Gedichte im Islam
Die Reisenden, die das Elefantenjunge aßen

von Dschalaleddin Rumi

Ein Weiser sprach: «Hört doch auf meinen Rat,
dass Leib und Seele euch nicht Schaden leiden.
Begnügt mit Gras euch und mit Blättern nur
und jagt nicht nach den Elefantenjungen!
So hab ich meinen guten Rat verteilt -
was will der gute Rat als Glück und Frieden?
Ich kam, um diese Botschaft zu verkünden,
um euch zu retten von der Reu’ für Sünden.
So hütet euch, nach Braten zu begehren,
sonst könnte Gier von Grund auf euch verzehren!»
Er sprach's und sagte Lebewohl und ging -
ihr Hunger wuchs und wuchs auf ihrem Wege.
Da sah'n sie plötzlich, dass am Wegesrand
ein fettes Elefantenbaby stand.
Sie stürzten sich wie tolle Wölfe drauf
und aßen es mit Haut und Haaren auf.
Nur einer aß es nicht, riet ihnen ab.
er dachte an des Derwischs guten Rat.
der ihn dran hinderte, das Fleisch zu essen -
ein junges Glück bracht' ihm so sein Verstand.
Die andern sanken hin und schliefen ein:
der Hungrige war wie der Hirt der Herde.
sah einen Elefanten, rasend, kommen.
der sich zuerst zu diesem Wächter wandte.
und dreimal roch er nun an dessen Mund.
doch kein Geruch erschien ihm ungesund:
Umkreiste ihn ein paarmal und ging weit -
der wilde Elefant tat ihm kein Leid.
Dann roch er an dem Mund der Schlafenden
und ein Geruch kam von den Männern her.
der Bratenduft vom Elefantenkind -
Die Mutter, tobend, griff sie an geschwind.
Sofort begann sie ohne jedes Zögern
sie zu zerreißen einen nach dem andern:
sie warf sie alle einzeln in die Luft.
und ganz zerbrochen fielen sie zu Boden.
Der du das Blut der Menschen trinkst, gib acht -
dass nicht ihr Blut mit Rache nur dich kommt.
Ihr Eigentum ist, wisse, wie ihr Blut.
denn es kommt nur durch Kraft in ihre Hand.
Die Mutter jener Elefantenkinder
wird zornig, und sie bringt die Mörder um.
Du, der das Elefantenjunge aß -
dich tötet bald des Elefanten Hass!
Denn der Geruch verrät den Ränkeschmied.
Der Elefant kennt seines Kindes Duft.
Er, der den Gottesduft aus Jemen spürte -
sollt' meinen Falschheits-Ruch er nicht erkennen?
Da Mustafa dies aus der Ferne roch -
wie sollte er nicht unsern Duft verspüren?
Er merkt es wohl, doch er verbirgt's vor uns -
Zum Himmel steigt der Duft wie der Gestank.
Du schläfst, doch schlägt der Ruch verbot'ner Dinge
ja ständig an den leuchtend blauen Himmel;
Er steigt hinauf mit schlechten Atemzügen,
bis er im Himmel die trifft, die ihn riechen.
Der Ruch von Stolz, von Selbstsucht und von Gier
durchzieht dein Wort wie faule Zwiebeln hier!
Und wenn du schwörst: «Wann hätt' ich die gegessen?
Ich hab von Knoblauch, Zwiebeln mich enthalten!»
So wird dein Eid sogleich dir zum Verräter,
denn der Geruch steigt in der Nachbarn Nasen!
Wie manch Gebet wird nicht erhört - sein Ruch
verrät des Herzens Falsch beim Mundes Spruch.
«Hebt euch hinweg!» heißt es für solch Gebet,
weil auf Betrug ja Prügelstrafe steht.
Doch ist dein Wort schief, deine Absicht grade:
Dein falsches Wort, es wird erhört in Gnade!

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