Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Siebzehntes Kapitel

Des Weisen von Gjändsha zweite und letzte Liebe - Schluß der Lieder des Mirza-Schaffy

Ihr erinnert Euch noch jener Mondscheinscene, wo wir bei unserer nächtlichen Wanderung durch die Straßen von Tiflis Mirza-Schaffy überraschten, als er singend einer neuen Schönen seine Huldigungen darbrachte. Diese Liebe hatte tiefer Wurzel geschlagen in seiner Brust als ich Anfangs glaubte, und trotz seiner Behauptung, daß ein Verliebter keine vernünftigen Verse machen könne, datiren einige seiner lieblichsten Gedichte ans jener Zeit. Hieher gehört das in einem früheren Kapitel mitgetheilte Gasel: »Wenn zum Tanz die jungen Mädchen &c.;« ferner das Lied: »Schlag die Tschadra zurück, was verhüllst Du Dich?« und ein anderes, Euch noch unbekanntes Gedicht, welches ich hier um so mehr mittheilen muß, als es eine lebendige Schilderung Hafisa's, der zweiten und letzten Liebe Mirza-Schaffy's, enthält:

O, wie mir schweren Dranges
Das Herz im Leibe bebt,
Wenn sie so leichten Ganges
An mir vorüber schwebt!

Herab vom Rücken weht
Ein blendend weißer Schleier;
Durch ihre Augen geht
Ein wunderbares Feuer;
Die schwarzen Locken wühlen
Um ihres Nackens Fülle;
Der Leib, der Busen fühlen
Sich eng in ihrer Hülle.
All überall Bewegung,
All überall Entzücken,
Daß sich in toller Regung
Die Sinne mir berücken,
Daß wunderbaren Dranges
Das Herz im Leibe bebt
Wenn sie so leichten Ganges
An mir vorüberschwebt!

Narzissen blüh'n und Rosen
Am himmelblauen Kleide,
Darunter flammen Hosen
Von feuerrother Seide –
Die kleinen, zarten Füße,
Die weichen, feinen Hände,
Der Mundrubin, der süße,
Der Zauber ohne Ende!

O, wie mir schweren Dranges
Das Herz im Leibe bebt,
Wenn sie so leichten Ganges
An mir vorüberschwebt!

***

Nur wenn mein weiser Lehrer bei besonders guter Laune war, angeregt durch Wein und trauliche Unterhaltung, gelang es mir hin und wieder ihm ein solches Lied zu entlocken, denn sonderbarer Weise suchte er es sonst immer sorgfältig zu vermeiden, das Gespräch auf seine Hafisa zu bringen. Ich konnte lange den Schlüssel zur Lösung dieses Räthsels nicht finden, bis mich ein Zufall darauf führte.

Ich hatte eines Tages meinen Spaziergang etwas länger als gewöhnlich ausgedehnt und fand nach meiner Rückkehr Mirza-Schaffy schon auf mich wartend im Divan der Weisheit. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte er sein Kalemdan hervorgeholt und ein auf dem Tische liegendes Stück Papier mit Versen beschrieben, was er gewöhnlich in ähnlichen Fällen zu thun pflegte, nur mit dem Unterschied, daß er sonst seine Verse ruhig liegen ließ, oder sie nur aufhob um belehrende Erklärungen daran zu knüpfen, während er dieses Mal das beschriebene Papier hastig beisteckte, als er meiner ansichtig wurde. Ich that, als ob ich nichts bemerkt hätte, und als ich in das offenstehende Nebenzimmer ging, um mich umzukleiden, begann er ein Lied von Hafis zu singen:

»Wenn die Winde, Mädchen! Deiner Locken Duft
    Nach Hafisens Grabe wehen,
Werden aus seiner stillen Gruft
    Tausend schöne Blumen erstehen!«

»Was fangen wir heute an, o Mirza-Schaffy?« fragte ich, nachdem ich Wein besorgt und ihm zugetrunken hatte.

Er klopfte seinen Tschibuq aus und erwiederte: – Nimm Papier und Kalem zur Hand, ich werde Dir Gasele von Fisuli vorsingen! –

Er sang und ich schrieb:

»Um zu Dir, mein Leben, zu kommen, hab' ich Leben gegeben;
Sei barmherzig, denn durch Dich erst kam ich zum Leben!

Einen Edelstein sucht' ich, und zur Fundgrube hat mich
Das Schicksal geleitet zum Lohn für mein Streben!

Eine Ameise bin ich, die weit umher irrte,
Bis Salomo's Palast ihr Obdach gegeben!

Wie ein Tropfen Wasser zum Ocean geschwommen,
Komm ich armer Fisuli zu Dir, süßes Leben!«

»Der Sinn des Gasels würde mir besser gefallen – sagte ich – wenn im Schlußdistichon Dein Name, o Weiser! statt des Namens Fisuli enthalten wäre.«

– Willst Du Lieder von mir hören? Ich werde Dir singen. –

»Deine Lieder hör' ich immer gern; aber die Bedeutung meiner Worte war dieses Mal eine andere. Ich meinte nicht es wäre mir lieber gewesen, daß das Lied Dich zum Verfasser hätte, sondern daß der Sinn seiner Worte auf Dich paßte.

Mirza-Schaffy sah mich überrascht und betroffen an.

