Der Rosengarten
Dritte Abteilung: Von dem Werte der Genügsamkeit
Ein Bettler aus Maghreb sprach einst zu den Tuchhändlern im
Basar von Haleb: O ihr reichen Herren, besäßet ihr Billigkeit
und wir Genügsamkeit, die Gewohnheit des Betteins würde aus
der Welt verschwinden.
Genügsamkeit, o mache du mich reich!
Denn ohne dich wird Reichtum nicht gefunden.
Den Schatz des Duldens wählte Lokman sich;
Nur durch Geduld wird Weisheit auch gefunden.
*
In Ägypten waren zwei Fürstensöhne, von denen der eine
strebte, seinen Wissensdurst zu stillen, der andere seine
Schatzkammer zu füllen; jener wurde der größte Gelehrte seiner
Zeit, dieser in Ägypten der Mächtigste weit und breit. Deshalb
blickte dieser Reiche mit dem Auge der Verachtung auf den
Gelehrten und sprach: Ich bin zum Glanze der Herrschaft
emporgestiegen, du aber bleibst im Schmutze der Armut liegen.
O Bruder, antwortete jener, ich bin dem Höchsten Dank schuldig
für seine Huldgabe, daß ich das Erbteil der Propheten, die
Wissenschaft, erlangt, während du zur Herrschaft Ägyptens, dem
Erbteil Pharaos und Hamans, gelangt.
Ich bin der Käfer, der zertreten wird vom Fuß,
Die Wespe nicht, durch deren Stich man seufzen muß;
Soll diese Gnade nicht zum Dank mein Herz erheben,
Daß mir zur Menschenqual die Macht nicht ward gegeben?
*
Ich habe von einem Derwisch gehört, der im Feuer der Armut
fast erstickte, und Lappen auf Lappen zusammenflickte, aber
sein Gemüt mit diesen Versen erquickte:
Sei zufrieden, daß du trocknes Brot und
Lumpenkleider hast:
Besser ist des eignen Elends als der fremden Wohltat Last.
Einst sagte jemand zu ihm: Warum sitzest du da? In dieser
Stadt ist ja ein Mann mit einer Seele voll Edelmut und
allumfassender Großmut; er ist gegürtet zu gehorsamen der
Wohlgesinnten Worte, und sitzet als Diener an der Herzen
Pforte; willst du ihn mit der Darstellung deiner Lage angehn,
so hält er es für seine Pflicht, einem ehrwürdigen Manne wie
du beizustehn. Stille, erwiderte der Derwisch, besser ist, die
Dürftigkeit bis zum Grabe tragen, als seine Hilfsbedürftigkeit
andern klagen.
Besser ist es, Bettelkleider in des Elends
Winkel flicken,
Als um Kleider Bettelbriefe reichen Herren überreichen.
O gewiß, es ist nicht schlimmer, in der Hölle Strafe leiden,
Als mit eines Nachbars Füßen in das Paradies sich
schleichen.
*
Ein König von Persien sandte einen geschickten Arzt zum
Dienste Mohammeds des Auserwählten; dieser blieb einige Jahre
im Lande der Araber, ohne daß jemand zu ihm kam, ihn zu
befragen oder ein Heilmittel von ihm zu verlangen. Endlich
ging er eines Tages zu dem Propheten und beklagte sich
darüber. Man hat mich geschickt, sagte er, deine Gefährten zu
heilen, aber in dieser langen Zeit hat sich nicht einer an
mich gewandt, daß ich den Dienst, der mir aufgetragen ist,
hätte verrichten können. Der Prophet erwiderte ihm: Diese
Leute haben die Gewohnheit, nicht eher zu essen, als bis der
Hunger sie dazu zwingt, und ehe sie völlig gesättigt sind, die
Hand von der Speise wegzuziehn. So bleiben sie immer gesund,
sagte der Arzt, küßte ehrfurchtsvoll die Erde und ging fort.
Dann nur wird der Weise seine Zunge regen,
Oder nach der Speise seine Hand bewegen,
Wenn ihm Schweigen Unheil bringen kann und Not,
Wenn dem Leben selbst Gefahr durch Fasten droht:
Weisheit ist es dann, die Stimme zu erheben,
Und das Essen wird als Frucht Gesundheit geben.
*
Jemand tat oft Buße und brach sie dann wieder, bis einst
ein Scheich zu ihm sprach: Ich weiß, daß du die Gewohnheit
hast, viel zu essen; das Band der Begierde aber, die Buße, ist
dünner als ein Haar, und eine Begierde, wie du sie nährst,
kann auch eine Kette zerbrechen; der Tag wird kommen, wo sie
dich zerreißt.
Einst ernährte einer eines Wolfes Jungen,
Drauf ward er von seinem Zögling selbst verschlungen.
*
In den Lebensnachrichten über Ardischir Babekan wird
erzählt, daß er einst einen arabischen Arzt fragte, wieviel
Speise man jeden Tag zu sich nehmen solle; dieser antwortete:
Ein Gewicht von hundert Drachmen ist hinreichend. Wie kann
denn dieses Bißchen Kräfte geben? entgegnete Ardischir. Der
Arzt antwortete: »Dieses Maß trägt dich, was darüber ist, das
mußt du tragen.«
Wir essen, daß wir leben und des Betens nicht
vergessen,
Doch du scheinst fast zu glauben, daß wir leben, um zu essen.
*
Zwei Derwische aus Chorasan verbanden sich zu einer
gemeinschaftlichen Reise; der eine war schwach, denn er hielt
nur alle zwei Nächte eine Mahlzeit, der andere stark, denn er
aß alle Tage dreimal. Ihr Schicksal wollte, daß sie am Tore
einer Stadt, weil man sie für Spione hielt, festgenommen und
in ein Gefängnis gebracht wurden, dessen Türe man mit Lehm
vermauerte. Nach vierzehn Tagen wurde erkannt, daß sie
schuldlos seien; man öffnete die Türe und fand den Starken
tot, den Schwachen aber am Leben. Als man sich darüber
wunderte, sagte ein Weiser: Über das Gegenteil müßte man sich
eher wundern, denn jener eine war ein Vielesser, er war nicht
imstande, den Mangel an Nahrung zu ertragen und ist
umgekommen, dieser andere aber war enthaltsam, er war an
Entbehrung gewöhnt und ist daher am Leben geblieben.
Wem Wenigessen zur Gewohnheit ward,
Der kann, wenn Mangel kommt, ihn leicht ertragen.
Doch wer den Leib in Überfluß gepflegt,
Den muß der Mangel gleich zu Boden schlagen.
