Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Fünftes Kapitel

Unter den Tscherkessen I.

Von wo der Tscholok die Scheidelinie zwischen Gurien und dem Paschalik Trapezunt zieht, bis hinauf zu dem altberühmten Sklavenmarkte Anapa, wo in früherer Zeit ebenfalls ein Pascha seinen Sitz hatte, laufen drei und zwanzig russische Festungen die Ostküste des Pontus entlang.

Die wenigsten dieser Festungen (kreposti) verdienen ihren hochklingenden Namen; es sind meist roh ausgebaute, verschanzte Gehöfte mit kanonengespickten Blockhäusern, gerade hinreichend ihrer Besatzung Schutz zu gewähren, so weit die Geschütze reichen und die Wälder umher gelichtet sind – aber unfähig, einem nachdrücklichen Sturme zu widerstehen.

Die Tscherkessen erobern hin und wieder einzelne dieser Küstenplätze, wenn es im Lande an Munition fehlt; sie können sich aber ebenfalls nicht auf die Dauer darin behaupten, weil Erstens ihr Pulvervorrath für die großen Kanonen nicht lange ausreichen würde und weil ferner den Russen rings umher zu große Hülfsquellen offen stehen.

Von den Kriegsschiffen, welche fortwährend auf dem Schwarzen Meere kreuzen, können immer schnell einige Regimenter an's Land geworfen werden und auch von der Küstenbesatzung selbst lassen sich, bei der geringen Entfernung der Forts von einander, immer in wenigen Tagen ein paar tausend Mann dislociren.

Die Gesammtzahl der aus Linientruppen und tschornomorischen Kosaken bestehenden Besatzung ist 12,000 Mann oder 16 Bataillone, welche nach Maßgabe der Wichtigkeit der Festungen solchergestalt vertheilt sind, daß auf größere Plätze, wie Anapa, Noworossiesk, Pitzunda, Bombor u. s. w. ganze Bataillone, – auf andere, wie Gagra, Ilori u. s. w. nur ein paar hundert Mann, – und auf ganz unbedeutende Plätze, wie Anaklia, nur ein paar Dutzend Kosaken zur Aufrechterhaltung der Kommunikation kommen.

Doch können, wie das in der Natur der Sache liegt, alle diese Bestimmungen nur als transitorische betrachtet werden, denn die Wichtigkeit eines Platzes hängt hier immer ab von der mehr oder minder feindlichen Stimmung des Landes, dessen Grenzposten gegen das Meer er bildet.

Plätze, deren Gründung in das Alterthum zurückreicht, wie Anaklia (das griechische Heraklea) haben von ihrer früheren Glorie nichts als einen korrumpirten Namen behalten, während andere, die ihre Gründung der neuesten Zeit verdanken, wie Noworossiesk, im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu blühenden Städten emporwachsen werden, wenn das Schicksal der russischen Machtausdehnung nicht bald das hemmende Wort entgegenruft: »bis hieher sollst Du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen Deine stolzen Wellen!«

***

Daß von den oben bezeichneten Festungen umsäumte Küstenland des Pontus, welches den Schauplatz der folgenden Erzählungen bildet, unterscheidet sich seiner Natur und Bevölkerung nach wesentlich von denjenigen Ländern, wo Imam Schamyl seinen Verzweiflungskampf gegen die Russen kämpft.

Während die Völkerschaften des Daghestan (des eigentlichen Schauplatzes des »heiligen Krieges«), aus ihrer früheren Zersplitterung durch Schamyl's mächtige Hand zu einer staatlichen Gemeinschaft vereinigt wurden, welche mehr und mehr den Charakter einer Theokratie annimmt, – sind die zwischen dem Kuban und dem Schwarzen Meere hausenden Völker des westlichen Kaukasus durch Nichts zu bewegen gewesen, ihr altes freies Stammesleben einem centralisirenden Staatsverbande zu opfern.

Nur in Zeiten gemeinschaftlicher Gefahr verbündeten sie sich gegen den gemeinschaftlichen Erbfeind des Landes. War die Gefahr vorüber, so trat die alte Zersplitterung wieder ein.

Ich lasse zu besserem Verständniß die Namen der wichtigsten dieser Völkerschaften hier folgen, mit möglichst genauer Bestimmung der Grenzen ihrer Gebiete.

Von dem in westlicher Richtung seine schlammigen Wogen dem Schwarzen Meere zuwälzenden Arme des Kuban, der in einer großen, fast ganz von einer schmalen Landzunge umschlossenen Bucht mündet, genannt der Liman oder die Bucht des Kuban, – bis hinab zu der Festung Kabardinskoje zieht sich das Land der Natchokuadsch.

Verfolgen wir in südöstlicher Richtung die Küste weiter, so gelangen wir über Gelendshik und Nowotroitzkoje (in dessen Nähe der englische Reisende Longworth seine abenteuerliche Landung bewerkstelligte) nach Tenginskoje, welches wir als Grenzveste des Landes der Schapßuch betrachten können.

Einzelne Zweige dieses Volksstammes, untermischt mit Abasechen, dehnen sich bis zum Lande der Ubych über den Küstenstrich aus, welcher von den Festungen Weljaminowskoje, Lasarew und Golowinsky umsäumt wird.

Der Fluß Szotscha, an dessen Mündung die gleichbenannte (auf den Karten des russischen Generalstabs auch Nawaginskoje genannte) Festung liegt, trennt das Land der Ubych von dem Gebiete der Dshigeth, an dessen Küste zwei bemerkenswerthe Festungen liegen: die Festung Sswjätowo Ducha, wo der berühmte russische Dichter Marlinski seinen Tod fand, – und Gagra, an dessen romantisches Gestade die Sage den Fels des Prometheus versetzt.

Alle diese Völkerschaften zusammengenommen führen den Gemeinnamen Adighe oder Tscherkessen.

Der Fluß Bsyb scheidet das Gebiet der Dshigeth von dem Lande der Abchasen, welches als neutrales Gebiet, oder als Uebergangspunkt von den russenfeindlichen Völkerschaften zu den unterworfenen Stämmen betrachtet werden kann, denn schon zu wiederholten Malen leisteten die Abchasen für große Geldbelohnungen den Russen wirksamen Beistand, besonders bei dem geschlechtervertilgenden Zuge gegen den Stamm Pschu, wovon später die Rede sein wird.

Die Festungen an der Küste von Abchasien sind: Pitzunda mit seiner berühmten Tempelruine, Bombor mit einem ziemlich ansehnlichen Bazar, Ssuchum-Kalé, Drandy und Ilori.

Der unfern des letztgenannten Forts mündende Fluß Galidsga bildet die Scheidelinie zwischen Abchaseth und Samursachan, einem kleinen, bereits unter russischer Botmäßigkeit stehenden Ländchen.

Der von den Abhängen des Elborus herabstürzende, das Land der Suanen durchschlängelnde Ingur trennt Samursachan von den russischen Gebietstheilen des alten Kolchis, welche wir bereits unter den Namen Mingrelia und Guria kennen gelernt haben.

Der Ingur ergießt sich bei Anaklia, die reißende Chopi bei Redout-Kalé, der Rion (Phasis) bei Toti, die Ssupßa bei Grigorethi, die Natanebi und der zu Anfange dieses Kapitels genannte Tscholok ergießen sich bei St. Nikolaus in das Schwarze Meer.

Somit wäre das flüchtige, aber auf eigene Anschauung gestützte Bild des Küstenlandes vollendet, welches mir nothwendig schien, um den Leser für das Verständniß der folgenden Erzählungen vorzubereiten.