»Du mußt mir nicht zürnen, o Weiser! – fuhr ich fort – daß ich den Blick der Neugier in die Falten Deines Herzens geworfen. Es ist Theilnahme und Freundschaft für Dich, was mich dazu treibt. Ich weiß, daß Du verliebt bist; Du selbst hast es mir gesagt. Und wäre dem nicht so, ich hätte es errathen, wie der Volksmund spricht: Moschus und Liebe können nicht verborgen bleiben. Du hast mir auch gestanden, daß diese Liebe keine eitele und gewöhnliche sei, keine duftlose Tulpe, die der leiseste Wind hin- und herbewegt, sondern ein starker Rosenbaum, der tiefe Wurzeln geschlagen und von gutem Geruch ist. Es ist die Art der Rosen, daß sie blühen und duften, und die Natur der Verliebten, daß sie fröhlich und guter Dinge sind. Du aber bist traurig, o Mirza-Schaffy! und das thut mir weh. Du bist traurig, wenn Du es auch unter Trinken und Singen zu verbergen suchest. Ich möchte die Ursache Deines Grames wissen; vielleicht könnte ich Dir helfen. Aber Du umhüllst Dein Herz mit dem Schleier des Geheimnisses; sogar Deine Lieder versteckst Du vor mir!« Ich wies dabei auf die Tasche hin, worin er das beschriebene Blatt Papier verborgen hatte.

Mirza-Schaffy versank eine Weile in tiefes Nachdenken, blies, wie gewöhnlich in solchen Fällen, den Dampf seines Tschibuq's in längeren Zügen vor sich hin, stürzte ein paar Gläser Wein herunter, und reichte mir dann das beschriebene Blatt mit den Worten: – da lies! und ich will Dir Alles erzählen, was ich auf dem Herzen habe, wenn Du es hören willst! –

Ich nahm zuvor das Blatt, um zu sehen was darauf stand. Es waren ein paar flüchtig hingeworfene Lieder, überschrieben: Hafisa.

Das erste lautete:

Neig', schöne Knospe! Dich zu mir.
Und was ich bitte, das thu' mir,
    Ich will Dich pflegen und halten;
Du sollst bei mir erwarmen,
Und sollst in meinen Armen
    Zur Blume Dich entfalten!

Das zweite hatte scheinbar gar keinen inneren Zusammenhang mit dem Ersten, war aber doch in demselben Gedankengange geschrieben. Hier folgt es:

Ei Du närrisches Herz,
Das Dich klagend gebeugt hast!
Du bejammerst den Schmerz,
Den Du selber erzeugt hast!
Du verzweifelst in Gefahr heut,
Und suchst selbst doch die Gefahr!
Und ich kenne Deine Narrheit,
Und bin selbst ein solcher Narr!

»Du weißt, – begann Mirza-Schaffy seine Erzählung – daß der Vater Hafisa's mir gleich Anfangs die bestimmte Erklärung geben ließ, nicht eher von meiner Minne hören zu wollen, bis ich den sicheren Nachweis geliefert, daß ich im Stande sei, genügend für den Unterhalt einer Familie zu sorgen.« –

– Wie oft soll ich Dir wiederholen – unterbrach ich den Weisen – daß dieses sich sehr leicht erreichen läßt, wenn Du meinem Rathe folgst und eine Stelle als Lehrer der tatarischen Sprache beim Gymnasium annimmst! –

»Wenn das so ginge, würde ich mich schon fügen, aus Liebe zu Hafisa; aber – es geht nicht!«

– Dann ist es Deine eigene Schuld! Ich habe den Direktor Kulshinsky erst vor ein paar Tagen gesprochen und aus seinem eigenen Munde gehört, daß alle Schwierigkeiten leicht zu beseitigen wären, wenn Du nur Ernst machen wolltest. –

»Hab' ich nicht gethan was ich konnte? Hab' ich nicht meiner Zunge Gewalt angethan im Reden und Schweigen? Bin ich nicht von einem Hause zum Andern gepilgert wie ein Fakir, mit dem Blicke der Demuth? Hab' ich nicht Bittschriften eingereicht ganz nach Deiner Weisung? Aber nun sitz' ich schon seit ein paar Monaten auf dem Teppich der Erwartung, und bin nicht klüger als vorher.«

– Hast Du denn gar keine bestimmte Antwort erhalten? –

»Antworten genug. Es schien überall, als nickte man mir zu mit dem Blicke der Gewährung; aber ich wurde von einem Tage zum anderen vertröstet. Endlich, wie ich glaube aus dem Vorhofe des Zweifels eingehen zu können in die Pforte der Gewißheit; erhalte ich eine große Schrift, wovon ich kein Wort verstehe. In dem Wahne, es sei die Bestätigungsschrift meiner Einsetzung, eile ich damit zu meinem Vermittler [Fußnote] und bitte ihn, die Heirathsangelegenheit jetzt eilig zu betreiben: diese Schrift sei eine bessere Gewähr für den Vater Hafisa's, als der Nachweis des größten Vermögens. Der Vermittler nahm die Schrift und richtete meinen Auftrag aus. Wer beschreibt mein Erstaunen, als er zwei Tage darauf zu mir kam mit dem Blick des Zornes und mich schmähete mit bitteren Worten, daß ich ihn hintergangen hätte mit meiner Rede!«

– Wie ging das zu? –

»Der Vater Hafisa's, des Russischen so wenig kundig wie ich, schickte, bevor er sich in weitere Unterhandlungen einließ, die Schrift zum Mufti und erbat sich von diesem ein Fetwa (Gutachten), ob die Schrift genügenden Ausweis über meine Vermögenszustände gebe? Die Antwort lautete verneinend.«

– Wie war das Fetwa abgefaßt? –

»Wie alle anderen. Es giebt dafür eine vorgeschriebene Form, welche der Mufti blos auszufüllen braucht, was gewöhnlich mit Einem Worte geschieht. Der Vermittler brachte mir eine Abschrift des Fetwa und . . .

– Kannst Du mir – unterbrach ich meinen Lehrer wieder – den wortgetreuen Inhalt davon sagen? –

»Was sollt' ich nicht! aber ich will es Dir lieber zeigen wie es ist; ich hab' es bei mir.«

Und der Weise zog aus einem zusammengerollten Hefte von Seidenpapier, welches er immer bei sich trug, das Fetwa, welches folgendermaßen abgefaßt war:

»Die Hülfe kommt von Gott!

Frage:

Giebt diese russische Schrift hinlängliche Auskunft über Mirza-Schaffy's Vermögenszustände?

Antwort:

Nein! – Gott weiß es am besten.

