Elftes KapitelEine neue Seite der Weisheit des
Mirza-Jussuf, und seine Polemik mit Mirza-Schaffy
Der aufmerksame Leser des ersten Theils von
Tausend und Ein Tag wird sich gewiß noch Mirza-Jussuf's
erinnern, des Weisen von Bagdad, dem Mirza-Schaffy auf so
schlagende Weise eine Probe seiner hohen Ueberlegenheit gab.
Mirza-Jussuf hatte, trotz seiner Niederlage im Kampfe der
Weisheit, die Hoffnung nicht aufgegeben, mich zum Schüler zu
gewinnen. Er wagte freilich nicht, mich wieder zu besuchen,
aus Furcht von dem Weisen von Gjändsha abermals überrascht zu
werden, aber er wußte andere Mittel und Wege ausfindig zu
machen, mich von seinen Bestrebungen in Kenntniß zu setzen.
Ein Bekannter von mir hatte schon seit längerer Zeit mit ihm
Persisch getrieben und wirklich bedeutende Fortschritte in
dieser Sprache gemacht, da es der Weise von Bagdad im
Persischen und Arabischen sicher mit jedem Schriftgelehrten
des Landes aufnehmen konnte. Ueberhaupt fehlte es ihm weder an
Gelehrsamkeit noch an Verstand; es fehlte ihm nur an Charakter
und Zuverlässigkeit; er war, wie man sich in der Redeweise des
Abendlandes ausdrücken würde, ein gelehrter Lump, einer von
den Menschen die durch die Hinterthür wieder hereinkommen,
wenn man sie zur Vorderthür hinausgeworfen. Es verging fast
keine Woche, ohne daß er mir durch seinen Schüler Beweise
seiner Zudringlichkeit gab. Bald ließ er irgend eine
schmeichelhafte Bestellung an mich ausrichten, bald schickte
er mir ein Gedicht, worin ich als ein wahrer Ausbund von
Weisheit gepriesen wurde, bald ein Bild, worauf ich als
Rustam auf einem Elephanten reitend dargestellt wurde.
Auf diese Bilder, welche er selbst anfertigte und zwar ohne
alle Beihülfe von Farben, Pinsel oder Stift, indem er blos
vermittelst seiner Nägel die Gestalten auf das Papier warf,
oder richtiger gesagt, in das Papier kniff, und solchergestalt
auf sehr künstliche Weise eine Art Relief erzeugte, – legte
Mirza-Jussuf ganz besonders Gewicht und in der That war seine
Fingerfertigkeit in dieser Beziehung allen Preises werth.
Ich äußerte mich deshalb auch sehr lobspendend über die mir
geschickten Bilder, wovon ich einige noch ziemlich unversehrt
aufbewahrt habe, – und sandte ihm als handgreiflichen Ausdruck
meines Dankes einen buntverzierten persischen Spiegel, das
angenehmste Geschenk das ich dem eitlen Manne machen konnte.
Nun aber war auch dem Uebermuthe Mirza-Jussuf keine Grenze
mehr zu setzen; er zweifelte nicht länger daran, den Weisen
von Gjändsha vollständig bei mir ausgestochen zu haben, und
während er einerseits mich mit überschwenglichen Phrasen und
Versen überschüttete, ging er anderseits so weit,
Mirza-Schaffy in Knüppelversen zu verhöhnen. Zu gleicher Zeit
ließ er mir durch seinen Jünger eröffnen, daß er die schönen
Bilder immer während des Unterrichts zu machen pflege und daß
es ihm gar nicht darauf ankomme, in einem Abend drei Bilder zu
kneifen und daneben drei Gasels zu singen, ohne für seinen
Unterricht einen Denar mehr zu verlangen als Mirza-Schaffy.
