Gedichte im Islam
Die Thronentsagung
Über Muawiya ibn Yazid

von
Friedrich Rückert

Moawia der zweite,
Des ersten Enkel, war
Des Reiches überdrüssig,
Und zählt’ erst zwanzig Jahr.
Als ihm das Reich geworden,
Befragt’ er zweifelsvoll,
Almaksus , seinen Lehrer,
Ob er’s annehmen soll?
Ja! Sprach darauf der Lehrer:
Sofern du stark genug
Dich fühlst, gerecht zu walten,
Zu schirmen Recht und Ruf.
Doch wenn du hast empfunden,
Dass dir die Kraft gebricht,
So bist du nicht verbunden,
Ja bist berechtigt nicht. –
„Wie soll ich es empfinden,
Versuch’ ich’s nicht vorher?“
Doch als er es sechs Wochen
Versucht, fand er’s zu schwer.
Da rief er alle Fürsten,
Moawia’s Geschlecht,
In ihre Hand zu legen
Das angestammte Recht.
Sie sprachen: Wir gehorchen
Dir selbst, und wenn du auch
Befiehlst; erwähle deinen
Nachfolger nach Gebrauch!
Wo nicht, so wähle Männer
Drei oder fünf, die dann
Durch Wahl entscheiden oder
Durchs Los den Folgemann.
Er aber sprach: Ich sehe,
Dass jeder unter euch
Ist tüchtiger zu herrschen,
Und sind’ euch alle gleich.
Wie mir die Kräfte fehlen
Zu herrschen, fehlet mir
Die Einsicht auch zu wählen;
Wählt selbst und herrschet ihr!
Nichts Süßes von der Herrschaft
Hab’ ich geschmeckt bis jetzt,
Und will von ihr dies Bittre
Nicht schmecken noch zuletzt. –
Da ging er in die Kammer,
Und schloss sich ein im Haus,
Und kam, solang er lebte,
Auch gar nicht mehr heraus.
Sie ließen still ihn leben,
Er lebte nicht mehr lang;
Doch rächten sie’s am Lehrer,
Von dem der Rath entsprang.
Lebendig, sagt man, gruben
Sie ihn zur Strafe ein,
Weil er verführt den Fürsten
Lebendig tot zu sein.
Darauf erwählt ward Merwan
Von königlichem Blut,
Der hatte andern Lehrer
Und hatte andern Mut.

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

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