*
Ein weiser Mann verbot seinem Sohne viel zu essen, indem er
sagte: Die Übersättigung macht die Menschen krank. Dieser
entgegnete: O Vater, der Hunger tötet sie; hast du nicht
gehört, was witzige Leute gesagt haben: An Übersättigung
verscheiden ist besser als Hunger leiden? Halte das rechte
Maß, erwiderte der Vater, denn Gott hat gesagt: »Esset und
trinket, aber schlemmet nicht.«
Nicht so viel iß, daß der Mund es übergießet,
Nicht so wenig, daß die Lebenskraft zerfließet.
Wenn in der Speise gleich Genuß und Freude liegt,
So bringt die Speise doch im Übermaß den Tod.
Des Rosenzuckers viel kann dir verderblich sein:
Wie Rosenzucker schmeckt das karge trockne Brot.
*
Einen Kranken fragte man: Was begehrt dein Herz? Er
antwortete: Es begehrt, daß mein Herz nichts begehre.
Schmerzt der Bauch und ist gefüllt der Magen,
Will die beste Speise nicht behagen.
*
Einem Speisehändler waren Sufis einiges Geld schuldig
geworden; er forderte es jeden Tag von ihnen, und fuhr sie mit
groben Worten an. Die Brüder waren durch sein Ungestüm
gekränkt, aber sie mußten es geduldig über sich ergehen
lassen. Ein Einsichtsvoller unter ihnen sprach: Es ist
leichter, dem Magen Speise, als dem Speisehändler Geld
schuldig zu bleiben.
Besser eines Großen Gab' entsagen,
Als des Pförtners Grobheit zu erdulden.
Lieber in der Lust nach Fleische sterben,
Als dem rohen Fleischer etwas schulden.
*
Ein edelgesinnter Mann erhielt im Tatarenkriege eine
gefährliche Wunde; jemand sagte zu ihm: Ein gewisser Kaufmann
besitzt eine Wundsalbe; wenn du ihn darum bittest, wird er dir
vielleicht etwas davon geben, doch man sagt, er sei als ein
geiziger Mann bekannt.
Stiege statt des Brotes auf den Tisch zu ihm
die Sonne nieder,
Bis zur Auferstehung sähe keiner je das Taglicht wieder.
Der Edle erwiderte: Wenn ich ihn um die Wundsalbe bitte,
wird er mir davon geben oder nicht davon geben, und wenn er
mir welche gibt, wird sie mir helfen oder nicht helfen; in
jedem Falle aber ist ihn darum zu bitten ein tödliches Gift.
Was du vom Niedrigen erflehst aus Gnaden,
Es hilft dem Leib und bringt der Seele Schaden.
Und weise Männer haben gesagt: Wenn das Lebenswasser um
Wasser des Antlitzes feil wäre, würde der Weise keines kaufen,
denn mit Ehre sterben ist besser als mit Schande leben.
Eine Bittergurke freundlich dargeboten
schmeckt
Besser, als aus mürr'scher Hand das süßeste Konfekt.
*
Ein Gelehrter hatte eine große Familie und ein kleines
Einkommen; er klagte darüber bei einem Großen, der eine sehr
hohe Meinung von ihm hatte. Dieser runzelte die Stirn über
eine solche Bettelei, und eine solche Zudringlichkeit schien
ihm bei einem gebildeten Manne höchst unziemend.
O geh' nicht voll Verdruß zu deinem edeln
Freund,
Du möchtest den Genuß des Lebens ihm verbittern.
Mit lächelndem Gesicht trag' ihm die Bitte vor:
Die heitre Stirn darf nicht vor dem Mißlingen zittern.
Man erzählt, daß er dessen Gehalt ein wenig vermehrte, aber
das Wohlwollen für ihn um vieles verminderte, so daß der
Gelehrte nach einigen Tagen, als er sah, daß die gewohnte
Freundschaft erkaltet war, ausrief:
»O pfui der Speisen, die Erniedrigung
verschaffte:
Der Topf steht aufrecht, doch der Tropf fällt in den
Staub.«
Das Brot wächst auf dem Tisch, die Ehre lieget brach;
Weit besser ist die Not als des Erbittens Schmach.
*
Einem Derwisch, der sich in Not befand, sagte jemand: Der
und der besitzt maßlosen Reichtum: wenn er von deiner
Bedrängnis benachrichtigt wird, so wird er gewiß keinen
Augenblick anstehn, ihr ein Ende zu machen. Ich kenne ihn aber
nicht, erwiderte der Derwisch. Ich will dich zu ihm hinführen,
sagte der andere. Er nahm ihn bei der Hand und brachte ihn in
die Wohnung jenes Mannes. Als der Derwisch aber einen Mann mit
niederhängenden Lippen und finsterm Gesichte dasitzen sah, so
kehrte er um, ohne ein Wort zu sagen. Was machst du? rief der
andere. Er antwortete: Ich schenke ihm seine Gabe um seines
Gesichtes willen.
O sage nicht dein Leid dem mürr'schen Mann,
Der durch sein böses Wesen schon dich kränkt.
Willst du den Kummer klagen, klag' ihn dem,
Der durch sein Antlitz schon dir Hilfe schenkt.
*
Einst war in Alexandrien eine solche Dürre, daß die Zügel
der Erduldung den Händen der Menschen entfielen; nichts floß
aus den Pforten des Himmels zur Erde hervor, und die Seufzer
der Erdbewohner stiegen zum Himmel empor.
Kein Wild des Feldes war, kein Fisch, kein
Vogel, kein Gewürm,
Des Schreien nicht zum Himmel stieg in jammervollem
Chor.
Ein Wunder, daß vom Herzensrauch nicht eine Wolke sich
Gesammelt, nicht ein Regen brach vom Augenquell hervor.
In dieser Zeit war ein Wüstling da, fern sei er von den
Freunden! ihn näher zu beschreiben, ist ein Verstoß gegen die
gute Sitte, insonderheit in Gegenwart der Großen, und doch
geht es auch nicht an, stillschweigend darüber hinwegzugehn,
weil manche es der Unfähigkeit des Erzählers zur Last legen
würden; darum will ich alles in diesen zwei Verspaaren
zusammenfassen, daß das Wenige eine Andeutung von Vielem und
die Handvoll eine Probe der ganzen Ladung sei.
Hätt' ein Tatar den Wüstling auch getötet,
Er wäre doch der Strafe überhoben.
Wie vielmal war er gleich der Brücke Bagdads,
Das Wasser unten und die Menschen oben!