Dem Weisen von Gjändsha war es aufgefallen, daß
Mirza-Jussuf seit einiger Zeit den Kopf wieder gewaltig hoch
trug und auf dem Bazar und in den Straßen so verächtlichen
Blickes an ihm vorüberging ging, als ob er die Pantoffelscene
vollständig vergessen hätte. Noch mehr nahm es ihn Wunder, von
seinem Rival in Knüppelversen verhöhnt zu werden. Doch
Mirza-Schaffy war kein Mann der sich um Kleinigkeiten
erzürnte; er ertrug alle Ausbrüche des Jussuf'schen Uebermuths
mit jener Ruhe der Ueberlegenheit, die dem Weisen von Gjändsha
so wohl stand. Er begnügte sich damit, seinen Nebenbuhler hin
und wieder durch ein paar Verse zurechtzuweisen, welche
gewöhnlich mehr Spuren von Laune als von Gereiztheit trugen,
wie z. B.
Laß, Mirza-Jussuf, dein Schmollen jetzt!
Ich bin zu munter, um Dir zu grollen jetzt –
Statt Haß auszusäen wie Du es thust,
Schlürf ich ein meinen Becher, den vollen, jetzt!
Schon genug bist Du bestraft in der Welt hier,
Daß nichts Dir behagt, nichts gefällt hier –
Und ist doch für Jeden der zu genießen weiß,
Alles so herrlich gemacht und bestellt hier!
oder:
Seht Mirza-Jussuf an, wie er gespreizt einhergeht!
So faltet er die Stirn, wenn er gedankenschwer geht.
Er findet Alles schlecht, sich selbst nur gut und löblich,
Und schimpft auf alle Welt, weil sie nicht geht wie er
geht!
Es ist die Art des Ochsen, daß er einen
schweren Gang hat,
Und daß sein Brüllen stets unangenehmen Klang hat –
Doch: giebt ihm das ein Recht, die Nachtigall zu schmähen,
Weil sie so leicht Gefieder und wundersüßen Sang hat?
Es entspann sich solchergestalt zwischen den beiden Weisen,
was man bei uns eine Polemik nennen würde, wobei jedoch
Mirza-Jussuf regelmäßig den Kürzeren zog, da er immer durch
Bitterkeit ersetzen mußte, was ihm an Witz abging. Seine
Bitterkeit verwandelte sich in förmliche Wuth, als ihm
Mirza-Schaffy eines Tages folgendes Gedicht in's Haus
geschickt hatte:
Was Mirza-Jussuf doch
Ein kritischer Gesell ist!
Der Tag gefällt ihm nicht,
Weil ihm der Tag zu hell ist.
Er liebt die Rose nicht,
Weil Stachel sie und Dorn hat,
Und liebt den Menschen nicht,
Weil er die Nase vorn hat!
Er tadelt Alles rings,
Was nicht nach seinem Kopf ist –
Merkt Alles in der Welt,
Nur nicht, daß er ein Tropf ist!
So liegt er immer mit
Natur und Kunst im Kampf,
So treibt es Tag und Nacht ihn
Durch blauen Dunst und Dampf!
Mirza-Schaffy belacht ihn
Mit schelmischem Gesicht,
Und macht aus seiner Bitterkeit
Das süßeste Gedicht!
Mein weiser Lehrer sang mir in der Unterrichtsstunde diese
Verse vor, ließ sich eine frische Pfeife bringen, schlürfte
ein Glas Wein herunter und theilte mir dann seine Absicht mit,
Mirza-Jussuf bei der ersten besten Gelegenheit eine neue,
handgreifliche Zurechtweisung zu geben, da der Weise von
Bagdad in der Wuth seiner Ohnmacht allerlei Unwahrheiten über
uns verbreitet habe, so z. B. daß ich mir alle mögliche Mühe
gebe, ihn zum Lehrer zu gewinnen, weil mit Mirza-Schaffy
durchaus nichts anzufangen wäre, und besonders weil ich eine
große Liebhaberei für das Bilderkneifen hätte, eine dem Weisen
von Gjändsha vollständig unbekannte Kunst. Ich hätte deshalb
schon verschiedene Lockmittel angewendet, um den Weisen von
Bagdad zu bewegen wieder zu mir zu kommen; unter anderem hätte
ich ihm einen prächtigen Spiegel geschenkt, und ihm noch viele
andere prächtige Dinge versprochen.. »Das einzig Wahre an der
Geschichte ist – entgegnete ich Mirza-Schaffy – daß ich dem
Weisen von Bagdad allerdings einen Spiegel geschenkt habe,
einen kleinen, bunt verzierten persischen Taschenspiegel.
