Jordanisch-ägyptische
Konflikte und saudische Prinzen
In der
Regel haben wir schon seit jeher versucht, unser Privatleben
vom Dienstalltag an der Universität strikt zu trennen. Das war
insbesondere in den Fällen von großer Bedeutung, wenn
Gastwissenschaftler aus muslimischen Ländern an die
Universität kamen. Allerdings sollte die Universität unser
Wissen um den Islam und die Muslime nutzen können, wenn es
denn dienlich war. So konnten wir bezüglich
Abwasserreinigungsanlagen in muslimischen Ländern sehr gut
unser Wissen hinsichtlich des Unterschieds zwischen chemischer
Reinigung und der spirituellen Reinheit eines Wassers
einbringen.
Mitte der neunziger Jahre begann mein
Arbeitgeber eine mehrjährige Kooperation mit der damaligen
Carl-Duisberg-Gesellschaft zur Ausbildung von Fach- und
Führungskräften aus aufstrebenden Drittländern zu
Abwasserspezialisten. Ziel solcher Maßnahmen war es
selbstverständlich, dass Deutschland diese Leute ausbildet und
sie im Gegenzug dann bei der Rückkehr Deutschland mit
Aufträgen belohnten. Die allermeisten der 15-20 Kandidaten
jährlich kamen aus muslimischen Ländern. Und da man meinem
Bruder und mir zutraute, am besten mit diesen Leuten umgehen
zu können – Gürhan war zu den ersten Kursen noch an der
Universität tätig – leiteten wir die jeweils sechsmonatigen
Kurse und gaben auch die meisten Unterrichtseinheiten. Damals
hatte ich noch die uneingeschränkte Überzeugung, dass eine
Kooperation dieser Länder mit deutschen Unternehmen für alle
Beteiligten nutzbringend sein könnte, da – so meine
Einstellung – deutsche Unternehmen nicht allein am schnellen
kurzlebigen Gewinn interessiert wären, sondern an fairen
langfristigen und dadurch lukrativen Kooperationen. Zumindest
im Vergleich mit US-Unternehmen konnte ich diese Einstellung
guten Gewissens und mit Freude vertreten.
Die Idee dieser Kurse war eigentlich sehr
gut. Aber die Realität war eine Katastrophe. So waren sehr oft
nicht die Fach- und Führungskräfte aus den jeweiligen Ländern
gekommen, sondern diejenigen, welche die besten Beziehungen
hatten oder bei den eigenen Behörden die höchsten
Bestechungsgelder gezahlt hatten. Entsprechend unterschiedlich
war das Niveau der Anwesenden. Aber selbst das wurde wohl von
den Geldgebern einkalkuliert. Denn wenn aus jedem Kurs nur
eine Person sich zum Großeinkäufer in Deutschland entwickeln
würde, hätte sich die gesamte Maßnahme für Deutschland
gelohnt, und das war immer gegeben! Zwar hatten wir uns für
ein anderes Ausschreibungsverfahren eingesetzt, bei dem die
wissbegierigen Wissenschaftler eine bessere Chance bekommen
sollten, aber leider konnte dieses nicht durchgesetzt werden.
Über die berufliche Entwicklung hinaus
war zumeist eine Betreuung auch in der Freizeit notwendig. So
wollten z.B. manche Gäste religiös geschlachtetes Fleisch
kaufen, andere suchten eine Moschee und wieder andere
benötigten einen Gebetsteppich und eine Ecke zum Beten
zwischen den Unterrichtseinheiten; alles Dinge, auf die wir
vorbereitet waren und die wir ihnen problemlos bereitstellen
konnten. Auch konnten wir die Leute, die am Freitag schon um
11 Uhr zum Freitagsgebet gehen wollten, höflichst darauf
hinweisen, dass in der Sommerzeit das Freitagsgebet erst um
13:30 beginnt und daher es keine Veranlassung gab, den
Unterricht zu versäumen.
Viel problematischer aber war der Umgang
mit einigen Teilnehmern, die es in ihren Ländern gewohnt
waren, bedient zu werden. Meistens waren dies Personen, die in
Ländern mit Königen an der Macht aufgewachsen sind. Natürlich
hat dieses Verhalten nichts mit dem Islam zu tun. Gerade der
Islam verbietet doch Könige und versucht die Leute zu einem
Verhalten zu erziehen, welches ein Sich-Bedienen-Lassen
verpönt. Unser Dr.-Titel gepaart mit der Stellung des
Abteilungsleiters machte uns gleich zu ihren Ansprechpartnern.
