Gedichte im Islam
Das Brot auf's Wasser geworfen

von
Friedrich Rückert

Das Brot auf’s Wasser geworfen.

Thu Gutes, Kind, soviel du kannst,
(Sprach Kabus einst zu seinem Sohne)
Und Gutes wirst du ernten.
Auf meinen Reisen hört’ ich eine
Geschicht’ in Bagdad einst erzählen

Von Haßan’s Sohn Mohammed:
Beim Chalifen Mutawakkil
War im Dienst Fatih, der Jüngling,
Der durch gute Eigenschaften
Seinem Herrn so lieb sich machte,
Das er ihn statt Sohnes annahm,
Höher hielt als einen Sohn.

Nun bekam Fatih, der Jüngling,
Luft im Tigrisstrom zu schwimmen.
Der besorgte Pflegevater,
So gefällig als besorgt,
Taucher ließ er ihm und Schiffer
Kommen, ihn zu unterrichten;

Und so lernt’ er ein’ge Zeit.
Doch er war ein Kind, und hielt
Vorschnell sich für einen Meister;
Einst entsprang er seinen Meistern,
Schwamm, und fort riß ihn der Strom,
Fort, weit unterhalb der Stadt,
Wo ein jäh abschüssig Ufer,
Weder auf noch abzusteigen,
Ganz von Menschen unbegangen,
Keines Retters Hoffnung gab.

Aber im Hinunterschwimmen
Faßt’ er mit den zarten Händen
Einen Tamarindenzweig,
Der vom Ufer in den Strom
Darum schien hereinzulangen,
Um dem Knaben darzubieten
Eine Hand der Rettung, wo
Ihn kein Menschenarm erreichte.
Und so zog er sich an's Ufer,
Und sein Leben war geborgen;

Doch verlassen, ohne Nahrung,
Konnt’ er nicht den Menschen droben
Aus der Tiefe kund sich tun.
Doch ein Obdach fehlt’ ihm nicht,
Eine Höhle war gefunden,
Deren Rand der Strom bespülte,
Und er barg sich drein bei Nacht.

Als die Meister ihn vermissten,
Und ihn lang’ umsonst gesucht,
Meldeten sie’s dem Chalifen,
Dass sein Liebling sei ertrunken.
Von dem Thron fiel er vor Schrecken,
Weinte, legte Trauerkleid an,
Und wehklagte sieben Tage.

Endlich wünscht’ er nur den Leichnam
Des Geliebten zu umfangen,
Ehrenvoll ihn zu begraben;
Und verhieß, wer den ihm brächte,
Tausend Goldstück’.

Andern Tags
Kam ein Fischer von den vielen,
Die den Toten und die tausend
Goldstück’ aus dem Strom zu fischen
Jetzt wetteifern, ungefähr
Zu der Höhle; durch den Eingang
Sieht er drin den Lebenden.

Eilig, ohn’ ihn mitzunehmen,
Kehrt er um zu dem Chalifen:
Du verhießest tausend Goldstück’
Einem, der den Toten dir
Brächte; was erhält denn aber,
Wer ihn lebend bringt? – Fünftausend.

Und der Schiffer bringt ihn lebend;
Der Chalif in seiner Freude
Gibt ihm die Fünftausend gerne.
Selbst befiehlt er dem Wesir,
Die Schatzkammern aufzutun,
Und die Hälfte seines Schatzes
Als Almosen auszuspenden.

„Doch nun bringt geschwind zu essen
Meinem Liebling! Denn gefastet
Hat er sieben Tage lang.“
„Fürst der Gläubigen, ich habe
Keinen Hunger.“ „Wie? Vielleicht
Hast du Wasser auch gegessen?“
„Das nicht, doch an jedem Morgen
Kam herunter auf dem Strome
Vor dem Eingang meiner Höhle
Ein besondres Vorratschiff,
Schwimmend auf der Flut ein flaches
Brot, ein Kuchen groß genug
Einen Tag mich zu ernähren.“

Der Chalif ist doch verwundert;
Forschen lässt er, wer ins Wasser
Denn sein Brot zu werfen habe.
An dem Ufer lauern Wächter,
Und ergreifen den Mohammed,
Sohn des Hassan, wie er eben
Im Begriff ist wiederum
In den Strom ein Brot zu werfen.

Wird man mich darum bestrafen?
Denkt er, als sie ihn ergreifen.
Strafe fürchtend, doch getrost,
Lässt er ins Verhör sich führen.
Selbst befragt ihn der Chalife:
Warum hast du das getan,
Und wie lang?
Seit sieben Tagen
Kam ein Antrieb mir dazu.
„Und woher?“ Gehöret hatt’ ich,
Dass der König und Profet
Salomo (Heil über ihm)
Dieses Wort gesprochen habe:
Wirf dein Brot aufs Wasser, nach
Vielen Tagen wirst du’s finden.
Dis aus Salomonis Munde
Hat die Königin von Saba,
Balkis, dazumal vernommen,
Und er ihren Stammgenossen
Mitgeteilt, den Arabern,
Wo’s zum Sprichwort ist geworden.

Doch ich sprach: Erforschen will ich
Dessen Wahrheit, will doch sehen,
Was dem Gutes widerfahre,
Der sein Brot aufs Wasser wirft.
Und vom dankbaren Chalifen
Widerfuhr ihm großes Gutes.

Sieben Dörfer vor den Thoren
Bagdad’s, sieben Dörfer für die
Sieben Brot’ an sieben Tagen
Gab er ihm zum Eigentume
Ew’ger Zeiten. Und ich habe
Selbst, als ich nach Bagdad kam,
Seines Stammes nachgeborne
Noch gefunden dort am Leben,
Die noch zehren von den sieben
Broten, die ihr Ahn aufs Wasser
Warf, Mohammed, Haßan’s Sohn.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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