Dieses schrieb der arme
Mullah-Hadshi-Jussuf,
dem Gott vergeben wolle.«

»Der Vater Hafisa's – fuhr Mirza-Schaffy fort – ließ sich nun in seinem Grimme eine vollständige Uebersetzung der russischen Schrift geben, woraus er mit nicht geringem Staunen ersah, daß nichts darin enthalten war, als eine Aufforderung vom Direktor Kulshinsky an mich, daß ich am nächsten Donnerstag, Nachmittags 5 Uhr, im Gymnasium erscheinen sollte, um mich in der tatarischen Sprache examiniren zu lassen« . . .

Hier hielt der Weise einen Augenblick inne, und that einen tüchtigen Zug aus dem Glase, um das Feuer seines Unmuths zu löschen. Er war sichtbar überwältigt von den Erinnerungen, welche durch seine Erzählung wieder lebendig vor ihm auftauchten. Besonders kränkend schien ihm der Gedanke zu sein, daß man ihm hatte zumuthen können, sich examiniren zu lassen, und noch obendrein in einem russischen Gymnasium! Dieser Gedanke drängte in dem Augenblicke alles Uebrige in den Hintergrund. Mirza-Schaffy, der erste Weise des Morgenlandes, der Stolz seines Stammes, der Herrscher im Reiche der Schönheit, die Perle in der Muschel der Dichtkunst –soll sich examiniren lassen in seiner eigenen Sprache!

Ich begriff ganz die Glut des Zornes, die sein Antlitz röthete, die Fluth der Gefühle, die seine Brust durchwogte. Es trieb mich, Balsam in seine Wunden zu träufeln: »Frägt man auch die Sonne – rief ich – ob sie leuchtet? oder die Rose ob sie duftet? und ist es nicht ein eben so thörichtes Beginnen, die Frage des Zweifels an Mirza-Schaffy zu richten: ob er weise sei? oder ihn prüfen zu wollen in seiner Wissenschaft? Aber so wenig die Sonne finster wird, wenn es einem Thoren beikommt, an ihrer Klarheit zu zweifeln, so wenig mußt auch Du Dich erzürnen, wenn die Thoren Zweifel in Deine Weisheit setzen! Hast Du nicht selbst gesungen:

»Verscheuch den Gram durch Liebsgekose,
Durch Deiner süßen Lieder Schall!
Nimm Dir ein Beispiel an der Rose,
Ein Beispiel an der Nachtigall:

Die Rose auch, die farbenprächt'ge,
Kann nicht der Erde Schmutz entbehren;
Und Bülbül selbst, die liedesmächt'ge,
Muß sich von schlechten Würmern nähren!«

Singe mir ein Lied von Deiner Hafisa, das wird Dich in bessere Laune versetzen. Nachher erzählst Du mir beim Glase Wein das Ende Deiner Geschichte!« –

Meine Worte hatten ihren Eindruck auf den Weisen nicht verfehlt. Er trank mir ein »Allahwerdy« zu, stellte seinen Tschibuq bei Seite, ließ das Bein vom Divan herabsinken und hub an zu singen:

»Wenn dermaleinst des Paradieses Pforten
Den Frommen zur Belohnung offen steh'n,
Und buntgeschaart die Menschen aller Orten
Davor in Zweifel, Angst und Hoffen steh'n:
Werd' ich allein von allen Sündern dorten
Von Angst und Zweifel nicht betroffen steh'n,
Da lange schon auf Erden mir die Pforten
Des Paradieses durch Dich offen steh'n!«

Er lächelte selbstgefällig, als ich ihm Lob gespendet für sein Gedicht. Erfreut über die gute Wirkung, welche mein Rath auf ihn geübt, sagte ich zu ihm: – Siehst Du, Mirza-Schaffy, welch ein glücklicher Mensch Du bist! Der bloße Gedanke an Deine Liebe heitert Dich auf. Wie glücklich wirst Du erst sein im vollen Besitz der Geliebten! Hat nicht Nechschebi Recht, wenn er singt, daß die Liebe schon deshalb das Schönste auf Erden sei, weil Fürst und Derwisch gleich sind in ihr? –

»Aber Nechschebi hat auch gesagt – entgegnete Mirza-Schaffy: – ein Mensch ohne Geld ist ohne Ansehen, und ein Haus ohne Geld ist wüste! – Soll ich die Liebe in ein wüstes Haus bringen? früher fiel es mir nie ein, an dergleichen zu denken; jetzt aber macht mich der Gedanke oft trübe.«

– Laß die Klage – rief ich – o Mirza-Schaffy! Es wird sich Alles noch zum Guten wenden; durch den kleinen Irrthum mit dem russischen Papiere ist an der Sache selbst nichts verdorben. Du hast Dich einmal entschlossen, Deine Freiheit aus Liebe für Hafisa zu opfern, und mußt Deinem Entschlusse treu bleiben. Ich sehe keinen erheblichen Grund, warum Du die Stelle am Gymnasium nicht erhalten solltest . . .

»Aber das Examen!«

– Wird sich beseitigen lassen! Es wäre zu thöricht, Zweifel zu setzen in Deine Wissenschaft. Es ist Gesetz bei den Moskow, daß jeder Lehrer der in den Dienst der Regierung tritt, zuvor einem Examen sich unterwerfen muß, weil der Thoren hier viele sind und der Weisen wenige. Das Gesetz ist also wohlbegründet; aber man wird eine Ausnahme machen mit Dir. –

»Man würde eine Ausnahme machen, wenn ich statt meiner Lieder zum Preise des Weines und der Schönheit, lange Gebete geschrieben hätte voll Blendwerk und Heuchelei, wie Mirza-Abul-Kassim, der Kadi von Karabagh. Nur den Schlangen gelingt es, sich überall durchzuwinden!«

Erst nachdem ich dem Weisen durch Fragen aller Art das Ende seiner Geschichte entlockt hatte, begriff ich wie es zuging, daß trotz meiner beruhigenden Zusprache, trotz Trinken und Singen, doch noch ein Rest von Bitterkeit in ihm zurückgeblieben. Der Vater Hafisa's hatte nämlich in seiner Botschaft an Mirza-Schaffy mit besonderer Schärfe den Punkt hervorgehoben, daß es wohl eben so zweifelhaft mit seiner Weisheit wie mit seinem Vermögen sein müsse, da selbst die Moskow es für nöthig hielten, ihn erst einer Prüfung zu unterwerfen.

