Zwanzigstes KapitelAdel-Chan, der letzte Utzméy von
Kaitach
(Schluß)
Ich bin, aufrichtig gesagt, in diesem
Augenblick ein wenig in Verlegenheit, wie ich den Faden
meiner Erzählung weiter spinnen soll. An Stoff fehlt es
freilich nicht, es ist vielmehr Ueberfluß daran vorhanden;
das Unangenehme besteht nur darin, daß sich unter der Menge
der hier vorkommenden Bilder viele gar zu sehr unter
einander ähnlich sehen. Mord folgt auf Mord, Verrath auf
Verrath, und Hochzeit auf Hochzeit.
Wenn ich einen Roman schriebe, könnte ich mir die Sache
sehr erleichtern, alles Störende sondernd ausscheiden, die
Lücken durch interessante Episoden ergänzen, jedem Räuber
einen sentimentalen Tugendhelden zur Seite stellen, den
handelnden Personen schöne Phrasen in den Mund legen, durch
eine absichtliche Verwickelung eine spannende Entwickelung
herbeiführen, und was dergleichen Hülfsmittel mehr sind. So
aber bin ich genöthigt, festen Schrittes auf dem nackten Boden
der Wirklichkeit fortzuwandeln und jedem lockenden Rufe der
Phantasie ein taubes Ohr zu leihen, wenn ich meiner Aufgabe,
eine ungeschmückte wahrhafte Schilderung merkwürdiger
Thatsachen in möglichst engem Rahmen vor die Augen des Lesers
zu führen, nicht untreu werden will. Ich nehme daher keinen
Anstand, hier wieder mit einer Liebesgeschichte zu beginnen,
obgleich ich erst das vorhergehende Kapitel mit einer solchen
beschlossen habe.
Elder-Beg liebte Fatima, die jüngere Tochter Ibul-Begs,
deren Anmuth und Schönheit so groß war, daß noch heute in den
Aulen des Daghestan Lieder zu ihrem Preise gesungen werden.
Fatima's Eltern machten Schwierigkeiten, ihre Einwilligung zu
der Heirath zu geben, da nach den Adelsgesetzen des Daghestan
die in der Ehe mit einer jüngern Tochter des Hauses gezeugten
Kinder nicht als Begs angesehen werden; sie schlugen daher dem
Bewerber die Hand ihrer ältesten Tochter Bikä vor. Elder-Beg
aber, von Leidenschaft hingerissen, schwur auf den Koran, kein
anderes Weib, als Fatima, heimzuführen und blutige Rache zu
nehmen, wenn man sie ihm verweigerte. Er gelobte beim
Propheten, trotz allen Adelsgesetzen, die Kinder, welche ihm
Fatima gebären werde, falls es Knaben sein sollten, als Begs
anzuerkennen. Die besorgten Eltern ließen sich durch
Elder-Begs Schwüre beschwichtigen und gaben ihm ihre Tochter
zur Frau. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden mit
ungewöhnlichem Glanze und Aufwande, unter Beobachtung der im
Daghestan herkömmlichen Förmlichkeiten, vollzogen.
Da jedoch nur Wenigen in Europa die bei einer Hochzeit im
Daghestan üblichen Förmlichkeiten bekannt sein werden, so
dürfte eine kurze Schilderung derselben hier vielleicht an
ihrem Platze sein. Wir werden dabei einen Augenblick von
unserer Erzählung ausruhen und die angedeutete Schilderung
hier als Episode einschalten, unter dem Titel:
Hochzeitsgebräuche im Dhagestan.
Nach altherkömmlicher Sitte des Landes soll der Bräutigam
vor der Hochzeit seine Auserkorene nicht sehen. Von dieser
alten Regel finden jedoch im Daghestan unter hundert
Beispielen neun und neunzig Ausnahmen statt.
Zwar würde kein Muselmann den Frevel begehen, unerlaubt die
wohlverwahrten und heilig gehaltenen Gemächer der Frauen zu
betreten, aber die Frauen sind auch nicht immer so
eingekerkert und bewacht, wie man irrthümlich glaubt. Bei
schönem Wetter spielen und tanzen die Mädchen gewöhnlich
Stunden lang, wie am Tage so Abends beim Mondenschein, zum
Schalle der Tamburine auf den Dächern der Häuser. Da
schleichen denn die jungen Bewerber liebäugelnd umher, um von
irgend einer Schönen einen freundlichen Wink oder einen
gunstverheißenden Blick zu erspähen.
