Ausflug nach dem Jordan und dem Toten Meer
Um im Innern von Palästina, Syrien, Phönizien usw. reisen
zu können, muß man immer in größeren Zügen gehen und an
manchen Orten sogar eine Eskorte bei sich haben. Man muß sich
mit Kochgeschirr, Lebensmitteln, Zelten, Dienerschaft usw.
versorgen. Mir allein wäre dies nicht möglich gewesen, und so
dachte ich von Jerusalem denselben Weg nach Jaffa
zurückzugehen und dann entweder nach Beirut oder Alexandria
meine Reise zu Meer fortzusetzen; da traf ich glücklicherweise
mit den bereits genannten Kavalieren zusammen, die mehrere
Ausflüge zu Land unternehmen wollten, wovon ihr erster nach
dem Toten Meer und dem Jordan gehen sollte.
Ich hatte den sehnlichsten Wunsch, jene Orte besuchen zu
können, und ließ die Herren Grafen durch Pater Paul ersuchen,
mich an dieser gefahrvollen Reise teilnehmen zu lassen. Die
Herren meinten, daß diese Tour für eine Frau zu anstrengend
sei, und waren nicht geneigt, meine Bitte zu erfüllen. Doch
Graf W. nahm sich meiner an und sagte, er habe mich auf dem
Ritt von Bethlehem nach Jerusalem beobachtet, es fehle mir
weder an Mut und Geschicklichkeit noch an Ausdauer, und man
könne mich unbesorgt mitnehmen. Pater Paul brachte allsogleich
die angenehme Nachricht, daß man mich mitnehmen wollte und ich
für weiter nichts als für mein Pferd zu sorgen habe. Er rühmte
mir besonders die gütige Fürsprache des Grafen W., wofür ich
diesem jederzeit sehr verbunden bleibe.
Die Reise zum Toten Meer und dem Jordan ist nicht in
kleiner Gesellschaft zu wagen. Am besten und sichersten ist
es, wenn man entweder in Jerusalem oder in Bethlehem einige
Häuptlinge der Araber und Beduinen kommen läßt und mit ihnen
einen Sicherheitsvertrag schließt. Man zahlt ihnen einen
mäßigen Tribut und wird dann von ihnen selbst und ihren
Verbündeten hin und her geleitet. Die Grafen zahlten den
beiden Häuptlingen dreihundert Piaster nebst den Reisekosten
für sie und die zwölf Mann starke Begleitung.
Am 7. Juni halb drei Uhr nachmittags setzte sich unser Zug
in Bewegung. Die ganze Karawane bestand aus den vier Grafen,
Mr. B., einem Baron W., zwei Ärzten, mir, fünf oder sechs
Dienern und den beiden Häuptlingen mit zwölf Arabern und
Beduinen. Alle waren scharf bewaffnet mit Gewehren, Pistolen,
Säbeln und Lanzen; wir hatten das Aussehen, als zögen wir
einem recht ernstlichen Scharmützel entgegen.
Unser Weg führte durch die Via Dolorosa zum Stephanstor
hinaus am Fuß des Ölbergs fort, von einem Tal und Hügel zum
andern, überall derselbe Steinboden. Anfangs sahen wir noch
manchen blühenden Obst- und Olivenbaum und sogar Weinreben,
nur von Gras oder Blumen war keine Spur; die Bäume allein
standen ungeachtet der Hitze und des gänzlichen Mangels an
Regen in Pracht und Fülle. Dies mag wohl von der Kälte und
Feuchtigkeit herrühren, welche in den heißen Ländern während
der Nacht herrscht und dadurch über die ganze Natur Erholung
und Erquickung verbreitet.
Das Ziel unserer heutigen Wanderung lag vier Stunden von
Jerusalem entfernt, das griechische Kloster Sabas in der
Wüste. Schon das letzte Wort läßt schließen, daß die Gegend
immer schauerlicher und öder wurde, bis wir weder Baum noch
Strauch mehr zu sehen bekamen. Auf der ganzen Strecke war auch
nicht die einfachste menschliche Wohnung wahrzunehmen. Wir
begegneten nur einer Horde Beduinen, die ihre rußigen
schwarzen Zelte in einem weit ausgebreiteten Flußbett
aufgeschlagen hatten. Einige Ziegen, Pferde und Esel
umkletterten die Abhänge, mühsam nach Wurzeln und Kräutern
suchend.