Aber allein die Tatsache, dass wir unseren Tee selber kochten,
war schon ausreichend genug, um nicht mehr als gleichwertig zu
gelten. Für die Menschen der Führungsclique in diesen
Königreichen ist es verachtungswürdig, Derartiges nicht von
einem Diener erledigen und servieren zu lassen.
Da war also wieder dieses mir in meiner
Jugend so verhasste falsche Bild eines “Islam“ in Gestalt
einiger dieser Leute. Einige schwänzten den Unterricht und
handelten stattdessen mit Autos. Sie konnten sich kaum
vorstellen, dass ich die Maßnahmen einleiten würde, durch die
sie ihr Stipendium verlieren würden und waren entsprechend
überrascht, dass ich hier die deutschen Interessen schütze!
Fast alle fühlten sich als tolle Muslime. Sie kamen aus
Ländern mit den übelsten Diktatoren an der Spitze des Landes,
aber fast jeder von ihnen wollte auch ein kleiner Herrscher
sein. Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter und insbesondere
die Mitarbeiterinnen hatten so ihre liebe Mühe mit den Leuten,
und mehrfach mussten mein Bruder und ich versuchen, die Wogen
zu glätten.
In 2000 – mein Bruder hatte die
Universität inzwischen verlassen – war die Konfliktsituation
extrem schwierig. Während des PC-Kurses, an dem manchmal zwei
Kursteilnehmer an einem PC saßen, hatte sich eine Ägypterin
stets neben einen Jordanier gesetzt, und offensichtlich hatte
es auch sonst zwischen beiden “gefunkt“. Die anderen Ägypter
waren von dieser Situation überhaupt nicht angetan und hatten
dem Jordanier – zum Schutz der Ehre der Ägypterin – alles
Mögliche angedroht. Sogar von Messerstecherei war die Rede.
Die Streithähne kamen an einem Dienstag nach und nach in mein
Büro und schilderten mir den Fall jeweils aus ihrer Sicht, bis
auch die betroffene Frau weinend in meinem Büro mir die
Sachlage schilderte. Sowohl die jordanische als auch die
ägyptische Botschaft sollten bereits informiert worden sein,
wobei mir nicht so ganz klar war, worüber die Botschaften
informiert waren. Was sollten wir nun tun? Eigentlich war die
Gruppe doch da, um Abwassertechnik zu lernen! Zudem würde uns
kein Mensch die Geschichte glauben, wenn wir sie ohne
Verniedlichung wiedergeben würden. Das Schlimmste aber war,
dass alle Anwesenden immer mit dem Islam argumentierten, von
dem sie keine Ahnung hatten. Wenn tatsächlich der Glaube an
den Islam die Ursache für den Konflikt gewesen wäre, wäre es
nicht schwer, durch einige Verse aus dem Heiligen Qur´an die
ganze Situation zu klären. Aber es war eben nicht der Glaube.
Nachdem ich alle Streithähne zusammengerufen hatte, gelang es
mir von allen Beteiligten ein Versprechen abzuringen, dass bis
zum Freitag “Waffenstillstand“ herrschen sollte. Bis dahin
würde ich mir etwas einfallen lassen, sie dann in ihrem
gemeinsamen Wohnheim besuchen und versuchen, einen Ausweg zu
finden.
Am Freitag bat ich einen arabischen
Doktoranden von uns, sicherheitshalber als Dolmetscher
mitzukommen, damit keinerlei sprachlich bedingte
Missverständnisse auftreten sollten. Ich hatte mir eine
Strategie ausgedacht, bei der ich mit Versen aus dem Qur´an an
das Gewissen der Leute appellieren wollte. Und schließlich
sollten sie als Araber an ihrer Ehre gefasst werden, und es
sollte ihnen peinlich sein, sich von einem Deutschen (als den
sie mich betrachteten) den Islam erläutert bekommen zu müssen,
so dass sie dann selbst zur Vernunft kommen würden. Ob diese
Taktik aufgehen würde, war mir selbst nicht klar. Da standen
wir beide vor der Tür des Gästehauses und klingelten. Die Tür
ging auf, alle Beteiligten kamen in Feierstimmung auf uns zu.