Dieser Mensch, von dessen Lob du einen Teil gehört hast,
besaß in jenen Jahren maßlosen Reichtum und war so freigebig,
daß er Silber und Gold den Bedrängten schenkte und die
Reisenden speiste und tränkte. Ein Haufen Derwische, durch die
Not aufs äußerste gebracht, kamen überein, sich an ihn zu
wenden, und fragten mich deshalb um Rat; ich aber wandte das
Haupt von der Gemeinschaft mit ihnen ab und sprach:
Es frißt der Löwe nicht des Hundes Reste,
Sollt' er vor Hunger in der Höhle sterben.
Gib hin den Leib dem Elend und dem Mangel,
Statt um des schlechten Menschen Huld zu werben.
Hätt' er gleich Feridun auch Geld und Güter,
Des Mannes Achtung kann er nicht erwerben.
Den Taugenichts in Samt und Seide kleiden,
Das heißt, die Wand mit Gold und Azur färben.
*
Als man Hatem Tai fragte, ob er jemand in der Welt gesehen
oder von jemand gehört, der ihn an edler Gesinnung überträfe,
antwortete er: Eines Tages hatte ich vierzig Kamele geopfert
und ging mit den arabischen Emiren an einen abgelegenen Ort
der Wüste hinaus; hier sah ich einen Dornensammler, der einen
Haufen Dornen zusammengetragen hatte. Ich sprach zu ihm: Warum
gehst du nicht zu dem Gastmahle Hatems? Alle Welt hat sich um
seinen Tisch gesammelt. Er antwortete:
Wer sein Brot erwirbt mit eignen Händen,
Braucht sich nicht an Hatem Tai zu wenden.
Ich sah, daß dieser an Großmut und edler Gesinnung höher
stand als ich.
*
Moses der Prophet, ihm sei Heil! sah einen Derwisch, der
sich wegen seiner Blöße in den Sand vergraben hatte und ihm
zurief: O Moses, bete für mich, daß mir Gott des Lebens
Notdurft schenke, denn ich bin nicht imstande, meine Not
länger zu erdulden. Der Prophet betete, daß Gott ihm Vermögen
schenken möchte, und wurde erhört. Als er einige Tage darauf
von der Verrichtung der Andacht zurückkam, sah er ihn gefangen
und einen großen Menschenhaufen um ihn versammelt. Was ist mit
diesem geschehn? fragte er. Man antwortete ihm: Er hat Wein
getrunken und Streit angefangen und jemanden getötet, nun soll
er die Todesstrafe leiden.
Wollte Gott der Katze Flügel geben,
Wäre bald kein Sperling mehr am Leben.
Der Zufall darf dem Schwachen starke Hand nur schicken,
Gleich steht er auf, die Hand der Schwachen zu zerdrücken.
Moses erkannte des Weltschöpfers Weisheit an und bat um
Verzeihung für seine Anmaßung, und er sagte diesen
Gottesspruch: »Wenn Gott seinen Knechten den Lebensunterhalt
in reichem Maße gäbe, sie würden die Erde mit Frevel füllen.«
»Was hat dir Unglück und Verderben zugezogen,
Betörter? Wäre die Ameise nicht geflogen.«
Wird der Schlechte hochgestellt und reich,
Holt er sich nur einen Backenstreich.
Besser ist die Ameis' ohne Flügel,
Sagte einst ein Weiser zum Vergleich.
Honig hat der Vater einen großen Vorrat zwar,
Doch er brächte dem erhitzten Sohne nur Gefahr.
Er, der dir keinen Reichtum zugeführt,
Weiß besser als du selbst was dir gebührt.
*
Auf dem Markte der Juwelenhändler zu Basra sah ich einen
Beduinen, der folgendes erzählte: Einst hatte ich in der Wüste
den Weg verloren, von Reisevorrat hatte ich nicht das
geringste mehr übrig, und war schon auf den Tod gefaßt, als
ich plötzlich einen Sack voll Perlen fand. Nie werde ich die
Freude und das Entzücken vergessen, da ich glaubte, es sei
geröstetes Korn, nie aber auch den Schmerz und die
Verzweiflung, als ich erkannte, daß es Perlen waren.
Kann im dürren Wüstenflugsand wohl die
Muschel,
Kann die Perle wohl dem Durstigen behagen?
Ach! gleichviel ist's dem, der ohne Vorrat hinsinkt,
Mag er Gold, mag er nur Ton im Gürtel tragen.
*
Ein Araber rief in einer Wüste vor Durst verschmachtend
aus:
»O daß sich doch vor meinem Ende nur einmal
noch mein Wunsch erfüllte!
Ein Fluß, der an die Knie mir schlüge, daß ich gebückt den
Schlauch mir füllte.«
So hatte sich auch ein Reisender in der großen Ebene
verirrt; es blieb ihm weder Kraft noch Vorrat, nur einige
Geldstücke hatte er noch im Gürtel. Er irrte lange umher, ohne
sich zurechtzufinden, und kam endlich vor Erschöpfung um.
Einige Leute, die bei seinem Leichnam vorbeikamen, fanden die
Geldstücke vor seinem Gesichte liegend und dabei war auf die
Erde geschrieben:
Besitzet auch ein Mann gediegnes Gold,
Und hat nicht Speise, muß er doch verschmachten.
Der arme Sonnverbrannte wird wohl mehr
Als rohes Geld gekochte Rüben achten.
*
Nie hatte ich über den Kreislauf der Zeiten geklagt, noch
über den Umschwung des Himmels eine finstere Miene gemacht,
außer einst, wo ich mit bloßen Füßen einherging und nicht
imstande war, mir Schuhe zu kaufen. Als ich aber in die
Moschee zu Kufa trat, sah ich einen, der keine Füße hatte; da
brachte ich Gott Dank dar für seine Huldgaben und ertrug es in
Geduld, keine Schuhe zu haben.
Dem Satten ist es um gebratnes Huhn so wenig
Als um die Schüssel Kraut auf seinem Tisch zu tun.
Wer aber nichts besitzt an Vorrat und Vermögen,
Dem sind gekochte Rüben ein gebratnes Huhn.
*
Ein König geriet auf der Jagd im Winter mit einigen seiner
Vertrauten in eine von den Wohnungen abgelegene Gegend. Als
die Nacht herbeikam, sahen sie ein Bauernhaus. Der König
sprach: Wir wollen die Nacht dort zubringen, damit wir nichts
von der Kälte zu leiden haben. Aber einer der Wesire
entgegnete: Es ziemt der königlichen Majestät nicht, in dem
Hause eines schlechten Bauern eine Zuflucht zu suchen; laßt
uns dort das Zelt aufschlagen und ein Feuer anzünden. Als der
Bauer dieses erfuhr, legte er, was er von Speise vorrätig
hatte, zusammen und brachte es vor den König, und nachdem er
die Erde untertänig geküßt hatte, sprach er: Die Größe des
Sultans wäre durch diese Herablassung nicht erniedrigt worden,
aber man wollte nicht, daß die Niedrigkeit des Bauern erhöht
würde. Dem König gefiel seine Rede, und man begab sich die
Nacht über in seine Wohnung. Am Morgen schenkte er dem Bauer
Geld und Ehrenkleid; dieser ging einige Schritte neben dem
Steigbügel des Königs her und sagte:
Des Sultans Wert und Würde ward dadurch nicht
verringert,
Daß er im Bauernhause gastfreundlich eingekehrt.
