Achtzehntes KapitelAdel-Chan, der letzte Utzméy von
Kaitach
Bis zum Jahre 1820 bildete Kaitach,
nordwestlich von Derbent und nördlich von Tabassaran
gelegen, eine für sich bestehende, unabhängige Herrschaft
unter dem Namen Utzméilik, welche Benennung von dem Worte
Utzméy, dem Titel der regierenden Fürsten des Landes,
abgeleitet wird.
Im Anfang des Jahres 1820 wurde russischerseits durch den
damals in Derbent stehenden General Madatow die erste
Verbindung mit dem derzeit regierenden Herrscher von Kaitach,
Adel-Chan, angeknüpft. Dieser Fürst hatte drei Söhne:
Mohammed-Chan, Dshamow-Beg und Ußmar-Chan.
Murtosali, ein Vetter von Adel-Chan, und zugleich dessen
Schwager, da er mit einer Schwester des letztgenannten
Fürsten verheirathet war, hatte vier Söhne: Bala-Chan,
Emir-Hamsa, Bey-Bala und Elder-Beg.
General Madatow hatte den Auftrag erhalten, den Utzméy
von Kaitach zu bewegen, sich und sein Volk dem russischen
Scepter zu unterwerfen. Trotz der großen und mannichfaltigen
Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung dieses
Unternehmens entgegenstellten, wußte sich Madatow seines
Auftrags so geschickt zu entledigen, daß er nicht allein
Adel-Chan zur Anerkennung der russischen Oberherrschaft
überredete, sondern den Fürsten noch bewog, seinen
erstgebornen Sohn Mohammed-Chan als Unterpfand seiner Treue
den Russen auszuliefern.
Dieser junge Prinz, welcher mit einer Tochter des als
General-Lieutenant in russischen Diensten stehenden
Schamchal-Mechti verheirathet war, erhielt die Weisung, in
Derbent im Hause und unter der Aufsicht des Generals zu
bleiben.
Aus der Befreundung des Utzméy von Kaitach mit Rußland
entsprang eine Quelle des Unglücks für Bala-Chan, da
Adel-Chan schon seit lange ein Todfeind seines Neffen war
und mit Eifer eine Gelegenheit suchte, ihn zu verderben. Er
klagte insgeheim Bala-Chan als einen Verräther an, und
gebrauchte alle Mittel des Trugs und der Verleumdung, ihn
bei der russischen Regierung in ein schlechtes Licht zu
setzen; er bezeichnete ihn als einen Aufwiegler des Volks,
der all' seinen Einfluß anwende, die Befestigung und
Ausdehnung der russischen Macht im Daghestan zu vereiteln;
er wußte es durch solche und ähnliche Beschuldigungen
endlich dahin zu bringen, daß Bala-Chan vor Gericht gezogen
und wie ein gemeiner Verbrecher nach Sibirien verbannt
wurde.
Ob diese Beschuldigungen gerecht oder grundlos waren,
konnte damals nicht ermittelt werden; genug, die russische
Behörde hatte dem verschmitzten Asiaten ihr Zutrauen
geschenkt, und Bala-Chan wurde gestürzt, zu spät sehen die
Russen ein, daß dieses unglücklichen Prinzen mehrfach
bewiesene Treue und Anhänglichkeit zu ihnen eben die Ursache
von des Utzméy unauslöschlichem Hasse war, und daß alle
Beschuldigungen, mit welchen Adel-Chan seinen Neffen
überschüttet hatte, als eine treue Schilderung seiner
eigenen Gesinnungen angesehen werden konnten.