Ungefähr eine halbe Stunde, ehe man zum Kloster kommt,
betritt man die eigentliche Wüste, wo Jesus vierzig Tage
fastete und vom Teufel das erstemal versucht wurde. An diesem
Ort konnte wohl nur ein Gottmensch vierzig Tage leben, ein
anderer würde schwerlich einige Tage ausgehalten haben, ohne
dem Hungertod zu erliegen. Jede Vegetation hört auf, weder
Strauch noch Wurzel sind sichtbar, und das Bett des Kedron ist
ohne Wasser. Dieser Fluß erscheint nur während der Regenzeit,
da hat er seinen Lauf in einer mächtigen Tiefe. Die
herrlichsten Felsterrassen, von der Natur so schön und
gleichförmig gebildet, daß man beim ersten Anblick sehr
überrascht wird, engen ihn gleich Galerien von beiden Seiten
ein.
Totenstille war über die ganze Gegend gelagert, nur die
Tritte unserer Pferde widerhallten einförmig von den Felsen,
zwischen welchen sie sich mühsam jeden Schritt erkämpfen
mußten. Einige Vögelchen schwirrten dann und wann über unsere
Köpfe lautlos und ängstlich, als ob sie ihres Weges irre
geworden wären. Endlich wendet sich der Pfad um eine Ecke, und
– welch überraschender Anblick! – ein großes, schönes Gebäude,
umgeben von einer äußerst starken, mit mehreren Schießscharten
versehenen Festungsmauer breitet sich unten am Flußbett aus
und zieht sich terrassenförmig am Hügel empor. Von dem
Standpunkt, wo wir uns befanden, konnten wir das Ganze in
seinem Umfang und auch im Innern überschauen, es lag befestigt
und doch wieder ganz offen vor uns. Mehrere Gebäude, vor allem
eine Kirche mit einer kleinen Kuppel, sagten uns deutlich, das
Sabaskloster liege vor uns.
Am jenseitigen Ufer, ungefähr siebenhundert bis achthundert
Schritte vom Kloster entfernt, sahen wir einen einzelnen,
viereckigen, sehr festen Turm. Wohl dacht' ich nicht, mit
diesem verlassenen Turm so bald in nähere Verbindung zu
kommen.
Die Geistlichen sahen unsern Zug den Berg herabkommen, und
auf das erste Klopfen tat sich das Pförtchen auf. Die Herren,
die Diener und die Araber und Beduinen wurden alle
eingelassen, und als an mich die Reihe kam, hieß es: Klausur!
Ich war also ausgeschlossen und dachte schon, diese Nacht
unter freiem Himmel zubringen zu müssen, was wahrlich in solch
einer gefahrvollen Gegend nicht sehr angenehm gewesen wäre.
Endlich kam ein Laienbruder und wies auf jenen Turm mit dem
Bedeuten, man werde mich dort einquartieren. Er holte aus dem
Kloster eine Leiter und ging mit mir zu diesem Turm; dort
legte er sie an, und wir stiegen ungefähr einen Stock hoch zu
einem ganz niedrigen, eisernen Pförtchen empor, welches er
aufschloß und in das wir hineinkrochen. Wir fanden innen einen
geräumigen Platz. Eine hölzerne Treppe führte uns höher hinauf
zu zwei winzigen Kämmerchen, die ungefähr in der Mitte des
Turmes lagen. Das eine davon, mit einem Altar ausgestattet und
durch ein Lämpchen spärlich erleuchtet, diente als Kapelle,
das zweite als Schlafgemach für Pilgerinnen. Ein hölzerner
Diwan war des letztern ganze Einrichtung. Mein Führer empfahl
sich mit dem Versprechen, später noch einmal zu kommen und mir
nebst Speise und Trank auch ein Polster und eine Decke zu
bringen.