Zwar sind die Gesichter der Tatarinnen immer mit Tüchern
verhüllt, doch wissen die hübschen ihre Tücher stets so zu
binden oder nach Umständen so zu verschieben, daß ein
aufmerksamer Beobachter vom Gesicht genug sehen kann, um das
Uebrige zu errathen. Zudem gehen die Mädchen bis zum zwölften
Jahre unverschleiert, und so läßt sich denn leicht von der
Knospe ein ziemlich richtiger Schluß auf die entfaltete Blume
machen. Ist erst einmal ein gegenseitiges Wohlgefallen
sichtbar, so wird mittelst der hier durch die Nothwendigkeit
in hohem Grade ausgebildeten Blumen- und Zeichensprachen
leicht ein näheres Verständniß herbeigeführt. Will der
Bewerber nun heirathen, so schickt er als Vermittler einen
achtbaren Freund oder Verwandten zum Vater der Braut, zur
Mutter derselben aber einige alte Matronen seiner
Verwandtschaft. So werden denn mit vieler Wichtigkeit die
Unterhandlungen eröffnet.
Der Vater giebt sein Jawort nicht sogleich, sondern
verlangt erst Bedenkzeit; bestimmt jedoch genau den Tag, an
welchem die Antwort erfolgen soll. Dann wird die Sache
weitläufig zwischen der Mutter und den Verwandten berathen,
Erkundigungen über die Vermögensumstände, über die Sitten und
die Verwandtschaft des Bewerbers eingezogen u. s. f.
Erfolgt endlich am bestimmten Tage die Zusage, so beginnen
neue Unterhandlungen um den Käbin oder die Kaufsumme, welche
dem Vater der Braut ausbezahlt werden muß. Am Vorabend der
Hochzeit begiebt sich der Bräutigam mit seinen Freunden ins
Bad. Nach Beendigung der vorgeschriebenen Waschungen wendet
sich der Zug unter dem Schalle der Tamburine und des
Dudelsacks wieder der Wohnung des Bräutigams zu, der von zwei
Knaben begleitet wird, wovon einer zur Linken und der andere
zur Rechten geht. Im Hause beginnen alsdann die inzwischen
schon vorbereiteten Schmausereien und Festlichkeiten. Die
Braut befolgt dasselbe Ceremoniell. Auch ihr gehen zwei kleine
Mädchen zur Seite, und sie bewirthet ebenfalls ihre
Freundinnen, und wird von diesen zur Hochzeit geschmückt. Am
folgenden Morgen erscheinen die Verwandten und Freunde des
Bräutigams auf festlich geschmückten Pferden und gefolgt von
ohrenzerreißender Musik, um die harrende Braut abzuholen,
welche gehörig aufgeputzt und verschleiert, auf einen Esel
gesetzt wird, während, je nach dem Bedürfniß, eine oder
mehrere
Arba's ihre Kleider, Geräthschaften, kurz ihre ganze
Aussteuer zur Schau nachführen.
Die Sitte erheischt, daß die Braut dem Bräutigam von seinen
Verwandten entgegengeführt werde, doch haben diese keine
geringe Mühe, die Neuvermählte den Armen ihrer Freunde und
Angehörigen zu entreißen, welche zum Schein alles Mögliche
aufbieten, die zu Entführende mit Gewalt zurückzuhalten. Es
entspinnen sich nun zwischen den beiden Parteien scherzhafte
Kämpfe und Gefechte um den Besitz der Braut, wobei geschossen,
geschrien, getrommelt und gelärmt wird, daß einem die Ohren
gellen. Feuert irgend einer der Gäste sein Gewehr auf den
Boden ab, statt in die Luft zu schießen, so wird dies als ein
großer Schimpf für die Braut betrachtet, welcher gewöhnlich
mit dem Tode bestraft wird. Ueberhaupt ist es hier nichts
Seltenes, daß sich bei diesen Scherzkämpfen ein paar Gäste die
Hälse brechen. Der indessen voll Verlangen der Ankunft seiner
Braut harrende Bräutigam eilt derselben, sobald er den Zug
sich nähern sieht, entgegen, um sie in Begleitung der beiden
Schutzengel zu empfangen. Der ihm zur Rechten gehende Knabe
nimmt ihm seine Leibbinde ab, und umschlingt mit derselben die
Braut, worauf sich der junge Gatte, so wie alle Anwesenden,
die Hand aufs Herz legend, tief vor ihr verbeugen, und die
Neuvermählte sammt ihrem Gefolge in die hochzeitlich
geschmückten Frauengemächer des Hauses führen.