Kurze Zeit, nachdem Adel-Chan sich den Russen
unterworfen, suchte er alle Verbindungen mit ihnen wieder
aufzulösen; er zeigte sich niemals in Derbent, und wenn
seine Gegenwart dort erfordert wurde, so schlug er sein
Lager vor den Thoren der Stadt auf, wo er der sich zu ihm
verfügenden Behörde Rechenschaft über seine Verwaltung
ablegte und neue Befehle entgegennahm. Bald auch Reue
darüber empfindend, daß er sich hatte überreden lassen,
seinen Sohn Mohammed-Chan als Geißel in die Hände der Russen
zu liefern, befahl er dem jungen Prinzen, sich heimlich
durch die Flucht wieder zu befreien. Dieser, dem Willen
seines Vaters Folge leistend, sinnt alsobald auf Mittel zur
Flucht. Er faßt den Entschluß, eine Mauer des Hauses zu
durchbrechen, zieht zu dem Ende einen treuen Diener in sein
Geheimniß, welcher die nöthigen Instrumente herbeischafft
und seinem Herrn bei der Arbeit treulich zur Hand geht.
Schon ist das Werk seinem Ende nahe, und alle Vorbereitungen
zur Flucht sind getroffen, als ein Zufall die Sache verräth,
in dem Augenblick, wo die Gefangenen zur Nachtzeit ihre
Entweichung bewerkstelligen wollen. Der Kommandant, welcher
durch seine Spione von dem Vorhaben des jungen Prinzen Kunde
erhalten, läßt Mohammed-Chan sogleich in strengern Gewahrsam
nehmen und ihn durch 25 Soldaten unter Anführung eines
Offiziers bewachen.
Bis zu dieser Zeit hatte der Utzméy, wie schon gesagt,
allen freundschaftlichen Annäherungen mit den Russen
auszuweichen gesucht, und war selbst den wiederholten
Aufforderungen des Generals Madatow, sich diesem in Derbent
persönlich vorzustellen, nicht nachgekommen. Als er aber
Kunde von der Entdeckung der beabsichtigten Flucht seines
Sohnes erhielt, und von den strengen Maßregeln, welche man
getroffen, um die Wiederholung eines ähnlichen Versuchs
unmöglich zu machen, entschloß er sich endlich zu einer
persönlichen Unterredung mit Madatow, machte jedoch die
Bedingung dabei, daß die Zusammenkunft außerhalb der Stadt
vor sich gehen solle, und daß es ihm (dem Utzméy) erlaubt
sei, unter beliebiger Bedeckung zu erscheinen. Diese
Bedingung wurde angenommen, und die Zusammenkunft fand im
Frühlinge des Jahres 1820 statt.
Der General hatte eine zahlreiche Truppen-Abtheilung vor
der Stadt aufgestellt, und begab sich selbst mit einem
glänzenden Gefolge zur anberaumten Zeit nach dem zur
Zusammenkunft bezeichneten Platze, wo auch bald darauf der
Utzméy erschien, gefolgt von tausend trefflich bewaffneten
Reitern. Madatow, der die hier zu spielende Rolle vorher
wohl durchdacht hatte, empfing den Herrscher von Kaitach,
wie ein Satrap seinen Gebieter. Er überschüttete Adel-Chan
mit Ehrenbezeugungen aller Art, ließ, nachdem die ersten
Bewillkommnungen vorüber waren, durch das beorderte
Detachement kunstvolle Manöver ausführen, und beobachtete
dabei auf's genaueste das unter den asiatischen Fürsten
bestehende altherkömmliche Ceremoniell.
Diesen die Zusammenkunft eröffnenden Festlichkeiten
folgte ein vom russischen General veranstaltetes großartiges
Mahl, an welchem der Utzméy mit den Vornehmsten seines
Gefolges Theil nahm. Unter dem Donner der Kanonen wurde
Adel-Chan's Gesundheit ausgebracht; darauf trug man auf
einen Wink des Generals die für den Utzméy und sein Gefolge
bestimmten prachtvollen Geschenke herbei; wiederum wurde auf
Adel-Chan's Gesundheit getrunken, und von neuem begann der
üppige Schmaus: kurz, Madatow hatte nichts versäumt
gelassen, der Eigenliebe seines fürstlichen Gastes zu
schmeicheln, seine Augen zu blenden und seinen Magen zu
überfüllen. Doch die größte Ueberraschung war dem Utzméy bis
zum Ende des Mahles aufgespart.
Kaum hatten sich die Gäste von der Tafel erhoben, so
wurde Mohammed-Chan, der bis dahin in so strengem Gewahrsam
gehalten war, frei in die Arme seines Vaters zurückgeführt.