Des Bauern Hutesspitze erhebt sich bis zur Sonne,
Daß eines Sultans Schatten sein niedrig Haupt beehrt.
*
Man erzählt von einem scheußlichen Bettler, welcher große
Reichtümer besaß. Ein König sprach zu ihm: Du scheinst
außerordentlich viel Geld zu haben, wir aber sind in einer
großen Verlegenheit; willst du uns mit etwas Wenigem an die
Hand gehn, so soll es dir, wenn die Abgaben aus den Provinzen
eingehn, wieder erstattet werden. Er antwortete: Es ziemt
nicht der Majestät des Herrn der Welt, daß er seine erlauchte
Hand mit dem Gelde eines Bettlers wie ich beschmutze, das von
mir körnchenweise zusammengetragen worden ist. Kümmere dich
nicht darum, erwiderte der König, ich gebe es den Tataren,
»das Schmutzige den Schmutzigen«.
»Unrein«, erwiderten sie, »ist ja gekneteter
Mörtel!
Ei nur des Abtritts Riß wollen wir stopfen damit.«
Zwar unrein ist das Wasser in des Christen Teiche,
Doch wasch' ich ohne Scheu damit des Juden Leiche.
Der Bettler weigerte sich, wie man erzählt, dem Verlangen
des Königs Folge zu leisten, er wollte ihn mit Gegengründen
schlagen und sich unverschämt betragen; da befahl der König,
das, was er von ihm verlangte, ihm mit Gewalt und Drohung
abzunehmen.
Was nicht mit Güte will gelingen,
Das muß man mit Gewalt erzwingen.
Es klage, wer sich selbst nichts schenkt,
Drum nicht, wenn ihn ein andrer kränkt.
*
Ich sah einst einen Kaufmann, der hundertundfünfzig
Kamelladungen und vierzig Sklaven und Diener besaß. Eine Nacht
führte er mich in seine Wohnung auf der Insel Kisch und wurde
die ganze Nacht hindurch nicht müde, mir törichtes Geschwätz
aufzutischen. Der, sagte er, ist mein Handelsgenosse in
Turkestan, dort habe ich ein Kapital in Hindostan; hier ist
ein Kaufbrief für das und das Land, für jenes Geld habe ich
diese Bürgschaft zum Unterpfand. Bald sagte er: Ich habe im
Sinne nach Alexandrien zu reisen, dort ist die Luft so rein;
bald sagte er wieder: Nein, bei den Arabern soll es zu unruhig
sein. O Sadi, sagte er, noch eine andre Reise habe ich vor,
wenn ich die gemacht habe, dann will ich mein übriges Leben
hindurch mich der Geschäfte entschlagen und dem Handel
entsagen. Was ist das für eine Reise? fragte ich. Er
antwortete: Persischen Schwefel will ich nach China führen,
denn wie ich höre, steht er dort hoch im Preise, von da
chinesisches Porzellan nach Griechenland, und griechisches
Seidenzeug nach Indien, und indischen Stahl nach Haleb, und
halebische Glaswaren nach Jemen, und gestreifte Zeuge von
Jemen nach Persien; nach diesem werde ich dann das Reisen
aufgeben und in einem Kaufladen ruhig leben. Dieses alberne
Zeug schwatzte er so lange fort, bis ihm zuletzt der Atem
ausging und er zu mir sagte: O Sadi, erzähle du doch auch
etwas von dem, was du gesehn und gehört hast. Ich sprach:
Weißt du, was jüngst ein reicher Kaufmann
sprach,
Als in der Wüste Ghur er fiel vom Pferde?
Des Weltbewohners enges Auge füllt
Genügsamkeit nur oder Grabeserde.
*
Von einem reichen Manne habe ich erzählen hören, der durch
seinen Geiz ebenso berühmt war als Hatem Tai durch seine
Freigebigkeit. Im Äußern war er mit Glücksgütern geschmückt,
aber der seiner Seele eingeborne Schmutz saß in seinem Innern
so fest, daß er nicht ein Brot aus der Hand gegeben hätte, um
einen Menschen vom Tode zu retten, daß er der Katze des Abu
Horeirah keinen Bissen vorgelegt und dem Hunde der
Siebenschläfer keinen Knochen vorgeworfen hätte, kurz, nie
hatte jemand sein Haus offen stehn noch seinen Tisch gedeckt
gesehn.
Zum Armen drang nur der Geruch von seinem
Essen,
Kein Bröckchen fand der Vogel mehr, wann er gegessen.
Er wollte, wie man mir erzählt hat, auf dem abendländischen
Meere nach Ägypten schiffen, mit pharaonischen Gedanken im
Kopfe, »bis er in den Fluten versank«, wie der Herr sagt.
Plötzlich erhob sich ein widriger Wind und drehte das Schiff
im Wirbel herum, wie es heißt:
Mit finsterm Sinn, was kannst du tun zu deinem
Heil?
Nicht immer wird dem Schiff ein günst'ger Wind zuteil.
Vergebens erhob er die Hand zum Gebete und schrie um Hilfe,
wie der Herr sagt: »Und als sie fuhren auf dem Schiffe, da
beteten sie zu Gott.«
Was hilft des Menschen fleh'nde Hand, streckt
er sie in Bedrängnis aus?
Zur Zeit der Not zu Gott hinauf, zur Zeit des Wohltuns
unterm Arme.
Mit Gold und Silber schaffe Trost und Hilfe,
So schaffen eignen Trost und Nutzen deine Hände.
Nach deinem Tod wird dieses Haus doch bleiben:
Aus Gold- und Silberziegeln baue seine Wände.
Man erzählt, daß er in Ägypten arme Verwandte hatte, welche
durch das, was er von Gütern hinterließ, reich wurden. Bei der
Nachricht von seinem Tode zerrissen sie ihre alten Kleider und
verfertigten sich neue aus Seidenstoff und Damiat. In eben
jener Woche sah ich einen von ihnen auf einem Rosse
einherjagen mit Windesgewalt und hinter ihm einen Sklaven
laufen mit Perigestalt; da sagte ich zu mir selbst:
O weh, wenn jener Tote wiederkehrte
Zu seinem Stamm und seinen frohen Erben:
Die Erbschaft wiedergeben, wäre härter
Für sie, als ihres Anverwandten Sterben.