Nun war ich also für diese Nacht geborgen und gleich einer
entführten Prinzessin hinter Schloß und Riegel verwahrt. Nicht
einmal entfliehen hätte ich können, denn mein Führer hatte das
knarrende Pförtchen geschlossen und die Leiter mit sich
fortgenommen. Nachdem ich die Schloßkapelle und mein
unvergleichliches Gemach in diesem verwünschten Zwinger von
allen Seiten genau betrachtet hatte, stieg ich eine Treppe
hinauf, die mich auf die Zinnen des Turmes leitete. Hier
konnte ich die Gegend überschauen, und ich sah auch wirklich
von diesem hohen Standpunkt aus einen großen Teil der Wüste
und mehrere Reihen von Hügeln und Bergen, die alle nackt und
kahl die Gegend umfingen, ich sah weder Baum noch Strauch,
weder Hütte noch Menschen; alles war öde, alles wie
ausgestorben. Die tiefste Stille herrschte in der Natur, und
es kam mir gerade so vor, als hätte Gott absichtlich diesen
Fleck Erde vergessen, um ihn als Wüste für unsern Heiland zu
bewahren. Die Sonne sank hinter die Berge, unbelauscht von
lebenden Wesen; ich war vielleicht das einzige in dieser
Gegend, das sich dieser Naturszene erfreute. Unwillkürlich
sank ich auf die Knie, um Gott auch in seiner wilden Natur zu
loben und zu preisen. Mächtig fühlte ich mich von diesem Bild
ergriffen.
Von dieser Grabesruhe durft' ich nur einen Blick auf das
Kloster werfen, das ganz aufgedeckt vor mir lag, und ich sah
das regste Leben. Da waren in den Höfen die Beduinen und
Araber um die Pferde beschäftigt; sie streuten ihnen Futter
oder brachten Wasser, dort breiteten einige Matten aus, andere
warfen sich auf ihr Antlitz und verehrten unter verschiedenen
Formen den nämlichen Gott, den auch ich anbetete; da wuschen
sich wieder andere Hände und Füße, um sich gleich ihren
Brüdern zur Andacht vorzubereiten, und Geistliche und
Laienbrüder schritten eilig über den Hofraum in großer
Tätigkeit, so viele Gäste zu beherbergen und zu speisen,
während einige meiner Reisegefährten an der Seite standen, in
eifrigen Gesprächen begriffen, und Mr. B. und Graf S., auf
einsamem Ort gelagert, eine Skizze dieses Klosters zeichneten.
Von meinem Standpunkt aus hätte man ein Bild entwerfen sollen,
wie ich es im Kloster sah – wie der wilde Araber, der
diebische Beduine ruhig und gemütlich neben dem friedlichen
Geistlichen und dem neugierigen Europäer seine Geschäfte und
Gebräuche vollzog. Dieser Abend wird mir manche schöne Stunde
in der reichen Rückerinnerung gewähren.
Sehr ungern verließ ich die Zinne des Turmes, nur die
einbrechende Dunkelheit konnte mich in mein Kämmerlein
treiben. Spät kamen ein Geistlicher und ein Laienbruder in
Gesellschaft des Mr. B. Erstere brachten mir einen Imbiß nebst
Decke und Polster, letzterer war so gütig, mich zu fragen, ob
ich nicht einige der Diener als Wache zu haben wünsche, da es
doch etwas schauerlich sein müsse, die Nacht ganz allein in
solch einsam stehendem Turm zuzubringen. Ich war sehr gerührt
über die Aufmerksamkeit, welche man mir, einer ganz Fremden,
erwies, faßte aber meine ganze Herzhaftigkeit zusammen und
versicherte ihm, daß ich gar keine Angst habe. Darauf
empfahlen sich alle; ich hörte die Tür knarren, das Schloß
einfallen und die Leiter hinwegtragen und war nun abermals
eingeschlossen und für diese Nacht meinem Schicksal
überlassen.
