Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Zwanzigstes Kapitel

Adel-Chan, der letzte Utzméy von Kaitach

(Schluß)

Ich bin, aufrichtig gesagt, in diesem Augenblick ein wenig in Verlegenheit, wie ich den Faden meiner Erzählung weiter spinnen soll. An Stoff fehlt es freilich nicht, es ist vielmehr Ueberfluß daran vorhanden; das Unangenehme besteht nur darin, daß sich unter der Menge der hier vorkommenden Bilder viele gar zu sehr unter einander ähnlich sehen. Mord folgt auf Mord, Verrath auf Verrath, und Hochzeit auf Hochzeit.

Wenn ich einen Roman schriebe, könnte ich mir die Sache sehr erleichtern, alles Störende sondernd ausscheiden, die Lücken durch interessante Episoden ergänzen, jedem Räuber einen sentimentalen Tugendhelden zur Seite stellen, den handelnden Personen schöne Phrasen in den Mund legen, durch eine absichtliche Verwickelung eine spannende Entwickelung herbeiführen, und was dergleichen Hülfsmittel mehr sind. So aber bin ich genöthigt, festen Schrittes auf dem nackten Boden der Wirklichkeit fortzuwandeln und jedem lockenden Rufe der Phantasie ein taubes Ohr zu leihen, wenn ich meiner Aufgabe, eine ungeschmückte wahrhafte Schilderung merkwürdiger Thatsachen in möglichst engem Rahmen vor die Augen des Lesers zu führen, nicht untreu werden will. Ich nehme daher keinen Anstand, hier wieder mit einer Liebesgeschichte zu beginnen, obgleich ich erst das vorhergehende Kapitel mit einer solchen beschlossen habe.

Elder-Beg liebte Fatima, die jüngere Tochter Ibul-Begs, deren Anmuth und Schönheit so groß war, daß noch heute in den Aulen des Daghestan Lieder zu ihrem Preise gesungen werden. Fatima's Eltern machten Schwierigkeiten, ihre Einwilligung zu der Heirath zu geben, da nach den Adelsgesetzen des Daghestan die in der Ehe mit einer jüngern Tochter des Hauses gezeugten Kinder nicht als Begs angesehen werden; sie schlugen daher dem Bewerber die Hand ihrer ältesten Tochter Bikä vor. Elder-Beg aber, von Leidenschaft hingerissen, schwur auf den Koran, kein anderes Weib, als Fatima, heimzuführen und blutige Rache zu nehmen, wenn man sie ihm verweigerte. Er gelobte beim Propheten, trotz allen Adelsgesetzen, die Kinder, welche ihm Fatima gebären werde, falls es Knaben sein sollten, als Begs anzuerkennen. Die besorgten Eltern ließen sich durch Elder-Begs Schwüre beschwichtigen und gaben ihm ihre Tochter zur Frau. Die Hochzeitsfeierlichkeiten wurden mit ungewöhnlichem Glanze und Aufwande, unter Beobachtung der im Daghestan herkömmlichen Förmlichkeiten, vollzogen.

Da jedoch nur Wenigen in Europa die bei einer Hochzeit im Daghestan üblichen Förmlichkeiten bekannt sein werden, so dürfte eine kurze Schilderung derselben hier vielleicht an ihrem Platze sein. Wir werden dabei einen Augenblick von unserer Erzählung ausruhen und die angedeutete Schilderung hier als Episode einschalten, unter dem Titel:

Hochzeitsgebräuche im Dhagestan.

Nach altherkömmlicher Sitte des Landes soll der Bräutigam vor der Hochzeit seine Auserkorene nicht sehen. Von dieser alten Regel finden jedoch im Daghestan unter hundert Beispielen neun und neunzig Ausnahmen statt.

Zwar würde kein Muselmann den Frevel begehen, unerlaubt die wohlverwahrten und heilig gehaltenen Gemächer der Frauen zu betreten, aber die Frauen sind auch nicht immer so eingekerkert und bewacht, wie man irrthümlich glaubt. Bei schönem Wetter spielen und tanzen die Mädchen gewöhnlich Stunden lang, wie am Tage so Abends beim Mondenschein, zum Schalle der Tamburine auf den Dächern der Häuser. Da schleichen denn die jungen Bewerber liebäugelnd umher, um von irgend einer Schönen einen freundlichen Wink oder einen gunstverheißenden Blick zu erspähen.