Da ich ihn von früherer Zeit her kannte, so zog ich ihn am
Ärmel und sprach:
Genieße nur, du braver Mann, den Schatz, der
sich erschlossen,
Denn jener Tor hat immer nur gesammelt, nie genossen.
*
Ein schwacher Fischer fing in seinem Netze einen mächtigen
Fisch, er hatte aber nicht die Kraft, ihn zu halten; der Fisch
überwältigte ihn und riß ihm das Netz aus der Hand fort.
Ein Knabe wollt' im Flusse Wasser schöpfen,
Das Wasser kam und riß den Knaben fort.
Sonst hatte stets das Netz den Fisch gefangen,
Nun ging der Fisch und nahm das Netz mit fort.
Die andern Fischer jammerten darüber und machten ihm
Vorwürfe. Wie, sagten sie, ein solcher Fang ist dir in das
Netz geraten und du hast ihn nicht behalten können? Er
antwortete aber: O Brüder, was ist da zu tun? Mir war der
Fisch nicht bestimmt, und dem Fische war noch ferneres Leben
bestimmt. Der Fischer, dem es nicht bestimmt ist, wird auch im
Tigris keinen Fisch bekommen, und der Fisch, dessen Lebensziel
nicht gekommen, wird auch auf dürrem Sande nicht umkommen.
*
Ein Mann, dessen Hände und Füße abgehauen waren, tötete
einen Tausendfüßler. Ein Einsichtsvoller, der vorüberging,
sprach: Großer Gott! mit den tausend Füßen, die es hatte,
konnte das Tier, als sein Lebensziel gekommen, dem, der ohne
Hände und Füße war, nicht entfliehn.
Wenn der grimm'ge Feind sich naht ihn
einzuholen,
Bindet das Geschick des flieh'nden Mannes Sohlen.
Kömmt des Feindes Pfeil von hinten hergeflogen,
O so spanne nicht mehr den Kejanschen Bogen!
*
Einst sah ich einen törichten Menschen, der war dick und
wohlgenährt und ritt auf einem arabischen Pferd, war mit einem
kostbaren Gewande angetan und trug auf dem Kopf einen
ägyptischen Turban. Jemand sprach zu mir: O Sadi, was sagst du
zu diesem feinen verbrämten Gewand an diesem groben Tiere ohne
Verstand? Ich antwortete: Es ist eine Schrift von häßlicher
Gestalt mit Goldwasser gemalt.
Dem Esel gleich ist dieser Mann,
»Ein goldnes Kalb, das blöken kann.«
Man sage nicht, daß dieses Tier dem Menschen gleicht,
Als nur durch Kleidung, Kopfputz, äußres Gut.
Betrachte nur sein Eigentum, Gerät und Wesen:
Das Schlechteste an ihm, das ist sein Blut.
Wenn des Propheten Abkömmling dir arm erscheint,
So glaube nicht, daß er dadurch entadelt wird.
Beschlägt mit Gold der Jude sein versilbert Tor,
Du glaubst doch nicht, daß er dadurch geadelt wird.
*
Ein Dieb sagte zu einem Bettler: Schämst du dich denn
nicht, um eines Körnchens Silber willen deine Hand jedem
schlechten Menschen darzustrecken? Er antwortete:
Um einen Groschen seine Hand zum Betteln zu
erheben,
Ist besser als um anderthalb dem Henker sie zu geben.
*
Man erzählt von einem Faustkämpfer, der durch widrige
Zeitumstände in die äußerste Not, und durch seinen breiten
Schlund und seine schmale Kost in den größten Jammer geraten
war; er klagte es seinem Vater und bat um seine Erlaubnis: Ich
habe mir vorgenommen, sagte er, eine Reise zu machen, um zu
versuchen, ob ich vielleicht durch die Kraft meines Armes den
Kleidersaum meiner Wünsche erfassen kann.
Verloren ist Verdienst und Kraft, wenn sie
verborgen bleiben;
Das Rauchwerk riecht im Feuer nur, den Moschus muß man reiben.
Der Vater erwiderte: O mein Sohn, schlage dir diese
verkehrten Gedanken aus dem Kopfe und ziehe den Fuß der
Genügsamkeit unter den Kleidersaum der Sicherheit zurück, denn
große Männer haben gesagt: Das Glück läßt sich nicht erjagen,
wer es will, muß sich nicht viel plagen.
Man kann des Glückes Kleidersaum nicht mit
Gewalt erreichen:
Des Blinden Auge wirst umsonst mit Salbe du bestreichen.
Hättest du an jedem Haare der Talente hundert hangen,
Nichts wird das Talent dir helfen, kannst du Glücksgunst nicht
erlangen.
Was will der Kräft'ge tun, wenn er an Glücke arm?
Weit stärker als des Starken ist des Glückes Arm.
O Vater, entgegnete der Sohn, die Vorteile des Reisens sind
mannigfaltig: Das Gemüt erheitert sich und die Einsicht
erweitert sich, man sieht Merkwürdiges und hört Denkwürdiges,
in Städten unterhält man sich und unter Freunden erzählt man
sich, man gewinnt Rang und Anstand und vermehrt Gut und
Wohlstand, mit neuen Bekannten lernt man sich verbinden und in
die Wechsel der Zeiten lernt man sich finden, so daß Wanderer
auf dem Wege Gottes gesagt haben:
Wenn, Roher, du in deinem Winkel bleibst,
Wird man in dir nie einen Menschen sehn.
Geh' in die Welt hinaus und sieh dich um,
Eh' Gott dich zwinget, aus der Welt zu gehn.
Mein Sohn, sagte der Vater, die Vorteile des Reisens, wie
du sie auseinandergesetzt hast, sind freilich unzählig, aber
nur für fünf Menschenklassen. Erstlich für den Kaufmann, der
im Besitze von Reichtum und Vermögen, Sklaven und schöne Mägde
und flinke Knechte hat, dem jeden Tag in einer andern Stadt
und jede Nacht in einer andern Herberge in jedem Augenblick
alle Bequemlichkeiten der Welt zum Genusse in Bereitschaft
stehn.
Der Reiche ist nicht im Gebirge, ist in der
Wüste nicht ein Fremder,
Denn überall hat er sein Lager, sein Zelt ist immer
ausgespannt.
Doch wem das Ziel der Erdenwünsche stets unerreichbar ist
geblieben,
Der ist im Vaterland ein Fremder, ist in der Heimat
unbekannt.
