Von der Intention
Wesen der
Intention (Absicht)
Niyya
(Absicht), irada (Willen) und qasd (Zweck) sind
synonyme Ausdrücke für ein und dieselbe Sache, nämlich für
eine innere Verfassung und Eigenschaft, die ein Doppeltes in
sich schließt, ein Erkennen und ein Tun. Das Erkennen kommt
zuerst, denn es ist der Stamm und die Bedingung, das Tun kommt
an zweiter Stelle, denn es ist die Frucht und der Zweig. Jede
Handlung nämlich
¾ ich
meine damit jedes freiwillige Tun und Lassen
¾
schließt in sich ein Dreifaches: Erkenntnis, Willen und
Vermögen (potentia). Denn der Mensch will nichts, was
er nicht kennt, also ist die Erkenntnis notwendig, und er tut
nichts, was er nicht will, also ist der Wille notwendig. Der
Wille ist die Bewegung des Innern zu dem hin, was der Mensch
als seinem Ziel angemessen erachtet, sei es für diese oder
jene Welt. Der Mensch ist nämlich so geschaffen, dass gewisse
Dinge ihm angemessen und sei-nem Ziel förderlich, andere
hingegen ihm entgegengesetzt sind. Er muss also das
Angemessene und Förderliche zu sich herbeiführen, das
Schädliche und Widerstreitende hingegen von sich abwehren, und
dazu muss er das Nützliche und Schädliche genau kennen, um das
erstere herbeizuführen und vor dem anderen zu fliehen. Denn
wer die Speise nicht sieht und sie nicht kennt, der kann sie
nicht zu sich nehmen, und wer das Feuer nicht sieht, der kann
nicht vor ihm fliehen. Darum hat Allah die Leitung und die
Erkenntnis geschaffen und ihr Mittel zugeordnet, nämlich die
äußeren und inneren Sinne, auf die wir nicht einzugehen
brauchen. Wenn aber jemand die Speise sieht und sie als ihm
angemessen erkennt, so genügt das für ihn noch nicht, um sie
zu sich nehmen zu können, solange bei ihm keine Neigung und
Begierde und kein Appetit danach vorhanden ist, die ihn zur
Speise hinziehen.
Denn der Kranke
sieht wohl die Speise und weiß, dass sie ihm angemessen ist,
er kann sie aber nicht nehmen, weil ihm die Neigung und
Begierde fehlt und der bewegende Antrieb. Darum hat Allah
ta’ala die Neigung, die Begierde und den Willen
geschaffen, und ich verstehe darunter ein Streben in seiner
Seele und ein Gerichtetsein in seinen Inneren auf das
Betreffende hin. Aber auch das genügt noch nicht. Wie mancher
sieht die Speise vor sich, begehrt sie und will sie nehmen,
aber er kann es nicht, weil er gelähmt ist. Darum sind ihm die
Kraft (Vermögen, potentia) und die bewegenden Glieder
anerschaffen, damit die Nahrungsaufnahme ganz zustande kommen
kann. Ein Glied bewegt sich aber nur durch die Kraft, und die
Kraft wartet auf den bewegenden Antrieb und der Antrieb auf
das Wissen und die Erkenntnis oder wenigstens auf ein Meinen
oder Glauben, d.h. es muss bei ihm feststehen, dass diese
Sache ihm zuträglich ist. Wenn also diese Erkenntnis, dass die
Sache zuträglich ist und geschehen muss, eine entschiedene
ist, und wenn sie frei ist von der Gegenwirkung eines anderen
ablenkenden Beweggrundes, so setzt der Wille sich in Bewegung
setzt, so geht die Kraft über in die Bewegung der Glieder. Die
Kraft gehorcht also dem Willen, und der Wille folgt der
jeweiligen Überzeugung und Erkenntnis.
Die Absicht
bezeichnet demnach ein mittleres, nämlich den Willen und die
Bewegung der Seele entsprechend der Begierde und Neigung nach
dem hin, was dem Ziel, sei es im Diesseits oder Jenseits,
angemessen ist. Das erste Movens (Beweggrund) ist sonach das
zu erreichende Ziel, als Agens. Und das bewegende Ziel ist der
beabsichtigte Zweck. Und die (Willens)Bewegung ist das Streben
und die Absicht und die Auslösung der Kraft, um dem Willen in
der Bewegung der Glieder behilflich zu sein, welche die
eigentliche Handlung ausmacht.
Die Auslösung der
Kraft zum Handeln geht bald von einem einzigen Agens aus, bald
von zweien, die zu einer Tätigkeit zusammenwirken. Im
letzteren Fall kann entweder jedes einzelne für sich genommen
imstande sein, die Kraft auszulösen (inhad), oder sie
vermögen das nur in ihrem Zusammenwirken, während jedes für
sich genommen dazu unfähig ist, oder endlich das eine ist ohne
das andere für sich allein ausreichend, es wird aber von
diesem in der Wirkung unterstützt. Aus dieser Einteilung
ergeben sich vier Fälle, für die wir je ein Beispiel anführen
und einen Namen prägen wollen.
1. Das Movens
ist nur ein einziges.