War es schon tief kränkend für Mirza-Schaffy, daß man im Hause Hafisa's von ihm glauben konnte, er habe durch Uebersendung der russischen Schrift einen absichtlichen Betrug begehen wollen, so ging es ihm doch noch tiefer zu Herzen, daß man Zweifel in seine Weisheit setzte.

– Glaubst Du denn – fragte ich ihn – daß Hafisa Dich deshalb weniger lieben wird? –

»Nein.«

– Oder fürchtest Du ihre Mutter? –

»Nein, die Mutter ist eben so verliebt in meine Lieder, wie die Tochter in mich.«

– Nun, was hast Du denn noch für Besorgnisse? Mit dem alten geldgierigen Vater wollen wir schon fertig werden, wenn Du nur erst in Amt und Würden bist und die Mittel hast, das Hochzeitsgemach zu bereiten. Für die Beseitigung der Schwierigkeiten des Examens will ich schon sorgen. –

Es war mir vollkommener Ernst mit dem was ich sagte; denn ich zweifelte nicht, daß sich bei freundschaftlicher Besprechung mit der obern Schulbehörde ein vermittelnder Ausweg finden ließe, der Strenge des Gesetzes Genüge zu thun, ohne den Stolz des Weisen zu beugen.

Auch gelang es mir endlich, meinen verliebten Lehrer in allen Stücken so vollständig zu beruhigen, daß er zuletzt Witze über sich selbst machte und bei mir blieb bis spät am Abend.

»War mir's doch gerade – sprach er lächelnd – als wäre meine Weisheit lustwandeln gegangen im Dunkel des Abends! Ich kam um Weisheit zu lehren, und mußte Weisheit lernen. Man könnte den Weibern böse werden, daß sie eben denen die ihnen am meisten anhangen, den Kopf am meisten verdrehen, wenn es nicht gar zu liebe Geschöpfe wären! Bei ihnen wächst der Verstand mit der Liebe – bei uns nimmt er ab:

Mirza-Schaffy! wie groß war Dein Verstand,
Kaum fand er Platz in Deinem Haupt!
Und doch: wie klein war jene weiße Hand,
Die Herz Dir und Verstand geraubt!«

– Das sind die Widersprüche der Liebe, warf ich ein – eine große Hand hätte Dein Herz schwerlich davon getragen! –

»Du redest weise! – entgegnete er schmunzelnd – doch muß man über die Widersprüche im Leben nicht zu viel grübeln; das Herz leidet darunter, und der Verstand gewinnt nichts dabei. Die Liebe bringt Herz und Verstand zu fortwährendem Widerspruch. Das Herz sieht in der Liebe die größte Seligkeit, und der Verstand sieht darin die größte Plage auf Erden. Und doch ist es nur die Liebe, die den Menschen zum Menschen macht.«

– Ein alter Weiser meines Stammes – fiel ich ein – hat Aehnliches gesagt:

»Wer ohne Weiber könnte sein,
Wär frei von vielen Beschwerden –
Wer ohne Weiber wollte sein,
Wär nicht viel Nutz auf Erden!«

Er drückte seine hohe Zufriedenheit aus über die Weisheit des Spruches, schlürfte ein Glas Wein herunter und machte sich bereit fortzugehen, aber ich hielt ihn zurück mit den Worten: – Mirza-Schaffy! Du weißt, welch lebendigen Antheil ich nehme an Deiner Liebe, und doch hast Du mir noch nicht einmal erzählt, wie es zuging, daß Du Hafisa kennen gelernt! –

»Was ist davon zu erzählen?«

– Alles was Du weißt! ich höre dergleichen gerne, bis auf die geringfügigsten Umstände herab. Zünde Dir noch einen Tschibuq an und spinn' Deine Geschichte ab in aller Behaglichkeit beim Glase Wein. –

»Das wird nicht lange dauern – sprach der Weise von Gjändsha: –

Sich sehn, sich lieben, sich wählen:
Was ist da viel zu erzählen?«

– Ich möchte gern wissen – entgegnete ich – wie Du dazu gekommen bist, Hafisa zu sehen, sie zu lieben und zu wählen! –

