Der Rosengarten
Erste Abteilung: Von den Königen und dem Hofleben
Man erzählt, daß, als einst ein König den Befehl zur
Hinrichtung eines Gefangenen gegeben, dieser Unglückliche
in seiner verzweifelten Lage anfing, in seiner
Muttersprache Schmähreden und Lästerungen gegen ihn
auszustoßen; denn das Sprichwort sagt: Wer keine Hoffnung
mehr für sein Leben hegt, der sagt alles, was er auf dem
Herzen trägt.
»Wenn er verzweifelt, wird des Menschen
Zunge länger;
So stürzt geängstigt sich die Katze auf den Hund.«
Bleibt aus Bedrängnis kein Entrinnen mehr,
Ergreift die Hand des scharfen Schwertes Wehr.
Der König fragte, was er sage? Ein edelgesinnter unter
seinen Wesiren antwortete: O Herr, er sagt: »Und die ihren
Zorn unterdrücken und den Menschen verzeihen, denn Gott
liebt die Gütigen.« Der König hatte Mitleid mit ihm und
schenkte ihm das Leben. Ein anderer Wesir aber, der das
Gegenteil von jenem war, sagte: Für Leute unseres Standes
ziemt es nicht, vor dem Könige etwas anderes als die
Wahrheit zu reden; jener Mensch hat den König geschmäht
und Unziemendes gesprochen. Der König runzelte die Stirn
über diese Rede und sprach: Mir hat die Lüge, die er
gesagt hat, besser gefallen, als diese Wahrheit, die du
gesagt, denn jene beabsichtigte etwas Gutes, diese ist aus
Bosheit hervorgegangen, und die Weisen haben gesagt: Eine
Lüge, welche Gutes bezweckt, ist besser, als eine
Wahrheit, welche Unheil versteckt.
Wenn der König handelt wie du sprichst,
Unrecht ist's, so du nichts Gutes sprichst.
*
Auf der Kuppel von Feriduns Palaste war
geschrieben:
Nicht bei der Welt, o Bruder, kannst du die Treue finden;
Nur an den Weltenschöpfer darf sich das Herz dir binden.
Es sei das Gut der Erde nicht Stütze dir und Stab:
Gleich dir beglückt' es viele und stürzte sie ins Grab.
Wird eine reine Seele dereinst dem Tod zum Raube,
Gleichviel, ob auf dem Throne sie starb, ob in dem Staube.
*
Ein König von Chorasan sah einst im Traume den Sultan
Mahmud Sohn Sebuktegins hundert Jahre nach dessen Tode;
sein ganzer Körper schien vermodert, bloß die Augen
drehten sich in den Augenhöhlen und blickten umher. Die
Weisen alle waren unfähig, dieses zu erklären, nur ein
Derwisch vermochte diesen Dienst zu leisten und sagte: Er
sieht noch mit Neid, wie ein anderer sich seines
Besitztums erfreut.
Berühmte legt man viele in den Schoß der
Erde,
Auch eine Spur von ihrem Dasein bleibt nicht mehr,
Und jenen Greisenleichnam, der im Staub begraben,
Verzehrt der Staub, ein Knochen bleibt von ihm nicht
mehr.
Voll Ruhm und Segen lebt noch jetzt Nuschirwans Name,
Lebt auch Nuschirwan doch schon lange Zeit nicht
mehr.
Tu' Gutes, der du lebst, das Leben acht' als Beute,
Bevor das ernste Wort ertönt: Er ist nicht mehr.
Man erzählte mir von einem Königssohne, welcher klein
und mißgestaltet war, indes seine Brüder groß waren und
schön von Gestalt. Einst blickte ihn sein Vater mit
Widerwillen an; der Jüngling verstand dieses mit feinem
Sinne und sprach: O Vater, ein kleiner Mann voll Verstand
ist besser als ein großer voll Unverstand; nicht alles,
was größer ist an Gestalt, ist besser an Gehalt, denn »das
Schaf ist ein reines Tier und der Elefant ist ein unreines
Tier«.
»Von allen Bergen ist der Sinai der
kleinste,
Der größte doch bei Gott an Rang und Wert.«
Du weißt wohl, was ein magrer Weiser
Einst sprach zu einem fetten Toren:
Ein kleines edles Roß ist besser
Als hundert Esel lang von Ohren.
Der Vater lachte, die Hofleute schenkten Beifall und
die Brüder ergrimmten in ihrer Seele.
So lange sich ein Mann nicht durch sein
Wort entdeckt,
Sind sein Verdienst und seine Fehler dir versteckt.
Für leer nicht halte jed' Gebüsch, das du bemerkest,
Denn möglich ist es, daß darin ein Tiger steckt.
Man erzählt, daß in jener Zeit ein gefährlicher Feind
erschien; als nun die beiden Heere einander
gegenüberstanden, war jener Jüngling der erste, der sein
Pferd auf den Kampfplatz trieb, indem er ausrief:
Am Tag des Kampfes sieht man meinen Rücken
nicht,
Als Haupt steh' ich in Staub und Blut am Weg der
Ehre.
Wer tapfer streitet, spielt mit seinem eignen Blut,
Wer flieht am Tag der Schlacht, der spielt mit
seinem Heere.
So sprach er, stürzte sich auf die Soldaten des Feindes
und warf einige krieggeübte Männer nieder. Als er wieder
vor seinen Vater trat, küßte er ehrerbietig die Erde und
sprach:
O du dem ich verächtlich scheine,
Ist dir die Plumpheit so viel wert?
Nützt dir der fette Ochs am Tage
Der Schlacht mehr, als das magre Pferd?
Wie man erzählt, waren die Soldaten des Feindes
zahlreich, diese aber wenig; einige wollten fliehen, da
erhob der Jüngling seine Stimme und rief: Haltet euch
wacker, ihr Streiter, sonst gibt man euch Weiberkleider.
Die Kühnheit der Reiter wurde durch seine Worte
angefeuert, sie stürzten mit einem Male auf den Feind, und
sie sollen an diesem Tage den Sieg davongetragen haben.
Der König küßte seinem Sohne Haupt und Augen und schloß
ihn in seine Arme, und er schätzte ihn jeden Tag höher,
bis er ihn endlich zu seinem Thronfolger ernannte. Seine
Brüder wurden darüber eifersüchtig und taten Gift in sein
Essen; doch seine Schwester sah es von dem Söller, sie
schlug das Fenster zu, und der Jüngling verstand das
Zeichen; er zog die Hand von der Speise zurück, indem er
sagte: Es ist widersinnig, daß Verdienstvolle sterben,
damit Verdienstlose ihre Stelle erben.
Wer ist es, der sich in der Eule Schatten
stellt,
Und wäre auch der Phönix nicht mehr auf der Welt?
Als man dem Vater dieses berichtete, ließ er die Brüder
kommen und machte ihnen die verdienten Vorwürfe; dann
bestimmte er von den Ländern des Reiches einem jeden einen
passenden Anteil, um die Feindschaft zu begütigen und dem
Zwiste ein Ende zu machen; denn das Sprichwort sagt: Zehn
Derwische liegen unter einer Decke, aber zwei Könige haben
nicht Raum in einem Lande.
Ißt ein Gottesmann die Hälfte eines
Brotes,
Einem Armen schenkt er gleich die andre.
Hat ein König sich ein Königreich erworben,
Richtet schon sein Sinn sich auf das andre.
*
Eine Bande arabischer Räuber hatte sich auf einem Berge
festgesetzt und den Durchzugsort der Karawanen besetzt,
die Einwohner jener Länder waren durch ihre Anschläge
erschreckt, und die Soldaten des Sultans hatten vor ihnen
die Waffen gestreckt; denn sie hatten eine unzugängliche
Feste auf dem Gipfel des Berges in ihre Gewalt gebracht,
und diese zu ihrer Freistätte und ihrem Zufluchtsorte
gemacht. Die Verwalter der Provinzen jener Gegend hielten
Rat über die Abwehr dieses Unheils, denn, sagten sie, läßt
man die Bande längere Zeit in diesem Treiben gehn, so wird
es unmöglich, ihr zu widerstehn.
Der Baum, der Wurzel kaum gefaßt im Boden,
Leicht ist es einem Mann ihn auszuroden;
Läßt er ihn lange stehn an seinem Ort,
So schafft er ihn nicht mit der Winde fort.
Den kleinen Quell hemmt man mit einem Spaten,
Doch wird er groß, kann ihn kein Pferd durchwaten.
Sie kamen endlich zu dem Entschluß, jemanden zu
beauftragen, die Räuber auszuspähen und die günstige
Gelegenheit zu ersehen, bis sie einst, als diese
ausgezogen waren, um Leuten aufzupassen und ihren
Schlupfwinkel leer gelassen, einige kampferfahrne und
kriegskundige Männer aussandten, die in dem Bergpasse
einen sichern Versteck fanden. Als die Räuber nachts
zurückkamen nach vollendetem Ausfalle und vollbrachtem
Anfalle, lösten sie von den Waffen ihre Glieder und legten
ihre Beute nieder. Der erste Feind, der sie überfiel, war
der Schlaf, bis die eine Nachtwache vorüber war;
Die Sonne war in finstern Schlauch
getaucht,
Wie Jonas in des Fisches Bauch getaucht,
als die herzhaften Männer aus ihrem Hinterhalte
hervorrannten, und einem jeden die Hände auf den Rücken
banden. Am Morgen führten sie sie dem Könige vor; dieser
befahl sie alle hinzurichten. Zufällig befand sich unter
ihnen ein Jüngling, bei dem die Erstlingsfrucht der Jugend
kaum zu reifen angefangen, und der dunkle Schatten in dem
Rosengarten seiner Wange eben aufgegangen. Einer der
Wesire, nachdem er sich an dem Fuße des königlichen
Thrones zum Kusse gebückt und das Angesicht der Fürbitte
in den Staub gedrückt, sprach: Dieser Jüngling hat nicht
gleich den andern aus dem Garten des Lebens gekostet und
von den Erstlingen der Jugend genossen; ich wage es daher
auf die Großmut und den edlen Sinn deiner Majestät die
Hoffnung zu richten, du werdest durch das Geschenk seines
Lebens deinen Knecht zum Danke verpflichten. Der König
runzelte seine Stirn über diese Worte, denn sie stimmten
nicht mit seiner hohen Einsicht überein, und er sprach:
Wo ein böser Grund ist, wird das Gute
Durch das Licht der Guten nimmer wach.