Zwar sind die Gesichter der Tatarinnen immer mit Tüchern verhüllt, doch wissen die hübschen ihre Tücher stets so zu binden oder nach Umständen so zu verschieben, daß ein aufmerksamer Beobachter vom Gesicht genug sehen kann, um das Uebrige zu errathen. Zudem gehen die Mädchen bis zum zwölften Jahre unverschleiert, und so läßt sich denn leicht von der Knospe ein ziemlich richtiger Schluß auf die entfaltete Blume machen. Ist erst einmal ein gegenseitiges Wohlgefallen sichtbar, so wird mittelst der hier durch die Nothwendigkeit in hohem Grade ausgebildeten Blumen- und Zeichensprachen leicht ein näheres Verständniß herbeigeführt. Will der Bewerber nun heirathen, so schickt er als Vermittler einen achtbaren Freund oder Verwandten zum Vater der Braut, zur Mutter derselben aber einige alte Matronen seiner Verwandtschaft. So werden denn mit vieler Wichtigkeit die Unterhandlungen eröffnet.

Der Vater giebt sein Jawort nicht sogleich, sondern verlangt erst Bedenkzeit; bestimmt jedoch genau den Tag, an welchem die Antwort erfolgen soll. Dann wird die Sache weitläufig zwischen der Mutter und den Verwandten berathen, Erkundigungen über die Vermögensumstände, über die Sitten und die Verwandtschaft des Bewerbers eingezogen u. s. f.

Erfolgt endlich am bestimmten Tage die Zusage, so beginnen neue Unterhandlungen um den Käbin oder die Kaufsumme, welche dem Vater der Braut ausbezahlt werden muß. Am Vorabend der Hochzeit begiebt sich der Bräutigam mit seinen Freunden ins Bad. Nach Beendigung der vorgeschriebenen Waschungen wendet sich der Zug unter dem Schalle der Tamburine und des Dudelsacks wieder der Wohnung des Bräutigams zu, der von zwei Knaben begleitet wird, wovon einer zur Linken und der andere zur Rechten geht. Im Hause beginnen alsdann die inzwischen schon vorbereiteten Schmausereien und Festlichkeiten. Die Braut befolgt dasselbe Ceremoniell. Auch ihr gehen zwei kleine Mädchen zur Seite, und sie bewirthet ebenfalls ihre Freundinnen, und wird von diesen zur Hochzeit geschmückt. Am folgenden Morgen erscheinen die Verwandten und Freunde des Bräutigams auf festlich geschmückten Pferden und gefolgt von ohrenzerreißender Musik, um die harrende Braut abzuholen, welche gehörig aufgeputzt und verschleiert, auf einen Esel gesetzt wird, während, je nach dem Bedürfniß, eine oder mehrere Arba's ihre Kleider, Geräthschaften, kurz ihre ganze Aussteuer zur Schau nachführen.

Die Sitte erheischt, daß die Braut dem Bräutigam von seinen Verwandten entgegengeführt werde, doch haben diese keine geringe Mühe, die Neuvermählte den Armen ihrer Freunde und Angehörigen zu entreißen, welche zum Schein alles Mögliche aufbieten, die zu Entführende mit Gewalt zurückzuhalten. Es entspinnen sich nun zwischen den beiden Parteien scherzhafte Kämpfe und Gefechte um den Besitz der Braut, wobei geschossen, geschrien, getrommelt und gelärmt wird, daß einem die Ohren gellen. Feuert irgend einer der Gäste sein Gewehr auf den Boden ab, statt in die Luft zu schießen, so wird dies als ein großer Schimpf für die Braut betrachtet, welcher gewöhnlich mit dem Tode bestraft wird. Ueberhaupt ist es hier nichts Seltenes, daß sich bei diesen Scherzkämpfen ein paar Gäste die Hälse brechen. Der indessen voll Verlangen der Ankunft seiner Braut harrende Bräutigam eilt derselben, sobald er den Zug sich nähern sieht, entgegen, um sie in Begleitung der beiden Schutzengel zu empfangen. Der ihm zur Rechten gehende Knabe nimmt ihm seine Leibbinde ab, und umschlingt mit derselben die Braut, worauf sich der junge Gatte, so wie alle Anwesenden, die Hand aufs Herz legend, tief vor ihr verbeugen, und die Neuvermählte sammt ihrem Gefolge in die hochzeitlich geschmückten Frauengemächer des Hauses führen.