Ich schlief gut. Neugestärkt erwachte ich mit der Sonne und
war schon lange bereit, ehe mein Pförtner kam, mir schwarzen
Kaffee zum Frühstück brachte und mich dann zur Klosterpforte
geleitete, wo mich meine Reisegefährten lobend begrüßten und
einige darunter sogar gestanden, daß sie es mir nicht
nachmachen möchten.
8. Juni 1842
Um fünf Uhr morgens zogen wir wieder fort, dem Toten Meer
zu. Nach einem Ritt von zwei Stunden erblickten wir es, und
zwar scheinbar so nah, daß wir glaubten, es längstens in einer
halben Stunde erreichen zu müssen. Allein der Weg schlängelte
sich zwischen den Bergen bald hinauf und bald wieder hinab, so
daß wir erst nach abermaligen zwei Stunden an das Ufer
gelangten. Da ist nun alles Sand; die Felsen scheinen zu Sand
zermalmt; man reitet durch ein Labyrinth ewig gleicher
einförmiger Sandberge und Sandhügel, welche, da die
räuberischen Beduinen und Araber sich leicht hinter ihnen
verbergen können, die Strecke sehr gefährlich machen.
Ehe man das Ufer erreicht, reitet man über eine Ebene,
deren Grund ebenfalls aus tiefem Sand besteht, so daß die
Pferde bei jedem Schritt bis an die Knöchel einsinken.
Wir begegneten auf dieser ganzen Reise außer jener
Beduinenhorde, die wir unter Zelten gelagert fanden, keiner
Seele; ein großes Glück; denn trifft man auf Menschen, so sind
es gewöhnlich nur solche, die der Versuchung nicht widerstehen
können, sich der Habseligkeiten der Reisenden zu bemächtigen,
bei welcher Gelegenheit es selten ohne blutende Köpfe abgeht.
Der Tag war sehr heiß (dreiunddreißig Grad Réaumur). Wir
lagerten uns am Gestade des Meeres im heißen Sand unter dem
Schutz der Sonnenschirme. Hartgesottene Eier, ein Stückchen
schlechtes Brot und lauwarmes Wasser waren unser Frühstück.
Ich kostete Seewasser und fand es wirklich viel bitterer,
zusammenziehender und salziger wie jedes andere. Wir tauchten
alle die Hände hinein und ließen sie von der Luft abtrocknen,
ohne sie vorher mit süßem Wasser abzuspülen, und niemand von
uns allen bekam im Lauf der Zeit ein Jucken oder einen
Ausschlag, wie manche Reisende behaupten. Die Temperatur des
Wassers hatte dreiundzwanzig Grad Réaumur, die Farbe desselben
ist schmutzig blaßgrün. Nahe am Ufer ist es etwas
durchsichtig, aber ein bißchen weiter hinein sieht es trübe
aus, und der Blick konnte nicht mehr durchdringen. Auch auf
der Oberfläche des Meeres geht die Fernsicht nicht weit. Ein
leichter Nebel schien auf ihm zu liegen, so daß wir von der
Länge desselben nicht viel überblickten.
Nach dem wenigen zu urteilen, was wir sehen konnten,
scheint es nicht breit zu sein und einem langen, zwischen
Bergen eingeschlossenen See, nicht aber einem Meer zu
gleichen. Im Meer selbst ist nicht die geringste Spur von
Leben wahrzunehmen, man sieht nicht einmal den leisesten
Wellenschlag. Von einem Kahn oder sonst einem Fahrzeug ist
natürlich keine Rede. Ein Engländer machte zwar vor einigen
Jahren den Versuch, dieses Meer zu befahren; er ließ sich zu
diesem Zweck einen Kahn zimmern, kam aber nicht weit; es
befiel ihn ein Unwohlsein, er ließ sich nach Jerusalem bringen
und starb kurze Zeit nach diesem Versuch. Bisher erschien (o
Wunder!) kein zweiter lebensüberdrüssiger Engländer, denselben
Versuch zu wiederholen.