Bei Unwürd'gen haftet die Erziehung
Wie die Nuß auf einem Kuppeldach.
Ratsamer ist es, dieser Menschen Brut und Gezücht
auszurotten, und besser deren Grund und Wurzel
auszureißen, denn das Feuer auslöschen und die glühenden
Kohlen lassen, oder die Otter töten und ihre Brut am Leben
lassen, ist nicht der Verständigen Sache.
Wenn auch aus der Wolke Lebenswasser
strömte,
Niemals kannst du Frucht vom Weidenbaume essen.
Auf Unwürd'ge wende nimmer deine Mühe:
Kannst nicht Zucker aus dem Rohr der Matte pressen.
Der Wesir konnte nicht umhin, diese Rede untertänigst
anzuhören und seine Billigung zu zeigen, und mußte der
vortrefflichen Ansicht des Königs laut seinen Beifall
bezeugen, und er sagte: Was der Herr, es daure seine
Herrschaft! zu sprechen geruht, ist die Wahrheit selbst;
denn wäre er in der Gesellschaft dieser Bösewichter
erzogen worden, so hätte er sich ihrer Art und Weise
zugesellt und in ihre Reihe gestellt. Aber dein Knecht ist
der Hoffnung, er werde, wenn er in der Gesellschaft der
Guten seine Erziehung empfangen, auch zu der Art und Weise
der Verständigen gelangen; denn er ist noch ein Kind, und
die Lebensart der Gewalttat und des Frevels jener Rotte
hat sich in seiner Natur noch nicht befestigt, in der
Überlieferung aber heißt es: »Kein Kind wird geboren, das
nicht die Anlage zum Islam hätte, dann aber machen es
seine Eltern zum Juden und Christen und Magier.«
Mit Bösen ward befreundet Lots Gemahlin,
Und trat darum aus dem Prophetenbund.
Nur wen'ge Tage folgt er nach der Höhle
Den Guten, und zum Menschen ward der Hund.
So sprach er, und mehrere von den Gesellschaftern des
Königs unterstützten seine Fürbitte, bis der König dem
Jüngling das Leben schenkte und sprach: Ich will Gnade
schenken, kann ich mir es auch nicht als ratsam denken.
Du weißt, was Sal gesprochen zu Rustem
seinem Sohn:
Den Feind behandle nie mit Verachtung und mit Hohn.
Die unscheinbare Quelle, das sah'n wir öfters schon,
Ward stärker bald und führte Kamel und Last davon.
Kurz, der Jüngling wurde von dem Wesir in sein Haus
gebracht und mit aller Liebe und Güte bedacht; ein
geschickter Lehrer wurde mit seiner Erziehung beauftragt,
daß er zierliche Anrede lernte und gewandte Gegenrede und
was sonst zum gefälligen Anstand bei Hofe gehört, und daß
er in den Augen aller Wohlgefallen fand. Einmal tat der
Wesir in Gegenwart des Königs Erwähnung seiner Vorzüge und
guten Eigenschaften, und bemerkte, die Erziehung der
Verständigen habe bei ihm Eingang gefunden, und durch sie
sei die frühere Roheit aus seiner Seele verschwunden. Der
König lächelte über diese Rede und sprach:
Zum Wolfe wird des Wolfes Brut,
Lebt sie auch unter Menschenhut.
Einige Jahre verflossen darüber, als einige lose
Gesellen des Stadtviertels sich zu ihm fanden und sich zur
Genossenschaft mit ihm verbanden, so daß er zur gelegenen
Stunde den Wesir nebst seinen zwei Söhnen erschlug,
unermeßliche Schätze davontrug, in der Räuberhöhle seines
Vaters Stelle vertrat und als Rebell auftrat. Der König
biß sich in die Hand des Erstaunens und sprach:
Kann man ein gutes Schwert aus schlechtem
Eisen machen?
Wo nichts ist, wächst auch durch Erziehung nichts
empor.
Der segensreiche Regen schafft im Garten Tulpen,
In salz'ger Steppe bringt er Unkraut nur hervor.
Im salz'gen Land wächst keine Hyazinthe:
Verliere Müh' und Samen nicht daran.
Gleichviel ist's, wenn du Bösen Gutes tatest,
Wie wenn du Guten Böses angetan.
*
Am Hofe des Uglumisch sah ich eines Hauptmanns Sohn,
der über alle Beschreibung Verstand und Feinheit und
Scharfsinn und Klugheit besaß, ja von der Zeit seiner
Kindheit an zeigten sich auf seiner Stirn die Zeichen der
Größe.
Es glänzte hell auf seiner Stirn
Der Größe strahlendes Gestirn.
Kurz, er kam in große Gunst bei dem Sultan, denn er war
von schöner Gestalt und von trefflichem Gehalt, und die
Weisen haben gesagt: Der Reichtum liegt im Verdienste,
nicht in dem Baren, die Größe liegt im Verstande, nicht in
den Jahren. Seine Standesgenossen wurden auf ihn
eifersüchtig, und machten ihn der Treulosigkeit
verdächtig, und gaben sich vergebliche Mühe, ihn zu
verderben.
Was kann der Feind, wenn liebevoll der Freund? Der
König fragte ihn: Aus welchem Grunde sind jene so
feindselig gegen dich? Er antwortete: Im Schatten des
königlichen Thrones konnte ich alle befriedigen, mit
Ausnahme des Neidischen, dieser wird nur durch das
Aufhören meines Glückes befriedigt; möge deiner Majestät
Macht und Glück dauern!
Ja, ich vermag es, keines Menschen Herz zu
kränken,
Allein der Neid'sche wühlt mit eigner Hand im
Herzen.
Stirb denn, o Neid'scher! so nur kannst du noch genesen:
Nur durch den Tod befreist du dich von deinen
Schmerzen.
Unglückskinder wünschen dem Beglückten
Minderung des Glücks und Rangs herbei.
Sieht das Eulenauge nicht bei Tage,
Hat der Sonne Lichtglanz Schuld dabei?
Tausend blinde Augen sind doch besser,
Als daß jene schwarz und finster sei.
*
Man erzählt von einem Könige von Persien, der die Hand
der Gewalttätigkeit gegen die Güter seiner Untertanen
ausstreckte und mit Erpressung und Bedrückung befleckte,
so daß die Leute wegen der Ränke seiner Ungerechtigkeit
ihre Habe in die Welt hinaustrugen, und vor der Not seiner
Bedrückung den Weg nach der Fremde einschlugen. Als der
Untertanen weniger wurden, litten auch die Einkünfte des
Landes Schaden, der Schatz blieb leer, und die Feinde
fielen das Reich von allen Seiten an.
Wer sich am Unglückstag der Hilfe will
erfreu'n,
Muß edelmütig sich zur Zeit des Glückes zeigen.
Der eigne Knecht entweicht, wenn du nicht freundlich bist;
Sei gütig, dann gibt sich der Fremde dir zu eigen.
Eines Tages las man in seiner Gesellschaft aus dem
Schahnameh von dem Untergang der Herrschaft Dhohaks und
von der Geschichte Feriduns. Der Wesir fragte den König:
Wie konnte sich denn Feridun, der weder Schatz noch Besitz
noch Gefolge hatte, des Königtums bemächtigen? Er
antwortete: Wie du es eben gehört hast: die Leute
ergriffen seine Partei und scharten sich um ihn und
machten ihn stark, so daß er das Königtum gewann. Da das
Scharen der Leute, sagte der Wesir, die Ursache des
Königtums ist, warum zerstreust denn du die Leute?
Solltest du etwa keine Lust zum Königtum haben?
Besser ist's, das Heer mit deinem Blute
nähren,
Denn nur durch das Heer kann deine Herrschaft währen.
Welches ist denn die Ursache des Scharens der Soldaten
und der Untertanen? fragte der König. Der Wesir
antwortete: Bei einem Könige ist Gerechtigkeit notwendig,
damit sie sich um ihn scharen, und Milde, damit sie unter
dem Schatten seiner Macht sicher wohnen; dir aber fehlt
beides.
Zum Königsamte paßt nicht der Tyrann,
Gleichwie der Wolf nicht Schäfer werden kann.
Des Reiches Mauer stürzt der König ein,
Läßt er auf Unrecht sie gegründet sein.
Dem König behagte der Rat des treuen Wesirs nicht; er
ließ ihn fesseln und ins Gefängnis werfen. Nicht viele
Zeit verging, als die Vettern des Sultans sich zum Streite
aufmachten, und ein Heer zum Aufstande zusammenbrachten,
und auf das Reich ihres Vaters Anspruch machten. Viele,
die durch seine Bedrückung aufs Äußerste gebracht, sich
zerstreut hatten, scharten sich um sie und machten sie
stark, so daß er seines Reiches entsetzt ward und jene
seinen Thron besetzten.
Wo der König Druck und Härte an den
Untergebnen übet,
Wahrlich zum gewalt'gen Feinde wird der Freund zur
Zeit der Wehr.
Vor dem Krieg des Gegners sichert Friede mit den
Untertanen,
Denn es sind die Untertanen des gerechten Königs
Heer.
*
Ein König hatte sich mit einem unerfahrenen Jüngling in
ein Schiff gesetzt; der Jüngling hatte das Meer noch nie
gesehen und die Unannehmlichkeiten der Schiffahrt nie
versucht. Er fing an zu weinen und zu klagen, und ein
Zittern befiel seinen Körper; so sehr man ihn auch zu
begütigen suchte, wurde er doch nicht ruhiger. Dem Könige
wurde dadurch das Vergnügen gestört, aber man wußte keine
Hilfe. Da sprach ein weiser Mann, der auf dem Schiffe war:
Wenn du gebietest, so will ich ihn zum Schweigen bringen.
Dies wird mir äußerst angenehm sein, antwortete der König.