Mit einer Karte in der Hand wird sich nun Jeder leicht orientiren können, wenn wir, auch ohne vermittelnde Uebergänge, von einer Völkerschaft oder einer Festung zur andern springen.

Die freundliche Aufnahme, welche ich auf einem früheren Zuge durch's Gebirge bei den Häuptlingen der Kabardah gefunden, ein kurzer Aufenthalt bei den Abchasen und viele andere Umstände hatten den Wunsch in mir rege gemacht, auch einen Blick in das Innere der Länder der Ubych und Dshigeth zu thun.

Schon auf meiner ersten Küstenfahrt war ich, bei den Unterhandlungen welche damals zwischen Russen und Tscherkessen gepflogen wurden, in häufige persönliche Berührung mit den vornehmsten Häuptlingen dieser Völker gekommen, besonders mit Aßlan-Bey, dem stattlichen Dshigethenfürsten und mit dem riesig gewachsenen Jerinbyk Bersek-Bey, dem grimmigsten Russenfeinde im Volke der Ubych.

Auf meinem zweiten Zuge erneuerten wir unsere Bekanntschaft; ich sah Aßlan-Bey fast täglich bei Swan-Bey, dem Kommandanten von Ardiler, während meines Aufenthalts in dieser Festung, und den stolzen Jerinbyk Bersek traf ich mit vielen andern Häuptlingen in Szotscha wieder, derselben Festung, deren Besatzung er wenige Monate darauf bis auf den letzten Mann über die Klinge springen ließ.

Veranlassung zu den häufigen Zusammenkünften zwischen den Führern der Tscherkessen und der Russen hatte die Abberufung des bisherigen Sardaars vom Kaukasus (General v. Neidhardt) gegeben, an dessen Stelle der mit fast unumschränkter Vollmacht ausgestattete Fürst (damals noch Graf) Woronzow [Fußnote] getreten war.

Der Ruf dieses mächtigen und reichen Bojaren, der auf seinen, in den fruchtbarsten Theilen Rußlands gelegenen Besitzthümern über hundert tausend leibeigene Männer zählt, war schon seit lange zur Kunde der Gebirgsvölker gekommen. Man wußte, daß Woronzow als Statthalter in der Krimm fast königliche Gewalt übte, und diese Gewalt vorzugsweise zur Hebung des Wohlstandes der islamitischen Bevölkerung jenes Landes entfaltete; man erzählte sich Wunderdinge von der (wirklich großartigen) Pracht seiner Schlösser, von seiner Großmuth, seiner Freigebigkeit und seinen unerschöpflichen Reichthümern. Man hatte alle Ursache, anzunehmen, daß er die besonderen Begünstigungen, welche er den Völkertrümmern des alten Tatarenreichs Sahin-Gerai-Chan's angedeihen ließ, jetzt auch auf die tscherkessischen Bekenner des Islam übertragen werde.

Einige alte Häuptlinge erinnerten sich seiner wohl auch noch aus der Jugend, da er im Kaukasus seine kriegerische Laufbahn begann. Und vollends die Botschafter, welche ihn auf seiner Hinreise nach Tiflis gesehen hatten, waren ganz entzückt von seiner imposanten persönlichen Erscheinung, denn die Tscherkessen sind lebhafte Bewunderer schöner Männergestalten, und Fürst Woronzow ist, trotz seiner siebziger Jahre, einer der schönsten Männer die ich im Leben gesehen.

So vereinigte sich denn Alles, um die kriegerischen Küstenvölker glauben zu machen, die Zeit sei gekommen wo sie durch friedliche Unterhandlungen mehr ausrichten könnten, als sie bis dahin durch Waffengewalt gegen eine wohldisciplinirte Uebermacht zu thun im Stande gewesen waren.

Die Russen ihrerseits waren entzückt, sich auf eine Zeitlang vor feindlichen Ueberfällen gesichert zu wissen und statt des Schwertes die Zunge zu rühren.

Aller Orten und Enden begannen die mit orientalischer Weitschweifigkeit geführten Unterhandlungen, und die großartigen Bilder welche sich dabei fast täglich vor meinen Augen entrollten, gehören zu den herrlichsten Erinnerungen meines Lebens. Ich bedauerte nur, nicht einen geschickten Maler zur Seite zu haben, um die kriegerischen Gruppen inmitten der majestätischen Gebirgswelt fixiren zu können, denn meine eigenen Dilettantenkünste im Zeichnen reichten dazu nicht aus. [Fußnote]

Ich will versuchen, so weit es sich mit Worten thun läßt, diejenige der im Freien stattgefundenen Unterhandlungen, welche mir am lebendigsten im Gedächtniß geblieben, durch ein leicht hingeworfenes Bild zu veranschaulichen.

In der Nähe der Festung Golowinsky [Fußnote] hatten schon einige Tage vor unserer Ankunft tscherkessische Reiter ihr Lager aufgeschlagen, um die Landung des Kriegsdampfers, welcher den kommandirenden General an Bord führte, abzuwarten, und dann ihren Landsleuten sogleich Kunde davon zu geben.

Morgens um 8 Uhr liefen wir in den Hafen von Golowinsky ein, und Nachmittags um 2 Uhr war auch schon eine stattliche Versammlung tscherkessischer Häuptlinge und Mullah's mit großem Gefolge angekommen.

Ehe die eigentlichen Verhandlungen begannen, wurde Botschaft entsendet, um die Bedingungen festzustellen, unter welchen die Zusammenkunft stattfinden sollte.

Man vereinbarte sich über folgende Punkte: Erstens: der Schauplatz der Konferenz sollte sein außerhalb des Schußbereichs der russischen Festungskanonen. Zweitens: Die Zahl der anwesenden Tscherkessen sollte diejenige der anwesenden Russen nicht übertreffen; für den Fall, daß sich außerhalb des zur Versammlung bestimmten Kreises noch irgendwo in der Gegend Tscherkessen blicken ließen, sollte von der Festungs-Besatzung darauf geschossen werden. Drittens: Die Tscherkessen sollten ihre Waffen während der Dauer der Unterhandlung ablegen und der Obhut russischer Soldaten anvertrauen; nur den wortführenden Häuptlingen wurde gestattet, ihre Pistolen im Gürtel zu behalten . . .

Hierauf begab sich der General mit seinem glänzenden Gefolge nach dem bezeichneten Platze, wo die Tscherkessen bereits versammelt waren.

Ein von schwellendem Rasen überkleideter Thalkessel, umragt von dicht bewaldeten Bergen, welche nach Osten eine entzückende Aussicht in das innere, von der kräftigsten Vegetation strotzende Land offen ließen – war der Schauplatz des kriegerischen Bildes, welches sich vor uns entrollte.

Etwa ein Dutzend Stühle wurden halbmondförmig aufgestellt, darauf die vornehmsten Häuptlinge und Mullah's Platz nahmen, während die übrigen Tscherkessen theils nachlässig ausgestreckt auf dem Rasen lagen, theils rechts in einiger Entfernung bei den Pferden standen.

Zur Linken standen russische Soldaten, welche bei den malerisch zusammengestellten und übereinandergelegten Waffen Wache hielten. Das war eine reiche Sammlung der prächtigsten Schaschka's (langer Säbel) und Kama's oder Kinshal's (langer Dolche).