***

Nicht lange sollte Elder-Beg der lieblichen Fatima Gemahl sein. Im Jahre 1835 starb sein Bruder Beg-Bala, ob durch Gift oder eines natürlichen Todes, hat nicht ermittelt werden können, und die Herrschaft von ganz Kaitach ging nun in Elder-Begs Hände über.

Pachu-Bikä, die Wittwe Beg-Bala's, war ein Weib von ungewöhnlichem Verstande und bezaubernder Persönlichkeit, dabei etwas leichter Sinnesart, und, obwohl sie schon ihr dreißigstes Jahr zurückgelegt hatte, noch immer so kokett und verführerisch, daß selten ein Mann, auf den sie es abgesehen, ihren Netzen entging. Sie war früher schon mit ihrem Vetter Dshamow-Beg verheirathet gewesen, hatte sich jedoch nach kaum dreimonatlichem Zusammenleben mit diesem Prinzen in die Arme Beg-Bala's geworfen, dessen unumschränkte Gebieterin sie bis zu seinem Tode blieb. Kaum war ihr zweiter Gatte beerdigt, als sie sich schon wieder nach einem dritten umsah, und wenn sie diesmal Elder-Beg zum Gegenstand ihrer Wahl machte, so geschah dieses vielleicht weniger aus Liebe als aus Ehrgeiz: die herrschsüchtige Pachu-Bikä wollte Gattin des Fürsten von Kaitach sein. Auch wußte sie durch ihre Ränke und buhlerischen Künste bald eine solche Gewalt über Elder-Beg zu gewinnen, daß dieser seine junge und schöne Gattin verstieß und die stolze Pachu-Bikä an ihren Platz setzte.

Die unschuldig verstoßene Fatima floh in ihr elterliches Haus, um Schutz bei ihren Brüdern, den Söhnen Ibul-Begs, zu suchen, welche, obwohl sie Unterthanen des Elder-Beg waren, dem Treulosen blutige Rache für die Beschimpfung ihrer Schwester schworen.

Die beiden Familien, deren unheilvolles, durch den Dämon der Blutrache herbeigeführtes Schicksal ich in diesen Blättern theilweise zu schildern versucht habe, waren, wie sich der freundliche Leser erinnern wird, die des Utzméi Adel-Chan und die des Schwagers dieses Fürsten, Murtosali. Von Murtosali's vier Söhnen: Bula-Chan, Emir-Hamsa, Beg-Bala und Elder-Beg, war, wie wir gesehen haben, nur noch der letztere am Leben geblieben.

Von Adel-Chans Nachkommen leben noch Mohammeds jüngere Brüder Dshamow-Beg und Ußmar-Chan. Der letztgenannte, zu der Zeit, wo er handelnd in unserer Erzählung auftritt, etwa siebzehn Jahre alt, zeichnete sich von früher Kindheit an durch ein kühnes, dabei aber hochfahrendes und prahlerisches Wesen aus. Er behandelte seinen älteren Bruder Dshamow-Beg, den er der Feigheit beschuldigte, mit Spott und Verachtung, und pflegte zu sagen, wenn er, (Ußmar-Chan) zur Zeit der Ermordung seines Vaters nur funfzehn Jahre alt gewesen wäre, so hätte er Adel-Chans Tod nicht eine Stunde ungerächt gelassen. Dshamow-Beg, seines jüngern Bruders höhnische Worte für kindisches Geschwätz haltend, achtete weiter nicht darauf; dieser aber sollte bald Gelegenheit finden, seine Worte zu Thaten zu machen. Mirsa-Beg und Abdu-Dshamal, die Brüder der von Elder-Beg verstoßenen Fatima, sannen auf Rache gegen den treulosen Verführer ihrer Schwester, und waren daher hocherfreut, in dem mordsüchtigen Ußmar-Chan einen eifersüchtigen Theilnehmer ihrer blutigen Plane zu finden.

