Gedichte im Islam
Die Verkündigung Mariae

von Dschalaleddin Rumi

Maria sah in ihrem Baderaum.
wie eine Form, berückend und entzückend
entwuchs vor ihr dem Boden: Gabriel.
der treue Geist, wie Mond und Sonne strahlend
ein Schöner, schleierlos: wie der Moment.
da sich die Sonne hebt im Orient.
Ein Zittern überkam Marias Glieder.
denn sie war nackt und hatte Angst vor Schande
Ja, könnte Yusuf diesen Schönen schauen.
er schnitt' sich in die Hand, wie einst die Frauen!
Erwächst gleich einer Rose aus dem Rasen
gleich einem Traumbild, das dem Herz entspringt.
Maria sank entselbstet hin und sagte:
«Ich werfe mich in Gottes Schutz allein!»
Denn so gewöhnt war jene Unberührte.
dass sie die Last zum Unsichtbaren führte:
sie erkannt: die Welt hat keine Dauer.
nahm klug sie sich nur Gott als Burg und Mauer
Dass sie beim Tode eine Festung hätte
dass ihr der Feind den Weg zum Ziel nicht sperre.
Maulana spricht dann von den Gegensätzen,
die notwendig für das Leben sind.
Der Freude Zucker: Frucht des Gartens «Gram» -
Frohsinn ist Plage. Schmerz als Heilung kam
Siehst Gram du, zieh ihn liebevoll ans Herz -
von Rabwa blicke du Damaskus-wärts.
Der Weise sieht in Trauben schon den Wein
der Liebende, im Nicht-Sein schon das Sein!
Lastträger stritten sich am Marktplatz heute:
«Ich will die Last!», «Nein, ich trag' sie, ihr Leute!»
Je mehr die Last, je mehr sie Nutzen landen -
so rissen sie die Last sich aus den Händen.
Maria war verwirrt für eine Weile,
dem Fisch gleich zitternd, der im Trocknen liegt,
da rief das Bild der Gottesgnade aus:
«Ich bin Sein treuer Bote - flieh doch nicht!
Wend' nicht den Kopf ab von solch Hoch-Erhab'nem!
Verbirg dich nicht vor solchem Ganz-Vertrauten!»
So sprach er, und von reinem Licht ein Strahl
stieg ihm vom Mund zum höchsten Himmelssaal.
«Du willst von meinem Sein zum Nicht-Sein fliehen -
Ich bin im Nicht-Sein Fürst und Fahnenträger.
Im Nicht-Sein ist mein Heim und meine Wohnung,
und vor der Jungfrau zeigt sich nur mein Bild.
Bin Neumond und ein Traum in deinem Herzen,
und setzt der Traum im Herzen sich dann fort,
ist er mit dir, wohin du immer fliehst;
Nur nicht das falsche, wesenlose Bild,
das wie das falsche Morgenlicht versinkt.
Der wahre Morgen ich, von Gottes Licht,
Dess' hellen Tag nie eine Nacht umflicht!»
Gabriel erklärt Maria, dass es unnütz sei, gegen seine
Erscheinung auszurufen
«Es gibt keine Stärke und keine Kraft außer bei Gott!»,
da er ja mit dem, der so angerufen wird, eines ist.
Er warnt sie vor Unwissenheit,
und Rumi setzt die Ermahnung fort.
Nicht-Wissen ist ja wohl die schlimmste Plage
An Freundes Brust, kennst du kein Liebesspiel!
Du hältst den Freund noch immer Tür den Gegner,
du nennst des Freundes Glücksglanz dort noch Kummer.
Die Dattelpalme. die des Freundes Huld ist -
sie wird zum Galgen uns. denn wir sind Diebe.
Die Moschuslocke unseres Geliebten
wird uns zur Fessel, weil wir nicht verstehen.
und solche Huld, die wie der Nil dahinströmt.
scheint uns gleich Blut, da Pharao wir sind.
Das Blut, es sagt: «Ich bin doch Wasser, heilsam!
Ich bin doch Yusuf - du machst mich zum Wolf»

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