Zivilisation und ...

Reise einer Wienerin in das Heilige Land

Ida Pfeiffer

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Reise von Konstantinopel über Beirut nach Jerusalem

Weg nach Jerusalem

28. Mai 1842

Um fünf Uhr früh holte mich der Diener des Mr. B. zur Fortsetzung unserer Reise ab. Ich kam zum englischen Konsul und traf dort weder ein Pferd noch irgend etwas zum Aufbruch vorbereitet. Auf solche Unordnung muß man im Orient immer gefaßt sein. Man kann sehr froh sein, wenn Pferde und Muker (eine Benennung für Pferde- und Eseltreiber) nur um einige Stunden später kommen, als sie bestellt sind. So kamen auch unsere Pferde statt um vier Uhr erst um halb sechs Uhr. Unser Gepäck war bald aufgeladen, denn wir ließen das meiste in Jaffa und nahmen nur das höchst Nötige mit.

Schlag sechs Uhr ritten wir aus Jaffas Toren und kamen gleich außerhalb der Stadt an einem großen Brunnen vorüber, dessen Bassin von Marmor ist. An solchen Plätzen herrscht beständig die größte Lebhaftigkeit, und nirgends anders kann man so viele Weiber und Mädchen sehen wie da.

Der Anzug des weiblichen Geschlechtes von der ärmeren Klasse besteht aus einem blauen Hemd, das sich ganz oben anschließt und bis hinab über die Fußknöchel geht. Den Kopf und das Gesicht verhüllen sie ganz, oft lassen sie nicht einmal Öffnungen für die Augen. Dagegen sieht man auch wieder welche, die das Gesicht unverhüllt haben, dies ist aber die bedeutend kleinere Zahl.

Sie tragen die Wasserkrüge auf dem Kopf oder auf der Achsel, geradeso wie vor mehreren tausend Jahren, so wie man sie auf den ältesten Bildern gezeichnet findet. Aber von Grazie im Gang, von Anmut in ihren Bewegungen und von Schönheit des Körpers oder Gesichtes, wie manche Schriftsteller behaupten, sah ich leider nichts; dagegen Schmutz und Armut, und zwar mehr, als ich erwartete.

Zwischen Gärten fortreitend, begegneten wir alle Augenblicke einer kleinen Karawane von Kamelen.

Gleich hinter den Gärten erblickt man die große und fruchtbare Ebene Sharon, die sich über vier Stunden in die Länge zieht und noch mehr in die Breite auszudehnen scheint. Hin und wieder sind Ortschaften auf Hügeln gelagert, und das Ganze gewährt das Bild einer sehr fruchtbaren und bewohnten Gegend. Wir sahen auch überall große Herden von Schafen und Ziegen, von welchen die letzteren meistens schwarz oder braun sind und sehr lange, herabhängende Ohren haben. Den Vordergrund der Landschaft bildet das Judäer Gebirge, das aus lauter kahlen Felsen zu bestehen scheint.

Nachdem wir ungefähr zwei Stunden in dieser Ebene, die aber nicht so sandig ist wie die nahe Umgebung von Jaffa, geritten waren, kamen wir zu einer Moschee, hielten daselbst ein Viertelstündchen an und verzehrten unsern Morgenimbiß, der aus hartgesottenen Eiern nebst einem Stückchen Brot und lauwarmem Zisternenwasser bestand. Unseren armen Tieren erging es nicht einmal so gut, die bekamen nichts als Wasser.

Den Ort verlassend und den Weg über die Ebene fortsetzend, hatten wir nicht nur schrecklich unter der Hitze, welche auf dreißig Grad Réaumur stieg, zu leiden, sondern auch unter einer Gattung kleiner Mücken, die uns in großen Schwärmen umgaben, sich in Nase, Ohren und überall einnisteten und uns so quälten, daß wir alle Geduld und Standhaftigkeit zusammenfassen mußten, um nicht auf der Stelle umzukehren. Zum Glück trafen wir diese Quälgeister nur in jenen Gegenden, wo das Getreide bereits geschnitten noch auf dem Feld lag. Sie sind nicht viel größer als Stecknadelköpfe und gleichen mehr den Fliegen als den Mücken. Wo man sie trifft, sind sie stets in großer Menge vorhanden und stechen so gewaltig, daß man nicht selten blutige Beulen davonträgt.

