Fünfzehntes KapitelHäuser- und Straßenbilder
Eine tatarische Wohnung und eine
armenische Hochzeit in Tiflis.
Bei allem Ansehn, welches Mirza-Schaffy
unter den tatarischen und persischen Schriftgelehrten genoß,
war er in der sogenannten »guten Gesellschaft« von Tiflis
gänzlich unbekannt. Diese »gute Gesellschaft« bestand
vorwiegend aus den vornehmeren Militairs und der höheren
russischen Beamtenwelt, worunter eine Menge deutsche und
einzelne französische und spanische Namen sich befanden. Dazu
kamen zahllose Prinzen und Prinzessinnen aus dem alten
georgischen Königshause und einzelne begüterte armenische und
georgische Fürsten, deren Kleidung und Lebensweise schon mehr
oder weniger einen europäischen Anstrich trug.
Bei großen Diners, Bällen und ähnlichen außergewöhnlichen
Festlichkeiten, war das asiatische Element stärker vertreten.
Man sah dann in den prachtvollsten Gewändern und im
kostbarsten Waffengeschmeide Fürsten der Kirgisen, Truchmenen,
Kabarder, Abchasen, Gurier, Tuschen, Mingrelier, Imerether;
Chane, Sultane und Häuptlinge verschiedener Tataren- und
Tscherkessenstämme.
Von den engeren Cirkeln der Gesellschaft blieben diese
fremden Elemente größtentheils ausgeschlossen; hier war das
Französische die vorherrschende Sprache und der schwarze
Frack, oder die Uniform, die vorherrschende Tracht. Auch die
Toilette der Damen war ganz den strengsten Pariser
Anforderungen entsprechend. Einzelne, in den engeren Cirkeln
heimische Damen aus georgischen Fürstenhäusern, wie die
Tschawtschewadse's und die
Gribojedow hatten sich, theils durch längeren
Aufenthalt am Petersburger Hofe, theils durch Reisen im
Auslande, so in europäische Tracht und Sitte hineingelebt, daß
man sie nur durch ihre orientalische Schönheit von den übrigen
unterscheiden konnte.
Die große Masse der georgischen, armenischen, tatarischen
und persischen Bevölkerung von Tiflis, stand zu der
Salon-Gesellschaft ungefähr in demselben Verhältniß, wie in
der vormärzlichen Zeit das Ghetto von Prag zu der dortigen
Aristokratie.
Es galt für »mauvais genre« das Haus
einer nicht salonfähigen Familie zu besuchen, und Beamte wie
Militairs fügten sich, mit wenigen genialen Ausnahmen, dem
herrschenden Vorurtheile. Da jedoch in den tifliser Salons
wenig mehr vom asiatischen Leben zu sehen war, als in irgend
einem Salon von Paris, Wien oder Berlin, so suchte ich das
asiatische mauvais genre so oft sich mir
Gelegenheit dazu bot.
Ein gesellschaftliches Leben in unserm Sinne des Wortes
herrscht bei den Asiaten nicht, da gewöhnlich die Frauen
streng von den Männern geschieden sind, und überhaupt
Gesellschaften nur bei besonderen Anlässen (Hochzeit,
Kindtaufe &c.) stattfinden. Solche gesonderte
Frauengesellschaften kann ein Fremder natürlich nur vom
Hörensagen, oder durch ausnahmsweise, zufällige Begünstigungen
kennen lernen.
Ich wohnte am Fuße des heiligen Davidsberges (der die
wunderthätige Kapelle trägt), in dem Nebengebäude eines
Hauses, welches der reiche armenische Kaufmann Tamamschew
eigends für sich und die Familie seines Schwiegersohns, des
Fürsten Tumanow, eingerichtet hatte.
Von dem Balkon, wie von der Terrasse meiner Wohnung aus, wo
ich bei schönem Wetter jeden Morgen und Abend meinen Tschibuq
rauchte, konnte ich mit aller Behaglichkeit die ganze, mir zur
Rechten liegende Stadt übersehen. Zur Linken brach sich der
Blick am heiligen Davidsberge, der jeden Donnerstag durch die
langen Züge schöner Pilgerinnen die hinauf zur Kapelle
wallfahrteten, ein gar anmuthiges Schauspiel bot. Dicht neben
meiner Wohnung, am Fuße des Berges, lagen einige halb
unterirdische Sakli's, aus welchen auch hin und wieder eine
schlanke Georgierin hervorstieg, um sich auf das Dach ihrer
eigenen dunkeln Steinhütte zu setzen, oder um eine Freundin
auf irgend einem benachbarten Dache zu besuchen. Das Haus
Tamamschew's lag meiner Wohnung gerade gegenüber, und über den
nicht sehr weiten Hofraum hinweg konnte ich, besonders Abends,
wenn Alles erleuchtet war, ziemlich genau sehen, was in den
Frauengemächern vorging.
Da saßen (bei jedem festlichen Anlaß) dreißig bis vierzig
armenische Frauen mit gekreuzten Beinen auf einem großen, das
ganze Zimmer ausmessenden Teppich, in buntem Kreise, alle
angethan mit schweren, kostbaren Stoffen, den Nacken von einem
weißen Schleier überwallt, und das Leibchen zwiefach
halbmondförmig so weit ausgeschnitten, daß des Busens besserer
Theil offen zur Schau lag.
Ich kann hier die Bemerkung einschalten, daß im Morgenlande
die Frauen mit ihrem Busen noch viel weniger heimlich thun als
bei uns. Dem strengsten Schamgefühl ist dort Genüge gethan mit
dem Verhüllen des Gesichtes. Alle übrigen Körpertheile werden
geringerer Berücksichtigung gewürdigt.
Es ist um das Schicklichkeits- und Anstandsgefühl (wie es
im Grunde allen Völkern innewohnt, sich aber auf die
verschiedenste Art kundgiebt) ein eigenes Ding. Eine Schottin
kann vor lauter Schamhaftigkeit in Ohnmacht fallen, wenn sie
einen Mann mit einem Barte sieht, findet es aber ganz ihren
Begriffen von Anstand gemäß, daß die Männer ohne Hosen
einhergehen, ein Zustand, der den Damen anderer Länder wieder
das Blut der Scham in die Wangen treiben würde. Eine badende
Europäerin wird, wenn sie sich von Männeraugen erspähet weiß,
alles Andere eher verhüllen als ihr Gesicht. Eine Asiatin
wird, unter ähnlichen Umständen, fremden Blicken alles Andere
eher preisgeben als ihr Gesicht. Diese wenigen Beispiele mögen
genügen um darzuthun, wie schwer es ist, in dem was man Sitte
und Anstand nennt, die Scheidelinie zwischen dem Ernsten und
Komischen, zwischen Weisheit und Thorheit zu ziehen. Der
beschränkte Mensch ist immer am meisten geneigt das zu
belächeln, was über seinen engen Gesichtskreis hinausreicht;
je weiter der Blick, desto milder das Urtheil . . .
Doch, kehren wir zu den armenischen Frauen zurück, welche
Veranlassung zu dieser Abschweifung gegeben.
Von meiner Wohnung aus sah ich oft stundenlang den
Gesellschaften der Tamamschew und Tumanow zu. Da saßen die
zahlreichen weiblichen Gäste in dem oben beschriebenen Kreise,
dessen Mittelpunkt eine mit Backwerk, Erfrischungen und
eingemachten Süßigkeiten aller Art beladene Tischplatte
bildete: Eine geraume Zeit hindurch blieben sie Alle stumm und
regungslos wie Wachsfiguren. Dann lösten sie Eine nach der
Andern ihre als Armbänder getragenen Tschotken
(Rosenkränze, welche nicht zum Beten, sondern zum Spielen
bestimmt sind) los und ließen, in Ermangelung besseren
Zeitvertreibes, die Perlen langsam die seidenen Fädchen
herabgleiten, ohne andere Unterbrechung als ein gelegentliches
Nippen von den auf der Tischplatte stehenden Süßigkeiten.
Zuweilen nahm auch eine von den älteren Frauen das Wort, um
ein Mährchen oder eine Geschichte zu erzählen; dann hörten die
Umsitzenden immer so gespannt zu, daß sie das Spielen mit
ihrer Tschotka gänzlich außer Acht ließen. Hierauf
beschränkten sich die Ansprüche dieser Frauen auf
gesellschaftliches Vergnügen. An eine lebendige, von der
ganzen Gesellschaft getheilte Unterhaltung war nicht zu
denken.