Zweitens für den Gelehrten, dem man wegen seines lieblichen
Gespräches, wegen der Kraft seiner Beredsamkeit und des
Schatzes seiner Wohlredenheit, wohin er kömmt, bemüht ist,
Dienste zu erzeigen und Ehre zu erweisen.
Dem reinen Golde gleichet der Gelehrte,
Wohin er kömmt, wird sein Gehalt geschätzt;
Der Ungelehrte ist die Ledermünze,
Die sich bei Fremden nicht in Umlauf setzt.
Drittens für den Schöngestalteten, zu dessen Umgang sich
das Herz der Einsichtsvollen neigt, so daß sie seine
Gesellschaft für Gewinn schätzen und seinen Dienst für Wohltat
achten; denn das Sprichwort sagt: Ein bißchen schönes Blut ist
besser als viel Geld und Gut. Ein schönes Gesicht ist die
Salbe der verwundeten Herzen und der Schlüssel der
verschlossenen Türen.
Überall wird sich der Schöne achtungsvoll
empfangen sehen,
Wenn ihn auch im Zorn der Vater und die Mutter von sich
stießen.
In den Blättern des Korans einst fand ich eine Pfauenfeder:
Wie, sagt' ich, ist dir es ziemend, solche Ehre zu
genießen?
Stille, sprach sie, wem der Schönheit Schmuck und Glanz zuteil
geworden,
Wird, wohin er seinen Fuß setzt, nicht ein Auge je
verdrießen.
Ein Sohn, der Liebreiz hat, der sorge nicht für morgen:
Wenn ihn sein Vater auch verläßt, er ist geborgen.
Er ist die Perle; weg, o weg nur mit der Schale!
Verwaiste Perle braucht für Käufer nicht zu sorgen.
Viertens für den, der eine schöne Stimme hat, der mit
davidischer Kehle das Wasser im Laufe und die Vögel im Fluge
aufhält; denn durch den Besitz dieses Vorzugs nimmt er das
Herz der Menschen gefangen, und die mit Kunstsinn Begabten
sehnen sich nach seiner Genossenschaft.
»Gesangeszauber hat mein Ohr verführet:
Wer ist es, der die Doppelsaiten rührt?«
Wie lieblich tönt Gesang, wenn mit den süßen Klängen
Beim festlichen Gelag er schallt als Morgengruß!
Weit besser ist der Stimm' als des Gesichtes Schönheit:
Dies bringt den Sinnen nur, sie gibt dem Geist Genuß.
Fünftens für den Handwerksmann, der durch die Anstrengung
seines Armes sich den Lebensunterhalt erwirbt und nicht um des
Brotes willen seine Ehre beflecken muß, wie verständige Leute
gesagt haben:
Wandert auch der Schneider in die Fremde,
Not und Elend leidet er doch wenig.
Kömmt er aus dem Reich in ferne Länder,
Hungrig legt sich hin des Südens König.
Solche Verhältnisse, wie ich sie eben geschildert habe,
geben auf der Reise Ruhe des Gemütes und verschaffen ein
fröhliches Leben; wer aber von allem dem nichts hat, der wird
mit eiteln Einbildungen in die Welt hinausrennen, und niemand
hört ferner seinen Namen nennen.
Wem der Welten Rad zuwider sich bewegt,
Ach! nicht hoff er, daß sein Streben je gelinge.
Wenn die Taube nicht ihr Nest mehr sehen soll,
Führt das Schicksal sie zur Lockspeis' und zur Schlinge.
Der Sohn erwiderte: O Vater, wie soll ich denn dem
Ausspruche der Weisen entgegenhandeln, welche gesagt haben:
Obschon die Güter des Lebens zugemessen sind, so ist man doch
verpflichtet, nach den Mitteln zu streben, sie zu besitzen,
und obschon die Übel vorher bestimmt sind, so ist man doch
verbunden, sich vor ihrem Eindringen zu schützen.
Wenn auch die Nahrung sicherlich erscheint,
Muß man sie an den Türen doch erjagen.
Obwohl nur, wer sein Ziel erreicht hat, stirbt,
Darf man sich in des Drachen Maul nicht wagen.
Mit der Gestalt, die ich habe, kann ich mich an den
schrecklichsten Elefanten wagen und den grimmigsten Löwen im
Faustkampf zu Boden schlagen; gut ist es daher für mich, daß
ich reise, denn Mangel und Not vermag ich nicht ferner zu
ertragen.
Muß auch der Mann sein Haus und Vaterland
verlassen,
Was kümmert's ihn? Ist doch ein jeder Ort sein Zelt.
Der Reiche findet nachts in seinem Hause Ruhe,
Des Armen Haus ist da, wo Nacht ihn überfällt.
Ist's nötig denn, daß er am eignen Herde sitze?
Sein ist, wo er auch geht, des Schöpfers weite Welt.
So sprach er, bat um seines Vaters Segen, nahm Abschied von
ihm und ging fort; im Augenblick, wo er sich entfernte, hörte
man ihn sagen:
Wenn's dem Künstler nicht im Lande glückt,
Geht er, wo kein Aug' ihn noch erblickt.
Er ging, bis er an das Ufer eines Wassers kam, das durch
seine Gewalt Stein auf Stein wälzte, und dessen Getöse eine
Meile weit zu hören war.
Auf diesem Schreckenswasser fand die Ente
keinen sichern Ort;
Die allerkleinste Welle riß vom Ufer selbst den Mühlstein
fort.
Hier sah er einen Haufen Menschen, die ein jeder für ein
Goldspänchen sich in eine Fähre gesetzt hatten und zur Abfahrt
bereit waren. Des Jünglings Hand war zum Bezahlen gebunden, er
löste dafür die Zunge der guten Worte; doch so sehr er auch
jammerte, keiner hatte Erbarmen mit ihm, sondern sie sprachen:
Gebricht es dir an Geld, kann auch Gewalt
nicht gelten;
Besitzest du nur Geld, so brauchst du nicht Gewalt.
Der gefühllose Schiffer wandte sich lachend ab und sagte:
Fehlt dir's an Geld, Gewalt führt dich nicht
an das Ufer;
Zehnfache Kraft wozu? Für einen bringe Geld.
Der Jüngling ergrimmte über diesen Spott, und suchte dafür
Rache zu nehmen. Das Schiff war schon abgefahren; er schrie:
Wenn du dich mit dem Kleide, das ich trage, begnügen willst,
so soll es dir gehören. Des Schiffers Habsucht wurde rege, und
er führte das Schiff zurück.
Durch Habgier blendet sich das Auge des
Erfahrnen,
Durch Habgier lassen Fisch und Vogel sich umgarnen.
