, Graf Be. und Graf Sa., waren böhmische Kavaliere.

Nachdem ich mich von der Reise gehörig erholt und meinen Geist gesammelt hatte, brachte ich eine ganze Nacht in der Kirche des Heiligen Grabes zu. Ich beichtete des Nachmittags und begleitete dann um vier Uhr den Umgang, welcher täglich um diese Zeit zu allen Leidensstationen geht, mit einer brennenden Wachskerze in der Hand, deren Rest ich zur ewigen Erinnerung mit in mein Vaterland brachte. Nach dieser Zeremonie begaben sich die Geistlichen in ihre Zellen und die wenigen Leute, die gegenwärtig waren, aus der Kirche. Ich allein blieb zurück, um die Nacht daselbst zu verweilen. Es herrschte eine feierliche Stille, und ungehindert konnte ich nun alle Stellen allein besuchen und meinen Betrachtungen nachhängen. Dies waren die schönsten Stunden meines Lebens – wer die erlebt, hat genug gelebt!

Bei der Orgel wies man mir ein Plätzchen an, wo ich einige Stunden der Ruhe genießen konnte. Eine alte Spanierin, die gleich einer Nonne lebt, dient den Pilgerinnen als Gefährtin für eine solche Nacht.

Um Mitternacht fangen die verschiedenen Gottesdienste an. Die Griechen und Armenier schlagen und hämmern auf frei hängenden Brettern oder Metallstangen. Die Lateiner spielen auf der Orgel oder singen und beten laut, während die Priester der andern Sekten ebenfalls singen und schreien. Es ist ein großer unharmonischer Lärm. Ich muß es gestehen, daß mich die Andacht um Mitternacht nicht so begeisterte, als ich mir vorstellte. Der vielseitige Lärm, die verschiedenartigen Gebräuche sind eher störend als erhebend. Ich zog die Stille und Ruhe, welche nach dem Umgang herrschte, diesem Gepränge vor.

Ich ging mit der Spanierin in den Chor der Lateiner, wo von der Mitternachtsstunde bis ein Uhr laut gebetet wurde. Um vier Uhr morgens hörte ich mehrere Messen am Heiligen Grab und kommunizierte daselbst. Um acht Uhr sperrten die Türken auf mein Begehren die Kirche auf, damit ich nach Hause gehen konnte.

Die wenigen Geistlichen des lateinischen Ritus, welche sich im Kloster zum Heiligen Grab befinden, bleiben durch drei Monate unausgesetzt in demselben, um den Dienst in der Kirche zu verrichten. Sie dürfen für keinen Augenblick Kloster oder Kirche verlassen. Nach drei Monaten werden sie wieder abgelöst.

Am 10. Juni wohnte ich dem Fest des Ritterschlages vom Orden des Heiligen Grabes bei. Die Grafen Zy., Wa. und Sa. ließen sich zu Rittern des Heiligen Grabes schlagen, welche Zeremonie in der Kapelle der Lateiner und in der Heiligen Grabeskapelle vollzogen wurde.

Der Reverendissimus setzte sich auf einen Thronsessel, der künftige Ritter kniete vor demselben nieder und legte den Schwur ab, die heilige Kirche, die Witwen und Waisen zu schützen usw. Währenddem beteten die herumstehenden Priester. Nun wurde dem Laien von einem Geistlichen der Sporn Gottfrieds von Bouillon angeschnallt, das Schwert dieses Helden in die Hand gegeben, die Scheide davon umgegürtet und das Kreuz samt der schweren goldenen Kette, ebenfalls von Gottfried von Bouillon herstammend, um den Hals gehängt. Darauf bekam der Kniende den eigentlichen Ritterschlag mit dem Schwert auf Achseln und Haupt. Die Geistlichen umarmten den neuen Ritter, und die Zeremonie war beendet.

Ein gutes Mahl, von den neuen Rittern gegeben, wozu Pater Paul und ich geladen waren, machte den Schluß dieses Festes.