Bewegter und lauter ging es in den andern Zimmern her, wo
die Männer ihr Festgelag hielten. Hier hatte jeder Bekannte
des Hauses freien Zutritt, und wer am meisten trinken konnte
von dem in Naphtabestrichenen Schläuchen aufbewahrten
Landeswein, war der willkommenste Gast. Wie bei den Frauen das
Spielen mit der Tschotka, so war bei den Männern das Trinken
die Hauptsache, und wahrlich gehörte ein mit Naphta
ausgestrichener Magen dazu, um es den Armeniern im Weintrinken
gleichzuthun.
In denjenigen armenischen und georgischen Häusern, wo man
mit Beibehaltung aller sonstigen nationalen
Eigenthümlichkeiten in gesellschaftlicher Beziehung mehr den
europäischen Sitten sich anbequemt, pflegt es, in Folge des
allezeit veredelnden Einflusses der Frauen, mäßiger bei den
Trinkgelagen und lebhafter in der Unterhaltung herzugehen.
In eine solche gemischte Gesellschaft wünschte ich, bei
Gelegenheit eines armenischen Hochzeitsfestes, meine
freundlichen Leser zu führen, und wäre gleich in
medias res gesprungen, wenn ich nicht an dem Grundsatze
festhielte, meinen Schilderungen aus dem Leben immer mit
historischer Treue die vorbereitenden und erklärenden Züge
einzuflechten.
Bei der Schwerfälligkeit meines Geistes bedurfte ich selber
stets einer anregenden Vorbereitung, um mich mit nöthiger
Sicherheit und richtigem Blicke in fremde Situationen zu
versetzen. Deshalb waren meine Arbeitstage streng geschieden
von den Tagen des Genusses. Lag mir am Morgen eine besonders
interessante Einladung für den Abend vor, so war den Tag über
an kein ernstes Studiren zu denken. Ich pflegte dann ein paar
gute Bekannte aufzusuchen, um mit ihnen die Stadt zu
durchstreifen, im Bazar zu verweilen, zwischen den
halbunterirdischen Wohnungen der Georgier umherzuklettern, das
Treiben und Leben in den Karavanserai's, auf Straße und Markt
zu beobachten, und alles Neue von Interesse durch ein paar
Züge in meinem Tagebuche zu bleibender Erinnerung anzumerken.
So geschah es auch an jenem Tage, als ich die Einladung zu
der armenischen Hochzeit erhielt. Ich legte meine Bücher und
Hefte bei Seite, und machte mich auf den Weg, um einige
Bekannte zur Begleitung aufzusuchen.
Eine ungepflasterte, unregelmäßige Straße führte von meiner
Wohnung, bergab zwischen Weingärten sich hinziehend, in die
Hauptstraße von Tiflis, zur Rechten von dem Palaste des
Sardaars (Oberbefehlshabers), und zur Linken von dem fast eben
so großartig gebauten, neuen Gymnasium begrenzt.
Hier wurde mir der Weg dieses Mal von einem zahlreichen
Schwarm Tataren versperrt, welche sich vom Gymnasium bis zum
Sadaarpalaste hin theils auf der Erde gelagert hatten, theils
in einzelnen Gruppen umherstanden und durch ihre grimmigen
Blicke, lebhaften Bewegungen und lauten Worte meine Neugier
auf's höchste erregten.
Ich brachte bald in Erfahrung, daß es eine, ein paar
hundert Mann starke Deputation aus dem Innern des Landes war,
nach Tiflis zu dem Zwecke gekommen, um den Sardaar zu bitten,
ein Gesetz wieder aufzuheben, welches vorschrieb, daß die
Tataren ihren Tribut künftig in Hammeln entrichten sollten.
Einige der Angesehenern von ihnen waren als Wortführer in
die Wohnung des Sardaars gegangen und hatten sich, da dieser
verreist war, an seinen Stellvertreter gewendet, der sich
vergeblich bemühete, die Bittsteller durch unbestimmte
Verheißungen loszuwerden. Sie verlangten eine bestimmte
Antwort und gaben zu verstehen, daß, bis solche erfolgt sei,
die draußen lagernde Tatarenschaar Tiflis nicht verlassen
werde.
Der stellvertretende Generalgouverneur gab sofort Befehl,
den Tataren friedlich zu bedeuten, daß sie die Stadt ohne
Weiteres zu verlassen hätten, und falls sie dieser Weisung
nicht Folge leisteten, Kosaken aufzubieten, um sie mit Gewalt
zu vertreiben. Dies hatte jedoch seine großen Schwierigkeiten,
denn obgleich die Tataren unbewaffnet waren (man hätte sonst
einem so großen Schwarme den Einzug in die Stadt nicht
erlaubt), so setzten sie doch den Kosaken so derb mit ihren
kräftigen Fäusten zu, daß man genöthigt war, noch
Verstärkungen herbeizuziehen und von der blanken Klinge
Gebrauch zu machen, ehe es gelang, die wilden Nachkommen der
goldenen Horde aus der Stadt zu vertreiben.
Schon während dieses Schauspiels, das die ganze
Nachbarschaft auf die Beine brachte, hatten sich einige
Bekannte zu mir gesellt, die sich gleich bereit finden ließen,
mich auf meiner Wanderung durch die Stadt zu begleiten.
Wir hatten kaum hundert Schritte zurückgelegt, als auf dem,
mit der großen Straße von Tiflis zusammenhängenden
Eriwan'schen Platze, ein neues Schauspiel eigenthümlicher Art
unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Etwa ein Dutzend von Kopf bis zu Fuß in die weiße Tschadra
gehüllter, alter Frauen, von ärmlichem Ansehen und der
Mehrzahl nach von abschreckender Häßlichkeit, kam feierlichen
Zuges über den Platz geschritten und machte in einer
angrenzenden Straße Halt.
Ein paar der gespensterhaft aussehenden Wesen verschwanden
in einem georgischen Hause, kamen jedoch nach kurzer Zeit
wieder zum Vorschein, um sich auf's Neue mit dem Zuge in
Bewegung zu setzen. Dasselbe Manöver wurde bei jedem
georgischen Hause wiederholt.
Zur Erklärung dieses seltsamen Schauspiels wurde mir
gesagt, daß jedesmal bei anhaltender Dürre die armen
Georgierinnen in Prozession von Haus zu Haus ziehen, um
Almosen zu sammeln und dafür den lieben Gott zu bitten, daß er
den Born seiner Barmherzigkeit erschließe und Regen auf die
lechzende Erde herabsende.
Zu diesem Zwecke pilgern sie, beladen mit Kreuzen,
Heiligenbildern und anderm frommen Zubehör, hinaus ins Freie,
um auf den Aeckern und für den Segen derer zu beten, welche
Opfergaben gespendet haben. Diese Feierlichkeit mit dem
vorbereitenden Almosensammeln wiederholt sich täglich, bis der
Himmel endlich die Gebete erhört und Regen zur Erde sendet.
Wir folgten den frommen Schwestern nicht auf's Feld hinaus,
da es meine Absicht war, Mirza-Schaffy aufzusuchen und ihn zu
bitten, die für den Abend angesetzte Unterrichtsstunde auf
einen anderen Tag zu verlegen. Ich hatte den Weisen früher nie
in seiner Wohnung gesehen, und es verlangte mich deshalb sehr,
einmal einen Blick in seine häusliche Einrichtung zu werfen,
ein Verlangen, das von meinen Begleitern, die schon viel von
Mirza-Schaffy gehört hatten, lebhaft getheilt wurde.