Verkrüppeltes Treibholz, vermutlich von Stürmen ans Land
geschlagen, lag überall zerstreut umher. Salzfelder oder
aufsteigenden Rauch sahen wir aber ebensowenig, als wir einen
üblen Geruch von der Ausdünstung des Meeres verspürten.
Vielleicht ist dies der Fall auf einer andern Seite oder in
einer andern Jahreszeit. Dagegen erblickten wir nicht nur
einzelne Vögel, sondern sogar einige Schwärme von zwölf bis
fünfzehn Stück, sowie auch etwas Vegetation. Unweit des Meeres
bemerkte ich in einer kleinen Schlucht acht Stück Nadelbäume,
zwar klein und verkrüppelt, aber dennoch eine Erscheinung, die
uns auf dem ganzen Weg nicht vorgekommen war. Ebenso gab es
auf dieser Ebene mehrere wildwachsende Kapernsträucher und
noch eine Gattung ziemlich hoher und großer Stauden, beinahe
unseren Hagebutten ähnlich, die voll roter, recht saftiger und
süßschmeckender Beeren waren. Wir aßen alle recht wacker
davon. Mich überraschte der Anblick dieser Gewächse um so
mehr, weil ich in allen Beschreibungen gelesen habe, daß in
dieser Gegend das Leben der Tiere und Pflanzen gänzlich
erstorben sei.
Einst lagen an der Stelle dieses Meeres die Städte Sodom,
Gomorrha, Adama und Zeboim, von denen keine Spur mehr zu
finden ist. Eine bange Wehmut, ein Gefühl des Schmerzes
ergriff mich, da ich der Vergangenheit gedachte und sehen
mußte, wie von den Werken stolzer, kräftiger Völker nicht das
geringste Zeichen übriggeblieben ist. Ich war froh, als wir
nach einer Rast von einer Stunde diesen ausgestorbenen,
traurigen Ort verließen.
Wir ritten gegen anderthalb Stunden über eine
unübersehbare, mit Gestrüpp bedeckte Sandwüste nach den
blühenden Ufern des Jordans, die man schon von weitem an dem
lustigen frischen Grün der sie umgebenden Auen erkennt.
In der sogenannten Jordans-Au, wo Christus vom heiligen
Johannes getauft wurde, hielten wir an.
Die Farbe des Jordans ist schmutzig und lehmartig, sein
Lauf sehr schnell und reißend. Die Breite dieses Stromes mag
höchstens fünf- oder sechsundzwanzig Fuß betragen, die Tiefe
aber soll bedeutend sein. Unsere Beduinen und Araber waren
kaum angekommen, als sie sich gleich, ganz erhitzt wie sie
waren, in den Strom stürzten. Die meisten der Herren taten
dasselbe, nur nicht gar so eilig. Ich wusch mir Gesicht, Hände
und Füße. Getrunken haben wir alle recht nach Herzenslust,
denn lang entbehrten wir dieses Element in solcher Frische.
Ich füllte eine gute Portion dieses Wassers in die blechernen
Flaschen, welche ich eigens von Jerusalem mitführte, und ließ
selbe in Jerusalem verlöten, denn nur auf diese Art ist es
möglich, das Wasser unverdorben nach den fernsten Orten zu
bringen.