Der Ölberg liegt höchstens eine halbe Stunde von Jerusalem entfernt. Man geht durch das Stephanstor, kommt an dem Türkischen Friedhof vorüber und ist an dem Ort, wo der heilige Stephan gesteinigt wurde. Unweit davon sieht man das Flußbett des Kedron, der jetzt ganz ohne Wasser war. Eine steinerne Brücke führt hinüber; daneben ist eine Steinplatte, auf welcher die Abdrücke von Jesu Füßen, als er von Gethsemane abgeholt und über diese Brücke geführt wurde, wo er strauchelte und fiel, zu sehen sind. Wenn man über die Brücke gegangen ist, kommt man am Fuß des Ölberges zur Grotte, wo Jesus Blut geschwitzt hat. Man ließ ihr ihre ursprüngliche Gestalt. Ein einfacher hölzerner Altar, erst seit einigen Jahren von einem bayrischen Prinzen gestiftet, ist darin, und eine eiserne Pforte schließt den Eingang. Nicht weit davon ist Gethsemane. Hier stehen acht Ölbäume von hohem Alter; nirgends sah ich so große und alte Stämme wie diese hier, obwohl ich oft durch ganze Gehölze von Olivenbäumen kam, und dennoch soll, nach der Behauptung sachverständiger Männer, es nicht möglich sein, daß ein Ölbaum ein so hohes Alter erreichen könne, um noch aus jener Zeit zu stammen, wo Jesus unter solchen seine letzte Nacht mit Gebet und Betrachtung zugebracht hat. Da sich aber dieser Baum selbst fortpflanzt, so mögen es Sprößlinge sein. Das Erdreich der Wurzeln dieser acht Bäume ist mit Mauerwerk umgeben, um den altersschwachen Bäumen eine Stütze zu verschaffen. Den Ort, wo diese acht Bäume stehen, umfängt eine drei oder vier Schuh hohe Mauer. Kein Laie darf diesen Ort ohne Priester betreten oder etwas von den Bäumen pflücken; es steht die Exkommunikation als Strafe darauf. Auch der Türke hält diese Bäume in Ehren und würde keinen beschädigen.

Gleich daneben liegt der Ort, wo die drei Jünger während jener Nacht schliefen, als sich Jesus auf den Tod vorbereitete. Man zeigt auf zwei Felsstücken Abdrücke, welche von den Aposteln herrühren sollen (?). Vom dritten Abdruck konnten wir aber keine Spur entdecken. Etwas entfernt davon ist die Stelle, wo Judas den Verrat beging.

Die kleine Kirche, welche das Grab der heiligen Maria in sich schließt, steht nahe an der Grotte der Blutschwitzung. Eine breite Marmortreppe führt über fünfzig Stufen in die Tiefe, an deren Ende man das Grabmal erblickt, welches ebenfalls als Altar benützt wird. Ungefähr in der Mitte der Stiege sind zwei Nischen mit Altären angebracht, die Gebeine der Eltern der heiligen Maria sowie jene des heiligen Joseph in sich schließend. Diese Kapelle gehört den Griechen.

Vom Fuß des Ölbergs bis auf die höchste Spitze desselben hat man bei dreiviertel Stunden zu steigen. Der ganze Berg ist öd und unfruchtbar, nur Öl- und Johannisbrotbäume finden da ihr Fortkommen. Von dem höchsten Gipfel fuhr Jesus gen Himmel. Eine Kirche bezeichnete einst diesen Ort; sie wurde aber später in eine Moschee umgewandelt, und auch diese ist zum Teil schon in Ruinen zerfallen. Erst seit zehn oder zwölf Jahren wurde eine ganz kleine armenische Kapelle hier aufgebaut, die nun inmitten von alten Mauern steht, in welcher abermals der Abdruck des Fußes Jesu gezeigt und verehrt wird. Auf diesem Stein soll er gestanden haben, als er gen Himmel fuhr. Nicht weit davon zeigt man den Ort, wo der Feigenbaum stand, den Christus verfluchte, und die Stelle, wo sich Judas erhängte.