Der Weise ließ den Jüngling in das Meer werfen; nachdem er
einigemal untergetaucht war, ergriff man ihn bei den
Haaren und zog ihn an das Schiff; er hing sich mit beiden
Händen an das Steuerruder, und als er wieder
heraufgekommen war, setzte er sich in eine Ecke und blieb
ganz ruhig. Dies gefiel dem Könige wohl, und er fragte,
welcher geheime Grund hier obwalte? Der Weise antwortete:
Vorher hatte er die Not des Untertauchens nicht geschmeckt
und kannte darum den Wert der Sicherheit des Schiffes
nicht; nur insofern kennt jemand den Wert der Gesundheit,
als er schon in Krankheit verfallen ist.
Du Satter, Gerstenbrot will dir nicht
schmackhaft scheinen.
Was du verschmähest, ist für mich wie Liebe süß.
Für sel'ge Huris ist der Araf eine Hölle;
Die Höllenwohner frag', er ist ein Paradies.
Anders ist's, das Liebchen an den Busen drücken
Oder in Erwartung nach der Türe blicken.
*
Den König Hormus fragte man: Welche Schuld hast du denn
an den Wesiren deines Vaters gefunden, daß du sie hast in
Fesseln legen lassen? Er antwortete: Eine Schuld habe ich
bei ihnen nicht erkannt, aber ich sah, daß sie in ihrem
Herzen eine unbegrenzte Furcht vor mir hatten und in mein
Wort durchaus kein Vertrauen setzten; ich fürchtete daher,
sie möchten aus Besorgnis vor ihrem eignen Schaden nach
meinem Verderben trachten; darum handelte ich nach dem
Worte der Weisen, welche gesagt haben:
Den, der vor dir sich fürchtet, fürchte
du, o Weiser,
Magst du im Kampfe hundert seinesgleichen schlagen.
Sahst du nicht oft, wenn sie geängstigt war, die Katze
Dem Tiger ihre Krallen in das Auge schlagen?
So sticht die Schlange auch den Hirten in die Ferse,
Aus Furcht, er möcht' ihr mit dem Stein den Kopf
zerschlagen.
*
Ein König in Arabien war in hohem Alter krank und hatte
alle Hoffnung zum Leben aufgegeben; da trat ein Reiter zur
Türe herein und brachte ihm die frohe Botschaft: Das
bewußte Schloß haben wir mit deiner königlichen Macht
erobert, die Feinde sind gefangengenommen, und Soldaten
und Untertanen jener Gegend sind alle deiner Gebote
gewärtig. Als der König diese Rede hörte, stieß er einen
kalten Seufzer aus und sprach: Dies ist keine freudige
Nachricht für mich, sondern für meine Feinde; damit meinte
er die Erben des Reiches.
Daß meiner Seele Wunsch verwirklicht einst
erscheine,
In dieser Hoffnung, ach! verfloß mein teures Leben.
Die Hoffnung ist erfüllt; was hilft's? darf ich nicht
hoffen,
Daß wiederkehre das dahingeschwundne Leben.
Zur Abfahrt schlägt das Schicksal schon die Trommel:
O Augen, sagt dem Haupte Lebewohl,
O hohle Hand und Vorderarm und Schulter,
Sagt alle nun einander Lebewohl.
Mich hat des Feindes Wunsch, der Tod, ergriffen,
Drum, meine Freunde, sagt mir Lebewohl.
Mein Leben ist in Torheit hingegangen:
Was ich nicht tat, macht ihr's im Leben wohl.
*
Als ich eines Jahres in Andacht auf dem Kissen des
Grabmals des Propheten Johannes, ihm sei Heil! in der
Moschee zu Damaskus kniete, kam ein König aus Arabien, der
durch seine Ungerechtigkeit bekannt war, zufällig als
Wallfahrer dahin, verrichtete sein Gebet und seine
Anrufung und sprach seine Bitten.
Die Reichen und die Armen suchen an diesem
Staubesthron Erbarmen,
Doch weit mehr Seufzer und Gebete hört man von Reichen als
von Armen.
Dann wandte er sich zu mir und sprach: Um des Hochsinns
der Derwische und der Lauterkeit ihres Gottesdienstes
willen bitte ich euch, begleitet mich mit euern Wünschen,
denn ich bin wegen eines gefährlichen Feindes in Sorgen.
Ich antwortete ihm: Übe gegen deine schwachen Untertanen
Gnade, dann brauchst du des starken Feindes Schaden nicht
zu fürchten.
Verbrechen ist's, der mächt'gen Faust und
starken Hand,
Zu brechen des ohnmächt'gen Armen schwache Hand.
Es fürchte, wer sich der Gefall'nen nicht erbarmt,
Daß, wenn er gleitet, keiner fasse seine Hand.
Wer bösen Samen ausgesät und Gutes hofft,
Hat leeres Hirn und täuschet sich mit eitelm Tand.
Verstopfe nicht dein Ohr, sei billig und gerecht,
Sonst faßt am Tag des Rechtes dich des Rächers Hand.
Die Adamssöhne sind ja alle Brüder,
Aus einem Stoff wie eines Leibes Glieder.
Hat Krankheit nur ein einz'ges Glied erfaßt,
So bleibt den andern weder Ruh noch Rast.
Wenn andrer Schmerz dich nicht im Herzen brennet,
Verdienst du nicht, daß man noch Mensch dich nennet.
Ein Derwisch, dessen Gebete bei Gott Erhörung fanden,
kam einst nach Bagdad; Hedschadsch, Sohn Jusufs, ließ ihn
rufen und sprach zu ihm: Bete um etwas Gutes für mich. Der
Derwisch betete: O Gott, nimm seine Seele weg! Um Gottes
willen, rief Hedschadsch, was ist das für ein Gebet? Es
ist ein Gebet um Gutes für dich und alle Muselmänner,
antwortete der Derwisch.
Tyrann, der sich vom Blut der Untertanen
nährt,
Wie lange glaubst denn du, daß dieses Treiben währt?
Was hilft es dir, daß du die ganze Welt erwerbest?
Statt Menschen quälen ist es besser, daß du sterbest.
*
Ein ungerechter König fragte einen frommen Mann:
Welches unter den guten Werken ist für mich das
vorzüglichste? Für dich, antwortete dieser, ist es der
Mittagsschlaf, daß du indessen einen Augenblick wenigstens
die Leute nicht plagest.
Einst sah ich einen Wütrich mittags
eingeschlafen,
Und sprach bei mir: Daß dieser schlafe, ist das
beste.
Bei wem das Schlafen besser tauget als das Wachen,
Es sterbe dieser Bösewicht, das ist das beste.
Von einem Könige ist mir erzählt worden, welcher einst
eine Nacht in fröhlichem Gelage zum Tage gemacht, und im
höchsten Taumel der Trunkenheit ausrief:
Wohl ist mir auf der Welt nichts
angenehmer
Als dieser Augenblick,
Denn keine Sorge, keines Menschen Kummer
Bleibt hier bei mir zurück.
Ein Derwisch, welcher nackend draußen in der Kälte lag,
erwiderte:
O du, dem niemand auf der Erde gleichet
An Hoheit und an Glück,
Wie dich drückt mich kein Kummer, darum ist auch
Gleich deinem mein Geschick.
Dem König gefielen diese Worte; er streckte einen
Beutel mit tausend Dinaren zum Fenster hinaus und rief:
Reiche deinen Rockzipfel. Wo soll ich einen Rockzipfel
hernehmen, entgegnete der Derwisch, da ich keinen Rock
habe? Dem Könige flößte dieses sein Elend noch mehr
Mitleid ein; er fügte ein Ehrenkleid zu dem Beutel und
schickte ihm beides hinaus. Der Derwisch verpraßte und
verschleuderte die Summe in kurzer Zeit –
Das Geld besteht so wenig bei des
Verschwenders Trieb,
Als Ruhe bei der Liebe, als Wasser in dem Sieb. –
und kam wieder in einem Augenblicke, wo der König sich
nicht um ihn kümmerte. Man meldete ihm das Anliegen des
Derwischs; er wurde darüber aufgebracht und runzelte seine
Stirn. Deshalb haben Leute von Einsicht und Erfahrung
gesagt: Vor der Heftigkeit und dem Ungestüm der Könige muß
man auf der Hut sein, denn ihr Geist beschäftigt sich
meist mit den Schwierigkeiten der Regierungsgeschäfte, und
sie können daher das Zudrängen der gemeinen Leute nicht
ertragen.
Vergeblich wird sich um des Königs Gnade
quälen,
Wer nicht die günst'ge Zeit mit Vorsicht weiß zu wählen.
Bevor du nicht erkundet hast die gute Stunde,
So geh' kein eitles Wort dir wertlos aus dem Munde.
Er sprach: Jagt den unverschämten, verschwenderischen
Bettler fort, der eine solche Gabe in so kurzer Zeit
weggeworfen und verschleudert hat; denn der Vorrat der
Schatzkammer ist der Bissen der Armen, nicht die Speise
der Satansbrüder.
Ein Tor ist, wer am hellen Tag ein
Wachslicht angezündet,
Bald wirst du sehn, wie er bei Nacht kein Öl zur Lampe
findet.
Ein treuratender Wesir entgegnete: O Herr, mir scheint
es ratsam, daß man solchen Menschen ihren Unterhalt
stückweise zuteile und bestimme, damit sie beim Ausgeben
nicht verschwenden können; daß du aber den Befehl gegeben,
ihn fortzujagen und hinauszuwerfen, dies ist doch nicht
die Weise edelgesinnter Männer, jemandem durch Güte
Hoffnung einzuflößen und ihn dann durch Vereitlung der
Hoffnung zu verwunden.
Nicht recht ist's, leichten Sinns das Tor
der Hoffnung aufzuschließen,
Doch ist es offen, darf man nicht mit Härte es
verschließen.
Nie siehst du durst'ge Wandrer im Hedschas
Sich an dem Rande salz'ger Quelle sammeln.
Wo aber süßes Wasser ist, da sieh,
Wie Volk und Vieh und Vögel sich versammeln.
*
Einer von den frühern Königen regierte sein Reich mit
Sorglosigkeit und behandelte sein Heer mit Lieblosigkeit.
Als nun ein gefährlicher Feind erschien, ergriffen alle
die Flucht.
Hältst du des Schatzes Geld vom Heere
fern,
So legt es auch ans Schwert die Hand nicht gern.