»Das ist ganz einfach. Du hast den Weg gemacht zu meiner Wohnung und weißt, welche Straßen es zu durchwandern giebt, um dahin zu gelangen. Du weißt auch, daß allabendlich beim Mondenscheine die Mädchen auf den Dächern weilen, und sich vergnügen durch Tanz, Gespräch und Gesang. In der ersten Quergasse durch welche der Weg führt, wenn man die Häuser der Armenier und Russen hinter sich hat, hatte seit einiger Zeit ein liebliches Wesen von hohem Wuchs meine Blicke gefesselt. Ich sah das holde Geschöpf zum Erstenmal an demselben Abend wo ich Dir die Geschichte von Zuléikha erzählte, und obgleich mein Herz überfloß von der wehmüthigen Erinnerung an meine Jugendliebe, so war ich doch so bezaubert von der Schönheit des schlanken Mädchens auf dem Dache, daß ich nicht umhin konnte, den Blick der Bewunderung auf sie zu werfen. Eine kurze Weile that sie als bemerkte sie mich nicht. Als ich aber stehen blieb, und meine Mütze abnahm, um mir den Kopf etwas zu lüften, – denn von der Erzählung, vom Trinken und vom Gehen war mir sehr heiß geworden – verschwand sie plötzlich vom Dache . . . Schwer im Kopfe und Herzen ging ich zu Hause und legte mich nieder. Aber ich konnte die ganze Nacht keine Ruhe finden. Wenn ich einmal ein Viertelstündchen einschlief, so erschien mir Zuléikha im Traume. Bald aber wurde ihr Bild wieder verdrängt von dem schönen Mädchen auf dem Dache in der Quergasse. Dann erwachte ich plötzlich und streckte mich unruhig hin und her auf dem Lager, und machte mir selbst Vorwürfe ob meiner Träume, als ob ich daran Schuld wäre. Am folgenden Morgen sprach ich zu mir: Mirza-Schaffy, werde Dir klar in Deinem Beginnen! Du hast Jahre lang in Ruhe und Weisheit gelebt, und hast Dich gestreckt auf dem Teppich der Sorglosigkeit: willst Du Dich abermals einschiffen auf dem stürmischen Meere der Liebe, trotz aller bitteren Erfahrungen der Vergangenheit? Oder willst Du fortfahren ein ruhiges Leben zu führen? Ich beschloß das Letztere, und als ich wieder zu Dir kam, um Dich zu unterrichten, vermied ich es, den Weg durch die Quergasse zu gehen. Ebenso that ich bei der Rückkehr in meine Wohnung. Trotzdem verbrachte ich die Nacht noch unruhiger als zuvor. Und am folgenden Morgen sprach ich zu mir: Mirza-Schaffy, was willst Du Dein Herz verhüllen mit dem Schleier der Täuschung! Du bist verliebt. Wo ein Haus brennt, und man eilt nicht hinzu es zu löschen, da wird es zu Grunde gerichtet von den Flammen. Mit dem Herzen aber ist es umgekehrt. Hier vermag kein Wasser zu löschen. Wo ein Herz Feuer gefangen, findet es nur Heil, wenn es gelingt, noch ein anderes Herz zu entzünden. Darum thue, was das Schicksal Dir vorschreibt! Und ich that also. Vor Allem verlangte es mich, die Gestalt des schönen Mädchens einmal beim Tageslichte zu sehen, um mich zu überzeugen, ob mich der Mondenschein nicht getäuscht hatte. Mehrere Tage vergingen, ehe ich die Erfüllung meines Wunsches erreichte. Am Ende des vierten Tages aber war ich so glücklich, das schöne Mädchen auf dem Dache zu erblicken. Sie sah sich nach allen Seiten um, aber es war Niemand rings auf den Dächern zu sehen; auch in der Straße war es still wie gewöhnlich zu der Zeit, ehe die Männer vom Bazar heimkehren.

Ich stellte mich dem Hause gegenüber so auf, daß ich die ganze prachtvolle Gestalt sehen konnte, von den kleinen Füßchen an bis zu dem lockenumwallten Köpfchen. Und sie erschrak nicht vor mir, wie die Jungfrauen sonst zu thun pflegen beim Anblick der Männer, sondern sie lüftete ihr Angesicht und schauete lächelnd auf mich hernieder, so strahlenden Blickes, daß es mich warm überlief vor Wonne und Seligkeit, denn sie erschien mir am Tage beim Sonnenlicht noch viel schöner als im Mondenschein. Das Glück macht den Augenblick zur Ewigkeit und die Ewigkeit zum Augenblicke. Darum weiß ich nicht, wie lange ich da gestanden, verloren im Anschauen des herrlichen Mädchens auf dem Dache; ich weiß nur, daß ich so lange stehen blieb als ich sie sehen konnte. Wie ein Traumbild war sie vor mir aufgestiegen, wie ein Traumbild verschwand sie plötzlich. Ich setzte meine Mütze zurecht . . .

– Da hast Du gewiß wieder Deinen weißen Kopf gezeigt! – fiel ich ein.

»Etwas gelüftet, weil es sehr heiß war – entgegnete er schmunzelnd – und erst beim Nachhausegehn bemerkte ich, daß es lebhafter in den Straßen geworden war. Vermuthlich war dieses die Ursache des Verschwindens meiner Schönen gewesen. Ich war wie ein Trunkener und Alles drehete sich vor meinen Augen. Ja, ich wußte nicht bestimmt, ob ich wachte oder schlief, und kniff mich in's Bein und in den Arm, um mich zu überzeugen, daß ich wirklich wach sei. Denn gerade so wie mir die Jungfrau auf dem Dache erschienen, hatte ich sie im Traume gesehen:

Drum traut' ich meinen Augen kaum
Im Angesicht der schönen Maid –
Mir ward die Wirklichkeit zum Traum,
Mir ward der Traum zur Wirklichkeit!

Werde Dir klar, o Mirza-Schaffy! – sprach ich zu mir selbst – galt Dir der lange, seelenvolle Blick der Jungfrau, so darfst Du das Auge des Verlangens auf sie werfen – galt er Dir nicht, so wär' es eine Thorheit, länger Dein Herz zu versengen im Feuer ihres Angesichts! Um die Wahrheit zu erforschen, schrieb ich ein duftiges Lied, in der Absicht, ihr dasselbe bei der ersten Gelegenheit vorzusingen, oder falls sich diesem Beginnen Hindernisse in den Weg stellen sollten, das Lied um das Zweiglein eines Mandelbaumes gewickelt, ihr auf's Dach zu werfen.«

– Weißt Du das duftige Lied auswendig, o Mirza-Schaffy? so sing' es mir vor! – Alsobald hub der Weise zu singen an:

»Ein Blick des Augs hat mich erfreut –
Der Zauber dieses Augenblicks
Wirkt immerfort in mir erneut,
Ein leuchtend Wunder des Geschicks.

Drum eine Frage stell' ich Dir,
Horch huldvoll auf, mein süßes Leben:
Galt jener Blick des Auges mir,
So magst Du mir ein Zeichen geben!

Und darf ich Deinem Dienst mich weih'n,
Und bist Du meinem Arm erreichbar:
So wird mein Herz voll Jubel sein,
Und meiner Freude nichts vergleichbar!