Wir wanden uns, in der Richtung nach dem Kyros zu, durch
eine krumme, schmutzige Gasse, welche zu beiden Seiten von
grauen Sakli's begrenzt, nur hin und wieder einmal ein etwas
wohnlicheres Gebäude durchblicken ließ. Hausnummern giebt es
hier natürlich nicht, und eine georgische oder tatarische
Sakli ist von der andern eben so schwer zu unterscheiden wie
ein Maulwurfshaufen von dem andern. Wir hatten deshalb große
Noth, die Wohnung des Weisen ausfindig zu machen, obgleich er
mir den Platz ziemlich genau beschrieben hatte. Erst
verscheuchten wir durch unsere bloße Anrede ein paar junge
rothhosige Mädchen vom Dache, welche, statt auf die ihnen
vorgelegte Frage zu antworten, mit Blitzesschnelle in ihre
unterirdische Behausung verschwanden. Dann wurden wir selbst
verscheucht durch ein paar zähnefletschende Hunde, welche, als
wir auf unserer Entdeckungsreise in ein Gehöft einbogen, mit
wüthendem Geheul auf uns losstürzten. Ein alter Tatar, der
ernsten Blickes an uns vorüberwatschelte, deutete zur Antwort
auf unsere Frage nach Mirza-Schaffy's Wohnung, auf eine ferne
Häusergruppe hin, und wandelte dann seines Weges fort, ohne
sich weiter nach uns umzusehen. Endlich waren wir so
glücklich, einen schwarzäugigen, in die buntfarbigsten Lumpen
gekleideten Jungen aufzutreiben, der uns für einen Abbas (etwa
6 Sgr.) in die Klause des Weisen von Gjändsha zu führen
versprach. Er trieb uns erst einen Theil des Weges, welchen
wir gekommen waren, zurück, feuerte uns dann durch sein
Beispiel an, eine Reihe von Saklis zu überklettern, wobei wir
mit großer Vorsicht verfahren mußten, um nicht durch die
Oeffnungen in den platten Dächern irgend einer Familie
uneingeladen in's Haus zu fallen, bis wir uns plötzlich in
eine kleine, bergablaufende Sackgasse versetzt sahen, wo sich
vor uns ein niedriges, aber ziemlich umfangreiches Gebäude
aufthat, welches mit seinen grauen Flügeln einen nichts
weniger als reinen und ebenen Hofraum umschloß. In dem linken
Flügel, hinter welchem einige Bäume die Nähe eines Gartens
verriethen, wohnte Mirza-Schaffy.
Wir hatten kaum festen Fuß im Hofe gefaßt, als uns ein
entsetzliches Hundegeheul wieder am Vorgehen hinderte und uns
zwang, eine vertheidigende Stellung einzunehmen. Unser
jugendlicher Führer wußte jedoch durch die seltsamsten Kehl-
und Zischlaute die bellend auf uns losstürzenden Ungethüme
bald zum Rückzuge zu zwingen; noch ein paar Schritte, und wir
befanden uns in der Wohnung Mirza-Schaffy's.
Die Thüre wurde geöffnet von demselben schmächtigen,
gliedergeschmeidigen Tatarenjünglinge, durch dessen
Vermittlung Mirza-Schaffy einst in den Besitz meiner
englischen Scheere kam, nachdem er den Blick des Verlangens
darauf geworfen.
Wir traten in ein kleines, schmuckloses Gemach, welches mit
einem größeren, etwas wohnlicher eingerichteten Zimmer
zusammenhing. Ersteres, wo der junge Tatar hauste, bildete
gleichsam das Vorzimmer zu letzterem, wo Mirza-Schaffy seine
Wohnung hatte.
Beide Gemächer waren weiß übertüncht, der Fußboden war mit
Matten belegt, in den Seitenwänden befanden sich Nischen, und
im Hintergrunde des größern Zimmers war eine Art von Kamin
angebracht. Das Ganze trug einen sehr einfachen und sauberen
Anstrich.
Mirza-Schaffy lag mit untergeschlagenen Beinen auf dem
niedrigen, roth überkleideten Divan, als wir eintraten, und
schien mit nichts Anderm beschäftigt, als die Pfeife der
Betrachtung zu rauchen. Vor ihm stand auf einer kleinen
Tischplatte ein hoher, persischer Kalljan, dessen
hochaufliegende Kohle bezeugte, daß er eben erst wieder mit
frischem Tombagju (grobgeschnittener Tabak, welcher blos aus
dem Kalljan und Nargilé geraucht wird, im Gegensatz zu dem
feingeschnittenen Tabak (Tütin) der für die Tschibuqs bestimmt
ist) gefüllt war.
Der Weise erhob sich langsam, als er unser ansichtig wurde,
rief uns ein herzliches »Chosch gjäldinnis!« (Seid
willkommen!) entgegen, und setzte sich erst wieder, als wir
Alle um ihn her Platz genommen hatten. Der junge Tatar war
inzwischen unaufgefordert beschäftigt, uns Kaffee und Pfeifen
zu besorgen, und erst als Jeder sein dampfendes Schälchen vor
sich stehen und den dampfenden Tschibuq im Munde hatte, begann
die eigentliche Unterhaltung.
Ich hatte große Lust, mich näher in der Wohnung umzusehen,
um die ganze Einrichtung in ihren Einzelheiten kennen zu
lernen, hielt aber gewaltsam an mich, und bat meine Gefährten,
ein Gleiches zu thun, da ich wußte, daß es uns wesentlich in
der Achtung des Weisen herabsetzen würde, wenn wir den Blick
der Neugier gleich aus einer Ecke in die andere schweifen
ließen.
Ich wartete deshalb einen günstigen Augenblick ab und
wandte, nachdem ich meine Absagebestellung ausgerichtet, das
Gespräch zunächst auf die Schwierigkeiten, welche wir zu
überwinden gehabt hatten, um zu Mirza-Schaffy's Wohnung zu
gelangen. »Wie ist es nur möglich – schloß ich – daß Du mit
Deinen feinen, grünen Pantoffeln und schmucken, buntgewirkten
Strümpfen, bei schlechtem Wetter den langen Weg zu mir machen
kannst, ohne jemals schmutzig zu werden, während wir selbst
bei gutem Wetter nicht rein davonkommen?«
– Adad-der – das macht die Gewohnheit! – sprach er
lächelnd. Darauf wandte er sich mit einer allgemein gehaltenen
Frage an meine beiden Begleiter, die jedoch nicht gleich
antworten konnten, weil sie nicht tatarisch verstanden. Das
wollte er blos wissen, um mich ausforschen zu können, ob ihnen
im Punkte des Weintrinkens zu trauen sei. Da er sich auf meine
Veranlassung um eine Stelle beim Gymnasium bemühte und die
Entscheidung noch nicht erfolgt war, so wollte er es
vermeiden, die Schwierigkeiten, welche ihm frommthuende
Nebenbuhler in den Weg gelegt hatten, leichtsinnig zu
vermehren.
Nachdem ich ihn vollständig über meine Begleiter beruhigt
hatte, rief er dem im Nebenzimmer kauernden Tatarenburschen
die Anfangsworte eines Hafisischen Liedes zu: »Ssaki bijar
badé! Schenke, bring' Wein!« Der Bursche sprang sofort auf und
eilte geräuschlos zur Thür hinaus. Man sah es seinem
verständnißflinken Wesen an, daß ihm dergleichen Aufträge
nicht neu waren.
»Wer ist der junge Mensch?« fragte ich Mirza-Schaffy.
– Ein armer Verwandter von mir – antwortete der Weise – den
ich seit dem Tode seines Vaters in's Haus genommen habe, um
ihn in der Weisheit zu unterrichten. Es ist aber Nichts mit
ihm aufzustellen; der Mensch ist von der Natur für die Kutte
bestimmt, und deshalb lasse ich ihn ruhig bei seinem Vorsatze,
ein Geistlicher zu werden. Der Muschtahid gilt ihm für eine
größere Autorität als ich, und ein Kuß auf die Hand des alten
wunderlichen Heiligen schmeckt ihm süßer als ein Glas Wein von
mir. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn der Bursche selbst
einmal Muschtahid würde. Er hat allen Stoff dazu. Gesichter
kann er schneiden wie ein Derwisch, und winden und schmiegen
kann er sich wie ein Aal. Den ganzen Tag sitzt er und schreibt
alte Gebete und heilige Geschichten ab; das erbauet ihn und er
verdient sich etwas Geld damit . . .
Während Mirza-Schaffy noch so sprach, kam der junge Heilige
mit einem großen Kruge Wein in's Zimmer, kramte aus einer
durch einen rothseidenen Vorhang verhüllten Wandnische einige
verschieden-gestaltige Gläser hervor und war eben im Begriffe
uns einzuschenken, als Mirza-Schaffy ihm den Krug abnahm, mit
den Worten: »Ueberlaß mir das Weinschenken! Geh' Du und hole
uns Deine Hefte her, der junge Weise hier will sehen, was Du
diese Woche geschrieben hast.«
Der Bursche ging und brachte ein paar sauber geschriebene
Hefte zum Vorschein, wovon das eine den Titel trug:
»Lobgedicht auf die Ankunft der Russen in Eriwan,« und das
andere: »Gebet der Tataren von Karabagh für den großen
Padischah der Russen, den Herrscher der Erde u.s.f. u.s.f.«
Das erste Heft war in tatarischer, das zweite in arabischer
Sprache, untermischt mit persischen Versen geschrieben, mit
solcher Zierlichkeit und Sorgfalt, daß ich nicht umhin konnte,
dem Schreiber etwas Artiges darüber zu sagen und den Wunsch zu
äußern, eine ähnlich sorgfältige Abschrift der beiden Hefte zu
besitzen.