Sobald der Jüngling des Schiffers Bart und Kragen fassen
konnte, riß er ihn an sich und schlug ihn schonungslos zu
Boden. Sein Gefährte sprang aus dem Schiffe, um ihm zu helfen,
aber es ging ihm ebenso schlecht, und er half sich mit der
Flucht. Sie sahen ein, daß sie mit einem friedlichen Verfahren
am besten fahren würden, und ließen daher das Fahrgeld fahren.
Siehst du den Zank, so laß dich's nicht
verdrießen
Des Kampfes Tor durch Milde zu verschließen.
Durch Güte suche stets den Streit zu meiden;
Das Schwert kann weiche Seide nicht zerschneiden.
Du führst mit sanftem Arm und süßem Wort
Den Elefant an einem Haare fort.
Um das Geschehene zu entschuldigen, fielen sie ihm zu Füßen
und küßten ihm heuchlerisch Haupt und Augen, führten ihn dann
in das Schiff, und fuhren fort, bis sie an eine Säule kamen,
die von einem Bau der Griechen im Wasser stehn geblieben war.
Da rief der Schiffer: Das Schiff hat einen Leck; wer unter
euch der Beherzteste ist und am meisten Kraft und Stärke hat,
steige auf diese Säule und halte das Tau des Schiffes, bis wir
es ausgebessert haben. Der Jüngling, im eiteln Stolze über
seine Herzhaftigkeit, dachte nicht an die Herzwunde des
Feindes und handelte nicht nach dem Worte der Weisen: Wenn du
dem Herzen eines Menschen einen Schmerz zugefügt hast, so
magst du ihm nachher auch hundert Freuden verschaffen, du
kannst doch vor der Rache für jenen einen Schmerz nicht sicher
sein; denn die Pfeilspitze wird aus der Wunde gezogen, die
Beleidigung bleibt aber im Herzen stecken.
Was Baktasch zu Chiltasch gesagt hat, ist gut:
Du ritztest den Feind nur? So sei auf der Hut.
Ward einst durch deine Schuld ein Herz gekränkt,
So glaube nur, auch dich wird Kränkung treffen.
Wirf an der Festung Mauer nicht den Stein,
Es möcht' ein Stein dich von der Festung treffen.
Sobald er das Schiffstau um den Arm gewickelt und auf die
Spitze der Säule geklettert war, riß ihm der Schiffer den
Strick aus der Hand und trieb' das Schiff fort. Der
Unglückliche blieb vor Schrecken betäubt auf der Säule zurück;
einen, zwei Tage trug er unsägliches Leid und duldete
unerträgliche Not; am dritten Tage überwältigte ihn der Schlaf
und stürzte ihn in das Wasser, und erst nach vierundzwanzig
Stunden wurde er an das Ufer ausgeworfen. Noch ein Hauch des
Lebens war in ihm: er fing an, Baumblätter zu verzehren und
Kräuterwurzeln auszugraben, bis er wieder einige Kraft
erlangte; dann ging er in die Wüste hinein und wanderte fort,
bis er durstig, hungrig und abgemattet an einen Brunnen
gelangte. Um diesen sah er Leute versammelt, welche für einen
Groschen einen Trunk schöpfen durften; da er keinen Groschen
hatte, bat er um Wasser, aber es wurde ihm verweigert. Er
streckte die Hand der Gewalt aus und schlug einige Leute zu
Boden, allein die Männer überwältigten ihn, und schlugen ihn
ohne Barmherzigkeit.
Viele Mücken stürzen wohl den Elefanten,
Mag er auch der Mächtigste und Stärkste heißen.
Der Ameisen viele, wenn sie sich versammeln,
Können leicht des grimm'gen Löwen Fell zerreißen.
Er mußte sich in das Unvermeidliche ergeben, und als er
eine Karawane erreicht hatte, ging er mit ihr. Nachts kamen
sie an einen durch Räuber unsichern Ort; der Reisenden Glieder
wurden von Zittern erfaßt, und ihr Herz machte sich auf den
Tod gefaßt. Als er dies sah, sprach er: Seid unbesorgt, ich
bin ja hier mitten unter euch imstande, es mit fünfzig Männern
aufzunehmen, und die übrigen jungen Leute werden mir
beistehen. Die Männer wurden durch seine Prahlerei ermutigt,
freuten sich seiner Gesellschaft und erquickten ihn mit Speise
und Trank. Ein verzehrendes Feuer hatte sich in des Jünglings
Magen verbreitet, und die Zügel der Geduld und Ertragung waren
seiner Hand entgleitet; er verschlang gierig einige Bissen und
trank darauf einige Züge Wasser, bis der böse Geist seines
Innern beruhigt war, und er vom Schlafe übermannt einschlief.
Indessen sagte ein kluger, welterfahrner Greis, der sich bei
der Karawane befand: O meine Freunde, dieser euer Wächter
flößt mir weit mehr Besorgnis ein als die Räuber, denn ich
erinnere mich dabei an folgende Geschichte:
Ein Araber hatte einiges Geld; er konnte nachts aus Furcht
vor den Räubern allein nicht schlafen, und nahm deshalb einen
seiner Freunde zu sich, um das Unbehagliche der Einsamkeit
durch seinen Anblick zu entfernen; dieser blieb einige Nächte
in seiner Gesellschaft, sobald er aber von dem Gelde genaue
Kundschaft erlangt hatte, nahm er es und reiste fort. Den
andern Morgen sah man den Araber nackt und bloß und trostlos,
und als man ihn fragte: Was ist dir geschehn? Hat dir etwa ein
Dieb dein Geld genommen? antwortete er: Nein, bei Gott, der
Wächter hat es genommen.
Nie kann sich vor der Schlange ruhig setzen,
Wer einmal ihre Eigenschaften kennt.
Weit schlimmer ist von Feindeszahn die Wunde,
Wenn er ein Freund sich vor den Leuten nennt.
Wißt ihr denn, o meine Gefährten, ob dieser Jüngling nicht
selbst zu dieser Räuberbande gehört und sich mit List in
unsere Mitte geschlichen hat, um zur gelegenen Zeit seinen
Genossen Kunde zu geben? Mir scheint es am geratensten, daß
wir ihn schlafen lassen und fortgehn. Der Rat des Greises
wurde von den jungen Leuten gebilligt, und sie fürchteten sich
in ihrem Herzen vor dem Faustkämpfer; sie brachen daher auf
und ließen den Jüngling im Schlafe liegen, der seine Lage erst
dann erkannte, als ihn die Sonne auf die Schulter brannte. Als
er nun den Kopf aufhob und die Karawane nicht mehr sah, irrte
er lange umher ohne an einen Ort zu gelangen; durstig und
erschöpft legte er sein Angesicht auf den Staub und seine
Gedanken auf das Sterben und sprach:
»Wer spricht mit mir, indes ich folge der
Kamele Spur?