Wir lagerten uns auf einige Stunden in dieser Au unter
schattigem Laub- und Nadelholz, dann zogen wir weiter auf
dieser Ebene fort. Plötzlich wurden unsere Begleiter unruhig,
sprachen eifrig miteinander und wiesen dabei immer in die
Ferne. Wir erkundigten uns nach der Ursache ihrer Unruhe und
erfuhren, daß sie Räuber entdeckt hätten. Vergebens strengten
wir unsere Augen an; sogar mit Hilfe guter Gläser konnten wir
nichts gewahren und hatten daher unsere Begleiter schon im
Verdacht, ihre Behauptung sei nur Spiegelfechterei, um uns zu
beweisen, daß wir sie nicht umsonst mitgenommen hätten. Nach
einer Viertelstunde aber sahen auch wir in weiter, weiter
Ferne einen Mann nach dem andern auftauchen. Unsere Beduinen
machten sich kampffertig und bedeuteten uns, die
entgegengesetzte Seite einzuschlagen, während sie einen
Angriff gegen den Feind unternehmen wollten. Alle Herren
wünschten an dieser Expedition teilzunehmen und schlossen sich
kampflustig an die Beduinen. Der ganze Zug flog dahin. Nur
Graf B. und ich wollten zurückbleiben, als aber unsere Pferde
ihre Kameraden in solch einem Feuer dahinsprengen sahen,
wollten auch sie nicht die Faulen spielen, und ohne unsern
Willen zu beherzigen, rannten sie mit uns davon, daß uns Hören
und Sehen verging. Je mehr wir bemüht waren, ihrem eilenden
Lauf Schranken zu setzen, desto wütender verfolgten sie ihr
Ziel, so daß wir bald statt der letzten die ersten geworden
wären. Wie aber die Feinde einen so entschlossenen Troß auf
sich zueilen sahen, liefen sie davon und räumten uns das Feld.
Fröhlich und wohlgemut kehrten wir nun wieder unserer alten
Bahn zu. Da lief plötzlich ein Wildschwein mit seiner
hoffnungsvollen Jugend quer über die Heide. Hui! war wieder
alles hinterdrein und verfolgte diese armen Tiere. Graf W.
hieb eines der Jungen mit dem Säbel zusammen; triumphierend
wurde es dem Koch abgeliefert. Nun setzten sich unserm Marsch
keine Hindernisse mehr entgegen, und wir kamen ungestört in
unsere Nachtstation.
Bei dieser Gelegenheit sah ich, wie die Araber ihre Pferde
zu tummeln verstehen, wie sie ihre Lanzen und Spieße
schleudern, im schnellsten Ritt die Lanze vom Boden wieder
aufheben, und besonders wie die Pferde dabei eine ganz andere
Gestalt annehmen als in ihrem gewöhnlichen, schläfrigen
Schritt. Auf den ersten Anblick haben die Pferde gar kein
hübsches Ansehen. Sie sind mager, lassen den Kopf ziemlich
hängen und schreiten ganz langsam daher. Wenn sie aber einen
tüchtigen Reiter fühlen, kennt man sie nicht mehr. Sie heben
ihre schönen, schmal geformten Köpfe mit den glühenden Augen
stolz in die Höhe; werfen ihre feinen, zarten Füße mit einer
Anmut und Behendigkeit sondergleichen und setzen mit einer
solchen Sicherheit und Leichtigkeit über Stock und Stein, daß
man höchst selten von einem Unglück hört. Es ist ein wahrer
Genuß, so ein Manöver zu sehen. Die Araber waren so gefällig,
uns mehrere Angriffe ihrer Art darzustellen.
Drei Stunden Weges sind es von der Jordans-Au bis zur
Sultansquelle im Tal Jericho. Schön und freundlich schlängelt
sich der Weg am Eingang des Tales durch einen natürlichen Park
von Feigen- und anderen Fruchtbäumen. Hier war auch der erste
Fleck, der dem Auge statt Sand und Stein ein Stückchen Rasen
bot. Ach, wie doppelt wohltätig ist ein solcher Anblick,
nachdem man nichts als Wüsten durchzogen hat!
Das Dorf dagegen, welches nahe an der Sultansquelle liegt,
ist eines der erbärmlichsten. Die Menschen wohnen mehr unter
als ober der Erde. Ich ging in einige dieser Höhlen, einen
andern Namen verdienen diese kleinen Steinhaufen nicht. Viele
darunter haben gar kein Fenster, das Licht fällt durch die
Türöffnung hinein. Im Innern sah ich nichts als Strohmatten
und einige schmutzige Polster, aber nicht etwa mit Federn oder
Roßhaaren, sondern mit Baumblättern gefüllt. Einige Schüsseln
und Wasserkrüge machten das ganze Hausgerät aus; ihre Kleidung
bestand in nichts als den Fetzen, in welche diese armen
Menschen gehüllt waren. In einem Winkelchen lag etwas Getreide
und viele Gurken. Ein paar Ziegen und Schafe tummelten sich im
Freien herum. Gurkenfelder gibt es vor jeder Hütte. Unsere
Beduinen waren ganz glücklich, diese köstliche Gabe in solcher
Fülle zu finden.