Der junge Heilige, sehr erfreut über das ihm gespendete
Lob, wollte mir gleich die Hefte zu Füßen legen, aber
Mirza-Schaffy schickte ihn fort und sagte zu mir: »Laß das
heute gut sein; er kann erst noch eine Abschrift davon nehmen
und zur nächsten Unterrichtsstunde bring ich Dir das Loblied
sammt dem Gebete selbst mit, um Dir Beides zu erklären. Und
wenn Du frommer darnach wirst, so will ich ein Gelübde thun,
keinen Wein mehr zu trinken!«
– Ich wäre neugierig, einmal einen Blick in Deine
Bibliothek zu werfen, o Weiser! Du hast gewiß ganz andere
Bücher als fromme Loblieder und Gebete. –
»Ich kann mit Hafis singen – entgegnete lächelnd der
Weise: –
»Schon lang ist mein letztes Buch versetzt
In die Schenke für Wein gekommen,
Und es ist dadurch über die Schenke jetzt
Ein Heiligenschein gekommen!
Nun ist die Schenke zum Bethaus mir,
Zur Werkstatt und Wohnung geworden,
Und ich gehe nicht mehr hinaus, bis daß
Der Tod hereingekommen!«
»In der That – fuhr er fort – bedarf es keines Kamels, um
meine Bücher davonzutragen.« Und er zeigte mir eine kleine,
aber sehr werthvolle Sammlung von persischen und arabischen
Manuskripten, poetischen und philosophischen Inhalts, die
seinen ganzen literarischen Reichthum ausmachten. Ich konnte
die Frage nicht unterdrücken: – Aber wie ist es möglich,
o Weiser! daß Du täglich mit den schönsten Blumen
morgenländischer Dichtung um Dich wirfst wie der Ost mit den
Blumen des Frühlings, wenn der Born so gering ist, daraus Du
schöpfest? –
»Der Born ist gering an Umfang, aber groß an Inhalt. Was
die besten Dichter Gutes geschrieben haben, weiß ich
auswendig, und wo ich etwas davon vergesse, lern' ich es
wieder. Von den schlechten Dichtern aber les' ich gar Nichts;
wozu brauch' ich ihre Werke? Je reicher ich werde an Weisheit,
desto ärmer werde ich an Büchern. Jedesmal wenn ich Musterung
halte, finde ich noch etwas Überflüssiges. Besser ist es,
ein gutes Buch hundert Mal zu lesen, als hundert schlechte
Bücher Einmal. Je mehr Bücher, desto mehr Verwirrung. Es ist
mir nie ein gutes Gedicht gelungen, wenn ich zuvor fremde
Gedichte gelesen, weil sich dann immer gar zu leicht Fremdes
mit einschleicht. Es ist mir jedesmal ein gutes Gedicht
gelungen, wenn ich bezaubert war von schönen Augen, von
lieblichen Händen und Füßen, von duftigen Blumen, von gutem
Wein, von reiner Frühlingsluft. Das sind die Quellen, daraus
man schöpfen muß! (Der Weise schlürfte bei diesen Worten ein
Glas Wein herunter, schenkte sich gleich wieder ein und fuhr
dann etwas aufgeregter fort.) Der kleinste Blumengarten
spendet mir mehr Duft als die größte Wüste mit ihren Oasen und
Güter-beladenen Karavanen. Aus einer rosigen Mädchenwange
sauge ich mehr Begeisterung, als aus allen fremden Dichtern
zusammengenommen. Ein kleines unschuldiges Kind stimmt mich
andächtiger und frommer als die längste Predigt. Aus einem
Glase Wein schlürfe ich mehr Witz, als aus den gelehrtesten
Werken der Sufis und Philosophen . . .
Er stopfte sich einen frischen Tschibuq, während ich nach
der Uhr sah, denn der Tag neigte sich fast zu Ende. Es ist
Zeit zum Aufbruch – sagte ich – wir müssen uns noch rüsten zur
Hochzeit; doch laß uns nicht scheiden, o Weiser! ohne uns ein
kleines Lied gesungen zu haben. Die Nachtigall singt am
liebsten an feuchten Plätzen und der Sänger beim Weine. Ich
liebe es, von lustigen Gelagen einen poetischen Nachklang mit
auf den Weg zu nehmen. –
»Jeder hat seine eigene Liebhaberei – erwiederte der
Weise: –
Der Fromme liebt das Schaurige,
Der Leidende das Traurige,
Der Hoffende das Künftige,
Der Weise das Vernünftige.«
– Was kann es Vernünftigeres geben – warf ich ein – als ein
Lied der Weisheit zum Klange des Bechers! –
Von Neuem begann der Weise:
»Wenn Mirza-Schaffy den Becher erhebt,
Einen Witz in dem Munde:
Wie sich freudig das Herz der Zecher erhebt
In der jauchzenden Runde!
Sie fühlen es, daß für die Tollheit der Welt
Sich zu jeglicher Stunde
Aus dem Geiste des Weines ein Rächer erhebt,
Mit der Weisheit im Bunde!«
– Wie ich jetzt gehe, meinen Körper in Festesgewand zu
kleiden, so hat Dein Gesang, o Mirza-Schaffy! meinen Geist
festlich angethan. Und selbst den Tribut des Dankes und der
Freude, welchen ich Dir ausdrücken wollte, hast Du mir aus dem
Munde genommen und Deinem eigenen Liede einverleibt! –
Ich sagte ihm dieses, als wir schon aufgestanden waren, um
Abschied zu nehmen und er uns zur Hinterthür des Hauses hinaus
einen kürzeren Weg durch den Garten führte. Und wiederum
begann er:
»Ist ein Witz Dir zur rechten Stunde gekommen,
So antwortet Jeder, den Du nie gefragt hast:
Du hast mir das Wort aus dem Munde genommen,
Oft hab' ich gedacht, was Du mir gesagt hast!
Mirza-Schaffy! das ist Dein Geschäft so,
Was die Andern denken, das schreibt Deine Hand –
Manch kernigen Witz umschließt jedes Heft so,
Und all Deine Witze sind einzig im Land!«
– Ich brauche des Lobes nicht mehr hinzuzufügen –
entgegnete ich – aber sag' mir, o Weiser! wie Du es anfängst,
Reim, Bild und Gedanken immer so schnell zusammenzufinden:
bedarfst Du denn gar keiner Vorbereitung zu Deinen Liedern? –
Der Garten, durch welchen wir gingen, trug schon das bunte
Kleid des Frühlings. Die Blumen waren hervorgekommen im Grase,
der Weinstock hatte Knoten gewonnen, von den Mandelbäumen
fielen wie Schneeflocken die weißen Blüthen ab und die
Rosensträuche begannen zu knospen.
Mirza-Schaffy streckte seine Hand aus und pflückte von den
Blumen zu einem Strauß, reichte mir den und sprach: »Siehe,
dieser Strauß ist gepflückt in einem Augenblick, aber die
Blumen dazu sind nicht in einem Augenblick gewachsen! Also ist
es mit meinen Liedern.«
***
Eine armenische Hochzeit
Wir wenden uns nun, nachdem wir schwarzes Gewand angethan,
dem in der Nähe der armenischen Kathedrale gelegenen Hause zu,
wo die Hochzeit begangen wird.
Die armenischen Häuser in Tiflis bilden den Uebergang von
den georgischen und tatarischen Sakli's zu den russischen
Palästen im neuen Stadttheile. Sie sind durchgängig wohnlich
und reinlich, viele sogar mit einer eigenthümlichen, aus
europäischen und asiatischen Elementen gemischten Eleganz
eingerichtet. Einige haben besondere Vorhöfe, andere
Pfeilergetragene Vorhallen, und die meisten sind von zwei bis
drei hölzernen Gallerien umwunden, welche in den engen Straßen
durch Balkons ersetzt werden.
Das Haus des reichen armenischen Kaufmanns, zu dessen
Hochzeitsfeier wir pilgern, gehört zu den wohnlichsten und
besteingerichteten. Wir entdeckten schon von ferne, daß
Festliches darin vorgeht. Die hohe Einfuhr zum Vorhof und die
Seitenmauern sind mit hunderten von buntfarbigen Lampen
übersäet. Auf dem Hofe drängen sich Droschken und Equipagen.
Das Haus im Hintergrunde strahlt, als sprängen die Flammen aus
Mauern und Dächern hervor. Die lustigen Galerien, welche das
Haus dreifach umschlingen, sind dicht mit Lampen besetzt. Eben
so ziehen sich förmliche Lampengewinde zwischen den
hellerleuchteten Fenstern hin, während auf dem Dache Fackeln
brennen.