Einer von denen, welche diesen Verrat begangen hatten,
war mein Freund; ich machte ihm Vorwürfe darüber und
sprach: Unedel und vermessen, undankbar und
pflichtvergessen ist es, bei einer geringen Veränderung
der Umstände seinem alten Herrn den Dienst zu versagen und
sich der Verpflichtung vieljähriger Wohltaten zu
entschlagen. Er antwortete: Laß mich sprechen, und du
wirst mich entschuldigen. Ist es billig, daß mein Pferd
ohne Futter bleibe und ich als Pfand mein Sattelfutter
gebe? Wenn ein Sultan für das Heer mit seinem Golde geizig
ist, kann man doch für ihn nicht mit seinem Leben
freigebig sein.
Gibst du dem Kriegsmann Gold, so gibt er
dir sein Leben,
Doch wird er, gibst du nichts, dir seinen Kopf nicht
geben.
»Gesättigt stürzt sich wohl der Krieger auf den Feind,
Mit leerem Bauch stürzt er sich in die Flucht.«
*
Ein Wesir wurde abgesetzt und trat in den Kreis der
Derwische; der Segen ihrer Gesellschaft wirkte auf ihn,
und Ruhe des Geistes ward ihm zuteil. Als ihn der König
aufs neue in Gnaden annahm und ihm ein Amt übertragen
wollte, nahm er es nicht an, sondern er sprach: Vom Amte
verjagt ist besser als von der Welt geplagt.
Wer in der Einsamkeit Gemütesruhe fand,
Legt an der Menschen und der Hunde Zahn ein Band,
Wirft von sich des Papieres und der Feder Tand,
Befreit sich von des Splitterrichters Mund und Hand.
Der König erwiderte: Wir brauchen aber doch einen Mann
von genügender Einsicht, welcher der Verwaltung des
Reiches gewachsen sei. O König, sagte der Wesir, das
Kennzeichen eines Mannes von genügender Einsicht ist, daß
er sich in solche Geschäfte nicht einläßt.
Vor allen Vögeln wird der Phönix
hochgeehrt,
Weil er nur Knochen frißt, nichts Lebendes verzehrt.
Zu einem Schwarzohr sagte man: Aus welchem Grunde hast
du dir die beständige Gesellschaft des Löwen gewählt?
Damit ich, antwortete er, den Überfluß seiner Jagd
verzehre und unter seinem mächtigen Horte vor der Bosheit
meiner Feinde sicher lebe. Nun, sagte man, da du unter den
Schatten seines Schutzes getreten bist und deine
Dankbarkeit für seine Wohltaten bekennest, warum trittst
du ihm nicht näher, damit er dich in den Kreis seiner
Vertrauten ziehe und dich unter seine getreuen Diener
rechne? Ich bin ja doch, erwiderte er, vor seiner
Gewalttätigkeit nicht sicher.
Wenn der Parse hundert Jahre fromm ein
heil'ges Feuer schürt,
Dennoch brennt es ihn, hat er es einmal nur zu nah
berührt.
Es trifft sich zuweilen, daß der Gesellschafter der
königlichen Majestät Kopfstücke gewinnt, aber es geschieht
auch, daß er seinen Kopf verliert, und weise Männer haben
gesagt: Vor dem Wechsel der Launen der Könige muß man auf
der Hut sein, denn zuweilen geraten sie über eine
Begrüßung in Zorn, zuweilen geben sie für eine
Beschimpfung ein Ehrenkleid. Man hat auch gesagt: Viele
Witzreden sind für Höflinge ein Verdienst, für Weise ein
Fehler.
Nach deiner Würde handeln sei dein Ziel.
Dem Höfling überlasse Scherz und Spiel.
*
Einer meiner Freunde klagte bei mir über sein
unglückliches Geschick. Lebensunterhalt, sagte er, habe
ich wenig und der Hausgenossen viele, und ich bin nicht
imstande, die Last der Armut zu tragen. Zuweilen kömmt mir
der Gedanke, in ein anderes Land zu gehen, damit, wie ich
auch dort leben möge, niemand weder mein Gutes noch mein
Böses kenne.
Es liegen viele hungrig da, nach denen
niemand fragt,
So manche Seel' entweicht und wird von keinem je beklagt.
Doch bin ich auch wieder wegen der Schadenfreude meiner
Feinde besorgt, denn mit Verleumdung werden sie hinter
meinem Rücken lachen und meine Abreise zum Wohle meiner
Hausgenossen einem Mangel an männlichem Sinne zuschreiben
und sprechen:
Seht diesen Menschen ohne Herz und Mut,
Des Glückes Sonne wird ihm niemals schimmern.
Er sucht des eignen Selbst Bequemlichkeit,
Doch Weib und Kind läßt er im Elend wimmern.
Ich verstehe bekanntlich etwas von der Kunst, die
Rechnungen zu führen; wenn mir durch euern Einfluß
irgendein Amt angewiesen wird, das mir Gemütsruhe
verschafft, so werde ich mich zeitlebens nicht von der
Verpflichtung zum Danke dafür lösen können. O Freund,
sprach ich, der Dienst der Könige hat zwei Seiten,
Hoffnung des Brotes und Furcht des Todes, und es
widerstreitet der Ansicht der Verständigen, um jener
Hoffnung willen sich in diese Furcht zu stürzen.
Man kömmt nicht zu des Armen Hütte hin,
Von ihm für Land und Garten Steuer zu erheben.
Bewahr'st du nicht in Not zufriednen Sinn,
Magst du zum Fraß den Raben deine Leber geben.
Was du sagst, erwiderte er, das paßt nicht auf meine
Lage, und du gibst keine Antwort auf meine Frage. Hast du
den Spruch nicht gehört: Wer Untreue begangen, muß vor der
Rechenschaft bangen?
Gerader Sinn erwirbt sich Gottes
Wohlgefallen;
Noch niemand sah ich auf dem Weg der Wahrheit fallen.
Und die Weisen haben gesagt: Vier Leuten ist es vor
vier Leuten bange, dem Räuber vor dem Sultan, dem Diebe
vor dem Nachtwächter, dem Wüstling vor dem Angeber, der
Buhldirne vor dem Polizeiobersten; wer aber keinen Fehler
hat in der Rechnung, hat auch keine Furcht vor der
Abrechnung.
Geh' nicht zu weit im Amt, auf daß, bist
du entfernt,
Die Feinde nicht zu weit sich über dich ergehen.
Wer ohne Tadel, ist auch ohne Furcht; denn nur
Ein schmutz'ges Kleid wirst du vom Walker schlagen
sehen.
Ich erwiderte: Auf dich läßt sich die Erzählung von
jenem Fuchse anwenden, den man einst über Hals und Kopf
davonlaufen sah. Als man ihm zurief: Was ist denn geschehn,
daß wir dich in solchem Schrecken sehn? antwortete er: Ich
habe gehört, daß man das Kamel zum Frondienste fängt. O
Tor, sagte man, was ist denn zwischen dem Kamel und dir
für eine Verbindung, und zwischen dir und ihm für eine
Vergleichung? Schweigt, rief er, denn wenn die Neider in
ihrer Bosheit sagen: dieser ist ein Kamel, und ich
gefangen werde, wer wird sich um meine Befreiung kümmern
oder meinen Zustand untersuchen? und bevor Theriak aus
Irak gekommen, ist der von der Schlange Gebissene
umgekommen. Du besitzest freilich, sprach ich, Verdienst
und Frömmigkeit, aber die Neider liegen im Hinterhalt und
die Kläger sitzen im Winkel; wenn auch dein Wandel
vortrefflich ist, so versichern sie das Gegenteil, du mußt
von dem Könige Vorwürfe hören und Verweise annehmen, und
wer darf sich in solchen Umständen eine Einrede erlauben?
Darum scheint es mir ratsamer, daß du dir den Besitz der
Genügsamkeit erhaltest und dich des Strebens nach einer
Ehrenstelle enthaltest; denn die Verständigen haben
gesagt:
Das Meer mag dir zwar reiche Güter geben,
Doch nur am Strande kannst du sicher leben.
Als der Freund diese Rede hörte, wurde er unwillig und
zog sein Gesicht in Falten, und fing an Worte voll
Kränkung auszusprechen: O über die Urteilsfähigkeit und
Verstandesvortrefflichkeit! Wohl ist das Wort der Weisen
wahr, welche gesagt haben: Im Gefängnisse können die
Freunde nützlich werden, denn an der Tafel wollen sich
alle Feinde als Freunde gebärden.
Ein Freund ist nicht, wer um sich wirft im
Glück
Mit Freundesnamen und mit Brudergruß.
Ein Freund ist, wer ergreift des Freundes Hand
Zur Unglückszeit, in Kummer und Verdruß.
Ich sah, daß er sich selbst nicht mehr gehörte und
meinen Rat mit Unwillen anhörte; ich ging daher zu dem
Vorsteher des Diwans, mit dem ich von früherer Zeit her
bekannt war, und stellte diesem seine Umstände vor, so daß
man ihm ein geringes Amt übertrug. Nach Verlauf einiger
Tage erkannte man die Güte seiner Gesinnung und belobte
die Trefflichkeit seiner Verwaltung; er rückte in seiner
Stellung vor und hob sich zu einer höhern Stufe empor, und
so war sein Gestirn im Steigen, bis es in den Zenit seiner
Wünsche gelangte und er das nächste Vertrauen der
königlichen Majestät erlangte, »daß die Leute mit Fingern
auf ihn wiesen und die Großen ihm ihr Zutrauen bewiesen«.
Ich war über seine glückliche und sichere Stellung
hocherfreut und sprach:
Sei nicht voll Gram im Unglück und verzage
nicht,
Der Born des Lebenswassers ist in Finsternissen.
»O seid in Not und Prüfung ohne Sorgen,
Viel Glück und Huld ist noch bei Gott verborgen.«
Nicht finster blicke auf der Zeiten Wechsel; bitter
Ist die Geduld, doch ihre Frucht ist süß.
In dieser Zeit traf es sich, daß ich mit mehreren
Gefährten die Reise nach Mekka machte; als ich wieder von
der Wallfahrt zurückkehrte, kam mir der Freund eine oder
zwei Tagereisen entgegen, ganz verstört in seinem Aussehn
und wie ein Derwisch anzusehn. Was ist geschehn? rief ich.