Dann leb' ich fort durch alle Zeit
Im Wunderleuchten des Geschicks,
Den Augenblick der Seligkeit,
Die Seligkeit des Augenblicks!«

»Kurze Zeit darauf gelang es mir – fuhr Mirza-Schaffy fort – eine günstige Gelegenheit zu erspähen, ihr das Lied vorzusingen. Doch war ich kaum mit der ersten Hälfte zu Ende, als wir durch das Erscheinen weiblicher Gestalten auf den benachbarten Dächern gestört wurden. Meine Schöne sah sich erschrocken um, und gab mir dann ein Zeichen zu gehen. Ich folgte dem Winke, aber warf ihr zuvor meine sorgfältig geschriebene Frageblume vor die Füße, und hatte im Weggehen die Freude zu sehen, daß sie das Mandelzweiglein, darum das feine Papier mit rothem Faden gewunden war, aufnahm und damit verschwand. Sie war im Besitz meines Liedes, und das genügte mir, um eines günstigen Erfolges gewiß zu sein! Hatte doch schon ihr freundliches Anhören meines Gesanges mir Alles gesagt was ich wissen wollte!

Am folgenden Abend fand ich mich wieder ein zur gewöhnlichen Stunde. Die schöne Jungfrau saß mit verhülltem Antlitze auf dem Dache, wandte sich aber schnell um, sobald sie meiner von ferne ansichtig wurde. Ich ging langsam am Hause vorüber, ließ spähend die Blicke hinaufschweifen, aber sie sah nicht herab zu mir. Plötzlich kam hinter dem Hause her eine hochgewachsene alte Frau auf mich zugeschritten und flüsterte mir mit rauher Stimme die Worte zu: Folge mir, Mirza-Schaffy, von ferne! – Sie kannte meinen Namen; – wer konnte es anders sein als eine Botschafterin von meiner Schönen? Ich folgte ihr wie sie mich bedeutet hatte, und nach kurzer Wanderung blieb sie stehen vor einer kleinen, einsam liegenden Sakli, deren Dach kaum mannshoch über der Erde war. Dort schlich sie hinein, als sie sich noch einmal winkend nach mir umgesehen. Ich kroch ihr nach in die dürftig ausgestattete, spärlich erleuchtete Sakli; ein paar hübsche Kinder, zehn- bis zwölfjährige Mädchen, welche auf einer Matte saßen und mit weiblicher Handarbeit beschäftigt waren, erhielten die Weisung auf's Dach zu gehen, um die frische Luft zu genießen, und ich blieb allein mit der alten Frau.

»Mirza-Schaffy – hub sie an – was giebst Du mir, wenn ich Dir eine gute Nachricht verkünde? An meinem Munde hängt Dein Schicksal!« Ich gab ihr Alles was ich bei mir hatte; aber ich versprach ihr mehr für kommende Zeiten. Nun erzählte sie mir, was ich schon errathen hatte, daß Hafisa (dies ist der Name der schönen Jungfrau) den Blick des Wohlgefallens auf mich und mein Lied geworfen. Aber zugleich erfuhr ich, daß es schwer halten würde, in den Besitz Hafisa's zu gelangen, da ihr Vater, ein alter, geldgieriger Kaufmann, schon verschiedene Bewerber abgewiesen hätte, weil er einen zu großen Käbin (Kaufpreis) für seine Tochter verlangte.

Es würde des Erzählens kein Ende werden, wollte ich Dir Alles wiederholen, was ich noch mit der geschwätzigen Alten verhandelte. Sie hatte große Lust, ihre Botschaft in zwei Theile zu sondern und mich zum folgenden Abend wieder zu bestellen, um eines doppelten Lohnes gewiß zu sein, aber es gelang mir durch Schmeichelworte und Versprechungen ihr Alles zu entlocken was sie wußte. Ich verabredete mit der Alten einen Plan, worauf sie nur nach langem Widerstreben und gegen das Versprechen einer beträchtlichen Summe, die ich vor Ausführung des Plans bezahlen mußte, einging. Meine ganze Baarschaft reichte kaum hin, ihr Begehren zu erfüllen, aber welche Opfer bringt man der Liebe nicht! Unser Plan ging dahin, mich in Weibergewand zu kleiden, wozu die Alte, welche mir an Höhe des Wuchses fast gleich kam, das Nöthige herbeischaffen mußte. Am folgenden Abend war schon Alles hergerichtet, und so gelungen war meine Verkleidung, daß ich auf dem Wege zu Hafisa's Hause zwei Mal von verliebten Männern angesprochen wurde« . . .

