Ghazalis Werk
Gazzali İhyau Ulumi'd-Din 1/6 إحياء علوم الدين in Bochum - Bochum-Mitte |  eBay Kleinanzeigen

Über Intention, reine Absicht und Wahrhaftigkeit

كتاب النية والإخلاص والصدق

Das 37. Buch von Ghazalis Hauptwerk

Übersetzt von Hans Bauer, Halle 1916

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Von der Intention

Wesen der Intention (Absicht)

Niyya (Absicht), irada (Willen) und qasd (Zweck) sind synonyme Ausdrücke für ein und dieselbe Sache, nämlich für eine innere Verfassung und Eigenschaft, die ein Doppeltes in sich schließt, ein Erkennen und ein Tun. Das Erkennen kommt zuerst, denn es ist der Stamm und die Bedingung, das Tun kommt an zweiter Stelle, denn es ist die Frucht und der Zweig. Jede Handlung nämlich  ¾ ich meine damit jedes freiwillige Tun und Lassen ¾  schließt in sich ein Dreifaches: Erkenntnis, Willen und Vermögen (potentia). Denn der Mensch will nichts, was er nicht kennt, also ist die Erkenntnis notwendig, und er tut nichts, was er nicht will, also ist der Wille notwendig. Der Wille ist die Bewegung des Innern zu dem hin, was der Mensch als seinem Ziel angemessen erachtet, sei es für diese oder jene Welt. Der Mensch ist nämlich so geschaffen, dass gewisse Dinge ihm angemessen und sei-nem Ziel förderlich, andere hingegen ihm entgegengesetzt sind. Er muss also das Angemessene und Förderliche zu sich herbeiführen, das Schädliche und Widerstreitende hingegen von sich abwehren, und dazu muss er das Nützliche und Schädliche genau kennen, um das erstere herbeizuführen und vor dem anderen zu fliehen. Denn wer die Speise nicht sieht und sie nicht kennt, der kann sie nicht zu sich nehmen, und wer das Feuer nicht sieht, der kann nicht vor ihm fliehen. Darum hat Allah die Leitung und die Erkenntnis geschaffen und ihr Mittel zugeordnet, nämlich die äußeren und inneren Sinne, auf die wir nicht einzugehen brauchen. Wenn aber jemand die Speise sieht und sie als ihm angemessen erkennt, so genügt das für ihn noch nicht, um sie zu sich nehmen zu können, solange bei ihm keine Neigung und Begierde und kein Appetit danach vorhanden ist, die ihn zur Speise hinziehen.

Denn der Kranke sieht wohl die Speise und weiß, dass sie ihm angemessen ist, er kann sie aber nicht nehmen, weil ihm die Neigung und Begierde fehlt und der bewegende Antrieb. Darum hat Allah ta’ala die Neigung, die Begierde und den Willen geschaffen, und ich verstehe darunter ein Streben in seiner Seele und ein Gerichtetsein in seinen Inneren auf das Betreffende hin. Aber auch das genügt noch nicht. Wie mancher sieht die Speise vor sich, begehrt sie und will sie nehmen, aber er kann es nicht, weil er gelähmt ist. Darum sind ihm die Kraft (Vermögen, potentia) und die bewegenden Glieder anerschaffen, damit die Nahrungsaufnahme ganz zustande kommen kann. Ein Glied bewegt sich aber nur durch die Kraft, und die Kraft wartet auf den bewegenden Antrieb und der Antrieb auf das Wissen und die Erkenntnis oder wenigstens auf ein Meinen oder Glauben, d.h. es muss bei ihm feststehen, dass diese Sache ihm zuträglich ist. Wenn also diese Erkenntnis, dass die Sache zuträglich ist und geschehen muss, eine entschiedene ist, und wenn sie frei ist von der Gegenwirkung eines anderen ablenkenden Beweggrundes, so setzt der Wille sich in Bewegung setzt, so geht die Kraft über in die Bewegung der Glieder. Die Kraft gehorcht also dem Willen, und der Wille folgt der jeweiligen Überzeugung und Erkenntnis.

Die Absicht bezeichnet demnach ein mittleres, nämlich den Willen und die Bewegung der Seele entsprechend der Begierde und Neigung nach dem hin, was dem Ziel, sei es im Diesseits oder Jenseits, angemessen ist. Das erste Movens (Beweggrund) ist sonach das zu erreichende Ziel, als Agens. Und das bewegende Ziel ist der beabsichtigte Zweck. Und die (Willens)Bewegung ist das Streben und die Absicht und die Auslösung der Kraft, um dem Willen in der Bewegung der Glieder behilflich zu sein, welche die eigentliche Handlung ausmacht.

Die Auslösung der Kraft zum Handeln geht bald von einem einzigen Agens aus, bald von zweien, die zu einer Tätigkeit zusammenwirken. Im letzteren Fall kann entweder jedes einzelne für sich genommen imstande sein, die Kraft auszulösen (inhad), oder sie vermögen das nur in ihrem Zusammenwirken, während jedes für sich genommen dazu unfähig ist, oder endlich das eine ist ohne das andere für sich allein ausreichend, es wird aber von diesem in der Wirkung unterstützt. Aus dieser Einteilung ergeben sich vier Fälle, für die wir je ein Beispiel anführen und einen Namen prägen wollen.