Ein junger Krieger, welcher in den Kreis der rathpflegenden Männer treten wollte, weigerte sich, den Soldaten sein Pistol abzugeben. Man machte Anstalt ihn zurückzuweisen, er stieß aber den Soldaten, der ihn am Arm berührte, stolzen Blickes mit solcher Gewalt auf die Seite, daß der Soldat in's Gras stürzte. Es entstand eine kleine Bewegung unter seinen Kameraden, auch die Häuptlinge sprangen von ihren Stühlen auf, und es drohete zu einer ernsten Verwirrung zu kommen, da der junge Tscherkeß, der Urheber des Streites, durchaus nicht zu bewegen war, das Pistol abzugeben. Als der Dolmetsch im Auftrage des Generals ihm sagte, wenn er nicht nachgeben wollte, so könnten die Verhandlungen überhaupt nicht beginnen, schoß er sein Pistol in die Luft ab, steckte es wieder in den Gürtel und nahm dann Platz unter den rathpflegenden Männern, ohne sich weiter umzusehen und ohne weiter belästigt zu werden.

In einiger Entfernung, den halbmondförmig sitzenden Häuptlingen gegenüber, saß der General mit noch zwei oder drei anderen Offizieren höheren Ranges. Hinter ihm standen ein paar Adjutanten und ihm zur Seite stand sein Dolmetsch, ein in der Jugend gefangen genommener Tscherkeß, jetzt Lieutenant in russischen Diensten.

Etwa zehn Schritte davon lagen die übrigen Offiziere mit uns auf dem Rasen, aufmerksamen Blickes das malerische Schauspiel betrachtend. Die Häuptlinge trugen der Mehrzahl nach feine rothe Schuhe, die den leisesten Bewegungen des Fußes schmiegsam nachgaben, – enganliegende, dunkle Reithosen und den bekannten, gürtelumschlungenen kaukasischen Waffenrock von blauer oder bräunlicher Farbe. Bei Einigen sah man das geringelte Panzerhemde unter dem kaftanartigen oben aufgeschlitzten Rocke hervorschimmern. Die schwarzzottigen Pelzmützen gaben den größtentheils ernsten, gebräunten, ausdrucksvollen Gesichtern ein fast grimmes Ansehen.

Einige der vornehmeren Häuptlinge trugen gleich den Mullahs blendend weiße Turbane . . .

Das Auge weilte mit immer steigendem Wohlgefallen auf diesen breitschultrigen, kräftigen Männergestalten, wie sie da saßen in ernster Berathung über die von den Russen gemachten Vorschläge, das Loos ihrer von einer schrecklichen Hungersnoth heimgesuchten Stämme zu erleichtern.

Von Zeit zu Zeit erhob sich einer der Aeltesten von ihnen und ging auf den General zu, der dann ebenfalls aufstand um die Gegenvorschläge anzuhören.

Der Gegenstand der Unterhandlung war ein höchst einfacher.

Die Küstenvölker verlangten nichts als freie Schiffahrt auf dem Schwarzen Meere und freien Handelsverkehr mit Trapezunt und Konstantinopel. Sie versprachen dagegen feierlich, sich für alle Zeit jeder Feindseligkeit gegen die Russen enthalten zu wollen. Der Kern und Mittelpunkt ihrer Vorschläge war: Belästigt uns nicht, so werden wir Euch nicht belästigen.

Ein solches Argument war aber natürlich für russische Diplomatie zu einfach und ungekünstelt.

Die vielen Kriegsschiffe auf dem Schwarzen Meere und die vielen Forts an der Küste waren ja, sammt ihrer Besatzung, ganz unnütz gewesen, sobald die Beschränkungen und Hemmnisse zu Land und zu Wasser aufhörten. Wo sollte man hin mit dem vielen Baumaterial, welches überall aufgehäuft lag, um neue Festungen zu bauen und die alten zu erweitern? Wozu hätte man schon so viele Millionen verausgabt und so viele tausend Menschen geopfert? Man könnte doch unmöglich gradezu eingestehen, daß alles das nutzlos gewesen. Und was würde endlich aus den menschenfreundlichen Absichten des Kaisers, der natürlich an nichts weniger denkt, als Eroberungen zu machen, blos um sein Land gewaltsam zu vergrößern, sondern dessen Streben lediglich darauf gerichtet ist, die Völkerschaften, welche er bekriegt, zu veredeln und sie aufzuklären über ihr wahres Interesse.

Solche und ähnliche Dinge bildeten den Kernpunkt der russischen Argumente, die den Tscherkessen natürlich nicht einleuchten wollten.

Es war vorauszusehen, daß unter solchen Umständen die Unterhandlungen zu keinem Resultate führen konnten. Das Einzige wozu der General sich verstehen durfte, um der (größtentheils durch die Absperrung erzeugten) Hungersnoth im Lande zu steuern, war das bereits bei mehren anderen Stämmen erfolglos angewandte Versprechen, Brod und reichliche Bezahlung allen hülfsbedürftigen Tscherkessen zu geben, welche bereit wären, an den russischen Befestigungswerken und Bauten zu arbeiten. »Das heißt – sagte Jerinbyk Bersek-Bey – hungert und verderbt, oder kommt und helft selbst mit bauen an den Zwingburgen, die Euer Land beherrschen sollen!«

Je weniger sich während des Verlaufs der in dem angedeuteten Sinne gepflogenen Unterhandlungen Hoffnung zu einem erfreulichen Ausgange zeigte, desto mehr umdüsterten sich die Blicke der wortführenden Tscherkessen.

Ueber zwei Stunden hatte die Konferenz gedauert, und noch war kein Ende abzusehen; denn wenn die Tscherkessen einmal den Weg der Verhandlungen betreten, so lassen sie kein Mittel unversucht um etwas auf diesem Wege zu erreichen.

Es war eben eine kleine Pause eingetreten; die Häuptlinge beriethen sich über einen neuen Vorschlag und gingen in lebhaftem Gespräche auf und nieder. Auch der General hatte sich erhoben, um sich etwas Bewegung zu machen. Er kam auf uns zu und sagte: »Nun, sind Sie noch nicht müde? Ich fürchte, wir werden vor dem späten Abend nicht wieder auf's Schiff kommen! Diese Verhandlungen ziehen sich immer sehr in die Länge! Ich möchte wissen, woher die Sittenschilderer des Kaukasus erfahren haben, daß es bei den Tscherkessen für unanständig gilt, sich nach Familienangelegenheiten zu erkundigen; in unserer heutigen Konferenz haben wir wenigstens eine halbe Stunde damit verloren, denn jeder der wortführenden Häuptlinge leitete seine Rede mit blumigen Artigkeiten über die muthmaßliche Anmuth und Schönheit, und mit langen Erkundigungen über das Befinden der weiblichen Angehörigen meines Hauses ein . . .«

Der General wurde plötzlich durch einen von der Festung aus abgefeuerten und in den Bergen rings donnernd wiederhallenden Kanonenschuß unterbrochen. »Was ist das?« scholl es von allen Seiten. Die Tscherkessen sprangen auf und wollten sich der Waffen bemächtigen, die Soldaten widersetzten sich. Allgemeine Verwirrung. Der General trat auf den ältesten Häuptling zu und rief in ernstem Tone: »Ich mache Dich verantwortlich für das Betragen Deiner Leute; ich werde nachforschen lassen, was es mit dem Kanonenschuß auf sich hat, und nachher sprechen wir weiter.« Der Dolmetsch wiederholte sofort die Worte des Generals, aber es dauerte doch einige Zeit, bevor die stolzen Bergsöhne sich zur Ruhe bringen ließen, denn militairische Disziplin ist bei den Tscherkessen vollständig unbekannt.

Inzwischen kehrten die Offiziere zurück, welche in die Festung entsendet waren um Kunde über die Veranlassung des Feuerns einzuziehen.