Die Vegetation war hier der Jahreszeit schon so vorangeeilt, daß wir bereits an vielen Stoppelfeldern vorüberkamen und das Getreide zum Teil schon eingetragen fanden. In ganz Syrien und auch in dem Teil von Ägypten, in welchen mich die Reise später führte, sah ich die Leute niemals Feldfrüchte, Holz, Steine usw. fahren, sondern immer tragen. In Syrien begriff ich es wohl, da sind die Wege daran schuld, denn außer den vier oder fünf Stunden über die Ebene von Sharon ist der Boden so steinig und uneben, daß man selbst mit den kleinsten und leichtesten Wagen nicht fortkommen würde. In Ägypten jedoch ist dies nicht der Fall und dennoch der Gebrauch der Wagen nicht eingeführt.

Komisch sieht es aus, wenn man oft ganze Züge von kleinen Eseln sieht, die so hoch und breit von allen Seiten mit Getreide belastet sind, daß man weder Kopf noch Füße erblickt. Die Garben scheinen sich selbst fortzuschieben, als ob sie durch Dampf getrieben würden. Kaum ist solch ein Zug vorüber, so erscheinen graue hohe Köpfe und rundherum turmhohe Ladungen, daß man vermeint, Frachtwagen und nicht die Tiere der Wüste, die Kamele, daherkommen zu sehen. Immer und immer ist die Aufmerksamkeit des Reisenden mit so vielartigen fremden Gegenständen beschäftigt, die er wohl nie in der Heimat erblicken kann.

Gegen zehn Uhr kamen wir nach Ramle, welches auf einer kleinen Anhöhe liegt und schon von weiter Ferne sichtbar ist. Noch ehe wir das Städtchen erreichten, passierten wir ein Olivengehölz. Wir ließen die Pferde unter einem schattigen Baum stehen und gingen rechts in das Gehölz ungefähr zehn Minuten lang bis zu einem Turm, dem Turm der vierzig Märtyrer, der zu den Zeiten der Tempelritter in eine Kirche verwandelt worden war und jetzt Derwischen zum Wohnort dient. Er ist eine Ruine, und kaum begreift man, wie noch Menschen darin hausen können.

In Ramle hielten wir nicht an. Das Kloster steht auf demselben Platz, wo einst das Haus Josefs von Arimathia stand.

Die Klöster gleichen in Syrien mehr Festungen als friedlichen Wohnungen. Sie sind gewöhnlich mit hohen festen Mauern umzogen, die mit Schießscharten versehen sind. Die große Pforte ist immer fest verschlossen, oft von innen noch überdies verrammelt und befestigt; nur ein ganz kleines Pförtchen wird dem Ankömmling geöffnet, und dies nur, wenn Frieden und keine Pest im Land herrscht.

Endlich um Mittag kamen wir an das Judäische Gebirge. Hier muß man Abschied nehmen von dem schönen fruchtbaren Tal und von dem herrlichen Weg. Es beginnt die steinige Region, aus der man sich nicht leicht wieder herausarbeitet.

Gleich am Eingang des Gebirges liegt links ein höchst ärmliches Dörfchen und in dessen Nähe eine Zisterne, an welcher wir Rast machten, um uns und unsere armen Tiere zu tränken. Nur mit vieler Mühe und etwas Geld gelang es uns, ein bißchen Wasser zu erhalten, denn alle Kamele, Esel, Pferde, Ziegen und Schafe von nah und fern waren hier versammelt und leckten begierig jeden Tropfen dieses Elementes auf. Ich trank hier ein Wasser, so schmutzig, trüb und lau, daß ich wohl nie gedacht hätte, noch froh sein zu müssen, mit so ekligem Getränk meinen Durst zu stillen. Wir füllten neuerdings unsere ledernen Flaschen und zogen wohlgemut den steinigen Pfad entlang, der oft so schmal wurde, daß wir nur mit großer Mühe und vieler Gefahr den uns entgegenkommenden Kamelen ausweichen konnten. Ein Glück, daß meistens einige dieser Tiere Glöckchen am Hals tragen und man beizeiten, durch den Schall aufmerksam gemacht, Vorkehrungen treffen kann.