Wir finden bei unserm Eintritt in die schimmernden Gemächer
schon eine zahlreiche, vorwiegend aus Armeniern und Georgiern
bestehende Gesellschaft versammelt, die Frauen sämmtlich in
ihrer malerischen Nationaltracht, unter den Männern wenige
Ausnahmen in schwarzem Frack und Uniform. Die festlich
geschmückten Räume nehmen die ganze Breite des Hauses ein. Mit
Ausnahme des zum Tanzen bestimmten Saales sind alle Gemächer
mit prachtvollen persischen Teppichen belegt. In dem großen
Mittelzimmer drängt sich Tisch an Tisch, beladen mit
stärkenden Getränken und appetit-reizendem Imbiß der
verschiedensten Art: von dem stillwirkenden, aus silbernen
Schälchen geschlürften Liqueur bis zu dem wild aufbrausenden
Champagner; von der leichten, unscheinbaren Sardine bis zum
fetten, magenbeschwerenden Lachs.
Die übrigen Zimmer sind nur spärlich mit Tischen und noch
spärlicher mit Stühlen bedacht. Die Frauen sitzen gruppenweise
auf den niedrigen, theils mit Seide oder Sammet überzogenen,
theils mit Teppichen belegten Divans, welche sich rings um die
Wände ziehen. Eine lebendige Unterhaltung mit diesen Frauen,
die der Mehrzahl nach so unbeweglich da sitzen wie Figuren in
einem Wachskabinet, ist auf die Dauer unmöglich, wenn man es
nicht versteht, ihre zur Schau getragene Schüchternheit durch
ganz besondere Mittel zu verscheuchen. Nur einige der Älteren,
welche mit der russischen Sprache auch etwas von der
russischen Sitte angenommen haben, und einige der Jüngeren,
welche in der adeligen Pension von Tiflis erzogen sind, und
nicht allein russisch, sondern auch französisch sprechen,
benehmen sich unbefangener in der Unterhaltung.
Die Perle unter den weiblichen Gästen ist die junge Fürstin
Nassinka Orbeljanow, eine der lieblichsten Blumen, die je
unter Georgia's Himmel gewachsen. Das jetzt verarmte
Geschlecht der Orbeljanow, dessen Geschichte bis lange vor
Christi Geburt zurückreicht, war einst reich an Ruhm, Macht
und Gütern. Die Vorfahren der jungen Fürstin herrschten als
Könige in Armenien und Georgien. Aber aller Glanz und Ruhm
ihrer Vorfahren wiegt die Schönheit der jungen Fürstin
Nassinka nicht auf. Sie ist keine von jenen üppigen Gestalten,
wie man in Georgien vorherrschend findet; aber sie hat eine
Feinheit der Züge und des Gliederbaues, eine Zierlichkeit der
Hände und Füße, eine Fülle des Haares und einen so
taubensanften Ausdruck des Auges, daß sie zu den lieblichsten
Erscheinungen zählt, die mir aus dem Morgenlande im Gedächtniß
geblieben . . .
Jetzt tanzt sie mit einem jungen Armenier die Lesghinka,
und Alt und Jung strömt herbei, Frauen und Mädchen verlassen
ihre Sitze, um das liebliche Wesen zu sehen. Sie schlägt
verschämt das Auge nieder, biegt das Köpfchen zurück und
stemmt die feinen Arme in die Seiten; plötzlich läßt sie die
Arme wellenförmig herabschweben und hüpft leichtfüßig auf den
gegenüber stehenden Tänzer los; dieser setzt sich ebenfalls in
Bewegung, um ihr entgegen zu eilen, aber Beide streifen an
einander vorüber, ohne sich zu berühren; so schweben sie
fortwährend in kleinen Kreisen umher, in stetem Entgegenkommen
und stetem Ausweichen. Das Händeklatschen der Umstehenden
begleitet die Bewegungen der Tanzenden.
Als der Tanz zu Ende war, wurde die Aufmerksamkeit der
Gäste durch die vier Rhapsoden in Anspruch genommen, welche
das Fest durch Spiel und Gesang verherrlichten. Der Eine
spielte den Tar, der Andere den Tschianu, der
Dritte die Saß, der Vierte die Deira,
Streichinstrumente verschiedener Gestaltung – und dabei sangen
sie Lieder zum Ruhme des Hauses, des Brautpaars und der Gäste.
Alles drängte sich um die Sänger her, von denen besonders
ein alter Blinder die Aufmerksamkeit der Umstehenden in
Anspruch nahm, weil er Jedem, der ihn darum bat, etwas
Angenehmes in Versen zu sagen wußte. Seine Lieder waren nicht
von Bedeutung, wirkten aber durch den Zauber des Improvisirens.
In einem Nebenzimmer standen grüne Tische, auf welchen
verschiedene Gruppen alter Armenier Schach und Lotto spielten,
während einige russische Tschinowniks eine Whistpartie
machten.
Inzwischen machten fortwährend eine Menge Diener die Runde,
die ausgewähltesten Leckereien, und besonders süßes Backwerk
aller Art umhertragend. Das Alles war blos zu vorläufigem
Imbiß bestimmt, denn das eigentliche Nachtessen folgte erst
nach der Trauung, welche in der benachbarten Kathedrale, im
Beisein aller Gäste, vollzogen wurde.
Das Innere des altehrwürdigen Gebäudes, wohin wir dem
Brautpaar etwa in der zwölften Stunde folgten, machte bei der
spärlichen Beleuchtung einen schauerlichen Eindruck, der aber
bald wieder verwischt wurde, wenn man den Blick auf die vielen
hübschen Frauen und Mädchen schweifen ließ, welche gekommen
waren der Feierlichkeit beizuwohnen. Sie drängten sich oben
und unten Kopf an Kopf, durch eiserne Gitter getrennt von den
Männern, wie das in der armenischen Kirche so Brauch ist.
Da vielleicht auch manche meiner freundlichen Leserinnen
neugierig ist, die Einzelheiten einer armenischen
Trauungsfeierlichkeit kennen zu lernen, so lasse ich hier eine
ausführliche Beschreibung davon folgen, die bis auf den
kleinsten Punkt mit all der Treue und Gewissenhaftigkeit
abgefaßt ist, welche die Wichtigkeit des Gegenstandes
erheischt.
Die Feierlichkeit beginnt mit der Einsegnung des Traurings,
der auf einen Teller gelegt wird, wobei der Diakonus die Worte
spricht:
»Nun lasset uns beten zu dem Herrn des Friedens, nimm uns
auf, Erlöser! erbarme Dich unser und segne uns, o Herr!«
Hierauf singt der Priester:
»Segen und Preis dem Vater, und dem Sohne, und dem heiligen
Geiste, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Amen!« Dabei schwingt er das Weihrauchfaß, das der Diakonus
ihm gereicht. Dann wird ein Lied aus dem armenischen
Gesangbuche gesungen, und der 18te Psalm seiner ganzen Länge
nach recitirt, obgleich die einzige Stelle dieses Psalmes,
welche auf die Ehe Bezug haben könnte, im 20sten Verse
vorkommt, wo es heißt: »Und er führte mich aus in den Raum; er
riß mich heraus, denn er hatte Lust zu mir.« Hierauf werden
Stellen vorgelesen aus dem Hohen Liede Salomonis 8. 14., aus
dem Propheten Hosea 14. 6., aus dem Jesaias 27. 11., aus dem
Briefe an die Galater 4. 27. und aus dem Evangelium Lucä
1. 26.
Und abermals beginnt der Diakonus:
»Lasset uns den Herrn bitten für die Bewahrung der
Gläubigen, derer die bei ihm sind, und derer die er hier zur
Vereinigung geladen hat.«
Hierauf betet der Priester:
»Ewiger Gott und Schöpfer des Weltalls! Dich bitten und zu
Dir flehen wir, der Du voll Erbarmen sorgest für Deine
Geschöpfe, nimm, o menschenfreundlicher Herr, unsere Bitten
gnädig auf! Wie Du die Ehen unserer Väter geschlossen hast
nach dem Gesetze Mosis, so hast Du nach der Auferstehung und
Himmelfahrt Deines Eingebornen uns ein neues Gebot gelehrt und
das heilige Kreuz aufgestellt zur Heiligung der Ehe derer, so
an Dich glauben und Deinen eingebornen Sohn. Gieb auch jetzt,
o Herr, durch das allsiegende Kreuz, Kraft und Stärke denen
die auf Dich bauen. Entferne von ihnen den Geist der Heuchelei
und des Ungehorsams und alle bösen Lüfte; bewahre sie vor
Schändlichkeiten, vor dunkelen Wegen und vor Unreinheit des
Wandels. Mache, daß
dieses Kreuz sei zur Weihe und zur Grundlegung eines
festen Grundes, darauf das Gebäude der heiligen Ehe errichtet
werde. Schmücke ihr Haupt mit der Krone der Schönheit, sende
über sie den Segen der heiligen Dreieinigkeit, welcher ihnen
Noth thut, und ihnen Ruhm bringt und Ehre, jetzt und immerdar,
und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! Friede sei mit Allen!