Inzwischen nahte das Osterfest des Jahres 1836. Die Verschwornen hatten den ersten Ostertag zur Ausführung ihres Vorhabens festgesetzt, da sie wußten, daß Elder-Beg an diesem Tage unfehlbar nach Welikent reisen werde, um dem dort residirenden russischen Pristaff, Capitän von Sommer, seine Glückwünsche abzustatten. Sie begaben sich daher am genannten Tage nach Welikent, begleitet von vier Nukers von erprobter Treue und Tapferkeit. Der Morgen vergeht, und Elder-Beg kommt nicht. Mit immer steigender Ungeduld harren die Verschwornen der Ankunft ihres Opfers; schon bricht der Abend an, und ihr Feind ist noch nicht da.

Ußmar-Chan und seine Gefährten bringen die Nacht in peinigender Unruhe zu.

Endlich am andern Morgen erscheint Elder-Beg, und begiebt sich, begleitet von Dschänka, Nuker-Beg, Ali-Iskjander-Beg (Sohn des Kadi von Tabassaran) und drei auserlesenen Nukers, in die Wohnung des Pristaffs, während zwanzig andere Nukers, welche den Beschluß des Gefolges bilden, Wache vor der Thüre halten.

Ußmar-Chan hatte nicht sobald die Ankunft des Fürsten erfahren, als er auch mit seinen Gefährten ungesäumt in das Haus des Pristaffs eilte. Er tritt in den Saal. Elder-Beg, welcher auf dem Divan sitzt, erhebt sich bei dem Eintritt seines Vetters und bietet diesem, nach dem Vorrecht des Alters, einen Platz zu seiner Seite an. Die beiden Verwandten bewillkommnen sich anscheinend mit der größten Herzlichkeit, und trinken während des Frühstücks, welches bald darauf aufgetragen wird, einer auf des andern Wohl. Capitän Sommer, welcher die gegenseitigen Freundschaftsbezeugungen und die lebhafte Unterhaltung der beiden Fürsten sieht, entfernt sich auf ein Viertelstündchen, um weitere Verfügung hinsichtlich der Bewirthung seiner Gäste zu treffen. Kaum hat der Capitän das Zimmer verlassen, als einer von Ußmars Nukers an's Fenster tritt, den Blick umherschweifen läßt, und sich dann wieder zu seinem Herrn wendet mit den Worten: Atler haserler – die Pferde sind bereit. Dies war das verabredete Zeichen.

Noch saßen die beiden Fürsten in freundlichem Zwiegespräch auf dem Divan; ihren Herren zur Seite standen die Begleiter und Diener. Bei den Worten seines Nukers aber erhebt sich ruhig Ußmar und tritt ans Fenster. Indem er so hinaus sieht, spannt er unbemerkt den Hahn seines mit zwei Kugeln geladenen Pistols, wendet sich mit Blitzesschnelle und feuert es ab auf Elder-Beg, welcher tödtlich getroffen zu Boden sinkt. Ein tiefes Schweigen folgte dieser That. Ußmar selbst, solcher Scenen noch ungewohnt, stand wie versteinert da. Die Stille wurde nur durch das Stöhnen und die letzten krampfhaften Anstrengungen des Sterbenden unterbrochen, welcher sich vergebens bemühte, den Kinshal aus der Scheide zu ziehen, zur Rache gegen den Mörder.

Da rief einer von Fatima's Brüdern, sich mit einem Fluche zu Ußmar wendend: »Erschrickst Du ob Deiner eigenen That, Feigling? Was schonst Du Elders? Warum durchbohrst Du den Verräther nicht mit Deinem Kinshal?« Ußmar erwachte aus seiner kurzen Betäubung, riß den Kinshal aus der Scheide, und führte damit einige wüthende Stiche auf Elders Haupt. Jetzt erst schwindet wie durch einen Zauber die Unentschlossenheit, welche bis dahin die Begs und Nukers des Ermordeten zu stummen und unthätigen Zeugen der Schreckensthat gemacht hatte. Sie ergreifen Pistolen und Kinshals und werfen sich wüthend auf ihre Gegner. Der erste Schuß gilt Ußmar, der sofort blutend zu Boden stürzt. Sein treuer Nuker Bochan stellt sich jedoch, den Kinshal in der Rechten, vor den Gefallenen, um ihn zu schützen; er bemüht sich, seinen Herrn unter den Divan zu schieben, um ihn vor weiteren Verletzungen sicher zu stellen und ihn bis aufs Aeußerste zu vertheidigen.