Der Bericht lautete: es hätte sich ein Trupp tscherkessischer Reiter in der Nähe der Festung gezeigt, und der Kommandant hätte sogleich mit Kartätschen dazwischen schießen lassen, nach der vereinbarten Bestimmung, daß sich während der Verhandlungen keine Tscherkessen in der Gegend blicken lassen sollten.

»Sind Verwundungen vorgekommen?« fragte der General.

»Soviel man wahrnehmen konnte, sind zwei Reiter gestürzt« – erwiederte der Gefragte.

Wiederum entstand eine gewaltige Aufregung unter den Tscherkessen, und die wortführenden Häuptlinge hatten große Mühe den Kriegern auseinanderzusetzen, daß der Kommandant der Festung nur der getroffenen Vereinbarung gemäß gehandelt habe.

Dem General selbst war der Vorfall sehr unangenehm. Er kannte die Tscherkessen zu gut, um nicht zu wissen, daß bei ihnen Nichts ungerächt bleibt. Es gelang ihm zwar, die Unterhandlungen noch einmal anzuknüpfen, aber man kam dabei ebenso wenig zu einem Resultate wie vorher.

Mit anbrechendem Abend wurde die Zusammenkunft aufgehoben, und der Abschied trug jedenfalls ein minder freundliches Gepräge als die erste Begrüßung. Die Blicke der stolzen Krieger verhießen nichts Gutes, als sie ihre Waffen wieder umgürteten und sich auf ihre Rosse schwangen, um davon zu eilen in die heimathlichen Berge . . .

Bevor wir Golowinsky verließen, besahen wir noch das Innere der Festungskirche, welche kurz vorher der Schauplatz eines blutigen Kampfes gewesen war, wovon die durchschossenen Heiligenbilder an den Wänden noch deutliches Zeugniß trugen.

Ein Trupp Tscherkessen hatte sich im Dunkel der Nacht so nahe an die Festung herangeschlichen, daß die Kanonen-Kugeln buchstäblich über ihre Köpfe hinwegsausten, als die Besatzung der Andringlinge gewahr wurde und blind darauf losfeuerte.

Bevor man Zeit gefunden hatte zum zweitenmale zu laden, waren die Tscherkessen schon in der Festung und richteten hier ein solches Blutbad an, daß die zum großen Theile aus kampfungewöhnten Soldaten bestehende russische Mannschaft in die vollständigste Verwirrung gerieth und sich in regelloser Flucht in die Kirche zu retten suchte. Doch kaum die Hälfte von ihnen konnte hier ein Unterkommen finden; den Uebrigen blieb keine andere Wahl, als sich zu wehren, mit dem Muthe der Verzweiflung, oder widerstandslos zu fallen, denn die wilden Bergsöhne gaben keinen Pardon, sondern hieben Alles nieder was ihre Klinge erreichen konnte. Schon hatten sie sich des groben Geschützes bemächtigt und eine reiche Beute von Waffen, Pulver und Blei (darum es ihnen am meisten zu thun war) in Sicherheit gebracht, und waren eben im Begriff Feuer an die Kirche zu legen, als der Priester von Golowinsky, ein kräftiger, hochgewachsener Mann, auf die Kirche zugeschritten kam in festlichem Gewande, das Kruzifix hoch in der rechten und eine Fackel in der linken Hand schwingend.

Die Tscherkessen – geblendet von der ungewöhnlichen Erscheinung, die ihnen um so mehr imponirte, als der Priester durch seinen schönen Bart, seine stolze Haltung und sein blendendes Gewand sich wesentlich unterschied von den stumpfnasigen, kinnglatten, in Tracht und Gestalt roh aussehenden russischen Soldaten – standen einen Augenblick vom Kampfe ab, und unangefochten gelangte der Priester in das Innere der Kirche.

Man muß den religiösen Fanatismus der Russen aus eigener Anschauung kennen gelernt haben, um ganz zu begreifen, welchen Eindruck es auf die Soldaten machte, als sie den gefürchteten Popen mit dem Kruzifix in der Hand in ihrer Mitte sahen, sie zum Kampfe anfeuernd im Namen Gottes, ihnen mit Hölle und Teufel drohend ob ihrer Feigheit, und ihnen alle Freuden des Paradieses verheißend wenn sie muthig ausharrten im Kampfe gegen die Heiden.

Von Neuem begann ein Würgen und Morden, wie es nur Verzweiflung oder Raserei zu erzeugen vermag. Die Soldaten stürmten aus der Kirche und suchten ihre Gegner wieder im Freien auf. Die Tscherkessen warfen sich den Herausdrängenden entgegen; die Kugeln pfiffen von allen Seiten; in und außerhalb der Kirche thürmten sich Leichen auf Leichen. Angefeuert von ihrem kriegerischen Popen fochten die Russen mit solcher Wuth, daß die Tscherkessen, denen ohnedies am dauernden Besitz der Festung wenig gelegen war, nach kurzem Widerstande abzogen, um nur einen Theil ihrer Beute zu retten.

Der Priester wurde nach diesem Vorfalle von den Soldaten wie ein Heiliger verehrt, da ihn wunderbarer Weise keine Kugel getroffen hatte, obgleich er sich immer im dichtesten Handgemenge befunden.

Natürlich lieferte diese Wundergeschichte einen reichen Stoff der Unterhaltung und Erbauung für die ganze Besatzung der Festungskette des Pontus und trug nicht wenig dazu bei, das Ansehen der Priester zu heben und die Soldaten zu stärken im Glauben an die Heiligkeit ihrer Sache.

Der Kaiser dankte dem Popen von Golowinsky in einem eigenhändigen Briefe für seine Heldenthat und übersandte ihm zur Belohnung die Schleife des heiligen Georg.

»Aber ich habe immer gehört – erwiederte ich, als wir auf unser Schiff zurückkehrten, dem Offizier, der mir obige Geschichte erzählte – ich habe immer gehört, daß es gegen Sitte und Brauch der Tscherkessen sei, nächtliche Ueberfälle zu unternehmen.«

– Das ist ganz richtig! – entgegnete mein Begleiter – auch steht dieser Fall, soweit meine Erfahrung reicht, ganz vereinzelt da, und eben weil der Kommandant an nichts weniger dachte als an einen nächtlichen Ueberfall, wurde es den Tscherkessen so leicht, die Festung zu überrumpeln. Der Kampf begann nach Mitternacht und endigte erst nach Sonnenaufgang. Uebrigens haben wir sowohl durch Ueberläufer wie auch durch einige Häuptlinge vom Stamme Tschikapu selbst erfahren, daß im Volksrathe (Medshilis) der Schapßuch die größere Zahl der Tamata's (Aeltesten) sich gegen den nächtlichen Ueberfall erklärt hatte, da es gegen die Sitte des Landes und den Brauch tapferer Männer sei, den Feind im Dunkel der Nacht anzugreifen. Aber ihre Stimme drang nicht durch, weil einige von ihnen beschuldigt waren, in gutem Einvernehmen mit den Russen zu stehen; und ein solcher Verdacht reicht hin, die mächtigsten Personen des Landes zeitweilig all ihres Einflusses zu berauben –

***

Die Luft war kühl und der Himmel trübe, als wir Golowinsky verließen, um unsere Reise das Küstenland der Schapßuch entlang fortzusetzen.