Er antwortete: Was du gesagt hattest; einige waren vom
Neide gegen mich geplagt, und ich wurde von ihnen der
Veruntreuung angeklagt; der König geruhte nicht, zur
Aufdeckung der Wahrheit eine Untersuchung anzustellen,
indes die alten Gefährten und wohlgesinnten Genossen ein
Wort der Wahrheit zu sagen sich nicht vermaßen und der
langen Freundschaft vergaßen.
Hat einen bei der Hand das Glück
ergriffen,
Die Hand legt jeder auf die Brust zum Gruß;
Doch hat ihn Gottes Allmacht stürzen lassen,
Gleich setzt ihm jeder auf den Kopf den Fuß.
Kurz, ich wurde in das Gefängnis geworfen und auf
mannigfaltige Art gepeinigt, bis in dieser Woche, wo die
frohe Nachricht von der glücklichen Rückkehr der Pilger
ankam, man mir meine schweren Fesseln auszog, aber meine
Besitztümer einzog. Damals, sprach ich zu ihm, wolltest du
meinen Wink nicht beherzigen, als ich sagte: Der Dienst
der Könige ist wie eine Seereise, gewinnreich, aber
gefahrvoll; entweder wirst du Schätze erwerben oder in den
Wellen sterben.
Entweder kehrt mit vollen Säcken
Der Kaufmann in das Heimatland;
Wo nicht, so treiben seinen Leichnam
Die Meereswellen an den Strand.
Ich hielt es nicht für geraten, das Aufreißen seiner
innern Wunde ferner fortzutreiben und Salz hineinzureiben;
ich begnügte mich daher, noch folgende Verse
auszusprechen:
Du weißt ja, daß dein Fuß in Banden sich
verfängt,
Läßt du des Mannes Rat zu deinem Ohr nicht dringen.
Wenn du des Stachels Schmerz zu dulden nicht vermagst,
Mußt du den Finger nicht Skorpionen nahe bringen.
*
Einige Leute lebten in meiner Gesellschaft, deren
Äußeres durch Rechtschaffenheit geschmückt war. Einer von
den Großen hatte eine sehr hohe Meinung von ihnen und
hatte ihnen deshalb einen Gehalt angewiesen. Doch einer
derselben beging eine zu dem Stande der Derwische nicht
passende Handlung; dies tat ihnen in der Meinung jenes
Mannes Abbruch, und ihr Markt verlor seinen Zuspruch. Ich
wollte ihnen auf irgendeine Art wieder zu ihrem
Lebensunterhalt verhelfen und beschloß daher, ihm meine
Aufwartung zu machen, aber der Pförtner ließ mich nicht
ein und wies mich mit Grobheit ab; ich entschuldigte ihn,
eingedenk des Spruches:
Umkreise nicht der Prinzen und Wesire
Und Kön'ge Pforten ohne Eingangsmittel.
Seh'n Hund und Pförtner einen Fremden nahen,
Packt dieser ihn am Kragen, der am Kittel.
Bis endlich die Vertrauten jenes Großen erfuhren, was
mir geschah; diese führten mich ehrenvoll ein und wiesen
mir einen obern Platz an; allein ich setzte mich
demutsvoll weiter unten hin und sprach:
Dem niedern Sklaven mögest du verzeihen,
Wenn er sich setzet in der Sklaven Reihen.
Gott, Gott, rief jener aus, wie gehört diese Rede
hieher?
Willst du dich mir auf Kopf und Auge
setzen,
So tu's, fürwahr es würde mich ergötzen.
Kurz, ich setzte mich nieder und sprach über
verschiedenes hin und wieder, bis endlich die Rede auf das
Vergehen meiner Freunde kam; da sagte ich:
Was hat der güt'ge Herr für Schuld an uns
bemerkt,
Daß er nicht gnädig mehr an seine Knechte denkt?
Mit Recht wird liebevoll und gütig Gott genannt,
Er sieht die Schuld: das Brot wird jedem doch geschenkt.
Dem Fürsten gefielen diese Worte, und er befahl, daß
man meinen Freunden die Mittel des Unterhalts nach der
frühern Weise reiche und ihnen den ausgefallenen Gehalt
genau bezahle. Ich sprach meinen Dank für die Huldgabe
aus, küßte untertänig den Boden, und bat um Entschuldigung
meiner Kühnheit, und als ich im Begriffe war hinauszugehn,
sagte ich diese Worte:
Die Kaba ist entfernter Länder Kibla,
Wird viele Meilen weit vom Volk besucht:
So dulde du auch unsersgleichen! Wirft man
Denn Steine nach den Bäumen ohne Frucht?
*
Ein Königssohn erbte von seinem Vater einen reichen
Schatz; er öffnete die Hand der Großmut und machte die
Freigebigkeit zum Gesetz und schüttete über Soldaten und
Bürger zahllose Gnadengaben aus.
Nicht in der Büchse kann der Weihrauch
dich ergötzen;
Leg' auf das Feuer ihn, daß dich sein Duft erfreut.
Wenn du nach Größe strebst, mußt du großmütig spenden:
Der Same sprosset nicht, wird er nicht ausgestreut.
Einer seiner Vertrauten wollte ihm auf unüberlegte Art
einen guten Rat geben und sagte: Die früheren Könige haben
dieses Gut mit Mühe erworben und zu einem nützlichen
Gebrauche niedergelegt; ziehe also deine Hand von dieser
Handlungsweise zurück, denn Ereignisse stehen vor dir und
Feinde hinter dir, sonst möchtest du zur Zeit, wo du
dessen benötigt bist, hilflos sein.
Teilst du einen Schatz den Leuten aus, so
wird
Jeder Hausherr wohl ein Reiskorn kaum erhalten.
Nimm von einem jeden du ein Silberkorn,
Jeden Tag wird sich's zum Schatze dir gestalten.
Der Königssohn runzelte die Stirn über diese Rede, denn
sie stimmte mit seinem Sinne nicht überein, und sprach:
Gott, der Erhabene und Gepriesene, hat mich zum Besitzer
dieses Reiches gemacht, daß ich genieße und genießen
lasse, nicht zum Wächter, daß ich aufbewahre.
Karun mit seinen vierzig Schätzen ging
zugrunde,
Nuschirwan lebt in Ruhm noch bis auf diese Stunde.
*
Als man einst, so wird erzählt, Nuschirwan dem
Gerechten auf der Jagd ein Stück Wildbret briet, fehlte es
an Salz, und man schickte deshalb einen Burschen in ein
Dorf, um welches zu holen. Nuschirwan sagte ihm: Bezahle
das Salz, damit nicht ein Gesetz daraus entstehe und das
Dorf zugrunde gehe. Als man ihn fragte, welches Unheil
denn aus dieser Kleinigkeit entstehen könne? antwortete
er: Die Grundlage der Ungerechtigkeit in der Welt ist
gering gewesen, aber jeder Spätergekommene hat etwas
dazugetan, bis sie zu diesem Übermaß angewachsen ist.
Ißt aus des Rajas Garten der Sultan einen
Apfel,
Gleich reißen seine Leute den ganzen Baum heraus.
Erlaubt er sich, fünf Eier mit Unrecht zu erpressen,
Sie tragen tausend Hühner am Spieße gleich hinaus.
Wird auch der Tyrann vergehn,
Bleibt sein Fluch doch ewig stehn.
*
Von einem Beamten habe ich erzählen hören, der die
Wohnung der Untertanen verödete, um die Schatzkammer des
Königs anzufüllen, uneingedenk des Wortes der Weisen: Die
so die Geschöpfe Gottes plagen, um die Gunst eines
Geschöpfes zu erjagen, eben diesem Geschöpfe wird Gott
auftragen, mit der Hand der Rache ihr Leben zu schlagen.
Ein brennend Feuer wirkt nicht auf den
Rautenstrauch,
Was des Betrübten Seufzer wirkt und Herzensrauch.
Als das Haupt aller Tiere gilt der Löwe und als das
Niedrigste aller Lebenden der Esel, und doch ist nach der
Ansicht aller Verständigen der Esel, der Lasten trägt,
besser als der Löwe, der Menschen erlegt.
Ist gleich der arme Esel des Verstandes
bar,
So ist er, wenn er Lasten schleppt, doch unschätzbar.
Die Ochsen und die Esel, welche Lasten tragen,
Sind besser als die Menschen, welche Menschen plagen.
Dem Könige wurde ein Teil seiner sträflichen
Handlungsweise bekannt; er ließ ihn auf die Tortur legen
und unter vielfachen Peinigungen hinrichten.
Du kannst die Gunst des Sultans nicht
erlangen,
Suchst du dir nicht die Diener zu verbinden.
Willst du, daß deiner sich der Herr erbarme,
Laß bei dir die Geschöpfe Mitleid finden.
Einer von denen, welche seine Bedrückungen erlitten
hatten, ging an ihm vorüber, und über seinen jähen Sturz
nachdenkend, sprach er:
Nicht jeder, welcher starken Arm und Rang
besitzt,
Kann ungerecht der andern Güter an sich reißen.
Den Knochen schlingt man durch die Gurgel wohl
hinab,
Doch, dringt er tiefer, muß er auch den Bauch zerreißen.
*
Man erzählt von einem Menschenbedrücker, daß er einst
einem frommen Manne einen Stein an den Kopf warf; der
Derwisch konnte sich nicht rächen, aber er bewahrte den
Stein bei sich auf, bis zur Zeit, wo der König gegen jenen
Soldaten in Zorn geriet und ihn in die Grube werfen ließ;
da kam der Derwisch und warf ihm den Stein an den Kopf.
Wer bist du und warum wirfst du mich mit diesem Steine?
rief jener. Ich bin der und der, antwortete er, und dies
ist der Stein, den du in der und der Zeit mir an den Kopf
geworfen hast. Wo bist du denn so lange geblieben? fragte
jener. Wegen deiner hohen Stellung, antwortete der
Derwisch, scheute ich mich, jetzt aber, da ich dich in der
Grube sehe, habe ich die Gelegenheit als Beute geachtet.
