Über die Liebe
55. Der Diwan der Liebe
Bruchstücke aus einer arabischen Sammlung von
Ibn-Abi-Hagala
(Handschriften der Pariser Nationalbibliothek Nr. 3348-59)
Mohammed, der Sohn des Djaâfar Elahuâzadi, erzählt, daß
Elâbas, Sohn des Sohail, den Djamil während seiner letzten
Krankheit besuchte und ihn bereit fand, die Seele aufzugeben.
»O Sohn Sohails,« sagte Djamil zu ihm, »wie denkst du über
einen Mann, der niemals Wein getrunken, niemals unerlaubten
Gewinn gemacht, niemals ungerechterweise eine lebende Kreatur
wider Gottes Gebot getötet und immer den Glauben gehabt hat,
daß es keinen Gott außer Allah gibt und daß Mohammed sein
Prophet ist?« – »Ich denke,« entgegnete Sohail, »daß dieser
Mann selig werden und in das Paradies eingehen wird. Aber wer
ist der Mann, den du meinst?« – »Ich bin's,« erwiderte Djamil.
– »Ich habe nicht geglaubt, daß du ein strenger Anhänger des
Islam seiest,« sagte Sohail, »und dann hast du seit zwanzig
Jahren Bothaina geliebt und sie in deinen Liedern gefeiert.« –
»Jetzt bin ich,« antwortete Djamil, »am Ende dieser und am
Anfange der anderen Welt und ich will, daß sich die Gnade
unseres Herrn und Meisters Mohammed am Tage des Gerichts von
mir abwenden möge, wenn ich Bothaina je in sträflicher Weise
berührt habe.«
Djamil und seine Geliebte Bothaina gehörten alle beide dem
Stamme des Asra an, die unter allen Arabern wegen ihrer Liebe
berühmt sind. Ihre Liebe ist sprichwörtlich geworden, und Gott
hat nirgends Wesen geschaffen, die gleich viel Zartgefühl in
der Liebe besitzen.
Sahid, Agbas Sohn, fragte eines Tages einen Araber: »Von
welchem Stamme bist du?« – »Ich bin vom Stamme derer, welche
sterben, wenn sie lieben,« antwortete der Araber. [Fußnote]
Und der Sklave sprach: »Ich heiße
Mohammed, ich bin aus Jemen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.«
Über Heine und Stendhal vgl. die erste Anmerkung auf S.
XVIII. Beide Dichter erwähnen sich einander in ihren Schriften
und Briefen an keiner Stelle, so daß man annehmen muß, sie
haben sich nicht persönlich gekannt.
– »So bist du vom Stamme der Asra,« sagte Sahid. – »Ja,
beim Herrn der Kaaba!« versetzte der Araber. – »Wie kommt es,
daß ihr so liebt?« fragte darauf Sahid. – »Unsere Frauen sind
schön und unsere jungen Männer keusch!« erwiderte der Araber.
Jemand fragte einmal den Dichter Aruâ-Ben-Hezam: »Ist es
denn wahr, was man von Euch erzählt, daß Ihr von allen
Menschen in der Liebe das zärtlichste Herz habt?« – »Bei Gott,
es ist wahr,« antwortete Aruâ, »und ich habe dreißig junge
Männer meines Stammes gekannt, die der Tod hingerafft hat und
die keine andere Krankheit hatten als die Liebe.«
Ein Araber vom Stamme der Fazârat sagte eines Tages zu
einem anderen Araber vom Stamme der Asra: »Ihr Asra glaubt,
aus Liebe zu sterben sei ein süßer und edler Tod; aber es ist
offenbar Schwäche und Dummheit, und die, die ihr für
großherzige Männer haltet, sind nichts als törichte und
weichliche Geschöpfe.« – »Du sprächest nicht so,« entgegnete
der Asra, »hättest du die großen schwarzen Augen unserer
Frauen gesehen, wie sie unter dem Schleier ihrer langen
Wimpern hervorblitzen; hättest du sie lächeln sehen und ihre
weißen Zähne zwischen den braunen Lippen schimmern.«
Ali Abu-el-Hassan, Sohn Abdallahs, erzählt folgendes: »Ein
Muselmann liebte ein christliches Mädchen bis zum Wahnsinn. Er
war gezwungen, mit einem Freunde, der um seine Liebe wußte,
eine Reise in ein fremdes Land zu machen. Seine Geschäfte
daselbst zogen sich in die Länge; eine tödliche Krankheit
befiel ihn und er sprach zu seinem Freunde: ’Ich fühle, daß
mein Ende naht; ich werde die, die ich liebe, in dieser Welt
nie wiedersehen und ich fürchte, wenn ich als Muselmann
sterbe, auch im Jenseits nicht.‘ Er wurde Christ und starb.