Den schönsten Theil der Fahrt hatten wir hinter uns, denn wie blühend und reich an Naturschönheiten die Länder der Schapßuch und Natchokuadsch in ihrem Innern auch sein mögen, ihre Küsten tragen bei weitem nicht den großartigen Charakter wie die Küsten der Abchasen, der Ubych und Dshigeth. Die Gebirgszüge werden immer kleiner, die Vegetation wird immer dürftiger, je weiter man sich, in der Richtung nach Taman, von Golowinsky entfernt.

Da Nachricht eingelaufen war, daß uns in Gelendshik wieder tscherkessische Unterhändler erwarteten, so verweilten wir in allen dazwischen liegenden Festungen: Lasarew, Weljaminowskoje, Tenginskoje und Nowotroitzkoje nur wenige Stunden, brachten die Nacht auf dem Schiffe zu und gingen am folgenden Morgen bei dem herrlichsten Wetter in Gelendshik ans Land. Einen Theil der Mannschaft hatte der General schon während der Nacht auf Barkassen detaschirt, um unter Anführung des Kosakenoberst Barachowitsch Jagd auf ein türkisches Tschekjdermeh zu machen, welches am Abend die Küste verlassen hatte, wahrscheinlich um die Richtung nach Trapezunt einzuschlagen.

Barachowitsch war damals der gefeierte Held des Tages unter den tschornomorischen Kosaken. Besonders durch seinen letzten glücklichen Handstreich war er hoch zu Ehren und Ansehen gekommen. Er hatte nämlich mit zwei Barkassen (welche übrigens durch das Dampfschiff, auf welchem wir uns befanden, gedeckt waren) ein türkisches Sklavenschiff genommen und achtzig Gefangene dabei gemacht, worunter etwa sechszig für türkische Harems bestimmte Jungfrauen, die bis auf weitere Verfügungen von Petersburg, in den Festungsgemächern von Gelendshik und Noworoßiesk untergebracht wurden.

Der Kampf mit der männlichen Besatzung des Schiffs war nur ein kurzer gewesen, desto mehr hatten die Kosaken aber Mühe, sich der schönen Tscherkessinnen zu bemächtigen, die sich theils auf das Hartnäckigste vertheidigten, theils in's Meer sprangen, um nicht den Russen in die Hände zu fallen. Die Meisten wurden allerdings von den nachspringenden Kosaken gerettet; aber drei oder vier Mädchen fanden doch ihren Tod in den Wellen. Die übrigen wurden in den schon erwähnten Festungen untergebracht, mit keiner günstigeren Aussicht, als in irgend einer russischen Militairkolonie das moskowitische Geschlecht verschönern zu helfen.

Wohl selten bietet sich einem Reisenden so günstige Gelegenheit dar, solch eine Menge junger Mädchen aus den unzugänglichsten Stämmen des Kaukasus beisammen zu sehen. Auch benutzte ich mit der größten Gewissenhaftigkeit die mir vergönnte Zeit, unter den schönen Harems-Rekrutinnen zu verweilen, mich mit ihnen zu unterhalten und mir das Eigenthümliche ihrer Erscheinungen einzuprägen.

Ein großes, luftiges, von rohen Säulen getragenes Gemach diente den Gefangenen zur Wohnung. Auf dem Fußboden, welcher, so weit ich mich besinne, aus gestampftem Lehm bestand, lagen Matten und grobe Teppiche ausgebreitet. Möbeln waren, außer einigen alten Tischen und Schemeln, keine zu sehen.

Die schönen Gefangenen, welche theils nachlässig ausgestreckt, theils mit gekreuzten Beinen auf den Teppichen ruhten, erhoben sich sämmtlich, als wir das Gemach betraten. Ich schrieb dies damals dem Umstande zu, daß sich einige Generale und sonstige hochgestellte Personen in unserer Gesellschaft befanden, lernte aber später, daß jede Tscherkessin, und sei sie noch so hohen Ranges, nach dem altherkömmlichen Landesbrauche vor jedem Manne aufsteht, der in's Zimmer tritt, selbst wenn es ihr eigener Diener ist.

Man merkte es den armen Mädchen an, daß es ihnen peinlich war, von uns begafft zu werden; die Einen wandten die Köpfchen weg, wenn wir vorbeigingen, die Andern senkten den Blick zur Erde – nur Wenige von ihnen sahen uns frei ins Gesicht und antworteten ohne Zögern auf die Fragen, welche wir ihnen durch den Dolmetsch vorlegten. Ich wunderte mich, die Mehrzahl der Mädchen ganz auf türkische Weise vermummt zu sehen, da ich wußte, daß bei den Tscherkessen nur die verheiratheten Frauen das Gesicht verschleiern und eine gewisse Zurückhaltung gegen Männer beobachten, während die Mädchen sich dort mit derselben Freiheit bewegen, wie bei uns.

Man sagte mir jedoch, daß die Sklavenhändler streng darauf halten, ihre schönen Gefangenen gleich von vornherein an türkische Sitte zu gewöhnen. Ja, in Stambul ist eine besondere Vorbereitungsschule, wo die jungen Tscherkessinnen erst einen zweijährigen Kursus durchmachen müssen, ehe sie für reif erachtet werden, das Harem eines türkischen Großen zu zieren. Hier werden sie, je nach ihren Anlagen, in weiblichen Handarbeiten, in Musik und Gesang, in der persischen und türkischen Sprache unterrichtet. Die Kosten dieser, im orientalischen Sinne sehr sorgfältigen Erziehung trägt der Sklavenhändler, der den, seinen Haremsperlen durch ihre türkische Bildung verliehenen Glanz beim Verkauf natürlich hoch in Anschlag bringt. Am liebsten ist diesen Leuten, die Tscherkessinnen schon als Kinder in die Hände zu bekommen, da sie sich dann leichter an das türkische Leben gewöhnen und empfänglicher für die Erlernung von Sprachen und Musik sind.

Auch unter unseren jugendlichen Gefangenen von Gelendshik befanden sich sechs Kinder von 8 bis 14 Jahren.

Ich würde diese Kinder, hätte ich sie in abendländischer Kleidung und in einer anderen Umgebung gesehen, unbedingt für Engländerinnen gehalten haben, so rein und gesund war ihre Hautfarbe, so regelmäßig waren ihre Züge, so schön gezeichnet ihre Augen.

Unter den erwachsenen Mädchen fand ich nur vier, die wirkliche Schönheiten in unserem Sinne des Wortes waren. Die übrigen zeichneten sich mehr durch schlanken Wuchs und durch die Kleinheit ihrer Ohren, Hände und Füße aus, worauf die Türken großes Gewicht legen.

Außer einer durchgehends schlanken Gestalt wüßte ich überhaupt nichts, was die Tscherkessinnen positiv Eigenthümliches in ihrer Erscheinung hätten, woran man sie auf den ersten Blick als Töchter ihres Landes erkennen könnte, wie z. B. eine Georgierin, eine Armenierin, eine Engländerin. Man könnte sie als Vermittlerinnen der schönen Welt des Orients und Occidents bezeichnen, da sie in Kleidung und Sitte ganz orientalisch sind, während ihr eigentliches Wesen mehr einen europäischen, ich möchte sagen germanischen Anstrich trägt. Schwarzes Haar und dunkle Augen kommen bei ihnen nicht häufiger vor, als bei uns. Unter den Gefangenen von Gelendshik hatten die meisten blondes oder helles Haar; blaue oder hellbraune Augen.