***
Nicht lange sollte Elder-Beg der lieblichen Fatima Gemahl
sein. Im Jahre 1835 starb sein Bruder Beg-Bala, ob durch Gift
oder eines natürlichen Todes, hat nicht ermittelt werden
können, und die Herrschaft von ganz Kaitach ging nun in
Elder-Begs Hände über.
Pachu-Bikä, die Wittwe Beg-Bala's, war ein Weib von
ungewöhnlichem Verstande und bezaubernder Persönlichkeit,
dabei etwas leichter Sinnesart, und, obwohl sie schon ihr
dreißigstes Jahr zurückgelegt hatte, noch immer so kokett und
verführerisch, daß selten ein Mann, auf den sie es abgesehen,
ihren Netzen entging. Sie war früher schon mit ihrem Vetter
Dshamow-Beg verheirathet gewesen, hatte sich jedoch nach kaum
dreimonatlichem Zusammenleben mit diesem Prinzen in die Arme
Beg-Bala's geworfen, dessen unumschränkte Gebieterin sie bis
zu seinem Tode blieb. Kaum war ihr zweiter Gatte beerdigt, als
sie sich schon wieder nach einem dritten umsah, und wenn sie
diesmal Elder-Beg zum Gegenstand ihrer Wahl machte, so geschah
dieses vielleicht weniger aus Liebe als aus Ehrgeiz: die
herrschsüchtige Pachu-Bikä wollte Gattin des Fürsten von
Kaitach sein. Auch wußte sie durch ihre Ränke und buhlerischen
Künste bald eine solche Gewalt über Elder-Beg zu gewinnen, daß
dieser seine junge und schöne Gattin verstieß und die stolze
Pachu-Bikä an ihren Platz setzte.
Die unschuldig verstoßene Fatima floh in ihr elterliches
Haus, um Schutz bei ihren Brüdern, den Söhnen Ibul-Begs, zu
suchen, welche, obwohl sie Unterthanen des Elder-Beg waren,
dem Treulosen blutige Rache für die Beschimpfung ihrer
Schwester schworen.
Die beiden Familien, deren unheilvolles, durch den Dämon
der Blutrache herbeigeführtes Schicksal ich in diesen Blättern
theilweise zu schildern versucht habe, waren, wie sich der
freundliche Leser erinnern wird, die des Utzméi Adel-Chan und
die des Schwagers dieses Fürsten, Murtosali. Von Murtosali's
vier Söhnen: Bula-Chan, Emir-Hamsa, Beg-Bala und Elder-Beg,
war, wie wir gesehen haben, nur noch der letztere am Leben
geblieben.
Von Adel-Chans Nachkommen leben noch Mohammeds jüngere
Brüder Dshamow-Beg und Ußmar-Chan. Der letztgenannte, zu der
Zeit, wo er handelnd in unserer Erzählung auftritt, etwa
siebzehn Jahre alt, zeichnete sich von früher Kindheit an
durch ein kühnes, dabei aber hochfahrendes und prahlerisches
Wesen aus. Er behandelte seinen älteren Bruder Dshamow-Beg,
den er der Feigheit beschuldigte, mit Spott und Verachtung,
und pflegte zu sagen, wenn er, (Ußmar-Chan) zur Zeit der
Ermordung seines Vaters nur funfzehn Jahre alt gewesen wäre,
so hätte er Adel-Chans Tod nicht eine Stunde ungerächt
gelassen. Dshamow-Beg, seines jüngern Bruders höhnische Worte
für kindisches Geschwätz haltend, achtete weiter nicht darauf;
dieser aber sollte bald Gelegenheit finden, seine Worte zu
Thaten zu machen. Mirsa-Beg und Abdu-Dshamal, die Brüder der
von Elder-Beg verstoßenen Fatima, sannen auf Rache gegen den
treulosen Verführer ihrer Schwester, und waren daher
hocherfreut, in dem mordsüchtigen Ußmar-Chan einen
eifersüchtigen Theilnehmer ihrer blutigen Plane zu finden.