Ich besuchte eines Nachmittags mehrere dieser Orte in Gesellschaft des Grafen B. Als wir unter den Ruinen nahe der Moschee herumstiegen, kam auf einmal ein stämmiger Ziegenhirt mit einem tüchtigen Knüttelstock bewaffnet auf uns zu und begehrte ziemlich gebieterisch Bakschisch (Trinkgeld oder Almosen). Wir wollten keiner die Börse herausnehmen, aus Furcht, er reiße uns selbe aus den Händen, und gaben ihm nichts. Da faßte er den Grafen am Arm und schrie verschiedenes auf arabisch, was wir zwar nicht verstanden, aber wohl zu deuten wußten. Der Graf machte sich los, und zum Glück hatten wir nur einige Schritte um eine Ecke zu biegen, um ins Freie zu gelangen, welches wir halb balgend erreichten. Glücklicherweise kamen mehrere Menschen in unsere Nähe, und der Kerl zog sich zurück. Wir überzeugten uns, daß Franken die Stadt nie allein verlassen sollten.

Da der Ölberg der höchste Berg um Jerusalem ist, so kann man von ihm die Stadt und die Umgebung am besten übersehen. Sie ist ziemlich groß und ausgedehnt und soll fünfundzwanzigtausend Einwohner zählen. Die Häuser sind wie in ganz Syrien aus Stein und mit vielen runden Kuppeln versehen. Eine sehr hohe und gut erhaltene Mauer, deren unterer Teil aus so großen Steinblöcken zusammengesetzt ist, daß man wohl glauben könnte, diese Felsmassen rühren noch aus jenen Zeiten her, wo die Stadt zerstört wurde, umgibt sie. Die Moschee Omar, deren Kuppel mit Blei gedeckt ist, nimmt sich am besten aus; ihr Vorhof ist unendlich groß und rein gehalten. An ihrem Platz soll einst Salomons Tempel gestanden sein.

Von diesem Berg kann man auch alle Klöster und die verschiedenen Quartiere der Lateiner, Armenier, Griechen, Juden usw. sehr gut unterscheiden. Der Berg des Ärgernisses, so genannt wegen der Abgötterei Salomons, erhebt sich seitwärts des Ölberges und ist nicht hoch. Von den Resten des Tempels und der Gebäude, welche Salomon seinen Weibern erbauen ließ, sind nur noch wenige Mauerwerke vorhanden. Auch der Jordan und das Tote Meer sollen von hier zu sehen sein; ich sah aber weder den einen noch das andere, vermutlich weil der Dunstkreis zu dicht war.

Am Fuße des Ölbergs liegt das Tal Josaphat, in welchem einst das Letzte Gericht über uns ergehen soll. Die Länge dieses Tales beträgt höchstens die Hälfte oder drei Viertel einer deutschen Meile; die Breite ist ebenfalls höchst unbedeutend. Der Bach Kedron durchschneidet das Tal; er führt aber nur während der Regenzeit Wasser, sonst ist es verschwunden.

Die Stadt Jerusalem ist ziemlich belebt; besonders der ärmliche Bazar und das Judenviertel, welches letztere gar sehr von Menschen überfüllt ist.

Das griechische Kloster ist nicht nur schön, sondern auch sehr ausgedehnt. Zu ihm wallen die meisten Pilger; ihre Zahl soll sich in der Osterzeit oft auf fünf- bis sechstausend belaufen. Da wird alles zusammengesteckt und jeder Raum überfüllt, selbst der Hof, die Terrassen, alles ist besetzt. Dieses Kloster hat die größten Einkünfte, weil jeder Pilger für die schlechte Aufnahme in demselben außerordentlich viel bezahlen muß. Der Ärmste soll selten unter vierhundert Piaster durchkommen.

Das armenische Kloster ist das schönste; mitten in Gärten stehend, gewährt es einen wahrhaft freundlichen Anblick. Es soll an dem Platz erbaut sein, wo der heilige Jakobus enthauptet wurde. Eine Menge Abbildungen in der Kirche machen diese Begebenheit von allen Seiten bemerkbar. Die meisten Bilder aber, nicht nur in dieser, sondern in allen Kirchen sind unter allen Begriffen schlecht gemalt. Die armenische Geistlichkeit soll ebenfalls die Kunst verstehen, ihre Pilger gehörig auszubeuten und mit leeren Taschen davonziehen zu lassen. Dafür geben sie ihnen einen Überfluß an geistiger Nahrung mit.

