West-östlicher Divan
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West-östlicher Diwan

West-östlicher Divan

In zwölf Büchern

von Johann Wolfgang Goethe

Hochbild

Die Sonne, Helios der Griechen,
Fährt prächtig auf der Himmelsbahn;
Gewiss, das Weltall zu besiegen,
Blickt er umher, hinab, hinan.

Er sieht die schönste Göttin weinen,
Die Wolkentochter, Himmelskind;
Ihr scheint er nur allein zu scheinen;
Für alle heitre Räume blind,

Versenkt er sich in Schmerz und Schauer,
Und häuf'ger quillt ihr Tränenguss:
Er sendet Lust in ihre Trauer
Und jeder Perle Kuss auf Kuss.

Nun fühlt sie tief des Blicks Gewalten.
Und unverwandt schaut sie hinauf:
Die Perlen wollen sich gestalten;
Denn jede nahm sein Bildnis auf.

Und so, umkränzt von Farb und Bogen,
Erheitert leuchtet ihr Gesicht,
Entgegen kommt er ihr gezogen;
Doch er, doch ach! erreicht sie nicht!

So, nach des Schicksals hartem Lose,
Weichst du mir, Lieblichste, davon;
Und wär ich Helios der Große,
Was nützte mir der Wagenthron?

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