Sein Freund fand bei seiner Rückkehr die Christin
sterbenskrank. Sie sagte ihm: ’Ich werde meinen Freund in
dieser Welt nicht mehr sehen, aber ich will mit ihm im
Jenseits vereint sein. Darum bekehre ich mich zu dem Glauben,
daß es keinen Gott außer Allah gibt und daß Mohammed sein
Prophet ist!‘ Darauf starb sie; die Gnade Gottes komme über
sie.«
Eltemini erzählt, daß bei dem arabischen Stamme der Tagleb
eine junge, sehr reiche Christin gelebt habe, die einen jungen
Muselmann liebte. Sie bot ihm ihr Vermögen dar und alles, was
sie an Kostbarkeiten besaß, ohne daß es ihr gelang, seine
Liebe zu gewinnen. Als sie alle Hoffnung aufgegeben hatte,
ließ sie sich von einem Künstler für hundert Denare ein
Standbild des Geliebten machen. Der Künstler fertigte das
Bildnis an, und als sie es hatte, stellte sie es an einem Orte
auf, zu dem sie täglich pilgerte. Dort küßte sie das
Standbild, setzte sich dann zu seinen Füßen und verbrachte den
Rest des Tages mit Weinen. Wenn der Abend kam, grüßte sie das
Bild und ging heim. So trieb sie es lange Zeit. Da starb der
junge Mann. Sie wollte ihn noch einmal sehen und küßte den
Toten, dann kehrte sie zu ihrer Bildsäule zurück, grüßte sie,
küßte sie wie immer und setzte sich ihr zu Füßen hin. Als der
Morgen kam, fand man sie tot, in der Hand ein paar Zeilen, die
sie vor ihrem Tode geschrieben hatte.
Ueddah aus dem Lande Jemen war wegen seiner Schönheit unter
den Arabern berühmt. Er und Om-el-Bonain, Tochter des
Abd-el-Aziz, Enkelin des Meruan, liebten sich schon als Kinder
so, daß sie es nicht ertragen konnten, nur einen Augenblick
lang voneinander getrennt zu sein. Als Om-el-Bonain die Frau
des Ualid-Ben-Abd-el-Malek wurde, verlor Ueddah den Verstand.
Nachdem er lange Zeit im Zustande der Verwirrung und des
Leidens gelebt hatte, ging er nach Syrien und umschlich
täglich die Behausung Ualids, ohne zunächst ein Mittel zur
Erreichung seiner Absicht zu finden. Endlich traf er eine
junge Sklavin, die er durch Ausdauer und Güte für sich gewann.
Als er glaubte, ihr vertrauen zu können, fragte er sie, ob sie
Om-el-Bonain kenne. – »Gewiß, sie ist meine Herrin,« erwiderte
die junge Magd. – »Wohlan,« fuhr Ueddah fort, »deine Herrin
ist meine Base, und wenn du ihr Nachricht von mir bringen
willst, bereitest du ihr gewiß Vergnügen.« – »Ich will sie ihr
gern bringen,« sagte sie. Darauf lief sie zu Om-el-Bonain, um
ihr Nachricht von Ueddah zu geben. – »Was sagst du mir da?«
rief diese, »was, Ueddah lebt?« – »Gewiß,« erwiderte die Magd.
– »Geh und sage ihm,« fuhr Om-el-Bonain fort, »er soll sich
nicht eher wieder entfernen, als bis er eine Botschaft von mir
erhalten hat.«
Nunmehr traf sie Vorkehrungen, um Ueddah bei sich
einzulassen, und hielt ihn danach in einer Truhe verborgen.
Wenn sie sich sicher glaubte, ließ sie ihn heraus, um mit ihm
zusammen zu sein, und wenn jemand kam, der ihn nicht sehen
sollte, ließ sie ihn wieder in die Truhe steigen.
Es begab sich eines Tages, daß man Ualid eine Perle
brachte, und er sagte einem seiner Sklaven: »Nimm diese Perle
und bringe sie Om-el-Bonain!« – Der Diener nahm die Perle und
brachte sie zu Om-el-Bonain. Da er sich nicht anmelden ließ,
trat er in ihr Gemach in einem Augenblick, wo Ueddah bei ihr
war, und konnte unbemerkt einen Blick in das Schlafgemach der
Om-el-Bonain tun. Der Diener entledigte sich seines Auftrags
und bat Om-el-Bonain um eine kleine Belohnung für das
gebrachte Kleinod. Sie schlug sie ihm barsch ab und schalt ihn
aus. Er ging erbittert von ihr und hinterbrachte Ualid, was er
beobachtet hatte, und beschrieb die Truhe, in die er Ueddah
hatte steigen sehen. – »Du lügst, mutterloser Sklave! Du
lügst!« schrie Ualid und lief hastig zu Om-el-Bonain. In ihrem
Gemache standen verschiedene Truhen. Er setzte sich auf die,
in der Ueddah steckte, die ihm der Sklave beschrieben hatte,
und sagte zu Om-el-Bonain: »Schenke mir eine dieser Truhen!« –
»Sie sind alle dein so gut wie ich,« antwortete sie. »Nun,«
fuhr Ualid fort, »dann möchte ich die, auf der ich sitze.« –
»In dieser sind für eine Frau unentbehrliche Dinge,« sagte
Om-el-Bonain. – »Ich will ja nicht den Inhalt, nur die Truhe,«
beharrte Ualid. – »Sie ist dein!« antwortete sie. Ualid ließ
sofort die Truhe wegschaffen, rief zwei Sklaven und befahl
ihnen, ein Loch in die Erde zu graben, so tief, bis sie auf
Wasser stießen. Dann näherte er sich mit seinem Munde der
Truhe und rief: »Man hat mir etwas von dir gesagt; wenn es
wahr ist, so sei jede Spur von dir getilgt, jede Kunde
begraben. Hat man mich aber belogen, dann tue ich nichts
Böses, wenn ich eine Truhe vergrabe; denn ich verscharre nur
Holz.« Dann ließ er die Truhe in das Loch werfen und dieses
mit den ausgegrabenen Steinen und Erdschollen wieder
zuschaufeln.
Seitdem besuchte Om-el-Bonain häufig jenen Ort, um dort zu
weinen, bis man sie eines Tages entseelt fand, das Antlitz zur
Erde gewendet.