Im Tal Josaphat sieht man viele Grabmäler älterer und neuerer Zeit. Das älteste darunter ist jenes des Absalom, ein kleiner Tempel aus Felsstücken mit einer Kuppel und ohne Eingang. Das zweite ist das des Zacharias, ebenfalls in den Felsen gehauen und innen mit zwei Abteilungen; das dritte jenes des Königs Josaphat, klein und unbedeutend, man könnte beinahe sagen, nichts als ein Felsblock. Und so sind noch mehrere Grabmäler in Fels gehauen. Von hier gelangt man zu dem jüdischen Friedhof.

Das Dörfchen Siloe liegt ebenfalls in diesem Tal. Es ist so ärmlich und hat so kleine Häuser, aus Steinen zusammengesetzt, daß man sie, hier ohnehin beständig unter Monumenten der Verstorbenen wandelnd, eher für Ruinen von Grabmälern als für menschliche Behausungen hält.

Dem Dorfe gegenüber liegt der Marienbrunnen, so genannt, weil die heilige Maria hier täglich Wasser holte. Ihrem Beispiel folgen noch immer die Bewohner von Siloe. Etwas entfernter davon ist der Brunnen Siloe, an welcher Quelle Jesus einen Blindgeborenen heilte. Diese Quelle soll die merkwürdige Eigentümlichkeit haben, daß sie im Lauf des Tages öfters verschwindet und wiederkehrt. Als ich dort war, sah ich kein Wasser, und alles herum war so trocken, als ob die Quelle nicht nur stunden-, sondern wochenlang ausbliebe. Hier sollen einst die Königsgärten gestanden haben.

Am Ende des Tales Josaphat ist eine kleine Anhöhe, gleichsam als Schlußstein, in welcher mehrere Grotten, durch Natur oder Kunst geschaffen, vorhanden sind, die ebenfalls als Grabmäler dienten. Man nennt sie die Felsengräber. Jetzt sind sie meistens in Stallungen verwandelt und so schmutzig, daß man sie nicht betreten kann. Ich blickte nur in einige hinein und sah weiter nichts als eine in zwei Teile geschiedene Höhle. Über diesen Felsengräbern liegt der sogenannte Blutacker, welchen die Hohenpriester um die dreißig Silberlinge kauften, die ihnen Judas zurückwarf.

Unweit von dem Blutacker erhebt sich die Anhöhe oder der Berg Zion, auf dem einst das Haus des Kaiphas gestanden sein soll, in welchem Christus gefangensaß. Jetzt ist eine kleine armenische Kirche an seinem Platz. Das Grab Davids, ebenfalls auf diesem Hügel, wurde in eine Moschee verwandelt, in der man die Stelle zeigt, wo Christus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl hielt.

In der Umgebung dieses Berges sind die Friedhöfe der Lateiner, Armenier und Griechen.

Gleich am Berg Zion hin zieht sich der Berg des »Bösen Rates«, so genannt, weil die Richter hier den Entschluß gefaßt haben sollen, Jesu zu töten. Einige Spuren von Ruinen des Landhauses Kaiphas' sind noch sichtbar.

Die Jeremiasgrotte liegt außerhalb des Damaskustores, vor welchem wir auch einen sehr schön gearbeiteten Sarkophag, als Wassertrog benützt, in der Nähe einer Zisterne fanden. Diese Grotte ist größer als all die bisher genannten. Gleich am Eingang steht ein großer Stein, welchen man das Bett des Jeremias nennt, weil er gewöhnlich darauf schlief. Eine halbe Stunde davon entfernt kommt man zu den Königsgräbern. Man steigt in eine offene Vertiefung von drei oder vier Klafter, welche den Vorhof bildet, viereckig, ungefähr siebzig Schritte lang und ebenso breit ist. An der einen Seite dieses Vorhofes kommt man an eine große Halle, deren breites Portal mit schönen Skulpturarbeiten (Blumen, Früchten und Arabesken) geschmückt ist. Diese Halle führt zu den Gräbern, die ringsherumlaufen und aus in den Fels gehauenen Behältnissen bestehen, die gerade groß genug sind, um einen Sarkophag aufzunehmen. Die meisten waren mit Schutt angefüllt, nur in einige konnten wir hineinsehen; es war eines dem andern gleich.

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