Von den Georgierinnen unterscheiden sich die Tscherkessinnen wesentlich zu ihrem Vortheil durch eine größere Lebendigkeit des Geistes und größere Rührigkeit des Körpers. Den Georgierinnen sieht man's gleich an, daß sie schnell verblühende Blumen sind; man kann sie sich nur denken in träger Ruhe auf dem Divan hingestreckt, oder unbeweglich wie Pagoden auf dem Dache sitzend, oder feierlichen Schrittes einherschreitend, – es sei denn, daß sie, angeregt durch Gesang oder Musik, ihre kleinen Füße im lieblichen Tanzesreigen der Lesginka schwingen. Die Tscherkessinnen haben, wenn ich mich des Wortes bedienen darf, mehr Race: sie sind behender, geweckter, elastischer von Geist und Körper. Eine Georgierin kann den ganzen Tag auf einem Flecke sitzen, ohne etwas Anderes zu thun, als mit den Perlen ihrer Tschotka zu spielen; die Tscherkessinnen machen sich fortwährend mit weiblichen Handarbeiten in Haus und Küche zu thun. In diesem Lande kann kaum der tapferste Krieger durch seine Heldenthaten größeren Ruhm erlangen als eine Frau durch besondere Geschicklichkeit im Stricken, Weben und Nähen.

Deshalb wissen die Türken die Tscherkessinnen auch vor allen Töchtern des Morgenlandes hoch zu schätzen.

Man kann sich nichts Graziöseres denken als den Anzug dieser kernigen Mädchen. – Den Kopf bedeckt ein zierliches, blau- oder silbergestreiftes Scharlachmützchen, unter welchem die meist üppigen Haare in langen Flechten hervorquellen. Ein nicht zu hoch hinaufreichendes, elegant geschnittenes Korset, gewöhnlich von blauer Seide, vorn durch Knöpfe zusammengehalten, von welchen schmale Silberstreifen auslaufen, preßt die Brust etwas mehr zusammen, als nöthig wäre. Dann bildet ein tief und festgeschlungener Gürtel den Uebergang zu dem eigentlichen Kleide (anteri), dessen Farbe immer von der des Korsets verschieden ist, und unter dem Kleide rauschen die weitfaltigen, seidenen Hosen (schalvari) hervor, welche die meist an und für sich schon kleinen und zierlich beschuhten Füße noch kleiner erscheinen lassen.

Ein Theil unserer schönen Gefangenen war, wie schon oben bemerkt, auf türkische Weise vermummt, d. h. die Mädchen hatten den oberen und unteren Theil des Gesichts mit weißen Tüchern umwunden, so daß man nur die Augen und etwas von der Nase sehen konnte. Doch that das unseren Beobachtungen keinen wesentlichen Eintrag, denn wenn man das Wort an eine der schlanken Harems-Rekrutinnen richtete, so schob sie ihr Tuch herunter, ohne bei der Enthüllung des Gesichts große Verlegenheit kundzugeben.

Besonders ein Mädchen aus dieser jungfräulichen Schaar bewegte sich mit solcher Freiheit und Sicherheit, als ob es seine Erziehung in den Salons der großen Welt und nicht in den Bergschluchten des Kaukasus erhalten hätte.

Es war dies eine der kecksten und anmuthigsten weiblichen Gestalten, die mir im Leben vorgekommen. Der schlanke, tadellose Wuchs ließ sie etwas größer erscheinen, als sie wirklich war; der Hals, der Nacken waren so edel geformt und von solcher Feinheit und Festigkeit, als wären sie für die Ewigkeit geschaffen. Ein feiner, verschlossener Mund, schelmische Grübchen in den Wangen und im Kinn, eine für Kaukasierinnen ungewöhnlich kleine Nase, große schöngezeichnete Augen, mit langen, dunklen Wimpern und ein glänzendes braunes Haar, kleine Hände und Füße – das waren ungefähr die Einzelheiten dieses wunderbaren Wesens, in dessen Zügen männliche Entschlossenheit und Ausdauer mit weiblicher Anmuth um die Herrschaft stritten.

Merkwürdig wie die ganze Erscheinung der jungen Tscherkessin, war auch ihre Lebensgeschichte.

Schon vor vier Jahren hatte sie sich einmal nach der Türkei einschiffen wollen; das Schiff, auf welchem sie sich befand, fiel jedoch nach hartnäckigem Kampfe in russische Hände, ihre Leidensgefährtinnen wurden an russische Soldaten verheirathet, während sie selbst in das Haus der Gräfin O . . ., der Gemahlin eines russischen Generals in Kertsch kam, um dort als Kammermädchen ihre Haremsträume zu vergessen.

Gefesselt durch eine liebevolle Behandlung blieb sie im Hause der Gräfin etwa drei Jahre, verdrehte vielen jungen und alten Leuten den Kopf, ohne jedoch selbst den Kopf dabei zu verlieren, lernte mit fabelhafter Schnelligkeit russisch, französisch und deutsch und – benutzte dann eine sich zufällig darbietende Gelegenheit, wieder in ihre Heimath zu entkommen. Sie mußte, um ihre Flucht durchzusetzen, eine große Strecke schwimmend zurücklegen, überstand jedoch mit seltener Ausdauer alle Mühseligkeiten und Gefahren und kam glücklich in ihrer Heimath wieder an.

Hier verliebte sich ein junger Kämpe in sie, der aber bald nachher auf einem Streifzuge gegen die Russen um's Leben kam. Fast zu gleicher Zeit brach die große Hungersnoth in den Ländern der Tscherkessen aus, zunächst veranlaßt durch die Mißernte des Jahres 1844. Die jungen Mädchen suchten schaarenweise nach der Türkei zu entkommen und auch unsere Heldin benutzte die erste Gelegenheit, um sich wieder nach Trapezunt einzuschiffen; das Schiff wurde von Barachowitsch genommen und die schöne Tscherkessin fiel abermals in die Hände der Russen.

Was später aus ihr geworden ist, weiß ich nicht; sogar ihren Namen habe ich vergessen, während ihre Gestalt mir – wie sicherlich Jedem, der sie nur einmal gesehen – lebendig im Gedächtniß geblieben.

***

Da uns die Stunden unsers Aufenthalts in Gelendshik knapp zugemessen waren, so verließen wir gegen Mittag die Halle der Schönheit, um vor Tisch noch einen kleinen Rundgang durch die erst seit wenigen Jahren gegründete Stadt zu machen, an deren Befestigung und Vergrößerung eben damals fleißig gearbeitet wurde. Mit welchen Schwierigkeiten und Kosten diese Bauten jedoch verbunden sind, möge der Leser aus der Thatsache entnehmen, daß das Material dazu, bis auf den letzten Stein, erst von Kertsch auf Schiffen hergeschafft werden muß.

Der Kommandant von Gelendshik, Generalmajor Graf Oppermann, welcher zugleich den Oberbefehl über eine der vier Sektionen der Küstenbesatzung führte, hatte die Güte, uns persönlich Alles zu zeigen und zu erklären. Er sah aber so angegriffen, kränklich und leidend aus, als ob das Gallenfieber bei ihm ein stehendes Uebel sei; wir kürzten deshalb in stummem Einverständniß unsere Rundschau so viel wie möglich ab, da es außer einer hübschen Kirche, gut eingerichteten Kasernen und Hospitälern und trefflich unterhaltenen Gärten nicht viel zu sehen gab, und die entsetzliche Hitze uns selbst große Anstrengungen unmöglich machte.