Aber alle diese Freundlichkeiten und Ehrenbezeugungen
konnten den tief in der Brust wohnenden Russenhaß des
Asiaten nicht verscheuchen, obgleich Adel-Chan bei der zu
Ende des Festgelages mit Madatow gepflogenen Unterredung
sein Ehrenwort gab: hinfort jedesmal, wenn die Behörde es
für gut erachte, in Derbent zu erscheinen, allen zwischen
ihm und Madatow festgestellten Bedingungen getreu
nachzukommen, und bis zum Tode ein treuer Vasall des
Kaisers, seines Herrn, zu bleiben.
Kaum war er jedoch mit seinem Sohn zu Hause wieder
angekommen, so befahl er seiner ganzen Familie, sich
schleunigst reisefertig zu machen, ließ alles, was an
Geldern, Schmucksachen und sonstigen Kostbarkeiten
aufzutreiben war, zusammenraffen, und traf die Anstalten zur
Abreise mit solcher Eilfertigkeit, als ob er stündlich das
Hereinbrechen irgend eines drohenden Ungewitters fürchte. Er
flüchtete in das Land des Sultans von Awarien, und schickte
unterwegs einen Boten an Madatow ab, mit einem Brief dieses
Inhalts: »Ich bin bei Euch erschienen, meinen Sohn zu
befreien; mein Sohn ist frei. Kommt jetzt und herrscht in
meinem Lande: Adel-Chan kann keines andern Fürsten Unterthan
sein!« Diese Worte bezeichnen ganz den Charakter eines
asiatischen Despoten, dem jede Beschränkung seiner Macht
unerträglich ist.
Es regierte zu jener Zeit in Awarien der Sultan
Achmet-Chan, welcher den Utzméy gastfreundlich aufnahm und
ihm den volkreichen Aul Balakany, in einem gleichbenannten
Thalkessel gelegen, zum Asyl anwies, alle weitere Hülfe aber
seinem Gaste versagte.
Da die Einkünfte, welche Adel-Chan von diesem Aul bezog,
nicht ausreichten, seine Familie zu unterhalten, so sah er
sich genöthigt, nach und nach alle von Kaitach mitgenommenen
Gelder und Kostbarkeiten zuzusetzen. Inzwischen hatten sich
die Russen seines Landes bemächtigt und die Verwaltung
desselben dem ihnen treu ergebenen Emir-Hamsa, dem nächsten
Verwandten Adel-Chan's, anvertraut, welcher unter russischem
Schutze fast unumschränkt über Kaitach herrschte, ohne
jedoch den Titel Utzméy führen zu dürfen. Dem edlen
Emir-Hamsa war das bittere Loos seines unschuldig nach
Sibirien verbannten Bruders, von dem er nicht wußte, ob er
todt oder lebendig war, tief zu Herzen gegangen. Seit dem
Tage seiner Trennung von Bala-Chan war ihm keine Nachricht
von dem Schicksal des Unglücklichen zu Ohren gekommen. Er
hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, jemals wieder von
seinem geliebten Bruder zu hören, als ihm seine Diener eines
Tags die Ankunft eines fremden Tataren melden, welcher zum
Fürsten geführt zu werden verlange unter dem Vorwand: er
habe ihm Sachen von der größten Wichtigkeit mitzutheilen.
Der Tatar wird vorgelassen und überreicht dem erstaunten
Emir-Hamsa einen Brief und zwei Feuersteine als Botschaft
von seinem todtgeglaubten Bruder Bala-Chan. Der Brief enthält eine kurze
Schilderung der Leiden, welche der Unglückliche im wüsten
Sibirien, zusammengeworfen mit den rohesten Verbrechern,
auszustehen hat. Der vor Rachsucht glühende Prinz ruft
seinen Bruder, als den nächsten Verwandten, zur Erfüllung
der heiligen Pflicht der Blutrache an Adel-Chan, dem Urheber
seines Unglücks, auf, und übersendet ihm zu dem Behuf, der
Sitte gemäß, als Symbol die beiden Feuersteine.