Vor der Leiche Elder-Begs stand dessen Gastfreund Iskjander-Beg, den starken Dolch in der Hand, seine drohenden Blicke auf Bochan gerichtet. Inzwischen dauert zwischen dem Gefolge der beiden gefallenen Fürsten der Kampf ununterbrochen fort. Ein dicker Rauch füllt in Kurzem das nur etwa fünf Faden große Gemach, so daß kaum noch der Feind den Feind zu unterscheiden vermag. Mitten unter den Todten und Sterbenden standen trotzig einander gegenüber Bochan und Iskjander vor den Leichen ihrer Gebieter.

Indessen war es Ußmars auf den Lärm herbeigeeilten Pferdeknechte gelungen, von außen die inwendig verriegelte Thür zu erbrechen und in den Saal zu kommen. Obgleich anfangs betäubt von dem furchtbaren Anblick, der sich ihm darbot, erspähte er doch bald den Gegenstand seiner Rache. Wie ein Tiger auf seine Beute wirft er sich wild auf Iskjander; ein Kampf auf Leben und Tod entspinnt sich unter ihnen, bis Beide, durch den Blutverlust geschwächt, winselnd zu Boden stürzen. Da sprach Bochan, der rings um sich her nur Todte und Verscheidende sah: »Lebe wohl, Ußmar, ich habe das Meine gethan!« Der im Kampf mit Iskjander gefallene Stallknecht erhebt sich mit letzter Anstrengung vom Boden und entgegnet: »Was? Schurke! Du, des Chans erster Nucker, der Du den Plow mit ihm aus einer Schüssel aßest, verlässest Deinen Herrn in diesem Augenblick, während ich, der in seinem Stalle schlief und mich von den Brosamen nährte, die von Eurem Tische fielen, für ihn sterbe?« Also sprechend, schleuderte er seinen Dolch auf Bochan, aber der mit unsicherer Hand geworfene Stahl verfehlte sein Ziel. Bochan blieb am Leben und verließ das Gemach eben, als der treue Kuli, von der Anstrengung erschöpft, seinen letzten Seufzer aushauchte.

Jetzt drang der Pristaff, gefolgt von Soldaten, in den Saal, und schaute mit Entsetzen die grauenvolle Scene an. Dicke Blutwellen flossen im Zimmer; zwölf todte Menschen lagen auf dem Boden. Iskjander allein gab noch Zeichen des Lebens von sich, aber das Blut troff ihm aus Kopf und Brust. Mühsam richtete der Sterbende sich auf und sagte mit gebrochener Stimme: »Ich habe in Elders Vertheidigung Muth gezeigt und meinen Freund gerächt; ich scheide vom Leben, zufrieden mit mir selber.« Mit diesen Worten schleuderte er, gewaltsam seine letzten Kräfte sammelnd, den Dolch gegen die Decke des Zimmers, daß er tief in das Holz eindrang. Kurz darauf verschied Ali-Iskjander-Beg. Und so fanden in diesem kurzen aber blutigen Kampfe dreizehn Menschen ihren Tod: drei Begs, drei Dschänkas, sechs Nukers und ein Stallknecht. Bochan allein blieb am Leben, und entkam glücklich nach seinem Geburtsort Akuscha.

Wer von Derbent nach Kislar reist, und auf der ersten Station Welikent nach dem Hause des Pristaffs fragt, dem zeigt man noch jetzt das Gemach, wo diese schreckliche Begebenheit sich zugetragen; noch sieht man an der Decke die Spuren von dem Kinshal Ali-Iskjander-Begs, und die Einwohner erzählen dem Fragenden gern das tragische Ereigniß des zweiten Ostertages des Jahres 1836, jedoch mit Zusätzen und Uebertreibungen aller Art, denn wenigen nur sind die näheren Umstände und der wahre Zusammenhang dieser Geschichte bekannt.

Dshamow-Beg ist der einzige noch lebende Sprößling der Geschlechter Adel-Chans und Murtosalis. Er bekleidet das Amt eines Oberstlieutenants in russischen Diensten, und verwaltet noch heute das den russisch-kaukasischen Besitzungen jetzt ganz einverleibte Utzméilik von Kaitach.

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