An der Quelle schlugen wir unter Gottes freiem Himmel unser
Nachtlager auf.
Wer dieses Tal in seinem gegenwärtigen Zustand sieht, der
begreift trotz der Armut der Einwohner, der Einförmigkeit und
Abgestorbenheit der etwas entfernteren Umgebung, daß es einst
zu den schönsten und blühendsten gehört haben mag.
Rechts von demselben ziehen sich die kahlen Berge gegen das
Tote Meer, links zeigte man uns den Berg, auf welchem Moses,
seine irdische Laufbahn vollendend, in ein besseres Leben
einging. In dem vorderen Gebirge sind hoch oben drei Höhlen
sichtbar, in deren mittlerer sich Jesus aufhielt, um sich für
sein künftiges Lehramt vorzubereiten. Ober diesen Höhlen ist
die Spitze des Berges, wo der Teufel Jesum abermals versuchte,
indem er ihm die ganze blühende Landschaft verhieß, wenn er
ihn anbeten würde.
Baron W., Mr. B. und ich wollten eine der Höhlen
untersuchen, wir machten uns also auf den Weg; doch kaum
gewahrte es einer unserer Beduinen, so lief er uns in großer
Eile nach, um uns zur Rückkehr zu bewegen. Er gab uns durch
Zeichen zu verstehen, daß es in der ganzen Gegend unsicher
sei. Wir kehrten um so mehr zurück, da auch schon die
Dämmerung oder eigentlich der Sonnenuntergang eintrat.
(Die Dämmerung ist in den Tropenländern von sehr kurzer
Dauer. Bei Sonnenaufgang verändert sich das Dunkel der Nacht
ebenso plötzlich in die Helle des Tages wie abends die Helle
in Dunkel.)
Unser Abendmahl bestand aus einem angebrannten Pilaw, der
uns dessenungeachtet trefflich mundete, denn wer den ganzen
Tag über nichts als zwei hartgesottene Eier gegessen hat, der
findet des Abends alles genießbar. Dazu tranken wir ein
frisches herrliches Wasser aus der nahen Quelle und hatten
Gurken im Überfluß, zwar ohne Essig und Öl – allein wozu so
viel unnötiges Gemengsel? Wer solche Reisen machen will, muß
vorerst suchen, ein Naturmensch zu werden, nur dann gehen sie
trefflich vonstatten. Die Erde ward unser Lager und der schöne
dunkelblaue Äther mit seinen unzähligen Sternen unser Dach.
Für diese kleine Reise war kein Zelt mitgenommen worden.
Der Himmel ist in Syrien wunderschön. Bei Tag ist das
Firmament von einer Azurbläue und Reinheit, die keine
Vergleichung zuläßt. Nicht das kleinste Wölkchen entstellte
den schönen blauen Himmel, und des Nachts ist er mit viel mehr
Sternen durchwirkt als bei uns.
Graf Z. gab den Dienern Befehl, uns sehr früh zu wecken, um
noch vor Sonnenaufgang aufzubrechen. Dies einzige Mal war man
gehorsam, und zwar übergehorsam, denn man weckte uns vor
Mitternacht. Wir traten unsern Marsch an. So lange wir im Tal
fortzogen, ging alles gut; kaum aber mußten wir einen Berg
erklimmen, so strauchelte und stolperte ein Pferd nach dem
andern, und wir waren in beständiger Gefahr zu stürzen. Somit
wurde einstimmig beschlossen, am nächsten Bergabhang Rast zu
machen und den nahen Tag zu erwarten.