Der Emir verstand den Willen seines Bruders, doch wie
sollte er gleich eine Gelegenheit zu der selbst
auszuführenden Strafe finden? Denn Adel-Chan, das ersehene
Opfer, wohnte im Innern von Awarien, und war weit aus dem
Bereiche seines Arms. Die Gelegenheit, die auf ihn gewälzte
Racheschuld abzutragen, fand sich schneller als der Emir
glaubte, wie denn überhaupt das Geschick dem Menschen bei
der Ausführung einer bösen That immer fördernd unter die
Arme zu greifen scheint und die That dem Gedanken folgen
läßt.
Der an einen üppigen Lebenswandel gewöhnte Adel-Chan
hatte, wie wir schon oben bemerkt, sich genöthigt gesehen,
bei seinen geringen, ihm aus dem Aul Balakany zufließenden
Einkünften zur Unterhaltung seiner Familie den größten Theil
der mitgenommenen Habseligkeiten zuzusetzen. Jetzt war es
damit ganz zu Ende gegangen, und da ihm der Sultan von
Awarien jede weitere Unterstützung versagte, so ergriff er
das letzte ihm übrigbleibende Mittel: die Hülfe seines
Neffen Emir-Hamsa zu erflehen. Er schildert ihm in den
grellsten Farben seine unglückliche Lage, bittet ihn, zu
seinen Gunsten dem Throne zu entsagen, und seinen Einfluß
bei der russischen Regierung anzuwenden, daß ihm sein
väterliches Erbe zurückerstattet werde. Er verspricht dafür
den Russen Gehorsam, Treue und Förderung ihrer Interessen,
so viel in seinen Kräften stehe. Für die Aufrichtigkeit
seiner Gesinnungen will er mit seinem Leben bürgen.
Der Emir empfand bei dieser Botschaft eine Freude, der
eines Tigers gleich, der in der Ferne sichern Raub erspäht.
Er hoffte in den mit Adel-Chan anzuknüpfenden
Unterhandlungen einen günstigen Augenblick zu finden, das
Gericht der auf seine Seele gewälzten Blutrache zu
vollstrecken.
Unverzüglich eilt Emir-Hamsa nach Derbent zum dermaligen
Kommandanten, Oberst-Lieutenant von Ascheberg, macht diesem
die Anzeige, daß der Utzméy durch eine eben angelangte
Botschaft den Wunsch geäußert, eine geheime nächtliche
Zusammenkunft zu haben; der Grund dieser beabsichtigten
Zusammenkunft sei ihm unbekannt, doch glaube er aus seinen
persönlichen Erfahrungen, so wie aus dem bisher gezeigten
treulosen Benehmen des Utzméy schließen zu dürfen, daß
derselbe wieder etwas Schlimmes gegen die Russen im Schilde
führe; er erbitte sich daher im Interesse der russischen
Verwaltung die Erlaubniß, ganz nach eigenem Gutachten bei
der bevorstehenden Unterredung zu verfahren, selbst wenn es
die Umstände erheischen sollten, daß der Utzméy der
Gefangenschaft oder dem Tode anheimfalle.
Der Kommandant nimmt keinen Anstand, die erbetene
Erlaubniß zu ertheilen. Sogleich sendet Emir-Hamsa dem
Utzméy seine Einwilligung zu der vorgeschlagenen
Unterredung, und bestimmt ihm als Ort ihrer Zusammenkunft
das hochgelegene Dorf Mendshalissa, macht jedoch zur
Bedingung, daß jeder von ihnen nicht mehr als zwei Begleiter
mit sich führen dürfe. Die Unterredung sollte mit dem Dunkel
der Nacht beginnen.