Siehst du als Glückskind den Unwürd'gen
leben,
In Gottes Willen mußt du dich ergeben.
Besitzest du nicht Nägel scharf und spitzig,
Sei nicht zum Streite mit den Bösen hitzig.
Willst einen Schlag dem Eisenarm versetzen,
Du wirst dir nur den Silberarm verletzen;
Wenn das Geschick in Fesseln ihn geschlagen,
Dann ist es Zeit, das Hirn ihm auszuschlagen.
Ein König hatte eine schreckliche Krankheit, die es
nicht ziemt zu nennen. Einige griechische Ärzte kamen
dahin überein, daß es für diese Krankheit kein anderes
Heilmittel gebe, als die Galle eines durch bestimmte
Merkmale ausgezeichneten Menschen. Der König ließ eine
Nachsuchung anstellen, und man fand einen Bauernsohn mit
den Merkmalen, welche die Ärzte angegeben hatten. Sein
Vater und seine Mutter wurden herbeigerufen und durch
große Geschenke zufriedengestellt, und der Kadi gab das
Gutachten, daß es erlaubt: sei, das Blut eines Untertanen
zu vergießen, um das Leben des Königs zu erhalten. Als der
Henker auf dem Punkte war, ihn zu töten, wandte der Knabe
sein Angesicht gen Himmel und lachte. Wie kannst du denn
in einem solchen Augenblicke lachen? fragte der König. Der
Knabe antwortete: Das Kind mit Liebe zu pflegen ist die
Pflicht des Vaters und der Mutter, die gerichtlichen
Forderungen bringt man vor den Kadi, und Gerechtigkeit
verlangt man von dem Könige; nun aber haben Vater und
Mutter um des zerbrechlichen Gutes der Welt willen mich
dem Tode überliefert, und der Kadi hat zu meiner
Hinrichtung sein Gutachten gegeben, und der Sultan sieht
seine Rettung in meinem Untergang; außer Gott sehe ich
keine Zuflucht für mich.
Zu wem soll ich vor dir mein Hilfsgeschrei
erheben?
Dich bitt' ich, gegen dich mögst du noch Recht mir geben.
Das Herz des Sultans wurde durch diese Rede gerührt,
seine Augen füllten sich mit Tränen, und er sprach: Es ist
besser ich sterbe, als daß ich das Blut eines Unschuldigen
vergieße. Er küßte ihm Haupt und Augen, drückte ihn an
seine Brust, gab ihm reiche Geschenke und ließ ihn gehen.
Man erzählt, der König sei in derselben Woche
wiederhergestellt worden.
Immer denk' ich an das Wort, das einst ein
Elefantenführer
Zu mir sagte fernhin an dem mächt'gen Nilesflusse:
Weißt du, wie es der Ameise unter deinem Fuß zumute?
Wie es dir ist unter eines Elefanten Fuße.
Einer von den Sklaven des Amr Ben Leis war entflohen;
man setzte ihm nach und brachte ihn zurück. Der Wesir,
welcher einen Haß auf ihn geworfen hatte, gab den Rat, ihn
zu töten, damit die andern Sklaven nicht das gleiche
täten. Der Sklave legte vor Amr den Kopf auf die Erde und
sprach:
Jedes Urteil muß gerecht sein, das der
Herr dem Sklaven spricht;
Nichts kann ja der Sklave fordern, denn dem Herrn ist das
Gericht.
Doch da ich unter den Wohltaten dieses Hauses
aufgewachsen bin, so möchte ich nicht, daß dir bei der
Auferstehung mein Blut zur Schuld angerechnet würde; wenn
du mich töten willst, so töte mich wenigstens aus einem
gesetzlichen Grunde, damit du bei der Auferstehung nicht
gestraft werdest. Wie soll ich einen gesetzlichen Grund
finden? fragte der König. Erlaube mir, antwortete der
Sklave, daß ich den Wesir töte, dann kannst du mich zur
Strafe dafür töten lassen, und hast mich doch auf
gesetzmäßige Art getötet. Der König lachte und sagte zu
dem Wesir: Was hältst du davon? O Herr, rief dieser, bei
dem Grabe deines Vaters, laß diesen Schurken los, daß er
mich nicht ins Unglück stürze! Ich habe gefehlt, daß ich
dieses Wort der Weisen nicht beachtet:
Wenn du mit einem Schleudrer Streit
beginnest,
Zerschmetterst du dir selbst das eigne Hirn.
Willst du den Pfeil dem Feind ins Antlitz werfen,
Du setzest ihm zum Ziele deine Stirn.
*
Der König von Sausen hatte einen Hofmeister von edlem
Gemüte und schönem Anstande, der gegen alle in ihrer
Gegenwart dienstbeflissen war und in ihrer Abwesenheit
Gutes von ihnen redete. Einst betrug er sich auf eine Art,
die dem Könige mißfiel; dieser beraubte ihn seiner Güter
und ließ ihn züchtigen. Die Hauptleute des Königs, welche
seiner frühern Wohltaten eingedenk waren und sich zur
Dankbarkeit dafür verpflichtet hielten, bewiesen ihm,
solange er im Gefängnisse war, Güte und Milde und
erlaubten sich gegen ihn weder Schmähung noch Unbilde.
Willst du mit dem Feinde Frieden, laß,
wenn er dir hinterm Rücken
Böses nachsagt, vor ihm deinen Mund von Lob nur
überfließen.
Durch den Mund allein geht ja doch immer des Verleumders
Rede:
Willst du sie nicht bitter haben, mußt du ihm den
Mund versüßen.
Von der Schuld, die der König von ihm zu fordern hatte,
konnte er einen Teil abtragen, für das übrige aber blieb
er im Gefängnisse. Ein anderer König aus jenen Gegenden
schickte ihm insgeheim eine Botschaft des Inhalts: Die
Könige deines Landes wissen den Wert eines großen Mannes,
wie du bist, nicht zu schätzen und behandeln ihn auf
rücksichtslose Weise; wenn der edle Sinn dieses Mannes,
dessen Ausgang Gott segnen möge! sich auf unsere Seite zu
wenden geruhen wollte, so würden wir uns die äußerste Mühe
geben, ihn zu ehren, denn die Großen dieses Reiches werden
in seinen Anblick ihren höchsten Stolz setzen und sehen
einer Antwort auf dieses Schreiben mit Sehnsucht entgegen.
Der Hofmeister nahm davon Kenntnis, und da er wegen der
Gefahr besorgt war, schrieb er eine kurze Antwort, wie sie
ihm zweckmäßig schien, auf den Rücken des Blattes und
schickte es fort. Einer von den Leuten des Königs erfuhr
diesen Vorfall und setzte den König davon in Kenntnis,
indem er sagte: Jener, den du ins Gefängnis hast setzen
lassen, hat einen Briefwechsel mit den Königen der
Nachbarländer. Der König ergrimmte und befahl, die Sache
zu untersuchen; man ergriff den Boten und las seinen
Brief. Auf demselben war geschrieben: Die gute Meinung
Ihrer Hoheiten ist besser als das Verdienst Ihres
Knechtes; der ehrenvollen Gunst, deren Sie ihn gewürdigt
haben, kann aber Ihr Knecht nicht Folge leisten, weil er
unter den Wohltaten dieses Hauses aufgewachsen ist, und
wegen einer geringen Änderung des Sinnes seinem früheren
Wohltäter nicht untreu werden darf, eingedenk des
Spruches:
Wer jeden Augenblick dir Lieb' und Edelmut
erwiesen,
Entschuldige ihn, wenn einmal er sich ungerecht bewiesen.
Der König war erfreut über seine dankbare Gesinnung; er
schenkte ihm Geld und Ehrenkleid, bat ihn um Verzeihung
und sprach: Ich habe gefehlt und dich unschuldig gequält.
O Herr, antwortete der Hofmeister, dein Knecht findet in
dieser Sache bei dir keine Schuld, sondern es war der
Ratschluß Gottes, daß mir etwas Widerwärtiges zustoßen
sollte, darum war es besser, daß es durch deine Hand
geschehen, der du deinen Diener durch frühere Wohltaten
verbunden und zur Dankbarkeit verpflichtet hast.
Beleidigt dich ein Mensch, ergrimme nicht
im Herzen,
Von Menschen kommen nicht die Freuden und die Schmerzen.
Von Gott wird Feindes Haß und Freundschaft dir gebracht,
Denn Feind's und Freundesherz hat er in seiner Macht.
Scheint durch des Bogens Kraft der Pfeil davonzufliegen,
So muß des Schusses Grund doch in dem Schützen liegen.
*
Ein arabischer König befahl den Räten seines Diwans,
den Gehalt eines gewissen Mannes, solange er lebte, zu
verdoppeln, weil er eifrig im Hofdienste und jedes
Befehles gewärtig sei, während die andern Hofdiener sich
mit Scherz und Spiel beschäftigten und ihre Dienstpflicht
vernachlässigten. Ein Einsichtsvoller, welcher dieses
hörte, sprach: Auf gleiche Art verhält es sich mit der
Höhe des Ranges der Menschen am Hofe des erhabenen und
gepriesenen Gottes.
Du darfst zwei Morgen nur recht deinen
Dienst verrichten,
Am dritten wird der Schah den Huldblick auf dich richten.
Nicht hoffnungslos geht der von Gottes Schwelle weg,
Der eifrig sich bemüht in seines Dienstes Pflichten.
Dem Gebot gehorchen kann nur Größe bringen,
In dem Ungehorsam liegt das Nichtgelingen.
Wer das Zeichen der Gerechten an sich trägt,
Der ist's, der sein Haupt auch auf die Schwelle legt.
*
Von einem ungerechten Manne wird erzählt, der das Holz
der Armen auf eine drückende Weise kaufte und es den
Reichen um hohen Preis verkaufte. Ein Einsichtsvoller, der
bei ihm vorüberging, sagte:
Bist du die Schlange, die jeden beißt, wen
sie nur findet?
Oder die Eule, die, wo sie sitzt, Unheil verkündet?
Erreichst du etwas durch Gewalt bei uns,
Beim Herzenskünd'ger kannst du nichts erreichen.
Gewalttat übe nicht am Erdenvolk,
Daß seine Klagen nicht zum Himmel reichen.