– Aber verrieth Dich Dein Bart nicht? –

»Ich hatte das Gesicht, nach Art der Türkinnen, solchergestalt verhüllt mit den Tüchern der Schamhaftigkeit, daß nur die Augen zu sehen waren. Ueber den Tüchern trug ich noch einen Schleier, und den ganzen Körper umschlang die weiße Tschadra, so daß ich bei Alt und Jung durch meinen Anzug als ein Muster strenger Sitte und jungfräulicher Verschämtheit erscheinen mußte. Auf diese Weise konnte ich allabendlich mit Hafisa verkehren, ohne den geringsten Verdacht rege zu machen. Ihre Liebe wuchs mit meinen Besuchen und meinen Liedern, und wir verlebten selige Stunden des Beisammenseins, bis zufällig ihre Mutter hinter das Geheimniß kam. Sie hatte mich reden gehört mit Hafisa, und der Klang meiner Stimme hatte ihren Argwohn erweckt. Dazu fiel ihr meine große Gestalt auf, und ihre Neugier trieb sie, unser Gespräch zu belauschen. Die erschrockene Hafisa wagte nicht zu leugnen, als sie von der Mutter zur Rede gestellt wurde, und nun gab es eine Scene des Jammers, die ich nicht auffrischen mag in der Erinnerung. Alles wäre verloren gewesen, – wenn die Mutterliebe nicht den Sieg davon getragen hätte. Die Thränen der Tochter, die Betheuerungen ihrer heißen Liebe für mich und endlich meine Gedichte rührten das Herz der Mutter, denn ich hatte in einem Liede gesagt: die Frau welche Hafisa geboren, müßte selbst eine Peri sein in Anmuth und Hoheit, und sie verdiente, daß alle Königinnen der Welt ihre Sklavinnen wären. Der Schoß, dem diese Rose entsprossen, sei dem duftigsten Blumenbeete vergleichbar, und ihr Busen bestehe aus Zwillingen des Vollmondes. Als die Mutter diese Verse las, verwandelte sich ihr Haß in Freundschaft für mich und sie selbst begünstigte fortan meine Bewerbung um die Hand ihrer Tochter. Ich mußte einen Vermittler suchen, um beim Vater um die Hand Hafisa's anzuhalten. Der Alte aber hatte so wenig Sinn für mich, wie für meine Gedichte, und der Antrag wäre rund abgeschlagen, hätte die Mutter nicht ihr gewichtiges Wort dazwischen gesprochen. Die Heirath würde längst vollzogen sein, wenn ich im Stande gewesen wäre, den verlangten Käbin zu erschwingen und einen befriedigenden Nachweis über meine Vermögensumstände zu geben. Dazu kommt nun der unglückliche Vorfall mit der russischen Schrift. – Das Fetwa des Mufti hat dem Vater Veranlassung gegeben, sich beim Muschtahid und bei den Mullahs näher nach mir zu erkundigen. Du kannst Dir denken, welche Meinung diese Säulen des Glaubens von mir haben! Ihr Urtheil würde günstiger lauten, wenn ich Gebete schriebe wie Mirza-Abul-Kassim von Karabagh. Das Uebrige weißt Du.«

So weit Mirza-Schaffy. Kurz darauf mußte ich Tiflis verlassen. Doch nahm ich beim Abschiede die gegründete Hoffnung mit, daß in Folge der Verwendung einflußreicher Freunde, der Weise von Gjändsha dem Ziele seiner Wünsche näher sei, als er selbst glaubte.

In Konstantinopel erhielt ich einen kurzen Brief von ihm, worin er mir anzeigte, daß er nicht am Gymnasium, sondern an der Garnisonschule eine gute Stelle erhalten habe; und aus anderer Quelle erfuhr ich, daß er seinen Pflichten mit großer Gewissenhaftigkeit obliege.

Kurz nach meiner Rückkehr in die Heimath erhielt ich abermals ein Schreiben von Mirza-Schaffy, worin er mir Nachricht gab, daß er den Berg der Seligkeit glücklich erstiegen habe, nachdem der Vater Hafisa's am Gallenfieber gestorben. Die Worte seines Briefes strahlten von reinster Freude. Mein Beglückwünschungsschreiben, so wie ein paar spätere Briefe an den Weisen, müssen wohl den Ort ihrer Bestimmung nicht erreicht haben, da ich keine Antwort darauf erhielt. Ein längerer Aufenthalt in Italien drängte vollends die Erinnerungen an den Kaukasus und seine Bewohner in den Hintergrund. So bin ich denn seitdem ohne Mittheilung von Mirza-Schaffy geblieben, bis ich vor wenigen Wochen durch die Güte eines früher genannten Reisenden ein Packet Briefe von anderen Freunden aus Tiflis erhielt, worin des Weisen von Gjändsha auf erfreuliche Weise gedacht wird. Es sei mir vergönnt, einige Stellen daraus, welche Berichtigungen des I. Theils dieses Buches enthalten, in kurzem Auszuge hier mitzutheilen:

Auszüge aus einem Briefe von Tiflis vom Juli 1850.

– – – »Ihr Tausend und Ein Tag« ist in zwei Exemplaren, wovon das eine seinen Weg über Petersburg, das andere über Konstantinopel genommen, glücklich in Tiflis angelangt. Sie können sich denken, mit welcher Neugier wir das Buch durchflogen, dessen Inhalt größtentheils aus uns so naheliegenden Stoffen geschöpft ist . . . Wie würde der gute Mirza-Schaffy sich gefreut haben, hätte er sein (etwas zu zart gerathenes) Bild auf dem Titelkupfer gesehen und sich mit eigenen Augen überzeugt, wie viele seiner duftigen Lieder in das Gewand des Abendlandes gekleidet sind! Doch wird es wohl noch eine gute Weile dauern, ehe das Buch in seine Hände gelangt, da das für ihn bestimmte Exemplar erst die Runde unter denjenigen Ihrer hiesigen Bekannten macht, welche deutsch verstehen. Doch, Sie wissen vielleicht noch gar nicht, daß Ihr weiser Lehrer schon seit zwei Jahren nicht mehr in Tiflis haus't? sonst würden Sie in Ihrem Briefe mir keine Vorwürfe darüber machen, daß ich Ihnen so lange nichts von ihm mitgetheilt habe. Mirza-Schaffy ist, nachdem er als Lehrer an der Garnisonschule sich im hohen Grade die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erworben, mit Gehaltserhöhung an die neuerrichtete muselmännische Schule nach Gjändsha versetzt worden, und hat mit dieser erfreulichen Rückkehr in die Stadt seiner Geburt und seiner ersten Liebe, das höchste Ziel seiner Wünsche erreicht. Er soll mit seiner schönen Hafisa ein äußerst glückliches Leben führen und war, als ich das letzte Mal von ihm hörte, bereits mit zwei Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, gesegnet . . . Wenn ich Ihnen von allen Veränderungen berichten wollte, die sich seit Ihrer Abreise hier zugetragen haben, so müßte ich zu jeder Seite Ihres Buchs einen besonderen Kommentar schreiben, ja, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, es hat sich in den wenigen Jahren so ziemlich Alles verändert hier, Häuser, Menschen und Zustände. Und so naturgetreu Ihre Schilderungen sind, verglichen mit der Stadt wie sie war zur Zeit Ihres hiesigen Aufenthalts, so bedürfen sie doch verschiedener Ergänzungen, um einen vollständig richtigen Begriff von dem heutigen Tiflis zu geben.