Heiliger und allgepriesener Vater, der Du gesegnet und
geheiligt hast dieses Kreuz im Namen Deines Eingeborenen,
durch die Hand Deines sündigen Dieners, durch die Segnungen
Deines heiligen Geistes: auch jetzt bitte ich Dich, o Herr!
sende Deinen heiligen Geist hernieder zur Weihe des Gebäudes,
welches ich jetzt hier gründe. Erhalte diese zwei unbefleckt
gegen einander, geleite und führe sie zu der Stunde in welcher
ich die Krone des Ruhmes auf ihr Haupt setzen werde; denn Dir
allein ist die Ehre, und Dir allein gebührt der Ruhm und die
Macht, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen!«
Hierauf wird der Ring der Braut übergeben, und der Diakonus
spricht:
»Bei dem heiligen Kreuze laßt uns den Herrn bitten, daß er
durch dasselbe uns errette von allen Sünden und uns erlöse
durch die Gnade seiner Barmherzigkeit. Allmächtiger Herr,
unser Gott! erlöse uns und erbarme Dich unser!«
Der Priester fällt ein: »Du Hort und Du Hoffnung der
Gläubigen, Christus unser Gott! bewahre Deine Diener! Preis
sei dem Herrn!« folgt das Vater unser, womit die Einsegnung
des Trauringes geschlossen wird und die Einsegnung des
»Kleides der Krone« beginnt.
Das Kleid wird vor den Altar gebracht und es wiederholt
sich die am Eingange beschriebene Feierlichkeit. Der Diakonus
spricht: »Laßt uns beten zu dem Herrn des Friedens &c. &c.,«
worauf der Priester erwiedert: »Preis und Ruhm dem Vater und
dem Sohne &c. &c.« Abermals wird ein Kirchengesang gesungen;
dann folgt der Psalm 44.: »Eine Unterweisung der Kinder Korah,
vorzusingen,« worin sich sonderbarer Weise ebenfalls nichts
auf die Ehe Bezügliches findet, (obgleich Vers 2. 3: »Denn wir
werden ja um Deinetwillen täglich erwürget, und sind geachtet
wie Schlachtschaafe,« sehr richtig die politischen Zustände
der Armenier bezeichnet). Ferner wird recitirt aus dem
Propheten Jesaias 61. 10., aus dem 1. Briefe Petri 3. 1., und
aus dem Evangelium Johannes 2. 1. Sodann beginnt der Diakonus
wiederum: »Lasset uns beten zum Herrn &c., und der Priester
fällt ein: »Preis und Ruhm dem Vater und dem Sohne!« Hierauf
segnet er das Gewand des Bräutigams mit dem Zeichen des
Kreuzes und spricht folgendes Gebet:
»Segne, o Christus, unser Gott! mit geistigem Segen dieses
bräutliche Gewand, damit dem, der es anthut, nicht zu nahen
wage die böse Brut der Dämonen und Zauberer, sondern daß er
gestärkt durch die Kraft Deines heiligen Kreuzes, erlöst werde
von allen Schlingen des Satans. Dir aber gebührt Ruhm und
Macht und Ehre, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu
Ewigkeit!«
Nachdem der Priester nun abermals das Gewand gesegnet mit
dem Zeichen des Kreuzes und dabei gebetet: »Im Namen des
Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen!« wird dem
Bräutigam das Gewand angethan, unter dem Absingen eines
bezüglichen Kirchenliedes. Zum Schluß der Einsegnung spricht
der Diakonus abermals die Worte: »Beim heiligen Kreuze laßt
uns den Herrn bitten &c. &c.«
Ganz dieselbe Feierlichkeit findet bei der Einsegnung des
Kleides der Braut statt, nur mit dem Unterschiede, daß sie ihr
hochzeitliches Gewand nicht vor dem Altar anzieht, sondern
verborgen vor den Augen der Männer in einem besondern Raume,
und daß der Gesang und das Schlußgebet dabei wegfällt.
Bevor nun die eigentliche Trauung, die Krönung, vollzogen
wird, bewegt sich der Zug noch einmal in das Haus der Braut.
Hier muß diese niederknieen zu den Füßen des Bräutigams, und
es werden über sie die Worte geredet: »Ich habe David, meinen
Knecht, gefunden; mit meinem heiligen Oel habe ich ihn
gesalbt, meine Hand wird ihn aufnehmen, und mein Arm wird ihn
stärken.«
Hierauf nimmt der Priester die rechte Hand der Braut und
legt sie in die rechte Hand des Bräutigams, mit den Worten:
»Man nahm die Hand der Eva und legte sie in die Rechte Adams,
und Adam sagte: Dieses ist Bein von meinem Bein und Fleisch
von meinem Fleisch; diese ist Männin geheißen, weil sie von
ihrem Manne genommen ist; deshalb soll der Mann Vater und
Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie sollen
Beide Ein Leib werden. Was Gott also zusammengefügt, das soll
der Mensch nicht scheiden.«
Der Diakonus:
»Laßt uns beten zu dem Herrn des Friedens &c.«
Der Priester:
»Preis und Ruhm dem Vater und dem Sohne!«
Abermals wird ein Lied gesungen, wonach der Priester das
Kreuz über die Häupter des Bräutigams und der Braut hält und
dabei folgendes Gebet spricht:
»Herr, ewiger Gott! der Du die Unverbundenen und die
Getrennten zusammenfügest zur Vereinigung, und durch die
Vereinigung sie unzertrennbar verbindest; der Du gesegnet hast
den Isaak und die Rebekka, und sie offenbaret hast als Erben
Deiner Verheißung, indem Du, durch Dein untrügliches Wort, die
aus ihnen entsproßten Stämme vermehrt hast gleich dem Sande am
Ufer des Meeres: Segne auch jetzt, gnädiger und barmherziger
Gott! diesen Deinen Knecht und diese Deine Magd durch Deine
Heiligkeit; leite sie, daß sie wandeln in guten Werken und auf
dem Wege der Gerechtigkeit, zu thun was vor Dir wohlgefällig
ist; daß sie leben in dieser Welt nach Deinen Geboten und
sehen ihre Kindeskinder im Greisenalter; und daß ihnen in
jenem Leben zu Theil werden die unvergänglichen Güter und die
unverwelklichen Kronen, in Christo Jesu, unserm Herrn, welchem
gebührt Ruhm, Macht und Ehre, jetzt und immerdar, und von
Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! Herr Gott, der Du aus den Heiden
Dir verlobt hast die heilige Kirche, sich darzustellen dem
himmlischen Bräutigam, und der Du gesetzt hast als Krone das
allsiegende heilige Zeichen; der Du die Zerstreueten sammelst
und sie vereinigest zu unauflöslichem Bunde der Testamente;
der Du gesegnet hast die Erzväter und sie gezeigt hast als
Erben Deiner Verheißungen: segne nun auch diesen Deinen Knecht
und Deine Magd durch die Kraft Deines Kreuzes, denn Du bist
barmherzig und menschenfreundlich, und Dir geziemt Ruhm, Macht
und Ehre, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen!«
Der Diakonus:
»Bei dem heiligen Kreuze laßt uns den Herrn
bitten: &c. &c.«
Nach Beendigung dieser Ceremonien kehren sie in die Kirche
zurück, legen ihr Sündenbekenntniß ab und der Priester
recitirt den 121. Psalm. Hierauf werden zwei dreifädige
Schnüre gedreht, zum Umwinden der Kronen, womit das Paar beim
Vollziehen der Trauung gekrönt wird. Die aus drei Fäden
gewundene Schnur ist das Zeichen der Dreieinigkeit. Beim
Drehen der Schnur des Bräutigams singen sie den 20., und beim
Drehen der Schnur der Braut den 24. Psalm. Hierauf nimmt der
Priester das Kreuz, hält den Brautleuten eine Anrede über die
Bedeutung der Trauung und legt ihnen dann die Frage vor:
»Versprechet Ihr vor Gott, in der Furcht Gottes gegen einander
zu bewahren die Festigkeit der von Gott gegebenen Liebe, und
mit derselben Liebe wegen der Furcht Gottes willig zu tragen
die gegenseitige Last, vornehmlich die körperlichen Leiden,
Lahmheit, Blindheit, lange und unheilbare Krankheit und andre
Uebel, wie die göttlichen Gesetze gebieten; versprechet Ihr,
nehmt Ihr auf Euch, und bestrebt Ihr Euch das Gesagte zu
vollbringen?« Und sie antworten: »Ja.« Darauf legt der
Priester die rechte Hand der Braut in die Rechte des
Bräutigams und sagt zu diesem: »Nach dem göttlichen Gebote,
welches Gott den Vorfahren gegeben, gebe ich, der Priester
N. N. Dir jetzt diese Braut zum Gehorsam. Bist Du ihr Herr?«
Der Bräutigam sagt: »Ich bin ihr Herr durch den Willen
Gottes.« Dann wendet der Priester sich zu der Braut: »Bist Du
gehorsam?« Die Braut antwortet: »Ich bin gehorsam nach dem
Befehle Gottes.« Dieselbe Frage und Antwort wiederholt sich
dreimal. Dann sagt der Priester: »Wenn Ihr also mit einander
in der Liebe Gottes bleibt, so wird Gottes Sorgfalt Euch
bewahren beim Ausgang und Eingang, und segnen die Werke Eurer
Hände, und Euch mit geistiger und leiblicher Güte vermehren,
daß Ihr hier in Frieden und Frömmigkeit lebend, gewürdigt
werdet, die verheißenen zukünftigen Güter zu erlangen durch
die Gnade Christi, welchem gebührt Ruhm, Macht und Ehre, jetzt
und immerdar.«
Dann wird der 117. Psalm recitirt bis zu den Worten: »Oeffnet
mir die Pforten der Gerechtigkeit, daß ich eingehe durch sie
und bekenne den Herrn« Sie treten nun ein durch die geöffnete
Thüre in das Allerheiligste, indem sie den 99. Psalm singen.