1. Das Movens ist nur ein einziges.

Wenn z.B.: ein wildes Tier auf einen Menschen losgeht, so hebt er sich von seinem Platze weg, sowie er es sieht. Was ihn wegtreibt, ist allein die Absicht, vor dem Tiere zu fliehen. Er sieht das Tier, erkennt es als schadenbringend, da wendet sich sein Inneres zur Flucht und begehrt sie, dann tritt die Kraft, dem Impuls entsprechend sich betätigend, in Aktion. Das heißt das die Absicht, vor dem Tiere zu fliehen, da er nicht die Absicht hat, wegen eines anderem sich wegzubegeben. Und diese Absicht heißt ihlas ( Reinheit [der Absicht]) mit Bezug auf das bewegende Ziel, d.h. das sie frei von der Beteiligung und der Einmischung eines anderen Zweckes.

2. Es wirken zwei Moventia zusammen, von denen jedes für sich ausreichend wäre,

wenn es allein in Aktion treten würde. Ein sinnliches Beispiel dafür ist, wenn zwei Männer einander helfen, eine Sache zu tragen, für welche die Kraft eines einzigen allein ausreichend wäre. Und ein Beispiel für unseren Gegenstand; wenn jemand von einem Armen, der zugleich sein Verwandter ist, um etwas gebeten wird, und erfüllt seine Bitte wegen seiner Armut und der Verwandtschaft mit ihm, weiß aber, dass er sie, auch wenn der Betreffende nicht arm wäre, wegen der Verwandtschaft allein erfüllen würde, und auch umgekehrt wegen der Armut allein, auch wenn er nicht sein Verwandter wäre. Er erkennt das bei sich daran, dass er auch die Bitte eines reichen Verwandten und eines nichtverwandten Armen zu erfüllen bestrebt ist. So verhält es sich auch mit jemanden, dem der Arzt Fasten auferlegt hat, und es kommt der Tag von Arafa, und er fastet da, weiß aber, dass er die Speisen aus Gesundheitsrücksicht auch dann meiden würde, wenn es nicht der Tag von Arafa ist. Beide Motive vereinigen sich also zu einer Handlung, und zwar ist das zweite Motiv der Begleiter des ersten, wir wollen das daher „Begleitschaft“ (murafaqa) von Beweggründen nennen.

3. Eines für sich allein ist nicht imstande, die Kraft auszulösen,

wohl aber beide, wenn sie vereint sind. Ein sinnliches Beispiel ist, wenn zwei Schwache einander helfen, eine Last zu tragen, die für jeden von ihnen zu schwer wäre. Ein Beispiel für unseren Zweck: Es kommt zu jemanden ein reicher Verwandter mit der Bitte um einen Dirham und er gibt ihm nichts, dann kommt ein nichtverwandter Armer mit der gleichen Bitte und er gibt auch diesem nichts, schließlich kommt ein armer Verwandter und diesem gibt er dem Dirham. Hier erfolgt die Betätigung der Kraft durch die Vereinigung der beiden Motive, nämlich der Verwandtschaft und der Armut. So auch, wenn jemand vor den Menschen Almosen gibt wegen der Belohnung (im Jenseits) und wegen des Lobes (der Menschen) und war so, dass ihn, wenn er alleine wäre, das Streben nach der Belohnung  allein nicht zum Geben bewegen würde und ebenso wenig allein die Rücksicht auf die Menschen (riya), wenn der Bittende etwa ein Sünder wäre, für dessen Unterstützung er keine Belohnung zu erwarten hätte; beide Motive in ihrer Vereinigung bringen aber die innere Bewegung zustande. Wir wollen diese dritte Art „Genossenschaft“ (musaraka) nennen.

4. Das eine der beiden Moventia ist für sich allein hinreichend, das zweite hingegen nicht,

es übt aber, wenn es zum ersten hinzutritt, wenigstens durch Unterstützung und Erleichterung eine Wirkung aus. Ein sinnliches Beispiel: Ein Schwacher hilft einem Starken beim Tragen einer Last, die dieser auch allein tragen könnte, der Schwache hingegen nicht; aber dieser erleichtert im Allgemeinen die Arbeit und trägt zu ihrer sicheren Ausführung bei. Ein Beispiel für unseren Gegenstand: Jemand pflegt regelmäßig Andachtsübungen abzuhalten und Almosen zu geben. Sind nun zufällig zu der betreffenden Zeit Menschen in der Nähe, so wird ihm durch ihre Gegenwart das Handeln erleichtert, er weiß aber von sich, dass er auch dann nicht davon abstehen würde, wenn er ganz allein wäre, und andererseits, dass ihn die Rücksicht auf die Menschen (riya) allein nicht zu diesem Werke veranlassen würde, wenn es nicht ein gottgefälliges wäre. Immerhin erleidet auf diese Weise die Absicht eine Trübung, und wir wollen diese Art „Unterstützung“ (mu’awana) nennen. Das zweite Motiv kann somit begleitend oder teilnehmend oder unterstützend sein; wir werden darüber im Kapitel der „reinen Absicht“ (ihlas) handeln. Hier wollten wir nur eine Einteilung der Absichten geben, denn die Handlung richtet sich nach ihrem Beweggrund und empfängt von ihm ihre Wertung (hukm).

Daher heißt es: „Die Handlungen richten sich allein nach den Absichten“; denn sie sind etwas Abhängiges (tabi’a) und haben keine Wertung in sich selbst, sondern die Wertung kommt dem zu, von dem sie abhängen.

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