Gelendshik ist wegen seiner schönen, sicheren Bucht ganz vorzüglich zum Hafenplatze geeignet; aber das ungesunde Klima nicht weniger als die gefährliche Nachbarschaft der Tscherkessen wird noch auf lange hinaus das Aufblühen der Stadt verhindern. Eine Versetzung hierher, und sei es mit kaiserlicher Vollgewalt, ist nicht viel besser als eine Verbannung nach Sibirien. Die Einwohner brauchten uns ihre Leidensgeschichte nicht zu erzählen; sie stand mit furchtbaren Zügen in ihrem Antlitz geschrieben. Am meisten aber von Allen schien Graf Oppermann gelitten zu haben und noch zu leiden, wozu seine früheren unglücklichen Schicksale wohl nicht wenig beigetragen haben mochten.

Ich erfuhr einen Theil seiner geheimnißvollen Geschichte aus dem Munde eines Offiziers, gegen den ich mich darüber äußerte, daß der Graf in politischen Dingen viel einsylbiger und zurückhaltender zu sein scheine, als alle übrigen russischen Befehlshaber, mit welchen der Zufall mich zusammenführte.

»Das hat seine guten Gründe – erwiederte mein Begleiter, – der Mann ist schon schweren Prüfungen unterworfen gewesen und seine Leidensgeschichte ist noch nicht zu Ende. Nachher, wenn wir auf's Schiff zurückkehren, und ungestört sind, will ich Ihnen davon erzählen, was ich weiß. Haben Sie die Gräfin schon kennen gelernt?«

– »Nein; ich habe einen Brief an sie von einer Freundin in Tiflis; aber der Graf sagte mir, sie befinde sich mit den Kindern in Kertsch, um bessere Luft zu athmen und bessere ärztliche Hülfe zu haben, da sie Alle viel vom Fieber ausgestanden.« –

»Versäumen Sie ja nicht, sie aufzusuchen! Sie ist ein seltenes Weib; eine von den Frauen, die Keiner wieder vergißt, wer je in ihrer Nähe gewesen!«

Der also sprach, war selbst ein Mann, den man nur einmal gesehen zu haben brauchte, um ihn nie wieder zu vergessen. Eine von der Natur großartig angelegte Persönlichkeit, die sich nicht sowohl in einzelnen auffallenden Zügen, als durch ihre Gesammterscheinung kundgab. In der Ukraine geboren, mit der Empfänglichkeit und lebhaften Phantasie eines Südländers ausgestattet, hatte er bis zum sechszehnten Jahre unter der Leitung eines deutschen Philologen eine strenge Schule durchmachen müssen, war dann (in der gewöhnlichen Weise, wie junge Russen von vornehmer Herkunft ihre Karriere zu machen pflegen) nach Petersburg in das Pagenkorps und von dort in die Garde gekommen, wo er im Strudel der großen Welt einige lockere Jahre verlebte. Die müßigen Zerstreuungen seiner Kameraden konnten ihn auf die Dauer nicht befriedigen; er warf sich wieder auf's Studiren und versuchte sich nebenbei in poetischen Ergüssen. Ein Gedicht, welches er einmal in übermüthiger Laune geschrieben und welches durch einen falschen Freund an den unrechten Mann kam, zog ihm den Haß einer in Rußland allmächtigen Person zu. Er wurde degradirt und als gemeiner Soldat nach dem Kaukasus geschickt. Hier machte er eine Reihe von Jahren hindurch alle Feldzüge mit und hatte es, zu der Zeit, als ich ihn kennen lernte, wieder bis zum Lieutenant gebracht.

Aber trotz seiner untergeordneten Stellung genoß er in seiner Umgebung eines Ansehens, wie es nur Geistesüberlegenheit, verbunden mit einem festen Charakter, zu erzeugen vermag.

Seine Kraft war durch die mannichfachen Schicksale, denen er unterworfen gewesen, nicht gebrochen, sondern gestählt. Er war ein feiner Beobachter geworden; sein wechselvolles Leben hatte eine neue Welt von Bildern und Gedanken vor ihm erschlossen. Abgestorben für den gewöhnlichen Ehrgeiz, welcher glaubt, durch Orden oder Epauletten die Blößen des Geistes und Herzens verdecken zu können, war er desto empfänglicher für die Anerkennung, welche seinen persönlichen Vorzügen gezollt wurde.

Eine wunderbare Leichtigkeit des Ausdrucks, ein außerordentliches Gedächtniß und eine für uns schwerfällige Deutsche unbegreifliche Beweglichkeit des Geistes befähigten ihn, nach den Umständen von einem Gegenstande zum andern überzuspringen und immer den Nagel auf den Kopf zu treffen.

Ist es dem Reisenden vergönnt, bei einem merkwürdigen Petrefakt oder einer seltenen Pflanze betrachtend zu verweilen, so dürfte ein merkwürdiger Mensch in noch höherem Grade unserer Aufmerksamkeit werth sein. Darum, obgleich unser Held weder ein berühmter Mann ist, noch Aussicht hat, ein solcher zu werden, mögen hier einige Züge aus seiner Unterhaltung Platz finden, um dem Leser einen schwachen Begriff zu geben, welchen Reiz es für mich haben mußte, solchem Exemplar unserer Gattung unter solchen Umständen zu begegnen. Die Unterhaltung mit G. (so wollen wir unsern Verbannten nennen) erschien mir eben dadurch bedeutungsvoll, daß er seine Stoffe nicht gewaltsam an den Haaren herbeizog, sondern seine Bemerkungen immer auf das Natürlichste an die Personen und Gegenstände unserer nächsten Umgebung knüpfte . . .

Ein Gewitter zog sich über unsern Häuptern zusammen, eben als wir im Begriff waren, Gelendshik zu verlassen. Der vor einer Stunde noch so durchsichtig blaue Himmel wetteiferte jetzt an Dunkel mit dem Schwarzen Meere. Aus dem Schooße der Wolken sprangen die Blitze in gigantischem Zickzack über Berg und Meer, und in tausendfachem Wiederhall rollte der Donner durch die Schluchten des Gebirges.

Alle Russen unserer Gesellschaft bekreuzigten sich.

»Welch wundersamer Gegensatz!« – rief G. – »Wir bekreuzigen uns, um nach dem Glauben des Volks uns zu wahren vor dem Unglück, welches ein Gewitter anstiften kann, während unsere Nachbarn, die Tscherkessen, eben dieses Unglück als ein Glück, als eine Wohlthat Gottes betrachten Der Mensch, der bei ihnen vom Blitz getroffen stirbt, wird glücklicher gepriesen, als der gefallene Held in der Schlacht; man beneidet sein Loos und gedenkt seiner wie eines Heiligen. Eben so gilt bei ihnen die Stätte für gesegnet, wo der Blitz in ein Haus oder einen Baum einschlägt. Darum begrüßen sie jedes Gewitter mit Freuden, und nicht wie wir mit Angst und Furcht.«

Er wurde unterbrochen durch ein lang anhaltendes Donnergerolle, das Alles ringsum erzittern machte.

»Wie meisterhaft – fuhr er fort, als es wieder etwas ruhig geworden war – hat Byron es verstanden, so gewaltige Naturerscheinungen mit gewaltigen Worten zu malen:

. . . . . from peak to peak
Leaps the wild thunder - not from one lone cloud,
No, every mountain now hath found a tongue!

liegt nicht in diesen wenigen Worten die ganze Poesie eines Gewitters im Gebirge?« . . .

– Ich glaube, – hub ein patriotischer Russe an – unser Shukowsky giebt doch Byron in solchen Schilderungen nichts nach. Nehmen Sie nur einmal das schöne Gedicht, worin er das Meer beschreibt; welche Glut und Farbenpracht liegt darin!« –

»Das Gedicht ist sehr hübsch, aber zu überschwenglich und wiegt jedenfalls in seiner Gesammtheit die angeführten wenigen Zeilen von Byron nicht auf.«

Der Andere wollte das nicht zugeben und bedauerte das Gedicht nicht auswendig zu wissen, sonst würde er die Gesellschaft eines Besseren überzeugen.