Die Beduinen und Araber haben gewöhnlich nichts als ein Hemd an, das ihnen oft kaum bis ans Knie reicht. Der Kopf ist mit einem Leinwandtuch bedeckt, um welches ein dicker Strick zweimal gewunden ist, was sich sehr gut ausnimmt. Manche haben auch noch über ihr Hemd einen gestreiften Kotzen. Die Füße sind nackt. Die Reicheren unter ihnen oder ihre Häuptlinge tragen mitunter Turbane.

Nun geht es immer aufwärts in Schluchten zwischen Felsen und Gebirgen über Steingerölle fort. Hin und wieder sieht man einige Ölbäume aus den Felsenritzen hervorsprossen. So häßlich dieser Baum auch ist, in diesen öden Gegenden gewährt er doch dem Auge einen freundlichen Anblick. Manchmal erklimmt man Höhen, von welchen man weit über die Ebene bis hin an das Meer sieht. Solche Ansichten begeistern noch mehr das Gefühl, das gewiß jeden Reisenden erfaßt, wenn er denkt, wo er wandelt und wohin sein Ziel gerichtet ist. Jeder Schritt, der weiterführt, leitet an religiös merkwürdigen Stellen vorüber, jede Ruine, jedes Bruchstück eines Turmes oder einer Burg, über die sich terrassenförmig die netten Felsenwände erheben, spricht von längst vergangener Zeit.

Nach einem fünfstündigen unausgesetzten Ritt vom Eingang des Gebirges auf diesem schlechten Weg ward mir durch die ungewohnte Hitze und durch den gänzlichen Mangel an Labung und Erholung plötzlich so übel und schwindlig, daß ich mich auf dem Pferd kaum mehr zu halten vermochte. Obwohl wir schon im ganzen, nämlich von Jaffa bis hieher, elf Stunden geritten waren, wollte ich aus Angst, daß Mr. B. mich nicht für schwach und kränklich hielte und mich am Ende von Jerusalem nicht mehr zurück nach Jaffa nähme, ihm meine Ermüdung und mein Unwohlsein nicht gestehen. Ich stieg also vom Pferd, ehe ich herabfiel, und ging zitternd und schwankend nebenher, bis ich mich wieder so viel erholt hatte, um aufsitzen zu können. Mr. B. hatte sich vorgenommen, den Ritt von Jaffa bis Jerusalem, eine Tour von sechzehn Stunden, in einem Zug zu machen. Er fragte mich zwar, ob ich mich stark genug fühle, dies auszuhalten, ich wollte aber seine Güte nicht mißbrauchen und versicherte ihm, daß ich schon noch fünf bis sechs Stunden reiten könne. Glücklicherweise befielen ihn kurze Zeit nach diesem Vorschlag dieselben Zustände, die früher mir zuteil geworden, und nun meinte er, es wäre doch besser, im nächsten Dorf einige Stunden auszuruhen, da wir ohnehin die Tore von Jerusalem vor Sonnenuntergang nicht mehr erreichen könnten. Ich pries Gott im stillen für diesen glücklichen Zufall und stellte das Ruhen oder Gehen ganz seinem Willen anheim, weil ich schon sah, daß er das erstere im Sinn hatte, und so erreichte ich meinen Zweck, ohne meine Schwäche gestehen zu müssen. Wir blieben also im nächsten Dorf, Karjet el Enab, dem einstmaligen Emmaus, wo Jesus den Jüngern begegnete und wo man noch ziemlich guterhaltene Ruinen einer christlichen Kirche sieht, die jetzt in einen Stall verwandelt ist. Hier herrschte vor mehreren Jahren der berüchtigte Räuber und zugleich Scheich des Ortes, der keinen Franken durchließ, ohne nach Willkür Tribut von ihm erpreßt zu haben. Seit der Regierung Mehmed Alis hörte dies auf, so wie auch in Jerusalem, wo man ebenfalls früher den Eintritt in die Grabeskirche und in andere heilige Orte bezahlen mußte. Selbst von Räubereien, die sonst in diesen Gebirgen an der Tagesordnung waren, hört man jetzt äußerst selten etwas.