Der Ungerechte wurde unwillig über diese Worte und zog
sein Gesicht in Falten, und er nahm keine Rücksicht
darauf, bis einst in einer Nacht Feuer aus der Küche in
den Holzvorrat kam, seine ganze Habe verbrannte und ihn
von dem weichen Pfühle in die heiße Asche bettete.
Zufällig ging derselbe Einsichtsvolle bei ihm vorüber und
hörte, wie er zu seinen Freunden sagte: Ich weiß nicht,
woher dieses Feuer in mein Haus gekommen ist. Er
antwortete: Von dem Herzensrauch der Armen.
Vor Rauch der wunden Herzen hüte dich,
Die Herzenswunde kommt zuletzt zutage.
Vermagst du's, so verwirre nicht ein Herz,
Verwirrt wird eine Welt durch eine Klage.
Auf der Krone des Schah Kei Chosru war geschrieben:
Wie viele Jahre und wie lange Lebensalter
Wird einst das Volk noch über unsre Gräber gehn!
So wie von Hand zu Hand das Reich zu uns gekommen,
So wird es auch in andrer Hände übergehn.
*
Ein Ringer hatte es in seiner Kunst bis zur höchsten
Vollkommenheit gebracht; er verstand dreihundertundsechzig
vortreffliche Kunstgriffe und konnte jeden Tag einen
andern anwenden. Zufällig fühlte er in einem Winkel seines
Herzens eine Neigung zu der Schönheit eines seiner
Schüler; er lehrte ihn dreihundertneunundfünfzig
Kunstgriffe, nur einen einzigen wollte er ihn nicht
lehren, indem er ihn als etwas Unbedeutendes wegließ. Der
Jüngling brachte es in der Kunst und der Körperkraft zur
höchsten Vollkommenheit, und niemand war imstande, es mit
ihm aufzunehmen, so daß er endlich in Gegenwart des
Sultans äußerte: Den Vorzug, welchen mein Meister vor mir
hat, verdankt er seinem Alter und seinem Unterrichte,
sonst stehe ich an Kraft nicht unter ihm und in der Kunst
komme ich ihm gleich. Dem König mißfiel diese ungeziemende
Rede; er befahl, sie sollten miteinander ringen. Ein
geräumiger Platz wurde dazu bestimmt, die Mächtigen des
Reichs und die Großen des Hofes waren als Zuschauer
zugegen. Der Jüngling trat gleich einem trunknen Elefanten
mit einer Heftigkeit auf, daß er einen ehernen Berg hätte
von seiner Stelle reißen können. Der Meister aber, welcher
wußte, daß der Jüngling ihm an Kraft überlegen war, faßte
ihn mit jenem besondern Kunstgriff, den er vor ihm
verborgen gehalten hatte und den der Jüngling nicht
abzuwehren verstand; er hob ihn mit beiden Händen von der
Erde auf, hielt ihn über seinem Kopfe in der Schwebe, und
warf ihn dann auf die Erde. Die Zuschauer erhoben ein
Geschrei; der König ließ dem Meister Geld und Ehrenkleid
geben, dem Jüngling dagegen gab er einen derben Verweis,
daß er vorgegeben, er könne es mit seinem eignen Meister
aufnehmen, es aber nicht durch die Tat bewährt hatte. O
Herr, erwiderte der Jüngling, der Meister hat mich nicht
durch Kraft und Gewalt besiegt, sondern eine Kleinigkeit
war noch in der Ringkunst übriggeblieben, die er mir
vorenthalten, und durch diese Kleinigkeit hat er heute
gesiegt. Der Meister aber sagte: Eben für einen solchen
Tag hatte ich sie aufgespart, denn die Weisen haben
gesagt: Gib dem Freunde nicht so viel Kraft, daß, wenn er
ein Feind wird, er es mit dir aufnehmen könne. Hast du
nicht gehört, was jener sagte, der von seinem Schüler
schmachvoll behandelt wurde?
Ist nicht ganz die Treue aus der Welt
entschwunden,
Ach! so üben sie in dieser Zeit nicht viele.
Wenn ich einen mit den Pfeilen schießen lehrte,
Macht er mich zuletzt zu seines Schusses Ziele.
*
Ein Derwisch wohnte als Einsiedler in einem Winkel der
Wüste; ein König ging vorüber; der Derwisch – denn in der
Zurückgezogenheit liegt der Besitz der Zufriedenheit –
erhob seinen Kopf nicht und nahm keine Rücksicht auf ihn;
der König aber – denn in der Herrschaft liegt herrisches
Wesen – wurde darüber unwillig und rief: Dieses Volk in
Lumpen ist wie das Vieh. Der Wesir sagte zu dem
Einsiedler: Der König der Erde ist bei dir vorbeigegangen,
warum hast du ihm keine Ehrfurcht bewiesen, und was die
gute Sitte verlangt, nicht erwiesen? Dieser antwortete:
Sage dem Könige: Erwarte Ehrenbezeigung von dem, der von
dir Gunstbezeigung erwartet, und wisse übrigens, daß die
Könige da sind, um über die Untertanen zu wachen, nicht
die Untertanen, um den Königen den Hof zu machen.
Der König ist der Armen Stab und Wächter,
Ist auch ihr Glück auf seine Macht gestellt.
Das Schaf ist nicht da um des Hirten willen,
Der Hirte ist zu seiner Hut bestellt.
Den einen siehst du heute hochbeglückt,
Des andern Herz im Kampfe blutend zucken.
Noch wen'ge Tage, dann verzehrt der Staub
Das Hirn, in dem die eiteln Träume spuken.
Kein Unterschied ist zwischen Sklav' und König
Am Schicksalstag, den keiner je vermieden.
Ist denn, wenn man der Toten Staub durchwühlet,
Der Reichen und der Armen Staub verschieden?
Der König fand die Worte des Derwisches wahr, und
sprach: Erbitte dir etwas von mir. Ich bitte dich darum,
antwortete der Derwisch, daß du mich nicht ferner
belästigest. Gib mir einen Rat, sagte der König. Er
sprach:
Begreife jetzt, wo Erdengut in deiner
Hand,
Daß Glück und Macht und Reichtum geht von Hand zu Hand.
*
Ein Wesir kam zu Dhul Nun, dem Ägypter, und bat ihn, er
möchte seiner im Gebete gedenken. Tag und Nacht, sagte er,
mühe ich mich im Dienste des Sultans ab, seine Gnade ist
mein Hoffen und seine Strafe meine Furcht. Dhul Nun weinte
und sprach: Wenn ich Gott so fürchtete wie du den Sultan,
ich gehörte unter die Zahl der Heiligen.
Erwartet' er nicht Freuden oder Schmerzen,
Des Derwischs Frömmigkeit wär' ohne Mängel.
Wenn der Wesir Gott seinen Herrn so scheute,
Wie er den König scheut, er wär' ein Engel.
*
Ein König gab Befehl zur Hinrichtung eines
Unschuldigen. O König, rief dieser, wegen eines Unwillens,
den du gegen mich empfindest, suche nicht deine eigne
Qual. Wieso? fragte der König. Diese Strafe, antwortete
er, ist in einem Augenblick an mir vollzogen, aber die
Schuld davon lastet ewig auf dir.
Des Lebens Kreislauf geht so schnell wie
Wüstenwind vorüber,
Das Bitt're, Süße, Häßliche und Schöne geht vorüber.
Denkt der Tyrann wohl, daß er uns mit seinem Unrecht
quäle?
Auf seinem Nacken sitzt es nur, an uns geht es
vorüber.
Diese Ermahnung machte Eindruck auf den König, er
schenkte ihm das Leben und bat ihn um Vergebung.
*
Die Wesire Nuschirwans beratschlagten über eine
wichtige Angelegenheit des Reiches, und jeder gab nach
bestem Wissen seine Meinung ab. Der König beratschlagte
auch mit, und Busurdschmihr stimmte der Meinung des Königs
bei. Als ihn die Wesire insgeheim fragten, welchen Vorzug
er denn in der Meinung des Königs vor dem Urteile so
vieler weiser Männer finde, antwortete er: Weil der
Ausgang der Sache unbekannt ist, und es von dem Willen
Gottes abhängt, ob sich die Meinung aller richtig oder
falsch erweisen wird, darum ist es besser, der Meinung des
Königs beizutreten, damit, wenn sie sich als unrichtig
erweist, man um der Beipflichtung willen vor der
Züchtigung sicher sei.
Dem widersprechen, was der König
vorgebracht,
Das heißt die Hand im eignen Blute baden.
Behauptet er am hellen Tage: Es ist Nacht!
So sprich: Sieh' da den Mond und die Plejaden.
*
Ein Betrüger kräuselte seine Haare, als ob er ein Alide
wäre, zog mit der Hedschas-Karawane in die Stadt ein, als
ob er von der Wallfahrt käme, und überreichte dem König
ein Gedicht, als ob er es verfaßt hätte. Einer von den
Gesellschaftern des Königs, der in diesem Jahre von einer
Reise zurückgekommen war, sagte: Ich habe diesen bei dem
Opferfeste in Basra gesehen, wie kann er denn ein
Wallfahrer sein? Darauf sagte ein anderer: Sein Vater war
ein Christ in Malatia, wie kann er denn ein Alide sein?
Und sein Gedicht fand man in dem Diwan Enweris. Der König
befahl, man solle ihn schlagen und hinauswerfen, weil er
so viele Lügen gesagt habe. O Herr der Erde, rief jener,
ich will dir ein anderes Wort sagen, wenn dieses nicht
wahr ist, so habe ich jede Strafe verdient, die du über
mich verhängen magst. Was ist es? fragte der König. Er
sprach:
Wenn dir ein Fremder Buttermilch verkauft,
Ein Dritteil Milch ist es, zwei Dritteil Wasser.
Sagt' ich ein eitles Wort, o zürne nicht:
Der Weitgereiste ist kein Lügenhasser.
Der König lachte und sprach: Ein wahreres Wort als
dieses hast du in deinem Leben nicht gesagt. Er befahl,
man solle ihm das, was er verlangt hatte, reichen.