Dann sagt der Diakonus: »Durch die heilige Kirche laßt uns den
Herrn bitten, daß er durch sie uns erlöse von den Sünden, und
errette durch die Gnade seiner Barmherzigkeit. Allmächtiger
Herr, unser Gott, errette uns und erbarme Dich unser!«
Der Priester:
»An der Thüre des heiligen Tempels und vor dem göttlichen
und glänzenden heiligen Zeichen, an diesem heiligen Orte beten
wir an, in Furcht gebeugt. Wir preisen Deine heilige,
wunderbare und siegreiche Herrlichkeit, und bringen Dir dar
Preis und Ruhm mit dem Vater und dem heiligen Geiste, jetzt
und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!« Der
Priester führt nun den Bräutigam und die Braut, und stellt sie
vor den Altar, und sie sagen das Eingangsgebet der Kirche:
»Schenke Frieden Deiner heiligen Kirche, Frieden und
Unerschütterlichkeit vor dem Kriege der Feinde, und befestige
in Einem Glauben die katholische Kirche. Dich bekennen wir,
Herr und Gott, erlöse uns.«
Der Diakonus:
»Lasset uns beten zu dem Herrn des Friedens &c.«
Der Priester:
»Preis und Ruhm dem Vater und dem Sohne!« Dann wird der
92. Psalm gesungen und die schon oft angeführten Gebetformeln
wiederholen sich.
Der Bräutigam und die Braut küssen das Kreuz und der
Priester im Ornate spricht:
»Barmherzig und menschenfreundlich bist Du, Gott, und Dir
gebührt Ruhm und Macht. Herr, in Deiner Macht erfreue sich der
König, in Deiner Erlösung frohlocke er sehr. Das Verlangen
seines Herzens hast Du ihm gewährt und den Wunsch seiner
Lippen hast Du ihm nicht vorenthalten. Du hast ihn gelangen
lassen zum Segen Deiner Süßigkeit und hast auf sein Haupt
gesetzt die Krone aus einem kostbaren Steine. Halleluja,
Halleluja!« Dann wird vorgelesen aus dem 1. Buche Moses 1. 26.
Ferner aus den Sprüchen Salomonis 4. 20. Aus Jesaias 61. 9.
Aus dem Brief an die Epheser 5. 22. Ev. Matthäi 19. 1. Dann
folgt der Glaube, worauf der Diakonus sagt: »Laßt uns den
Herrn bitten, unsere Schritte zu lenken auf den Weg des
Friedens: Herr, erbarme Dich, um von uns zu wenden alle
Gedanken des Bösen! Laßt uns den Herrn bitten, uns zu schenken
heilsame Gedanken und tugendhaftes Leben; laßt uns den Herrn
bitten, uns zu bewahren unter dem Schatten seiner allmächtigen
Rechte; laßt uns den Herrn bitten, den Widersacher schnell
unter unsere Füße zu stoßen; laßt uns den Herrn bitten, für
die heimgegangenen Seelen, welche im wahren, rechten Glauben
in Christo entschlafen sind; laßt uns den Herrn bitten
u. s. w.« Sie legen die Krone vor den Altar, der Priester
segnet sie und sagt folgendes Gebet: »Herr, Gott der Macht,
und Schöpfer aller Geschöpfe, der Du genommen hast Erde von
der Erde, und gebildet den Menschen nach Deinem Bilde, Mann
und Weib hast Du sie gemacht und gesegnet, indem Du sagtest:
Seid fruchtbar und mehret Euch, und erfüllet die Erde und
machet sie Euch unterthan. Die Sorge Deiner Liebe als Schöpfer
gegen Deine Geschöpfe ist vorgebildet durch Deinen
eingebornen, geliebten Sohn, unsern Herrn Jesum Christum, daß
er kam und geboren wurde von der heiligen Jungfrau und die
Menschen zu neuem Leben rief, und das erste Zeichen gab bei
der Hochzeit zu Kana in Galiläa, als er durch göttliche Wunder
erfreute das hochzeitliche Haus, indem er das Wasser in Wein
verwandelte. Auch jetzt bitten wir Dich, Herr, segne diese Ehe
wie die der heiligen Erzväter, indem Du sie unbefleckt
bewahrest in geistiger Liebe und Einigkeit in diesem Leben.
Mache ihren Saamen fruchtbar; laß ihre Kinder aufwachsen in
Zucht und Sitte, zum Ruhme Deines allheiligen Namens, und daß
sie in Frieden in dieser Welt ihr Leben bis in's hohe
Greisenalter verlängern, und gewürdigt werden der unendlichen
Freuden des höhern Hochzeitgemaches mit allen, die Deinen
Namen lieben, durch die Gnade und Barmherzigkeit Deines
Eingebornen, unsers Herrn Jesus Christus, mit welchem dem
Vater und dem heiligen Geiste gebührt Ruhm, Macht und Ehre,
jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! Friede
sei mit Allen. Wir demüthigen uns vor Gott. Gepriesen seist
Du, allmächtiger Gott, der Du geschaffen hast alle Deine
Geschöpfe, die himmlischen und die irdischen, durch Dein
lebendiges Wort, und gebildet den Menschen durch Deine Hand
nach dem Bilde Deiner göttlichen Gestalt. Du hast geordnet und
ihm verbunden als Genossen des Lebens das Gebein, welches Du
genommen hast von seinem Gebein, und Fleisch von seinem
Fleisch, und sie wurden beide Ein Leib. Du allein bist
barmherzig, der Du unsrer Menschheit bereitet hast die Krone
des Himmels und der Erde. Segne, o Herr, die Ehe Dieser, durch
Deine Barmherzigkeit, wie Du gesegnet hast die Ehe Abrahams
und der Sara, Isaaks und der Rebekka, Jakobs und der Rachel,
und wie Du gesagt hast durch die Apostel: Ehrwürdig ist die
Ehe und heilig das Ehebett. Heilig bewahre das Ehebett Dieser,
und schenke ihnen Nachkommenschaft nach Deinem Willen, daß sie
gesegnet werden in Deinem lebendigen Worte, wie Du geredet
hast: wachset und mehret Euch, und erfüllet die Erde! Laß sie
wachsen im Wachsthum der Heiligkeit, auf daß sich mehre ihre
Nachkommenschaft auf der Erde, und sie würdig werden durch
Dein Erbe, zu preisen den Vater und den Sohn und den heiligen
Geist, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Hierauf nimmt er die Kronen, bekreuzigt sie, setzt sie auf das
Haupt des Bräutigams und der Braut, und sagt folgendes Gebet:
»In Deinem Namen, Du lebendiger Gott und Herr, Schöpfer
Himmels und der Erde, der Du gemacht hast Alles durch das Wort
auf Deinen Befehl! Du hast gebildet Adam, den ersten Menschen,
und hast bestätigt seine Ehe mit der Eva; Du hast ihn gekrönt
mit Deinem Ruhm und gesagt: Siehe, sie sind gut. Du hast
gesegnet die Ehe Seth's und von ihm vermehrte sich die Erde
bis auf Noah. Du hast gesegnet die Ehe Noah's und von ihm
vererbte sich die Ehe bis auf Abraham. Du hast gesegnet die
Ehe Abrahams und der Sara, Isaak's und der Rebekka, Jakob's
und der Rachel, und sie vermehrten sich auf der Erde und
wurden im Himmel gekrönt. Du hast gesegnet aus dem Stamme
Juda's den David, und aus der Nachkommenschaft Davids die
Jungfrau Maria, und von ihr wurdest Du geboren, Erlöser der
Welt; denn Du warst der Kröner aller Heiligen. Durch diesen
Segen werde gesegnet diese Krone, und die Ehe Dieser, daß
dieser Dein Knecht und diese Magd friedlich zubringen ihr
ganzes Leben in Gottesfurcht, daß der Satan sich entferne aus
ihrer Mitte, und Deine Barmherzigkeit lebe über ihnen. Und Dir
wollen wir bringen Preis und Ruhm mit dem Vater und dem
heiligen Geiste jetzt und immerdar.«
Hierauf hält der Diakonus ein Gebet, das Meßopfer wird
gebracht und sie nehmen Theil an dem heiligen Sakrament.