Dieses Geschenk war aber keinesweges berechnet ein Lockmittel
zu sein, deren es, wie Du selbst weißt, weder für den Weisen
von Bagdad noch für irgend einen anderen Schriftgelehrten des
Landes bedarf. Ich wollte Mirza-Jussuf nur ein kleines
Gegengeschenk machen für die vielen Gedichte und Bilder,
welche er nicht müde wird mir in's Haus zu schicken, und
worunter sich einige recht hübsche befinden.« – »Dann sind sie
nicht von ihm selbst!« – fiel Mirza-Schaffy ein.
»Wie kannst Du das mit solcher Bestimmtheit behaupten? Bist
Du nicht etwas ungerecht und parteiisch in Deinem Urtheil über
Mirza-Jussuf? Wie kannst Du wissen, daß seine Lieder schlecht
sind, ohne sie gelesen zu haben?« – »Was für Fragen Du thust!
Wie kann ich ungerecht sein im Urtheil, wenn ich behaupte, daß
auf Disteln keine Rosen wachsen, daß aus Morästen kein Wein
fließt und auf dem Wasser kein Gold schwimmt! Wenn
Mirza-Jussuf Dir ein schönes Lied giebt, so ist es sicher
nicht von ihm selbst, oder er hat nichts dazu hergegeben als
die Worte; die Bilder und Gedanken sind immer gestohlen. Seine
Weisheit ist nicht wie ein Kern oder ein Saatkorn, gepflanzt
um aufzublühen und Früchte zu tragen; er hat viel gelesen und
viel gelernt, aber ohne weiser zu werden dadurch. Seine
Sprüche der Weisheit sitzen nicht tiefer, als Inschriften
eingekerbt in die Rinde eines Baumes. Zeige mir was er Dir
geschrieben hat; ich werde Dir immer die Quelle sagen aus der
es geflossen.« –
Ich hatte in der That eine bessere Meinung von der Begabung
Mirza-Jussufs und benutzte die Unterrichtsstunde, um meinen
Lehrer mit den Gedichten welche sein Nebenbuhler mir geschickt
hatte, bekannt zu machen.
Zuerst kamen einige fromme, rein auf das Gefühl berechnete
Gedichte, welche mit ihren weithergeholten Bildern und ihrer
überschwenglichen Ausdrucksweise um so weniger Eindruck auf
mich machten, als ich wußte, daß ihr Inhalt durchaus im
Widerspruch mit Mirza-Jussuf's Charakter stand. Der Weise von
Gjändsha hielt es gar nicht der Mühe werth, diese Lieder einer
ausführlichen Prüfung zu unterwerfen. Er nahm jedoch als
gewissenhafter Lehrer dabei Anlaß, mir einige »Sprüche der
Weisheit« einzuflößen, um – wie er bemerkte – mein Urtheil zu
bilden und mich das Falsche vom Aechten unterscheiden zu
lehren. Ich hatte mich schon hinlänglich an seine
Eigenthümlichkeiten gewöhnt, um genau zu wissen, wann ich
seine Worte niederzuschreiben hatte, ohne daß es seinerseits
eines Fingerzeigs dazu bedurfte. Wenn immer er im Begriff war
mir etwas in die Feder zu diktiren, so schlürfte er erst ein
Glas Kachetiner herunter, that ein paar tüchtige Züge aus
seinem mit duftigem Tabak gefüllten Tschibuq und ließ das
rechte Bein nachlässig vom Divan herunterhängen. Das
Zurückziehen des Beines galt mir immer als ein sicheres
Zeichen, daß die Quelle seiner Weisheit für den Augenblick
versiegt war. Mirza-Schaffy war kein Mann von vielen Worten.
Was er zu sagen hatte, gab er stets kurz und ausdrucksscharf
von sich. Sein ganzes Urtheil über die frommen Ergüsse des
Weisen von Bagdad beschränkte sich auf die Verse:
Wenn die Lieder gar zu moscheenduftig
Und schaurig weh'n,
Muß es im Kopfe des Dichters sehr ideenluftig
Und traurig steh'n.