9. Juni 1842
Um vier Uhr wurde also zum zweitenmal Reveille geschlagen,
und wir hatten über drei Stunden ganz nahe dem Ufer des Toten
Meeres, welches wir erst jetzt beim anbrechenden Tag
bemerkten, geschlafen und weder eine schlechte Ausdünstung
oder einen üblen Geruch dieses Wassers verspürt noch viel
weniger, daß jemand von unserer Gesellschaft Kopfweh oder
Übelkeiten bekommen hätte, wie manche Berichte lauten.
Nun ging es rasch der Heimkehr zu, obwohl wir durch drei
bis vier Stunden die schrecklichsten Felsenpfade, Schluchten
und Krümmungen durchziehen mußten. In einem der Täler trafen
wir abermals auf ein Beduinenlager. Wir ritten an ihre Zelte
und ersuchten sie um einen Trunk Wasser, statt dessen sie uns
mit wahrer Herzensgüte einige Näpfe köstlicher Buttermilch
reichten. Wohl in meinem ganzen Leben genoß ich nichts mit
solcher Wonne und Begierde wie dieses kühlende Getränk nach
einem so angestrengten, beschwerlichen Ritt in der großen
Hitze. Als Graf Z. ihnen Geld reichen wollte, nahmen sie es
nicht. Der Häuptling trat zu uns heran und schüttelte einigen
die Hände als Zeichen der Freundschaft, denn von dem
Augenblick, da man mit den Beduinen oder Arabern etwas genießt
oder sie um ihren Schutz anspricht, ist man nicht nur unter
ihrer Horde ganz sicher, sondern man würde von ihnen sogar
gegen Angriffe anderer auf Leben und Tod verteidigt werden.
Nur im Freien ist es nicht rätlich, ihnen zu begegnen. So
widersprechend sind ihre Sitten und Gebräuche!
Wir näherten uns nun mit Riesenschritten einer zwar nicht
schönen, doch belebteren Gegend, wir begegneten und überholten
mehrere kleine Karawanenzüge. Einer derselben war am
vorhergehenden Abend angegriffen worden; die armen Araber
hatten sich tapfer verteidigt und den Durchzug erkämpft,
allein einer von ihnen, der eine tüchtige Schußwunde in den
Kopf bekommen hatte, lag halbtot auf einem der Kamele.
Muntere, langohrige Ziegen suchten emsig an den Bergen ihre
kümmerliche Nahrung, und einige Steinhütten oder Grotten
verkündeten uns die Nähe eines Dorfes oder Städtchens. Wir
dankten Gott, daß er uns glücklich aus diesen Steinwüsten in
eine minder garstige und etwas belebte Gegend führte.
Wir kamen nach Bethanien, wo ich die Grotte besuchte, in
welcher Lazarus im Todesschlaf lag, aus dem ihn Jesus zum
Leben weckte. Wir zogen dann denselben Weg, welchen unser
Heiland nach dem fünf viertel Stunden entfernten Jerusalem
ritt und auf dem ihm das Volk zum letztenmal seine Liebe und
Anhänglichkeit durch Streuung von Ölzweigen und Blumen bewies.
In wie kurzer Zeit ward diese Szene der höchsten Freude in
ihren grellsten Gegensatz, in das Schauspiel der
unbarmherzigsten Martern und des Todes verwandelt!
Gegen zwei Uhr nachmittags langten wir glücklich zu
Jerusalem an und wurden in unserer freundlichen Behausung mit
herzlicher Freude empfangen.
Einige Tage nach der Rückkehr von diesem Ausflug verließ
ich Jerusalem auf immer. Ruhe und Frieden und ein seliges
Gefühl erfüllten mein Gemüt, und ewig werde ich Gott dankbar
sein, daß er mich diese Orte schauen ließ. Ist dieses Glück
wohl durch all die Beschwerden, Gefahren und Entbehrungen, die
man leiden muß, zu teuer erkauft? O gewiß nicht! Was sind wohl
die Mückenleiden, die uns in diesem Leben zugewogen sind,
gegen jene, die der Stifter unserer Religion hier erduldete!
Ein Gedanke an diese heiligen Stätten wird meinen Mut beleben
und bestärken, wo ich auch immer sein mag und was auch immer
über mich kommen möge!