Folgt wiederum Gesang und das oben angeführte Doppelgebet
zwischen Priester und Diakonus; damit ist die kirchliche
Feierlichkeit geschlossen und der Zug kehrt singend zurück
nach dem hochzeitlichen Hause.
Hier angelangt, wird der Bräutigam auf ein Sopha gesetzt
und die Braut zu seiner Rechten. Der Priester füllt einen
Becher mit Wein, segnet ihn und giebt den Neuvermählten davon
zu trinken.
***
Bis zu diesem Punkte stimmten die Hochzeitsfeierlichkeiten,
denen ich beiwohnte, im Wesentlichen (d. h. einige Abkürzungen
und Weglassungen der zahllosen Gesänge, Citate und Gebete
abgerechnet), überein mit den Vorschriften und Anweisungen der
alten armenischen Kirchenbücher. Nun folgten aber verschiedene
Ceremonien, deren ich in keinem Buche Erwähnung gethan finde,
und die ich hier anführe, um dem Gang der Dinge treu zu
bleiben, während ich für diejenigen wißbegierigen Leser,
welche die Abweichungen vielleicht kennen lernen möchten, die
betreffenden Stellen unter den Beilagen im Anhange dieses
Buches folgen lasse.
In Uebereinstimmung mit dem letztern Punkte steht die
Schilderung eines alten ehrenfesten Reisenden aus dem
siebzehnten Jahrhundert, welche den Titel führt: »Warhaffte
und eigentliche Beschreibung deß gegenwärtigen Zustandes deren
unter der Türckischen Tyranney seufzenden Griechischen und
Armenischen Kirchen. &c. &ce.« und wo es p. 92 heißt:
»Montags früh Morgends ist gemeiniglich die Zeit, da sie mit
oder noch vor aufgehender Sonne die Hochzeiten zu halten
pflegen. Das Fest beginnet Sonntags Abends, und wird drey oder
vier Tag lang mit grossen Freuden fortgesetzt: welche Zeit die
Braut fast immerdar in einem Sessel sitzet, und nicht
schlaffen darff: so muß auch der Bräutigam sich indessen ihrer
enthalten, und ist ihme nicht eher, als erst Mittwochs Abends
oder Donnerstags früh ihr ehlich beyzuligen erlaubt; worauf
alsdann der Braut Jungfrauschaft-Zeichen offentlich vorgezeigt
werden.«
Zuerst wurde dem Bräutigam ein Schwert in die Hand gegeben,
welches er, an der Thür stehend, empor hielt, und die Braut
darunter durchschlüpfen ließ, als ein Zeichen, daß sie unter
seinem männlichen Schutze allen Gefahren und Irrsalen
entrinnen werde.
Dann wurde den Neuvermählten süßes Wasser zu trinken
gegeben, als Vorgeschmack der reinen und süßen Genüsse des
ehelichen Lebens; oder (nach einer anderen Erklärung) zur
Erinnerung an die Hochzeit zu Kana, wo das Wasser in Wein
verwandelt wurde durch die Hand des Heilandes.
Endlich wurde dem Bräutigam ein Teller gereicht, den er zur
Erde warf und ihn zertrat mit seinen Füßen. Die Bedeutung
welche sich hieran knüpft, ist wohl dieselbe, welche dem
Zerbrechen des Geschirrs bei unsern Polterabenden, oder dem
Zerbrechen des Glases bei den Hochzeiten der Juden zu Grunde
liegt.
Als die Feierlichkeit zu Ende war, begann wieder Tanz,
Spiel und Gesang, während im Speisesaale das Nachtessen
angerichtet wurde. Abermals drängte sich Alles dem Zimmer zu,
wo die Fürstin Orbeljanow mit dem Bruder des Bräutigams unter
dem Händegeklatsch der Umstehenden im Tanz der Lesghinka sich
schwang. Und so oft ich das Auge auf die kleinen,
feinbeschuhten Füßchen schweifen ließ, fielen mir die Worte
aus dem Hohenliede Salomonis ein: »Wie schön ist Dein Gang in
den Schuhen, du Fürstentochter!«
Nachdem nun die vielen und reichen Hochzeitsgeschenke von
den Gästen durchmustert waren, begann das Souper, und in der
That, es war hohe Zeit dazu! Das lange Stehen in der Kirche,
so wie das Anhören der vielen Gebete, Gesänge, Psalme, Sprüche
und Ermahnungen, hatte bei den Meisten wieder ein förmliches
Gefühl von Nüchternheit hervorgebracht.
Die Speisen wären sämmtlich vortrefflich gewesen, wenn die
verschiedenen Arten von Pilaw (nach der dortigen Aussprache:
Plow) nicht allzusehr den Beigeschmack des Safran,
womit der Reis halbfingerdick überstreut wird, getragen
hätten, und wenn ein guter Braten, im deutschen Sinne des
Worts, in Tiflis wegen des fast durchgehends schlechten
Fleisches und der mangelhaften Kochkunst, nicht zu den
Unmöglichkeiten gehörte. Dagegen ließen die Fische in ihrer
mannigfaltigen Zubereitung, die Backwerke und Süßigkeiten
nichts zu wünschen übrig. Eben so waren die Weine, wozu
Georgien, Armenien, Frankreich und der Rhein ihren Tribut
geliefert, allen Preises werth.
So lange Essen und Trinken noch einander das Gleichgewicht
hielten, ging es an den Tischen ziemlich ruhig her. Als aber
die gewichtigen Speisen beseitigt waren, der Champagner zu
fließen begann und das Trinken die Oberhand nahm, erscholl ein
Stimmengewirre, wie es eine mit asiatischer Lebendigkeit
geführte Unterhaltung, in welcher ein halb Dutzend Sprachen
durcheinander gesprochen werden, nur zu erzeugen vermag.
In einer Ecke des Saales, an einem besonderen Tische, saßen
die Sänger und Spielleute, und während die Einen Alles
aufboten, um ihren Gesang nicht ungehört verhallen zu lassen,
sägten die Andern so unbarmherzig auf ihre Instrumente los,
daß selbst die an solche Schauspiele gewöhnten Gäste das
Lachen nicht unterdrücken konnten.
Einen größeren Genuß als diese musikalischen
Kraftäußerungen dem Ohre gewähren konnten, hatte das Auge beim
Anblick der schmucken Hochzeitsgäste, wie sie in langen Reihen
die Tafeln entlang saßen, der Mehrzahl nach in der kleidsamen
georgischen und armenischen Nationaltracht. Je lauter es wurde
im Saale, desto mehr lichteten sich die Reihen der
reichgeschmückten Frauen, und nun begann erst das eigentliche
Trinken. Auf jedes »Allahwerdy« mußte der, dem es galt, mit
der Entgegnung »Jachschi jol«
Bescheid thun bis auf die Nagelprobe. Der stattliche Archiréi,
welcher die Trauung vollzogen, so wie die übrigen Geistlichen
deren Gegenwart das Festgelag heiligte, waren nicht die
schlechtesten Trinker. Und als ich das Haus am hellen Morgen
verließ, wiederhallten die Räume noch laut vom Becherklang und
vom Hochzeitsjubel der Gäste.