Wir wurden ins Zimmer gebeten, uns wurde Kuchen gereicht und
plötzlich hieß es, dass wir eine islamische Hochzeit feiern
würden und ich der Trauzeuge sei. Damit war die “Schande“
geklärt!
Grundsätzlich sind Nichtmuslime mit
derartigen Konfliktsituationen verständlicherweise
überfordert. Mir wurde zunehmend klar, dass wir unsere
Islamkenntnisse zum Wohl aller, sowohl der hineingeborenen
Muslime als auch der Nichtmuslime, einsetzen konnten. Ähnliche
Konflikte gab es in fast jedem Kurs. Eine libanesische
Maronitin,
die wir vor den Anfeindungen einiger ahnungsloser Muslime im
Kurs geschützt hatten, hat uns auch später noch stets
Grußkarten geschickt.
Insgesamt waren diese Kurse aber dennoch
ein Erfolg. So ist z.B. ein ehemaliger Kursteilnehmer, den wir
aufgrund seiner besonderen Qualifikation von der Universität
Bremen aus selbst ein weiteres Jahr weiter ausgebildet und
eingesetzt haben, heute der Geschäftsführer der Dubai-Filiale
eines der bekanntesten deutschen Unternehmen im Wasserbereich
und bedient Deutschland mit lukrativen Aufträgen.
Neben diesen Gastwissenschaftlern gab es
von Zeit zu Zeit auch “hohen“ Besuch aus arabischen Ländern,
die an unseren Wasserprojekten interessiert waren. Einmal
hatte die Handelskammer einen hohen saudischen Prinzen
angekündigt, der mit höchstem Respekt zu behandeln sei. Wir
hatten das ganze Institut auf Vordermann gebracht. Alle
Mitarbeiter waren eingewiesen, und insbesondere die
Sekretärin, die während des Gesprächs je nach Wunsch des
Gastes Tee oder Kaffee mit auserlesenen Keksen servieren
sollte. Jeder wusste, wann er wem und wie die Hand geben
konnte. Und meine Anwesenheit sollte helfen das Eis zu
brechen, indem ich den Gast mit dem muslimischen Friedensgruß
begrüßte.
Der Gast kam und alles verlief absolut
reibungslos, ja geradezu perfekt harmonisch, bis der Kaffe
serviert wurde. Unsere gut vorbereitete Sekretärin servierte
den Kaffe in aller Höflichkeit und stellte dann einen riesigen
Salatschüssel-großen Teller mit mehreren Kilo Schokolade und
Keksen in die Mitte des Tisches, an dem wir zu Viert saßen.
Dann passierte etwas, womit niemand gerechnet hatte. Der Gast
zog die große Schüssel vor sich, fing an, daraus zu essen und
führte seelenruhig das Gespräch fort. Es fiel allen
Beteiligten sichtlich schwer, die Beherrschung zu wahren und
auch den leisesten Anflug eines Schmunzelns zu unterdrücken.
Die Welt dieser Prinzen war eine andere, und ich empfand es
als Schande für die islamische Welt, dass solche Leute die
Muslime beherrschten. Dennoch führte allein die Anwesenheit
eines Muslims auf unserer Seite zu einem gewissen
Vertrauensverhältnis, was auch schwierigere Situationen
erleichterte. Solche Konstellationen sollten noch oft folgen,
in denen wir sowohl als Vermittler zwischen den Kulturen als
auch als Vermittler im geschäftlichen Sinn auftreten durften,
und nicht immer mussten wir auf die Kekse verzichten!
Tatsache
war nun einmal, dass wir zwar Muslime waren, aber eben
Delmenhorster Muslime. Wie sagte doch einmal ein herzlicher
älterer Nachbar zu einem unserer Freunde, der sich stets um
die alten Nachbarn kümmerte: „Sie sind doch so gute
Menschen, schade, dass sie Muslime sind!“
Es mag
dem Leser ungewöhnlich erscheinen, aber ein Mensch, der in
Deutschland verwurzelt ist, möchte auch seine Heimat
mitgestalten, und Handelsbeziehungen gehören genau so zum
Engagement wie der Einsatz bei eigenen Regionalwahlen.