Emir-Hamsa hatte, seinen eigenen Bedingungen ungetreu,
funfzig trefflich bewaffnete Reiter im Hinterhalt versteckt,
und erwartete, glühend vor Rachsucht, seinen Oheim Adel-Chan,
welcher auch nicht verfehlte, sich zur bestimmten Zeit
einzustellen, begleitet von seinem Sohn Mohammed-Chan und
einem Kuli
aus seinem Gefolge. Nach Beendigung der gegenseitig mit
erheuchelter Herzlichkeit ausgedrückten weitschweifigen
Freundschafts- und Ehrenbezeugungen setzten sich die beiden
Fürsten auf zu dem Ende ausgebreiteten
Burken einander gegenüber. Jeder der beiden
gebrauchte jedoch nach daghestanischer Sitte die Vorsicht,
sein Gewehr mit gespanntem Hahn vor sich auf den Knieen zu
halten, um im Fall einer Verrätherei augenblicklich zur
Gegenwehr bereit zu sein; das Feuergewehr des Emir aber war
mit zwei Kugeln geladen, und am Schloß desselben war einer
der Flintensteine von Bala-Chan.
Die Unterhandlung dauerte sehr lange. Der Utzméy
schilderte in gesuchten Ausdrücken all' sein ausgestandenes
Ungemach, die Mißhandlungen, welche sein Sohn während seiner
Haft in Derbent von Seite der Russen erfahren, die
Entbehrungen, welchen er und seine ganze Familie während
ihres freiwilligen Exils ausgesetzt gewesen seien u. s. f.
Er beschloß seine Rede mit der Versicherung, daß er das
Thörichte seines Schritts, dem Thron zu entsagen und sein
Land zu fliehen, jetzt eingesehen habe, und sich reumüthig
den weitern Verfügungen der russischen Behörde unterwerfen
werde, wenn er dadurch Wiedereinsetzung in seine frühern
Rechte erlangen könnte.
Emir-Hamsa hörte ihm ruhig zu, und unterbrach nur hin und
wieder den Strom seiner Rede durch Worte des Beifalls und
der Ergebenheit. Er versicherte ihm, daß er all' seinen
Einfluß bei den Russen anwenden werde, um Begnadigung für
ihn zu erwirken. Er habe auch, fügte er hinzu, bereits alles
mögliche gethan, um der Sache eine günstige Wendung zu
geben, und sei vom Kommandanten von Derbent beauftragt,
einige vorläufige Verfügungen in Betreff dieser
Angelegenheit mitzutheilen, jedoch könne dies nur unter vier
Augen geschehen, weshalb er ihn bitten müsse, seine beiden
Begleiter auf einige Augenblicke zu entfernen. Adel-Chan
befahl seinem Sohn Mohammed und dem Kuli, sich
zurückzuziehen, bis er sie rufen werde. Der Kuli gehorchte
stillschweigend dem Befehl seines Herrn; Mohammed aber, der
Besorgniß zu hegen schien, blieb unbeweglich auf seinem
Platze.
»Nun – fragte neugierig Adel-Chan, welcher das
Zurückbleiben seines Sohnes nicht zu bemerken schien – worin
besteht Dein Auftrag?« »Ich habe Dir gesagt – erwiederte
unwillig Emir-Hamsa – daß die Nachrichten, welche ich Dir
mitzutheilen habe, für Dich allein bestimmt sind; warum
schickst Du Deinen Sohn nicht fort? Fürchtet er etwa für
seines Vaters Sicherheit?« »Fort, Bursch!« rief der Alte
ärgerlich Mohammed-Chan zu, »glaubst Du, Dein Vater wird
sich vor einem bartlosen Knaben fürchten?« Diesesmal
gehorcht Mohammed dem strengen Befehl des Utzméy, bleibt
jedoch mit immer steigender Besorgniß in einiger Entfernung
stehen, und sucht, soweit dies in der Dunkelheit möglich,
mit scharfem Auge den Bewegungen der beiden Fürsten zu
folgen. Die Unterhaltung dauert noch eine gute Weile fort;
endlich sieht er, wie die beiden sich erheben, unter vielen
Zärtlichkeits-Bezeugungen Abschied von einander nehmen und
auseinander gehen. Er eilt freudig seinem ihn rufenden Vater
entgegen; da flammt es plötzlich hell durch die Nacht, ein
lautkrachender Schuß fällt – und der Utzméy sinkt, von zwei
Kugeln getroffen, leblos zu Boden nieder.