Wir nahmen Besitz von der Vorhalle einer Moschee, in deren Nähe die herrlichste Quelle aus einer Grotte hervorsprudelte. Nicht bald erquickte und stärkte mich etwas so wie diese Quelle. Ich erholte mich in kurzem und genoß noch einen recht freundlichen und herrlichen Abend.

Kaum erfuhr der Scheich des Dorfes, daß Franken daseien, als er uns vier oder fünf Gerichte sandte, wovon aber für unsern Gaumen nur die saure Milch genießbar war. Die übrigen Gerichte, ein Gemisch von Honig, Gurken, hartgesottenen Eiern, Zwiebeln, Öl, Oliven usw., überließen wir großmütig dem Dragoman und dem Muker, die bald damit fertig wurden. Eine Stunde später kam der Scheich selbst, uns seine Aufwartung zu machen. Wir lagerten uns auf den Terrassen der Vorhalle, die Männer rauchten und tranken Kaffee. Dabei wurde ein Gespräch geführt, das der Dragoman übersetzte und das sehr langweilig war. Endlich fiel es dem Scheich doch ein, daß wir von der Reise ermüdet seien. Er nahm Abschied und versprach uns unaufgefordert, zwei Mann Wache zu senden, was er auch tat. Wir konnten also mit größter Sicherheit unter freiem Himmel mitten in einem türkischen Dorf zur Ruhe gehen.

Noch ehe wir uns der Ruhe überließen, bekam mein Reisegefährte den höchst originellen Einfall, um Mitternacht aufzubrechen. Er fragte mich zwar, ob ich Angst hätte, meinte aber, daß man um diese Zeit sicherer wäre als gegen Morgen; um Mitternacht würde man gewiß niemanden auf einem so gefährlichen Weg vermuten. Ich hatte wohl ein bißchen Furcht, allein mein Ehrgeiz erlaubte mir nicht, die Wahrheit zu gestehen, und somit erhielten unsere Leute den Befehl, um zwölf Uhr zur Weiterreise bereit zu sein.

So zogen wir vier Personen um Mitternacht ohne alle Waffen durch die ödesten und schrecklichsten Gegenden. Zum Glück sah der Mond so freundlich lächelnd auf uns herab und beleuchtete die Pfade, daß die Pferde mit festem Tritt über Stock und Stein dahinschreiten konnten. Wie so manches Schattenbild schreckte mich nicht! Ich sah Leben und Bewegung, Gestalten von Riesen und Zwergen, bald auf uns zueilend, bald sich hinter Felsenmassen verbergend oder in ihr Nichts zusammensinkend. Licht und Schatten, Angst und Furcht trieben so ihr Spiel mit meiner Einbildungskraft.

Eine Stunde von unserm Nachtlager entfernt kamen wir an ein Flußbett, über welches eine steinerne Brücke führt. Merkwürdig ist dieses Flußbett nur darum, weil David die fünf Kieselsteine, mit denen er den Riesen Goliath bekämpfte, daraus geholt hat. In dieser Jahreszeit fanden wir kein Wasser, das Bett war ganz ausgetrocknet.

Ungefähr eine Stunde ehe man Jerusalem erreicht, öffnet sich das Tal, und kleine Fruchtfelder deuten auf eine etwas belebtere Gegend und auf die Nähe der geheiligten Stadt; still und gedankenvoll ritten wir unserem Ziele zu und strengten mit doppelter Kraft unsere Augen an, um durch das Halbdunkel, das uns die Fernsicht so neidisch beschränkte, durchzudringen. Schon glaubten wir von der nächsten Höhe die heilige Stadt zu erblicken, doch Täuschung ist des Menschen Los! Wir mußten noch eine Höhe erreichen und noch eine: da lag endlich der Ölberg vor uns.

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