Sie wissen, daß seit dem alten Jermolow, welcher der Stadt den ersten europäischen Anstrich gegeben, der Sardaarspalast eigentlich nur ein Absteigequartier bildete für russische Generale von Ruf, welche hieher kamen, um im Kampfe gegen die Tscherkessen ihren Ruf zu verlieren und nach ein paar Jahren unter irgend einem Vorwande wieder abberufen zu werden.

Diese Generale, (unter denen es in der That bessere Männer gab, als der mächtige Kriegsminister ist, der über ihr Schicksal verfügte), hatten bei der Ueberhäufung ihrer Geschäfte und bei ihrer zu großen Abhängigkeit von Petersburg, weder Zeit noch Lust, sich in weitausgreifende Unternehmungen einzulassen; auch fehlte es ihnen an den nöthigen Mitteln dazu.

Ganz anders ist es mit dem jetzigen Statthalter vom Kaukasus, der durch seinen Rang, durch sein ungeheures Vermögen, und besonders durch seine Freundschaft mit dem Kaiser, selbst zu mächtig ist, um von den Launen des altersschwachen Tschernitschew abzuhängen.

Fürst Woronzow herrscht im Kaukasus mit königlicher Vollgewalt, und seine Prachtliebe treibt ihn, und seine Mittel erlauben ihm, seiner Residenzstadt Tiflis einen königlichen Anstrich zu geben. So erklärt sich's, daß seit der nunmehr sechsjährigen Herrschaft Woronzow's mehr für die Verschönerung von Tiflis geschehen, als während der Herrschaft all seiner Vorgänger (bis auf Jermolow) zusammengenommen. Ganze Reihen der finsteren Sakli's der Georgier und Tataren sind wegrasirt und haben wohnlichen Häusern, theilweise wirklichen Palästen, Platz gemacht. Das Stadtviertel Kuki, wo die Menschen noch zu Ihrer Zeit wie Troglodyten haus'ten, ist ganz neu aufgebaut und dadurch die Verbindung zwischen der Stadt und der deutschen Kolonie hergestellt. Zwischen Naphtluk und dem eigentlichen Tiflis hat Fürst Woronzow großartige Mustergärten angelegt. Hinter dem Hause des ehemaligen stellvertretenden Generalgouverneurs Hurko (Alexanderplatz) werden Brücken über die Kura gebaut und neue Bäder eingerichtet.

In der Mitte des Eriwan'schen Platzes wird in diesem Augenblicke der Bau eines wirklich prachtvollen Theaters vollendet, dessen Unternehmer der reiche Armenier Gabriel Tamamschew ist.

Gegenüber dem russischen Kirchhofe hat der Armenier Sumbatow ein großes Haus bauen lassen, welches jetzt von Begmen-Mirza, (Bruder des verstorbenen Schah's von Persien und früheren Gouverneur von Aserbéidshan) bewohnt wird, dessen Harem eine Mustersammlung orientalischer Schönheiten in sich schließt.

Auf den Bergen von Katschori (etwa eine Stunde von Tiflis, in der Richtung nach Priutina), welche sich, ihrer gesunden Luft wegen, so trefflich zu Sommerwohnungen eignen, hat Fürst Woronzow unentgeltlich Plätze zu Landhäusern und Gartenanlagen vertheilen lassen, ohne den Unternehmern andere Verpflichtungen zu stellen, als daß sie binnen drei Jahren die Bauten vollenden müssen.

Die große Manège ist seit 1846 in ein provisorisches Theater umgewandelt, wo russische und ukrainische Singspiele aufgeführt werden.

Dies ist nur das Hauptsächlichste von den vielen Veränderungen in den Häusern und Anlagen der Stadt. Wollte ich Ihnen in ähnlicher Weise von dem Wechsel der hervorragenden Personen erzählen, so wüßte ich nicht, wo anfangen und wo aufhören? fast das ganze höhere Militair- und Beamtenpersonal hat gewechselt . . .

Abbas-Kuli-Chan von Baku, der poetische Tatarenfürst, dessen Sie in der »Schule der Weisheit« Erwähnung thun, ist auf einer Pilgerfahrt nach Mekka gestorben, nachdem er zuvor eine Reise nach Teheran und nach Konstantinopel unternommen, und sowohl vom Schach wie vom Sultan mit großen Ehrenbezeugungen empfangen wurde. Sein Bruder lebt noch im Kaukasus als General in russischen Diensten.

Die junge Fürstin Nassinka Orbeljanow hat ihre georgische Tracht und Sitte, die ihr so wohl stand und wodurch sie so manches Herz bezaubert, ganz abgestreift und ist jetzt Ehrendame der Kaiserin von Rußland.

Die »Rose vom Kaukasus« hat Tiflis schon seit lange verlassen.

Einer der geheimnißvollen Polen Ihres Buches, Thaddaeus Lada-Zablocki, ist gestorben, tief bedauert von seinen Freunden, soweit man hier, wo der Tod fortwährend so reiche Erndte hält, noch tiefen Bedauerns über ein Opfer mehr oder weniger fähig ist. Er war seit Lermontow der letzte slawische Dichter im Kaukasus. Nach seinem Tode hat sich ein junger Stammesgenosse, Jakob Polonski, hervorgethan, der die in Tiflis erscheinende kaukasische Zeitung redigirt und sehr hübsche russische Gedichte in orientalischer Weise schreibt.

Der kleine General Schramm ist seines Postens als Kurator der kaukasischen Unterrichtsanstalten entbunden und Staatsrath Simonow, Ihr Reisegefährte auf dem Schwarzen Meere, ist an seine Stelle getreten. Mirza-Jussuf, der Weise von Bagdad, ist mit einer schönen Georgierin durchgegangen . . .

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