Ach, es gesellet zu dem Fremden sich der Fremde nur.«
Wohl wird von dem der Fremde schlecht behandelt,
Der selber unter Fremden nie gewandelt.
So sprach er, als ein Königssohn, der auf der Jagd sich von
seinem Gefolge entfernt hatte, zu seinem Haupte trat und seine
Worte hörte; er betrachtete den Jüngling und sah, daß er eine
hübsche Gestalt hatte, aber ganz verstört aussah. Er fragte
ihn, wo er her sei und wie er an diesen Ort geraten? Der
Jüngling erzählte ihm einiges von dem, was ihm zugestoßen war;
der Königssohn hatte Mitleid mit ihm, schenkte ihm Geld und
Kleid, und gab ihm einen zuverlässigen Mann zum Begleiter, daß
er in seine Stadt zurückkehren konnte. Als ihn sein Vater sah,
war er sehr erfreut und dankte Gott für seine glückliche
Rückkunft. Nachts erzählte ihm der Jüngling von dem, was ihm
geschehn war, von dem Vorfall mit dem Schiffe, des Schiffers
und der Bauern Gewalttätigkeit und der Karawane Treulosigkeit.
Hierauf sagte der Vater: O mein Sohn, habe ich dir es nicht
gesagt, als du fortgingst: Wer leere Hände hat, kann seinen
Heldenarm nicht regen und seine Löwenfaust nicht bewegen?
Mit Recht sprach jener Fechter einst, als er
auf seine Armut schalt:
Ein Körnchen Gold hat mehr Gewicht, als viele hundert Pfund
Gewalt.
Der Sohn erwiderte: O Vater, so lange du keine Mühe
ertragen, wirst du keine Schätze erjagen, und so lange du dich
nicht in Gefahr begeben, kannst du keinen Sieg über den Feind
erleben, und so lange du keinen Samen ausgestreut, wirst du
mit keiner Ernte erfreut. Siehst du nicht für das geringe Maß
von Mühe, das ich ertragen, welch großes Maß von Gewinn ich
davongetragen, und für den Stachel, der mich geplagt, wieviel
Honig ich erjagt?
Ich kann zwar mein beschiednes Teil nur essen,
Doch darf ich es zu suchen nicht vergessen.
Fürchtet sich der Taucher vor des Krokodiles Rachen,
Nie wird er die schöne Perle zu der seinen machen.
Der untere Mühlstein bewegt sich nicht, und gewiß trägt er
die schwerste Last.
Was will der Löwe fressen in der Höhle Grund?
Was kann der Falke, wenn er ruhig liegt, erreichen?
Machst du in deinem Hause auf die Beute Jagd,
Mußt du mit Hand und Füßen einer Spinne gleichen.
Mein Sohn, entgegnete der Vater, diesesmal hat der Himmel
dich begleitet und das Glück dich geleitet, daß dir die Rose
aus dem Dorne und der Dorn aus dem Fuße gegangen, daß ein
mächtiger Mann zu dir gekommen, dir mitleidsvoll seine
Wohltaten zuerteilt und zuvorkommend die Wunde deines
Zustandes geheilt; aber ein solcher Zufall ist selten, und aus
dem Seltenen kann man keinen Schluß ziehen.
Nicht immer fängt der Jäger den Schakal,
Ihn selbst frißt wohl der Tiger auch einmal.
So hatte ein König von Persien einen kostbaren Edelstein an
einem Ringe; eines Tages ging er zur Erholung mit einigen
seiner Vertrauten auf den Betplatz von Schiras hinaus, und
befahl, man solle den Ring auf der Kuppel des Adhad
befestigen, und wer einen Pfeil durch denselben
hindurchschießen könne, dem solle er gehören. Vierhundert
Schützen, die in seinem Dienste waren, schössen, aber alle
fehlten. Zufällig schoß während dieser Zeit ein Knabe auf dem
Dache des Karawanserais zu seiner Belustigung Pfeile auf alle
Seiten hin, und der Ostwind trieb einen seiner Pfeile durch
den Ring; der Ring wurde ihm zugesprochen, und er erhielt noch
vieles Geld dazu. Hierauf verbrannte der Knabe Pfeil und
Bogen, und als man ihn fragte, warum er dieses tue, antwortete
er: Damit mir mein erster Ruhm bleibe.
Es trifft sich, daß dem klügsten Weisen
Der beste Rat oft nicht gelingt,
Indes bloß aus Versehn ein Knabe
Den Pfeil zum fernen Ziele bringt.
*
Man erzählt von einem Derwisch, der sich in einer Höhle
niedergelassen und die Türe zwischen sich und der Welt
abgeschlossen, und in dessen Augen Könige und Fürsten keine
Bedeutung mehr hatten.
Wer seine Tür zum Betteln öffnet,
Wird bis zum Tod in Armut leben.
Laß deine Habgier und sei König!
Zufriednes Haupt darf sich erheben.
Ein König jener Gegend ließ ihm sagen, er hoffe von der
edeln Gesinnung des hochwürdigen Mannes, daß er geruhen möge,
Salz und Brot bei ihm anzunehmen. Der Scheich nahm die
Einladung an, denn die Annahme der Einladungen ist dem
Beispiele des Propheten gemäß. Am folgenden Tage kam der
König, die Mangelhaftigkeit seines Empfangs zu entschuldigen;
der heilige Mann stand auf, umarmte den König und erwies ihm
die größten Artigkeiten. Als sich der König entfernt hatte,
fragte den Scheich einer seiner Gefährten: Eine solche
Artigkeit gegen einen König ist doch sonst deiner Gewohnheit
zuwider, was hast du denn hier für einen Beweggrund? Hast du
es nie gehört? antwortete der Scheich:
Man muß ja vor Emiren und Wesiren
Den Kopf erheben und den Rücken biegen;
Bei wem man einmal nur zu Tisch gesessen,
Ergebenst muß man ihm zu Füßen liegen;
Und kann man das Genoßne nicht erstatten,
Muß man sich mit Entschuld'gung an ihn schmiegen.
*
Im ganzen Leben hört auch wohl das Ohr
Nicht Trommelschlag, nicht Harf und Flötenchor;
Das Auge kann des Gartens Schmuck entbehren,
Der Nase kann man Rosenduft verwehren;
Senkt man sich nicht in weiche Betten ein,
So schläft man wohl den Kopf auf einem Stein,
Und hat man nicht ein Liebchen bei sich liegen,
Kann man in seinem eignen Arm sich wiegen:
Des faulen Bauches Gier ist nie gestillt,
Wird sein Gedärm mit Speise nicht gefüllt.