»Da kann ich aushelfen!« – rief G. aus, auf einstimmigen Wunsch aller Anwesenden begann er zu deklamiren:

O schweigendes Meer! Du voll himmlischer Bläue,
Hoch ob Deinem Schlund sieh' bezaubert mich steh'n
Du athmest lebendig – aufwallende Liebe,
Bewegte Gedanken durchwogen Dich wild.
O schweigendes Meer! Du voll himmlischer Bläue,
Erschließ Deiner Tiefe Geheimnisse mir!
Sag' an, was bewegt den unendlichen Busen?
Was athmet so schwer in der schwellenden Brust?
Sprich, zieht Dich vielleicht aus der Knechtschaft der Erde
Der ferne, der leuchtende Himmel zu sich? . . .
Voll von dem geheimnißvoll Süßen des Lebens
Bist Du rein, wenn er Dir in Reinheit sich zeigt;
Du wiederstrahlst klar seine glänzende Bläue,
Glühst Morgens und Abends in rosigem Licht.
Du freust Dich im Glanz seiner blinzenden Sterne,
Und liebkosest schmeichelnd sein goldnes Gewölk.
Wenn dunkel die Schaaren der Wolken sich sammeln,
Die Klarheit des Himmels dem Blick sich verhüllt –
Dann schlägst Du und brausest und hebst Deine Wogen,
Durchbrichst und zerreißt wild das feindliche Graus . . .
Und das Dunkel verschwindet, die Wolken entfliehen,
Doch voll noch von Deinem vergangenen Grau'n,
Bang athmest Du ein die erschrockenen Wogen
Und den wonnigen Glanz des erneuerten Blau's.
Nicht ganz kehrt die heitere Ruhe Dir wieder,
Betrügerisch, Meer! ist Dein regloser Blick;
In dem schweigenden Schlund birgst Du süße Verwirrung,
Liebäugelst den Himmel und zitterst für ihn!

Das Gedicht fand wohlverdienten Beifall, aber man kam doch überein, daß es sich zu den Byron'schen Versen verhalte wie der Flug einer Taube zu dem Fluge eines Adlers.

Inzwischen hatte der Regen draußen nachgelassen und wir wurden erinnert, daß es hohe Zeit sei zurückzukehren aufs Schiff. Die Sonne brach wieder durch die Wolken als wir vom Lande stießen, und das weiße Städtchen mit dem dunklen Hintergrund der Berge gewährte einen gar hübschen Anblick.

»Paßt nicht Byron's Schilderung von Marathon – hub G. wieder an – auf alle Städte und Festungen dieser Küste?

The mountains look on Marathon,
And Marathon looks on the sea . . .

Das sind nur zwei Verse, und doch enthalten sie ein großes, vollständiges Bild!«

– »Es ist nun einmal Mode bei uns, den Byron immer im Munde zu führen!« – sagte der patriotische Russe mit etwas spöttischem Gesichte.

»Das hat seine guten Gründe, – erwiederte G. sehr gelassen, – weil ohne eine genaue Kenntniß dieses englischen Dichters die Russen ihre eigenen modernen Dichter weder recht verstehen noch recht beurtheilen können, so gewaltig war sein Einfluß auf unsere Literatur. Ist auch in manchen Stücken dieser Einfluß zu beklagen, wegen der vielfachen Auswüchse und Verirrungen zu welchen er Anlaß gegeben, so hat er, im großen Ganzen genommen, doch sehr heilsame Folgen gehabt. Unsere neueren Dichter haben von Byron Kürze und Einfachheit des Ausdrucks gelernt, ein Fortschritt, der nicht hoch genug angeschlagen werden kann, denn Weitschweifigkeit und unnütze Wiederholung in Bild und Wort ist ein Hauptfehler unserer alten Volkspoesie, die sonst des Schönen gar Vieles enthält.« . . .

Wir waren wieder auf unserm Schiffe angelangt, aber die Unterhaltung wurde in der begonnenen Weise mit großer Lebendigkeit fortgesetzt. Bis zum Abendessen konnte G. seine Zuhörer nicht loswerden. Nur zwei von der Gesellschaft entfernten sich: der alte patriotische Russe und ein noch blutjunger aber schon sehr hoch gestellter und sehr naseweiser Offizier, der es unter seiner Würde hielt, sich von einem Lieutenant belehren zu lassen. Wir Uebrigen bildeten eine Gruppe um G., der uns einen äußerst pikanten Vortrag über die Entwickelung der russischen Poesie hielt, eine zahllose Menge von Gedichten der verschiedenen Perioden aus dem Gedächtnisse anführte, und durch seine Citate und Vergleiche aus alten und neuen Sprachen eine außerordentliche Belesenheit kundgab . . .

Der junge, naseweise Offizier war ganz außer sich, daß G. die Gesellschaft so in Anspruch nahm, und ihn bei den Damen vollständig verdunkelte. Bei Tische suchte er durch allerhand abgeschmackte Mittel die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken, ohne Rücksicht auf die Andern dabei zu nehmen. So fing er z. B., während G. seiner Nachbarin eine Frage beantwortete, plötzlich mit wichtiger Miene an zu rufen: »Wir haben eine gefährliche Zahl an der Tafel, dreizehn Personen!«

– »Es sind vierzehn!« – berichtigte der Schiffskapitain.

»Ach so! – ich hatte mich vergessen,« rief der junge Held, laut auflachend.

– »Man muß sich nie vergessen in Gesellschaft!« – warf G. ruhig hin und fuhr fort in seinem Gespräch, während ein zustimmendes Lächeln um die Tafelrunde schlich. Das Lachen des jungen Helden aber verwandelte sich in zorniges Erröthen.

Die Militairs saßen bei Tisch nach ihrer Rangordnung, während die Damen es mit der Etiquette so genau nicht nahmen, sondern sich hinsetzten wo sie sich am besten unterhielten. Der junge Held nahm einen der obern Plätze ein, und da er mit geistigen Waffen gegen G. nichts ausrichten konnte, so suchte er ihn seine Rangüberlegenheit auf empfindliche Weise fühlen zu lassen. »Warum haben Sie sich keinen bessern Platz ausgesucht, Anna Petrowna?« fragte er mit erzwungenem Lächeln eine Dame, welche neben G., ziemlich unten am Tische saß.

– »Dieser Platz gefällt mir sehr gut!« – entgegnete die Gefragte.

»Der beste Platz ist immer wo der beste Mann sitzt,« – sagte G., indem er auf den kommandirenden General sah, den wir Alle sehr liebten; – »und der schlechteste Platz ist wo der schlechteste Mann sitzt,« – fügte er gedehnt hinzu, das Auge fest auf den jungen Störenfried gerichtet, der vor impotenter Verlegenheit die furchtbarsten Grimassen schnitt.

***

Spät am Abend, als sich der größte Theil der Gesellschaft bereits zur Ruhe begeben hatte, erinnerte ich G. an sein Versprechen, mir die Geschichte des Grafen Oppermann zu erzählen. Wir suchten uns ein gemüthliches Plätzchen aus, besorgten uns ein gutes Glas Grog, da nach dem Gewitter die Luft etwas kühl geworden war, und G. begann mit großer Ausführlichkeit seine Erzählung, deren Hauptzüge das nächste Kapitel enthält.

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