*
Man erzählt von einem Wesir, der sich gegen seine
Untergebenen gütig zeigte und auf das Wohl aller bedacht
war. Einst hatte ihm der König etwas vorzuwerfen, und ließ
ihn gefangen setzen. Alle bemühten sich um seine
Befreiung, die Aufseher zeigten sich milde in seiner
Züchtigung, und die übrigen Großen redeten Gutes von
seinem Wandel, bis der König ihm sein Vergehen verzieh.
Ein Einsichtsvoller sprach, als er dieses erfuhr:
Der Freunde Herzen zu gewinnen,
Verkaufe selbst des Vaters Gut.
Der Wohlgesinnten Topf zu kochen,
Wirf dein Geräte in die Glut.
Tu' Gutes selbst dem Feind: dem Hunde
Das Maul zu stopfen ist ja gut.
*
Einer von den Söhnen Harun Al Raschids kam von Zorne
glühend zu seinem Vater und klagte, daß ein Hauptmannssohn
seine Mutter geschmäht habe. Harun fragte die Großen des
Reichs, welche Strafe dieser verdient hätte. Der eine gab
den Rat, ihn zu töten, ein anderer, ihm die Zunge
auszuschneiden, ein andrer, seine Güter einzuziehen und
ihn zu verbannen. Harun aber sprach: Mein Sohn, edel ist
es, wenn du ihm verzeihest; kannst du es aber nicht, so
schmähe du auch seine Mutter, aber überschreite dabei das
richtige Maß nicht, sonst ist das Unrecht auf unsrer
Seite.
Als Menschen sieht der Weise den nicht an,
Der mit dem tollen Elefanten streitet.
In Wahrheit ist ein echter Mensch nur der,
Den nicht der Zorn zu eitelm Wort verleitet.
Ein Guter ließ sich einst von einem Bösen
schmähn,
Er trug es still und sprach: Mög' es dir glücklich gehn!
Viel schlimmer bin ich noch als du es ausgesprochen,
Denn besser ja als du weiß ich was ich verbrochen.
*
Ich war einst mit mehreren Großen auf einem Schiffe;
ein Boot ging hinter uns unter, und zwei Brüder gerieten
in einen Strudel. Einer von den Großen sagte zu dem
Schiffer: Ziehe diese beiden heraus, dann gebe ich dir
hundert Dinare. Während aber der Schiffer den einen
rettete, ging der andere unter. Ich sprach: Diesem war
kein ferneres Leben bestimmt, darum hast du ihn nicht
zuerst ergriffen. Der Schiffer lachte und erwiderte: Was
du sagst, ist wohl wahr, doch war es meine Absicht, diesen
hier zuerst herauszuziehen, weil er einst, als ich in der
Wüste ermüdet zurückgeblieben war, mich auf sein Kamel
setzte, während ich dagegen von jenem in meiner Kindheit
Peitschenhiebe empfangen habe. Ich rief: Wahrhaftig ist
der allmächtige Gott: »Wer Gutes tut, tut es sich selbst,
und wer Böses tut, ladet es sich selber auf.«
Verletze, wenn du kannst, des andern Seele
nicht;
Mit Dornen wirst du sonst auf diesem Pfad dich
ritzen.
Den Armen richte du in seiner Trübsal auf,
Denn du wirst einst wie er in Not und Trübsal
sitzen.
*
Es waren einst zwei Brüder; der eine lebte im Dienste
des Sultans, der andere aß sein Brot durch seiner Hände
Arbeit. Einst sagte jener reiche zu dem armen: Warum
dienst du nicht dem Sultan, um dich von der Mühseligkeit
des Arbeitens zu befreien? Dieser antwortete: Warum
arbeitest du nicht, um der Erniedrigung des Dienstes zu
entgehen? Die Weisen haben gesagt: Ein bißchen Brot essen
und ruhig sitzen ist besser als goldnen Gürtel und Schwert
umbinden und im Dienste stehn.
Besser ist's, den heißen Kalk zum Teig mit
eignen Händen kneten,
Als die Hände auf der Brust zum Dienste vor den Emir
treten.
Wie kleid' ich mich im Winter, was eß ich im Sommer?
So geht das Leben hin in Segen und Verdruß.
Du fauler Bauch, begnüge dich mit einem Brote,
Daß nicht der Rücken sich im Dienste beugen muß.
*
Man brachte Nuschirwan dem Gerechten die frohe
Botschaft, daß Gott, der Mächtige und Erhabene, einen
seiner Feinde aus der Welt genommen. Hast du gehört,
sprach Nuschirwan, daß er mich darin lassen will?
Kann mir der Tod des Feindes Freude geben?
Nicht ewig dauert ach! mein eignes Leben.
*
Eine Versammlung von Weisen unterredete sich an dem
Hofe des Kesra über eine wichtige Sache; Busurdschmihr
schwieg, und als man ihn fragte, warum er bei dieser
Beratung nicht mitspreche, antwortete er: Die Wesire
gleichen den Ärzten, der Arzt aber gibt nur den Kranken
Arznei; da ich nun sehe, daß ihr mit eurer Meinung auf dem
rechten Wege seid, so habe ich keinen Grund dabei
mitzusprechen.
Kann etwas ohne mich den Ausgang finden,
So ist es mir nicht ziemend mitzusprechen.
Doch seh' ich bei dem Brunnen einen Blinden,
Dann ist für mich das Schweigen ein Verbrechen.
*
Als dem Harun Al Raschid die Herrschaft Ägyptens
übergeben wurde, sagte er: Als Gegensatz zu jenem
Tyrannen, der im Stolze über die Herrschaft Ägyptens sich
anmaßte, Gott zu sein, schenke ich dieses Reich dem
geringsten meiner Sklaven. Er hatte einen Schwarzen von
langsamem Verstande, namens Chosseib, dem vertraute er die
Herrschaft Ägyptens an. Dieser soll so beschränkt an
Verstand und Einsicht gewesen sein, daß, als einst einige
ägyptische Landleute sich bei ihm beklagten, die
Baumwolle, die sie an dem Ufer des Nils gesäet, sei durch
einen unzeitigen Regen zugrunde gegangen, er sagte: Ihr
hättet Wolle säen sollen. Ein Einsichtsvoller, welcher
dieses hörte, sprach:
Richtete das Erdengut sich nach dem Witze,
Hätte wohl der Tor nur wenig im Besitze;
Doch es wird dem Toren so viel Gut geschenkt,
Daß der Weise nur mit Staunen daran denkt.
Durch Klugheit kommt nicht Glück und Macht,
Dies wird vom Himmel zugebracht.
Oft nennt die Welt in eitelm Trug
Den Weisen dumm, den Narren klug.
Im Elend stirbt der Alchimiste,
Der Dumme findet Gold im Miste.
*
Einem Könige hatte man ein chinesisches Mädchen
gebracht; als er einst betrunken war, wollte er sich zu
ihr legen, allein sie widersetzte sich. Der König geriet
darüber in Zorn und schenkte sie einem seiner schwarzen
Sklaven, dessen Oberlippe an dem Vorsprung der Nase
vorbeiging und dessen Unterlippe auf den Halskragen
herabhing; bei dem Anblick seiner Gestalt wurde selbst die
Hexe Sakhr krank, und aus seiner Achselhöhle roch es wie
eines Pechquells Gestank.
Wie Josef aller Schönheit Ideal in
Ewigkeit,
So schien er selbst das ew'ge Urbild aller Häßlichkeit.
Wie häßlich von Gestalt er war,
Geht über die Beschreibung weit,
Und seine Achselhöhle roch,
O Gott! wie Aas zur Sommerzeit.
Den Neger erfaßte in diesem Augenblick die
Leidenschaft, und es überwältigte ihn der Begierde Kraft,
und da er von Liebe glühte, raubte er ihre Blüte. Am
Morgen suchte der König das Mädchen und fand es nicht; als
man ihm sagte, was geschehen war, wurde er zornig und
befahl, man solle den Neger mit dem Mädchen an Händen und
Füßen fest zusammenbinden und sie von dem Dache des
Schlosses in den Graben hinunterwerfen. Ein edelgesinnter
unter den Wesiren legte das Angesicht der Fürbitte auf die
Erde und sprach: Der arme Neger hat hierin nicht gefehlt,
alle deine Diener und Sklaven sind ja an deine königlichen
Gaben und Geschenke gewöhnt. Wenn er aber nur eine Nacht
gewartet hätte, bevor er sich ihr näherte, erwiderte der
König, was wäre es? O Herr, sagte der Wesir, hast du
diesen Spruch nie gehört?
Kommst du durstig und erschöpft an eine
klare Quelle,
Kümmerst du dich um des tollen Elefanten Zahn?
Steht der Ketzer hungrig und allein am vollen Tische,
Glaubst du, daß er sich wohl kümmert um den Ramadhan?
Dem Könige gefiel dieses Witzwort, und er sprach: Den
Neger schenke ich dir, was soll ich aber mit dem Mädchen
machen? Das Mädchen schenke dem Neger, antwortete der
Wesir, was er halb gegessen, gehört ihm auch ganz.
Wer sich an unflätigem Orte befunden,
Den wähle dir niemals als Freund und Genossen.
Der Durst'ge begehrt nicht vom lauteren Wasser,
Von dem schon ein stinkender Mund hat genossen.
Die Apfelsine, die im Kot gelegen,
Wird sie des Königs Hand wohl noch berühren?
Der Krug, an dem ein Eitermund getrunken,
Wird den der Durst'ge wohl zum Munde führen?
*
Alexander der Grieche wurde einst gefragt: Durch
welches Mittel hast du die Länder des Ostens und Westens
erobert, während den frühern Königen, die mehr Schätze und
Macht und Jahre und Heere hatten als du, eine solche
Eroberung nicht möglich gewesen ist? Er antwortete: In
allen Reichen, die ich mit Gottes Hilfe eingenommen, habe
ich die Untertanen nie geplagt und von ihren Königen stets
nur Gutes gesagt.
Der wird des Namens eines Großen nicht
gewürdigt,
Der durch Beschimpfung selbst der Großen Ruf entwürdigt.
Nichts ist dies alles, denn es geht vorüber,
Der Thron, das Glück, die Macht, die Herrlichkeit;
Den guten Ruf der Fortgegangnen ehre,
So bleibt dein guter Ruf in Ewigkeit.