Inzwischen nahte das Osterfest des Jahres 1836. Die
Verschwornen hatten den ersten Ostertag zur Ausführung ihres
Vorhabens festgesetzt, da sie wußten, daß Elder-Beg an diesem
Tage unfehlbar nach Welikent reisen werde, um dem dort
residirenden russischen Pristaff, Capitän von Sommer, seine
Glückwünsche abzustatten. Sie begaben sich daher am genannten
Tage nach Welikent, begleitet von vier Nukers von erprobter
Treue und Tapferkeit. Der Morgen vergeht, und Elder-Beg kommt
nicht. Mit immer steigender Ungeduld harren die Verschwornen
der Ankunft ihres Opfers; schon bricht der Abend an, und ihr
Feind ist noch nicht da.
Ußmar-Chan und seine Gefährten bringen die Nacht in
peinigender Unruhe zu.
Endlich am andern Morgen erscheint Elder-Beg, und begiebt
sich, begleitet von Dschänka, Nuker-Beg, Ali-Iskjander-Beg
(Sohn des Kadi von Tabassaran) und drei auserlesenen Nukers,
in die Wohnung des
Pristaffs,
während zwanzig andere Nukers, welche den Beschluß des
Gefolges bilden, Wache vor der Thüre halten.
Ußmar-Chan hatte nicht sobald die Ankunft des Fürsten
erfahren, als er auch mit seinen Gefährten ungesäumt in das
Haus des Pristaffs eilte. Er tritt in den Saal. Elder-Beg,
welcher auf dem Divan sitzt, erhebt sich bei dem Eintritt
seines Vetters und bietet diesem, nach dem Vorrecht des
Alters, einen Platz zu seiner Seite an. Die beiden Verwandten
bewillkommnen sich anscheinend mit der größten Herzlichkeit,
und trinken während des Frühstücks, welches bald darauf
aufgetragen wird, einer auf des andern Wohl. Capitän Sommer,
welcher die gegenseitigen Freundschaftsbezeugungen und die
lebhafte Unterhaltung der beiden Fürsten sieht, entfernt sich
auf ein Viertelstündchen, um weitere Verfügung hinsichtlich
der Bewirthung seiner Gäste zu treffen. Kaum hat der Capitän
das Zimmer verlassen, als einer von Ußmars Nukers an's Fenster
tritt, den Blick umherschweifen läßt, und sich dann wieder zu
seinem Herrn wendet mit den Worten: Atler haserler –
die Pferde sind bereit. Dies war das verabredete Zeichen.
Noch saßen die beiden Fürsten in freundlichem Zwiegespräch
auf dem Divan; ihren Herren zur Seite standen die Begleiter
und Diener. Bei den Worten seines Nukers aber erhebt sich
ruhig Ußmar und tritt ans Fenster. Indem er so hinaus sieht,
spannt er unbemerkt den Hahn seines mit zwei Kugeln geladenen
Pistols, wendet sich mit Blitzesschnelle und feuert es ab auf
Elder-Beg, welcher tödtlich getroffen zu Boden sinkt. Ein
tiefes Schweigen folgte dieser That. Ußmar selbst, solcher
Scenen noch ungewohnt, stand wie versteinert da. Die Stille
wurde nur durch das Stöhnen und die letzten krampfhaften
Anstrengungen des Sterbenden unterbrochen, welcher sich
vergebens bemühte, den Kinshal aus der Scheide zu ziehen, zur
Rache gegen den Mörder.
Da rief einer von Fatima's Brüdern, sich mit einem Fluche
zu Ußmar wendend: »Erschrickst Du ob Deiner eigenen That,
Feigling? Was schonst Du Elders? Warum durchbohrst Du den
Verräther nicht mit Deinem Kinshal?« Ußmar erwachte aus seiner
kurzen Betäubung, riß den Kinshal aus der Scheide, und führte
damit einige wüthende Stiche auf Elders Haupt. Jetzt erst
schwindet wie durch einen Zauber die Unentschlossenheit,
welche bis dahin die Begs und Nukers des Ermordeten zu stummen
und unthätigen Zeugen der Schreckensthat gemacht hatte. Sie
ergreifen Pistolen und Kinshals und werfen sich wüthend auf
ihre Gegner. Der erste Schuß gilt Ußmar, der sofort blutend zu
Boden stürzt. Sein treuer Nuker Bochan stellt sich jedoch, den
Kinshal in der Rechten, vor den Gefallenen, um ihn zu
schützen; er bemüht sich, seinen Herrn unter den Divan zu
schieben, um ihn vor weiteren Verletzungen sicher zu stellen
und ihn bis aufs Aeußerste zu vertheidigen.