Der Schuß kam aus der Flinte mit dem Feuersteine von
Bala-Chan. Der Mörder flieht nach vollbrachter That mit
seinen beiden Begleitern dem Orte zu, wo die funfzig
bewaffneten Reiter verborgen lagen.
Der vor Rachsucht tobende Mohammed folgt den drei
Flüchtigen, erreicht sie und will sich auf seinen Feind
werfen, kann aber im Dunkel der Nacht den Emir von seinen
Begleitern nicht unterscheiden; alle drei sind von gleicher
Größe, in gleicher Kleidung und übereins bewaffnet. Der Emir
hatte seinen Plan gut ersonnen und war in der Wahl seiner
Beute vortrefflich zu Werke gegangen. Mohammed-Chan hatte an
Feuerwaffen nur eine Pistole und eine Flinte bei sich, und
mußte daher erst seines Zieles ganz sicher sein, ehe er
wagen konnte zu schießen; endlich glaubt er den Verräther
entdeckt zu haben: er drückt ab, und es fällt einer von den
dreien – er hatte falsch gesehen, der Getödtete war nicht
Emir-Hamsa. Er feuert sein Pistol ab, wieder fällt ein
Opfer; er wirft sich wüthend auf die Leiche, sicher, seinen
Feind getroffen zu haben; aber auch diesmal hat er sich
geirrt; der Getödtete war der zweite Begleiter Emir-Hamsa's,
welcher selbst wie durch ein Wunder gerettet zu sein schien.
Knirschend vor Beutewuth wie ein Tiger der Wüste springt
Mohammed auf und stürzt mit gezücktem Dolche seinem
fliehenden Vetter nach; dieser hat aber inzwischen einen
bedeutenden Vorsprung gewonnen und Zeit gehabt, seinen
Reitern das verabredete Zeichen zu geben; er befiehlt ihnen,
nach der Richtung hin zu feuern, wo er seinen Verfolger zu
entdecken glaubte; wie ein Wetterleuchten flammt es
plötzlich durch die Nacht, und der Donner von funfzig
Flintenschüssen rollt wie lautschallendes Hohngelächter
hinterher.
Mohammed ist noch zu weit entfernt, um getroffen zu
werden, aber das Unerwartete des verrätherischen Angriffs
macht ihn stutzen; er sieht, daß hier seiner Feinde zu viele
sind, eilt zurück und kommt athemlos wieder bei der noch
blutigen Leiche seines Vaters an. Er wirft sich auf ihn und
bedeckt das schon kalte Gesicht mit Küssen und mit Thränen
der Wuth und des Schmerzes; dann reißt er zum furchtbaren
Andenken eine lange Pistole aus seines Vaters Gürtel, als
Zeichen der blutigen Rache an Emir-Hamsa.
Herr, hört Ihr nicht den Roßhufhall unserer nachsetzenden
Feinde? – ruft herbeieilend der Kuli – wir haben keinen
Augenblick zu verlieren.
Sie eilten im Fluge der Stelle zu, wo ihre Pferde
standen, schwangen sich in den Sattel und jagten davon,
schnell wie der Wind, der die Steppe fegt . . . Ein drittes
Pferd stand gesattelt, aber kein Reiter war da.
Der Leichnam des Utzméy wird gefunden, und am folgenden
Tage läßt ihn sein Neffe Emir-Hamsa zur Erde bestatten mit
so viel Pracht und Aufwand, daß die Kosten sich über tausend
Silberrubel beliefen. Die Leichen-Festlichkeiten dauerten
sieben Tage lang, während welcher Zeit auf Befehl des Emir
alle Bewohner von Kaitach ihren Fürsten beweinen und die
Zeichen der Trauer anlegen mußten. Nach der Beerdigung
seines Oheims schickte Emir-Hamsa einen Boten an den
Kommandanten von Derbent, mit der Nachricht: er habe Rußland
von einem heimtückischen und mächtigen Feinde befreit. Die
russische Regierung, um sich erkenntlich für diesen Schritt
zu zeigen, ernannte den jungen Emir zum Capitain.