Wir blätterten weiter, und das Nächste was unsere
Aufmerksamkeit fesselte, war ein Liebeslied etwa folgender
Fassung:
Du weißt, daß Deine Blicke tödten,
Weil jeder scharf ist wie ein Pfeil –
Und meine machen Dich erröthen:
Wie finden wir nun Beide Heil?
O, magst Du immerhin mich tödten,
Ich duld es gern, mein süßes Leben!
Und magst, so viel Du willst, erröthen:
Nur lass' mich Deinen Schleier heben!
»Nun wie gefällt Dir dieses?« fragte ich meinen streng
urtheilenden Lehrer. – »Nicht übel – erwiederte er, – aber was
Gutes daran ist, gehört Hafis an und nimmt sich sicherlich
noch hübscher in seiner ursprünglichen Fassung aus.« – Er ließ
wieder das Bein herunterhängen und sang:
»O Hafis! ein wundersam Vermächtniß
Liegt im Klang und Zauber Deiner Lieder –
Wer sie hört, behält sie im Gedächtniß,
Und vergessen kann sie Keiner wieder!«
Nachdem wir hierauf einige auf mich gemünzte Loblieder
durchgenommen hatten, deren stofflichen Inhalt Mirza-Schaffy
dem Dichter Dshamy zuschrieb, kamen wir wieder zu einem
Liebesliede, welches mir von besonderer Schönheit der Sprache
zu sein schien:
Auf ihrer seidnen Ottomane,
Umwogt von weichen Polstern liegt sie,
Das Rohr vom perlenden Kalljane
An ihre Rosenlippen schmiegt sie.
Und durch des Dampfes blauen Schleier
Hervor wie eine Sonne bricht,
Durchstrahlt von wunderbarem Feuer,
Ihr majestätisch Angesicht.
Mein ganzes Sein vergeht vor Wonne,
Es treibt den Fuß, hinanzutreten –
Ich kniee hin vor dieser Sonne
Und beuge mich sie anzubeten!
»Alles zusammengestohlen! – sprach lächelnd Mirza-Schaffy –
bald klingt Saadi durch und bald Chakany, bald Dshamy und bald
Hafis!« –
Der Weise von Gjändsha wurde nachdenkend. Er rückte an
seiner Thurmmütze, blies den Dampf seines Tschibuq's in langen
Zügen von sich und das vom Divan heruntergleitende Bein ließ
mich bald wieder zum Kalemdan greifen. Er sang und ich
schrieb:
Was ist doch Mirza-Jussuf ein vielbeles'ner Mann!
Bald liest er den Hafis und bald den Alkoran,
Bald Dshamy und Chakany, und bald den Gjülistan.
Hier stiehlt er sich ein Bild, und eine Blume dort,
Hier einen schönen Gedanken, und dort ein schönes Wort.
Was schon geschaffen ist, das schafft er wiederum,
Die ganze Welt setzt er in seine Lieder um,
Und hängt zu eig'nem Schmuck fremdes Gefieder um,
Damit macht er sich breit und nennt das Poesie.
Wie anders dichtet doch und lebt Mirza-Schaffy!
Ein Leuchtstern ist sein Herz, ein Garten seine Brust,
Wo Alles glüht und duftet von frischer Blütenlust.
Und bei des eig'nen Schaffens urwüchsiger
Gewöhnung
Vergißt er auch den Klang, die Formvollendung nicht;
Doch übersieht er ob der Reime süßer Tönung,
Des Dichters eigentliche, erhab'ne Sendung nicht.
Der Mangel an Gehalt ersetzt ihm die Verschönung
Des Lieds durch Blumenschmuck und feine Wendung nicht.
Für Schlechtes und Gemeines bekehrt ihn zur Versöhnung
Des Wortes Flitterstaat, die Form und Endung nicht!
Er hielt einen Augenblick ein, netzte sich noch einmal die
Lippen und fuhr dann fort:
Lieber Sterne ohne Strahlen,
Als Strahlen ohne Sterne –
Lieber Kerne ohne Schalen
Als Schalen ohne Kerne –
Geld lieber ohne Taschen,
Als Taschen ohne Geld –
Wein lieber ohne Flaschen,
Als umgekehrt bestellt!