Vor der Leiche Elder-Begs stand dessen Gastfreund
Iskjander-Beg, den starken Dolch in der Hand, seine drohenden
Blicke auf Bochan gerichtet. Inzwischen dauert zwischen dem
Gefolge der beiden gefallenen Fürsten der Kampf ununterbrochen
fort. Ein dicker Rauch füllt in Kurzem das nur etwa fünf Faden
große Gemach, so daß kaum noch der Feind den Feind zu
unterscheiden vermag. Mitten unter den Todten und Sterbenden
standen trotzig einander gegenüber Bochan und Iskjander vor
den Leichen ihrer Gebieter.
Indessen war es Ußmars auf den Lärm herbeigeeilten
Pferdeknechte gelungen, von außen die inwendig verriegelte
Thür zu erbrechen und in den Saal zu kommen. Obgleich anfangs
betäubt von dem furchtbaren Anblick, der sich ihm darbot,
erspähte er doch bald den Gegenstand seiner Rache. Wie ein
Tiger auf seine Beute wirft er sich wild auf Iskjander; ein
Kampf auf Leben und Tod entspinnt sich unter ihnen, bis Beide,
durch den Blutverlust geschwächt, winselnd zu Boden stürzen.
Da sprach Bochan, der rings um sich her nur Todte und
Verscheidende sah: »Lebe wohl, Ußmar, ich habe das Meine
gethan!« Der im Kampf mit Iskjander gefallene Stallknecht
erhebt sich mit letzter Anstrengung vom Boden und entgegnet:
»Was? Schurke! Du, des Chans erster Nucker, der Du den
Plow mit ihm aus einer Schüssel aßest, verlässest
Deinen Herrn in diesem Augenblick, während ich, der in seinem
Stalle schlief und mich von den Brosamen nährte, die von Eurem
Tische fielen, für ihn sterbe?« Also sprechend, schleuderte er
seinen Dolch auf Bochan, aber der mit unsicherer Hand
geworfene Stahl verfehlte sein Ziel. Bochan blieb am Leben und
verließ das Gemach eben, als der treue Kuli, von der
Anstrengung erschöpft, seinen letzten Seufzer aushauchte.
Jetzt drang der Pristaff, gefolgt von Soldaten, in den
Saal, und schaute mit Entsetzen die grauenvolle Scene an.
Dicke Blutwellen flossen im Zimmer; zwölf todte Menschen lagen
auf dem Boden. Iskjander allein gab noch Zeichen des Lebens
von sich, aber das Blut troff ihm aus Kopf und Brust. Mühsam
richtete der Sterbende sich auf und sagte mit gebrochener
Stimme: »Ich habe in Elders Vertheidigung Muth gezeigt und
meinen Freund gerächt; ich scheide vom Leben, zufrieden mit
mir selber.« Mit diesen Worten schleuderte er, gewaltsam seine
letzten Kräfte sammelnd, den Dolch gegen die Decke des
Zimmers, daß er tief in das Holz eindrang. Kurz darauf
verschied Ali-Iskjander-Beg. Und so fanden in diesem kurzen
aber blutigen Kampfe dreizehn Menschen ihren Tod: drei Begs,
drei Dschänkas, sechs Nukers und ein Stallknecht. Bochan
allein blieb am Leben, und entkam glücklich nach seinem
Geburtsort Akuscha.
Wer von Derbent nach Kislar reist, und auf der ersten
Station Welikent nach dem Hause des Pristaffs fragt, dem zeigt
man noch jetzt das Gemach, wo diese schreckliche Begebenheit
sich zugetragen; noch sieht man an der Decke die Spuren von
dem Kinshal Ali-Iskjander-Begs, und die Einwohner erzählen dem
Fragenden gern das tragische Ereigniß des zweiten Ostertages
des Jahres 1836, jedoch mit Zusätzen und Uebertreibungen aller
Art, denn wenigen nur sind die näheren Umstände und der wahre
Zusammenhang dieser Geschichte bekannt.
Dshamow-Beg ist der einzige noch lebende Sprößling der
Geschlechter Adel-Chans und Murtosalis. Er bekleidet das Amt
eines Oberstlieutenants in russischen Diensten, und verwaltet
noch heute das den russisch-kaukasischen Besitzungen jetzt
ganz einverleibte Utzméilik von Kaitach.