Wenn z.B.:
ein wildes Tier auf einen Menschen losgeht, so hebt er sich
von seinem Platze weg, sowie er es sieht. Was ihn wegtreibt,
ist allein die Absicht, vor dem Tiere zu fliehen. Er sieht das
Tier, erkennt es als schadenbringend, da wendet sich sein
Inneres zur Flucht und begehrt sie, dann tritt die Kraft, dem
Impuls entsprechend sich betätigend, in Aktion. Das heißt das
die Absicht, vor dem Tiere zu fliehen, da er nicht die Absicht
hat, wegen eines anderem sich wegzubegeben. Und diese Absicht
heißt ihlas ( Reinheit [der Absicht]) mit Bezug auf das
bewegende Ziel, d.h. das sie frei von der Beteiligung und der
Einmischung eines anderen Zweckes.
2. Es wirken
zwei Moventia zusammen, von denen jedes für sich ausreichend
wäre,
wenn es allein in
Aktion treten würde. Ein sinnliches Beispiel dafür ist, wenn
zwei Männer einander helfen, eine Sache zu tragen, für welche
die Kraft eines einzigen allein ausreichend wäre. Und ein
Beispiel für unseren Gegenstand; wenn jemand von einem Armen,
der zugleich sein Verwandter ist, um etwas gebeten wird, und
erfüllt seine Bitte wegen seiner Armut und der Verwandtschaft
mit ihm, weiß aber, dass er sie, auch wenn der Betreffende
nicht arm wäre, wegen der Verwandtschaft allein erfüllen
würde, und auch umgekehrt wegen der Armut allein, auch wenn er
nicht sein Verwandter wäre. Er erkennt das bei sich daran,
dass er auch die Bitte eines reichen Verwandten und eines
nichtverwandten Armen zu erfüllen bestrebt ist. So verhält es
sich auch mit jemanden, dem der Arzt Fasten auferlegt hat, und
es kommt der Tag von Arafa, und er fastet da, weiß
aber, dass er die Speisen aus Gesundheitsrücksicht auch dann
meiden würde, wenn es nicht der Tag von Arafa ist.
Beide Motive vereinigen sich also zu einer Handlung, und zwar
ist das zweite Motiv der Begleiter des ersten, wir wollen das
daher „Begleitschaft“ (murafaqa) von Beweggründen
nennen.
3. Eines für
sich allein ist nicht imstande, die Kraft auszulösen,
wohl aber beide,
wenn sie vereint sind. Ein sinnliches Beispiel ist, wenn zwei
Schwache einander helfen, eine Last zu tragen, die für jeden
von ihnen zu schwer wäre. Ein Beispiel für unseren Zweck: Es
kommt zu jemanden ein reicher Verwandter mit der Bitte um
einen Dirham und er gibt ihm nichts, dann kommt ein
nichtverwandter Armer mit der gleichen Bitte und er gibt auch
diesem nichts, schließlich kommt ein armer Verwandter und
diesem gibt er dem Dirham. Hier erfolgt die Betätigung der
Kraft durch die Vereinigung der beiden Motive, nämlich der
Verwandtschaft und der Armut. So auch, wenn jemand vor den
Menschen Almosen gibt wegen der Belohnung (im Jenseits) und
wegen des Lobes (der Menschen) und war so, dass ihn, wenn er
alleine wäre, das Streben nach der Belohnung allein nicht zum
Geben bewegen würde und ebenso wenig allein die Rücksicht auf
die Menschen (riya), wenn der Bittende etwa ein Sünder
wäre, für dessen Unterstützung er keine Belohnung zu erwarten
hätte; beide Motive in ihrer Vereinigung bringen aber die
innere Bewegung zustande. Wir wollen diese dritte Art
„Genossenschaft“ (musaraka) nennen.
4. Das eine
der beiden Moventia ist für sich allein hinreichend, das
zweite hingegen nicht,
es übt aber, wenn
es zum ersten hinzutritt, wenigstens durch Unterstützung und
Erleichterung eine Wirkung aus. Ein sinnliches Beispiel: Ein
Schwacher hilft einem Starken beim Tragen einer Last, die
dieser auch allein tragen könnte, der Schwache hingegen nicht;
aber dieser erleichtert im Allgemeinen die Arbeit und trägt zu
ihrer sicheren Ausführung bei. Ein Beispiel für unseren
Gegenstand: Jemand pflegt regelmäßig Andachtsübungen
abzuhalten und Almosen zu geben. Sind nun zufällig zu der
betreffenden Zeit Menschen in der Nähe, so wird ihm durch ihre
Gegenwart das Handeln erleichtert, er weiß aber von sich, dass
er auch dann nicht davon abstehen würde, wenn er ganz allein
wäre, und andererseits, dass ihn die Rücksicht auf die
Menschen (riya) allein nicht zu diesem Werke
veranlassen würde, wenn es nicht ein gottgefälliges wäre.
Immerhin erleidet auf diese Weise die Absicht eine Trübung,
und wir wollen diese Art „Unterstützung“ (mu’awana)
nennen. Das zweite Motiv kann somit begleitend oder
teilnehmend oder unterstützend sein; wir werden darüber im
Kapitel der „reinen Absicht“ (ihlas) handeln. Hier
wollten wir nur eine Einteilung der Absichten geben, denn die
Handlung richtet sich nach ihrem Beweggrund und empfängt von
ihm ihre Wertung (hukm).
Daher heißt es:
„Die Handlungen richten sich allein nach den Absichten“;
denn sie sind etwas Abhängiges (tabi’a) und haben keine
Wertung in sich selbst, sondern die Wertung kommt dem zu, von
dem sie abhängen.